Rudolf Steiner über die notwendige Gesinnung in der Waldorfschule

Sie sehen daraus auch, daß es eine gewisse innere Moralität des Unterrichtens gibt, eine innere Verpflichtung des Unterrichtens. Ein wahrer kategorischer Imperativ für den Lehrer! Und dieser kategorische Imperativ für den Lehrer ist der: Halte deine Phantasie lebendig. Und wenn du fühlst, daß du pedantisch wirst, dann sage: Pedanterie mag für die anderen Menschen ein Übel sein – für mich ist es eine Schlechtigkeit, eine Unmoral! – Das muß Gesinnung für den Lehrer werden.
5.9.1919, GA 293, S. 212.

Eigentlich drängt dasjenige, was ich auseinandergesetzt habe, dahin: immer mehr und mehr zu individualisieren, jeden Menschen als ein Wesen für sich zu betrachten. Das muß uns ja eigentlich als großes Ideal vorschweben: Keiner gleicht dem andern, jeder, jeder ist ein Wesen für sich. Würde die Erde an ihr Ziel kommen, ohne daß wir uns aneignen würden als Menschen, anzuerkennen jeden Menschen als ein Wesen für sich, die Menschheit würde auf der Erde nicht ihr Ziel erreichen. Aber wie weit sind wir heute von der Gesinnung entfernt, die nach diesem Ziele hinstrebt! Wir nivellieren ja heute die Menschen. Wir sehen die Menschen so an, daß wir sie gar nicht stark auf ihre individuellen Eigenschaften hin prüfen.
15.8.1919, GA 296, S. 83.

Für den wirklichen Lehrer muß heute Pädagogik als etwas Lebendiges in jedem Augenblick neu erstehen. Und alles, was er gedächtnismäßig als Pädagoge in der Seele trägt, das ist etwas, was ihn seiner Ursprünglichkeit beraubt. [...] Man möchte sagen: Die Pädagogik ist die beste – etwas radikal gesprochen –, die vom Lehrer immerzu vergessen wird und immerzu neu angefeuert wird, wenn der Lehrer dem Kinde, dem Zögling gegenübersteht und die in ihm lebenden Kräfte der werdenden Menschennatur vor seine Seele gestellt sieht. Wenn dann zu solcher Gesinnung auch noch ein großes Interesse, ein umfassendes Interesse für die Geheimnisse der Welt, für Weltenrätsel, für Weltanschauungen hinzutritt, so wird dasjenige im Lehrer leben, was ihn wirklich befähigt, von seinem Wesen in das kindliche Wesen übergehen zu lassen, was übergehen soll.
24.9.1919, GA 297, S. 102f.

Aus dem Lehrer und Erzieher wird ein pädagogischer Künstler, wenn er in sich wirken läßt, was er durch anthroposophische Geisteswissenschaft über den Menschen erfahren kann. Wir wollen nicht neue abstrakte Erziehungsgrundsätze aufstellen, sondern wir glauben, daß des Menschen ganze Persönlichkeit angeregt wird durch das, was Anthroposophie als Lebensodem, als geistig-seelischer Lebensodem dem Menschen geben kann. Wie das Blut auf selbstverständliche Weise den Organismus belebt, so soll die Geisteswissenschaft den, dessen Beruf das Erziehen und Unterrichten ist, so beleben, daß er mit dem Kinde wirklich eins werde und die Erziehung, der Unterricht etwas Selbstverständliches wird. Daß, wer die Pforten seiner Klasse durchschreitet, mit einer solchen Gesinnung vor die Kinder hintritt, das möchten wir in der Waldorfschule.
29.12.1920, GA 297, S. 265.

Erstens ist schon die Gesinnung der Lehrerschaft eine solche, daß mit jeder Unterrichtsstunde, mit jedem neuen Morgen in die Klasse etwas hineingetragen wird, was das Erziehen und Unterrichten zu einer Art geistigem Dienst macht. Heißt es denn nicht etwas Besonderes, wenn man durch anthroposophische Geisteswissenschaft weiß: Dieses Menschenwesen, das sich uns so rätselhaft wunderbar offenbart in dem heranwachsenden Kinde, es ist aus geistigen Welten durch die Empfängnis oder Geburt herabgestiegen? Wenn das eine wirkliche Erkenntnis ist, wenn sie durch anthroposophische Geisteswissenschaft vermittelt wird, dann steht man dem werdenden Menschen, dem Kind so gegenüber, daß hier eine einem von den geistigen Welten anvertraute Aufgabe ist. Dann sieht man, wie das Ewige, das aus geistigen Welten heruntergestiegen ist, sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr aus den zuerst unbestimmten physiognomischen Zügen, den unbestimmten Bewegungen des Kindes herausarbeitet zu immer größerer Bestimmtheit. Das Geistig-Seelische sieht man arbeiten an der physischen Ausgestaltung des Menschen.
28.2.1921, GA 297a, S. 50.

Lernt man den Menschen so erziehen, daß er sich seines Menschentums selber ganz ehrlich gefühlsmäßig beraubt glauben kann, wenn er nicht ein guter, ein sittlicher Mensch wird, dann wird man ihm die richtige religiöse und die richtige sittliche Erziehung angedeihen lassen.
Sagen Sie nicht, daß man leicht von diesen Dingen sprechen könne, daß sie aber ein Ideal bleiben müssen, weil die Außenwelt eben niemals etwas Vollkommenes sein kann. Gewiß kann die Außenwelt nichts Vollkommenes sein. Das weiß derjenige, der aus dem Geist der Geisteswissenschaft heraus spricht, ganz gewiß und ganz genau. Aber was uns als Gesinnung durchdringen kann, indem wir lehren oder erziehen, was uns in jedem Augenblicke Begeisterung geben kann und uns mit dieser Begeisterung dahin bringt, daß wir von der kindlichen Seele empfindend verstanden werden, daß wir den Weg finden zu dem kindlichen Willen, das liegt dennoch in dem, was ich eben angedeutet habe – in einer wahren Menschenkenntnis, die in dem Satze gipfelt: Der wirkliche vollständige Mensch ist nur der sittlich gute Mensch, und den sittlich guten Menschen durchdringen die religiösen Impulse.
4.11.1922, GA 297a, S. 162.

Wir möchten schon, daß die Eltern der Waldorfschulkinder sich sagen: Ich fühle die erzieherische Menschenpflicht in ganz besonderer Weise, und ich möchte, daß gerade durch meine Kinder etwas beigetragen werde zu den großen Aufgaben der Menschheit im 20. Jahrhundert. Ich möchte, daß das Anvertrauen meiner Kinder der Waldorfschule tatsächlich eine soziale Tat großen Stiles sei. – Je intensiver dies in die ganze Gesinnung aufgenommen werden kann, desto besser.
Uns muß es vor allen Dingen auf Gesinnung ankommen. Wir können nicht viel halten von Anweisungen im einzelnen, daß die Lehrer sich so oder so zu den Eltern verhalten sollen und umgekehrt. Wir können uns von solchen Einzelanweisungen nicht sonderlich viel versprechen, aber sehr viel davon, wenn die Lehrerschaft und Elternschaft sich gegenüberstehen in den richtigen Gesinnungen. Denn wir wissen, wenn mit dem innersten Wesen des Menschen die Gesinnung zusammenhängt, dann wird Gesinnung Tat, gerade in den Einzelheiten des Lebens. Wenn Gesinnung im großen den Menschen ergreift, werden seine einzelnen Taten zu Abbildern dessen, was die Gesinnung mit einem großen Zuge will. Daher handelt es sich für uns mehr darum, das Richtige in der richtigen Weise zu empfinden und zu verstehen, als einzelne Anweisungen zu geben und zu bekommen.
22.6.1923, GA 298, S. 189.

Ich darf mich [...] so ausdrücken, daß der Lehrer mit der ersten Klasse in dem Kinde überliefert bekommt ein Bild des ganzen Elternhauses; in der Gesundheit, im Temperament, im Fassungsvermögen, in der moralischen Anlage trägt das Kind das Elternhaus in die Schule hinein. Und wir machen in der Schule zunächst durch das Kind sehr intim Bekanntschaft mit dem Elternhause. Das sollte in die Gesinnung derer einziehen, die ein wirkliches Interesse für eine Schule wie die Waldorfschule haben. Solche Dinge brauchen nur Gesinnung zu werden, dann wirken sie auf das Handeln.
Wenn man klar so etwas weiß, wird man manches einzelne tun, was man sonst unterläßt, und vieles unterlassen, was man sonst tut. Das ist kein abstraktes Wissen; es durchtränkt das ganze Leben. Wenn das die Voraussetzung ist, dann wird schon jener Wille entstehen, der in richtiger Weise Eltern und Lehrer zusammenführt. Denn da, wo man weiß, daß in die Tiefe der Menschennatur das wirkt, worauf es ankommt, gibt man weniger auf das, was mit Worten in fünf Minuten ausgesprochen ist, aber viel mehr auf die Art und Weise, wie es ausgesprochen wird. Wenn die Gesinnung, die ich andeutete, die Eltern unserer Kinder immer wieder in die Schule hineintreibt, um dem entsprechenden Lehrer gegenüberzustehen, dann wird das, rein dadurch, daß Eltern und Lehrer sich nicht fremd sind, sondern sich gesehen haben, zu einer fruchtbaren Tatsache werden.
Was wir vor allem brauchen bei diesem Verhältnis von Eltern und Lehrern, das ist, daß jenes Interesse für das Allgemeine der Waldorfschul-Pädagogik sich überträgt auf das ganze Leben innerhalb der Schule, auf alles, was mit der Waldorfschule zusammenhängt, mit der Lehrerschaft einerseits und der Elternschaft andererseits. Wir können in der Waldorfschule mit großer Beruhigung, mit einer Kraft, die uns täglich neuen Antrieb verleiht, unterrichten, wenn wir wissen: in den Elternhäusern ist für das, was der Lehrer in der Schule tut, ein tägliches Interesse vorhanden.
22.6.1923, GA 298, S. 191.

Worauf es uns aber besonders ankommt, das ist eine in solche Gesinnung eingetauchte Atmosphäre, daß Sie die Erkenntnis haben: Der Waldorfschullehrer kümmert sich um das ganze Kind, vor allem auch um die Gesundheit. Und was wir uns besonders angelegen sein lassen, das ist, daß wir im Inneren unserer Seele unterrichtet sind auch über die feineren Gesundheitszustände der Kinder, die uns anvertraut sind. Eine pädagogische Kunst ist nicht vollständig, wenn sie nicht bis zu diesem Interesse am Kinde geht. Aber gerade über dieses Gebiet wird die nötige Arbeit nur möglich sein, wenn Eltern und Schule entsprechend zusammenwirken. [...] Namentlich wünschen wir, daß in solchen Dingen im Verkehr zwischen Eltern und Lehrern das voll ausgelebt werde, was der Grundimpuls unseres Wirkens ist in der Schule: Menschliche tiefinnerste Ehrlichkeit und Offenheit. Daraus könnte viel werden im Leben, und vieles kann gebessert werden, wenn Vater oder Mutter zum Lehrer kommt und sagt: Mein Kind kommt ermüdet zurück, es kommt zu spät; was kann ich mit Ihnen zusammen tun, um dem entgegenzuwirken? – In diesem ehrlichen Zusammenwirken kann viel Gutes begründet werden. [...]
Es kommt uns nicht auf Einzelheiten an, sondern auf das Herzensverhältnis zwischen Schule und Haus. Wir haben schon das Vertrauen, daß bei einem solchen rechten Herzensverhältnis auch das Rechte herauskommt. Das möchten wir so sehr herbeisehnen, daß diese Gesinnung nicht nur in Einzelheiten, sondern mit der ganzen Kraft erweckt werde. Die Waldorfschule wird nicht nur durch ihr Kulturbewußtsein etwas erreichen, sondern durch solche Dinge, wie wir sie heute besprochen haben.
22.6.1923, GA 298, S. 194ff.

Jedes Kind ist ja, wenn man es unbefangen betrachtet, ein Rätsel, das zu lösen ist, insbesondere für den Erzieher. Wenn man in der Art hinblickt auf das heranwachsende Kind und sich sagt: Dasjenige, was sich da hereingestellt hat in das Erdenleben, das ist die Fortsetzung eines geistigen Lebens, und wir haben die Verantwortung, in der richtigen Weise zu lenken dasjenige, was die Geisteswesenheit wollte, indem sie sich verkörpert in einem irdischen Menschen; dann, dann wird uns erst jenes Gefühl der Heiligkeit überkommen, ohne das man nicht erziehen und unterrichten kann, jenes Gefühl, das Rätsel lösen will, indem es sich gegenüber weiß dem heranwachsenden Menschen. Dem Leben, wie es hier in der physischen Welt abläuft, die Aufgabe einer Fortsetzung eines geistigen Lebens zu geben, das ist etwas Bedeutsames, wenn es uns durchdringt.
Und damit weise ich als auf ein bedeutsames Beispiel darauf hin, wie sehr der Unterrichter oder Erzieher anders handeln wird, wenn er diese oder jene Gesinnung hat. Selbstverständlich kommt für das äußere soziale Leben dasjenige in Betracht zunächst, was der Mensch als Handelnder ist. Aber indem wir dem werdenden Menschen, dem Kinde gegenüberstehen, stehen wir der innerlichsten Menschennatur gegenüber. Da kann gar nicht anders gewirkt werden, als daß Gesinnung auf Gesinnung wirkt, und da kommt etwas an auf dasjenige, was als Impulse der Gesinnung zugrunde liegt. Ist diese Gesinnung vorhanden, so gibt sie ein bedeutsames Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber der Erziehungs- und Unterrichtsaufgabe. Und ohne dieses Verantwortlichkeitsgefühl kommen wir eigentlich in der Praxis des Erziehens gar nicht aus. Von dem muß alles durchdrungen sein.
29.4.1920, GA 301, S. 107f.

Dasjenige, was unsere Zeit so sozial zersplittert, muß überwunden werden. Wir müssen uns wieder verstehen lernen. Wir müssen die Fähigkeiten, ins praktische Leben hineinzuschauen, die in den Kindern vorhanden sind, nicht brach liegen lassen. [...] Das ist durchaus nicht etwa ein Element, welches den Idealismus oder die geistige Gesinnung zugrunde richten muß. Geistige Gesinnung braucht nicht durch fortdauerndes Betonen des Idealismus und des Ideals gepflegt zu werden, sondern geistige Gesinnung wird dadurch gepflegt, daß man den Menschen veranlaßt, aus dem Geiste heraus zu wirken, daß man in ihm dasjenige, was geistig heraus will von Jahr zu Jahr, wirklich an die Oberfläche trägt. Da gliedert sich dann der große Gesichtspunkt mit dem einzelnen zusammen.
11.5.1920, GA 301, S. 222.

Der Mensch ist gut seinem Urwesen nach, aber in ihm müssen die Kräfte erweckt werden, sich die Güte zu erhalten. [...] Diese Gesinnung müssen wir eigentlich in uns tragen gegenüber der Entwickelung der Menschheit. Sie wird dann auf die Kinder übergehen, wenn wir sie selber haben, wenn wir das Märchen so erzählen, den Maikäfer so schildern, den Stern so beschreiben, daß etwas zu merken ist im Einzelnen oder im Zusammenhang des Ganzen, wie wir davon überzeugt sind, daß das, was gerade der Mensch im Weltenzusammenhang bedeutet, von dem Urelement heraus gut ist, daß aber diese Güte fortwährend gepflegt werden muß, und daß von der Pflege des Menschen das Gutsein der ganzen Welt abhängt; daß es in den Menschen hineingelegt ist, an der Entwickelung der ganzen Welt mitzugestalten.
11.5.1920, GA 301, S. 228.

Wir müssen uns schon klar sein darüber, daß wir in einem Zeitalter leben, in dem die Worte, die die Leute sprechen, keine Bedeutung haben in ihrem Inhalt, sondern allein die Kräfte, die drinnen walten und wirken. In einer solchen Art muß derjenige, der Jünglinge und Jungfrauen zu unterrichten hat, in sein Zeitalter hineinwachsen. Und er muß in einer noch tieferen Weise in sein Zeitalter hineinwachsen: er darf nicht jenen Grundcharakter behalten, den das Denken und die ganze Gesinnung des Menschen in der Gegenwart hat. Wenn man heute herumgeht und hat sich etwas durchdrungen mit anthroposophischem Bewußtsein – man findet nicht mehr Menschen, man findet Maulwürfe, die sich im engsten Kreise desjenigen bewegen, worin sie hereingesteckt sind, die sich so benehmen, daß sie in dem allerengsten Kreise denken und nicht hinausdenken über diesen Kreis, auch gar kein Interesse haben, sich zu bekümmern um dasjenige, was außerhalb dieses Kreises vorgeht. Wenn wir nicht die Möglichkeit finden, aus diesem Maulwurfdasein gründlich herauszuwachsen, wenn wir nur immer dieselben Urteile von einem anderen Standpunkt zustandebringen, die uns anerzogen sind durch die Vorgänge vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, dann können wir nicht fruchtbar teilnehmen an demjenigen, was gemacht werden soll, um aus der Misere hinauszukommen.
Und wenn einer ganz durchdrungen sein soll von einer solchen Sache, wie ich sie jetzt geltend gemacht habe, so ist es der Lehrer, so ist es derjenige, der die Jugend erziehen will, so ist es besonders derjenige, welcher das Kind hinaufführen will in das mehr reifere Alter des Knaben und Mädchens, die da sind, wenn wir von der 9. in die 10. Klasse hinüberkommen. Wir müssen die ganze Schule so einrichten, daß so etwas in der Schule drinnen sein kann, und dazu ist es notwendig, daß Sie die Sache noch tiefer auffassen, daß Sie vor allen Dingen jetzt bei diesem wichtigen Wendepunkt unserer Schule – das betrifft nicht bloß diejenigen, die in den höheren Klassen unterrichten, sondern das betrifft die ganze Lehrerschaft – sich klarmachen: es handelt sich darum, die ganze Pädagogik und die ganze Didaktik in ein elementares Gefühl zusammenzufassen, so daß Sie gewissermaßen in Ihrer Seele die ganze Schwere und Wucht der Aufgabe empfinden: Menschen hineinzustellen in diese Welt. Ohne das wird unsere Waldorfschule nur eine Phrase bleiben. Wir werden alles Schöne sagen über die Waldorfschule, aber wir werden auf einem durchlöcherten Boden stehen, bis solche Löcher so groß sein werden, daß wir gar keinen Boden mehr haben, auf dem wir herumgehen können. Wir müssen die Sache innerlich wahrrnachen. Das können wir nur, wenn wir ganz tief und gründlich in der Lage sind, den Erzieherberuf zu erfassen. [...]
Und da fragen wir uns: Ist denn nicht alles, was wir geworden sind, infiziert von der materialistischen Gesinnung, die heraufgekommen ist? – Gewiß, guter Wille ist in mannigfaltiger Weise vorhanden. Aber dieser gute Wille ist infiziert worden von der Anschauung, die aus der naturwissenschaftlichen Weltanschauung hervorgegangen ist. [...]
Im Grunde genommen wollte es die Menschheit immer vor sich selber verhüllen, daß sie eine große Gewissenserforschung notwendig hat, etwas, was gründlich aufwühlen sollte alles Innerliche mit der Frage: Wie stehen wir denn heute eigentlich als Ältere da vor der Jugend? – Und [...] dann müssen wir uns sagen, wenn wir tief innerlich ehrlich sein wollen: Wir wissen nichts mit ihnen anzufangen, wenn wir die Erziehung und den Unterricht nicht aus neuen Grundelementen heraus in die Hand nehmen. Wir stehen so da, daß wir eine Kluft aufgerichtet haben zwischen uns und dieser Jugend.
17.6.1921, GA 302, S. 94ff.

So sehen Sie, daß es vor allem beim Lehrer darauf ankommt, wie er sich zu seinem heiligen Berufe stellt. Das ist nicht ohne Bedeutung; denn das Wichtigste im Unterricht und in der Erziehung sind denn doch die Imponderabilien. Ein Lehrer, der mit solcher Gesinnung das Klassenzimmer betritt, erreicht anderes als ein anderer. Wie im alltäglichen Leben nicht immer das physisch Große das Maßgebende ist, sondern manchmal auch gerade das Kleine, so ist auch nicht immer das, was wir mit den großen Worten machen, das Maßgebende, sondern manchmal ist es jene Empfindung, jenes Gefühl, das wir in uns ausgebildet haben, bevor wir das Klassenzimmer betreten haben. Namentlich aber eines ist von einer großen Wichtigkeit, das ist, daß wir unseren engeren persönlichen Menschen wie eine Schlangenhaut rasch abstreifen, wenn wir in die Klasse hineingehen. Der Lehrer kann ja unter Umständen, da er, wie man manchmal so selbstgefällig sagt, „auch nur ein Mensch“ ist, alles mögliche erleben in der Zeit zwischen dem Schluß der Klasse am vorhergehenden Tage und ihrer Eröffnung am nächsten Tage. [...] Es ist ja ganz selbstverständlich im Leben, daß wir solche Stimmungen in uns tragen. Als Lehrer müssen wir uns dazu erziehen, solche Stimmungen abzulegen [...].
15.9.1920, GA 302a, S. 22.

[Der Erzieher] muß Menschenkunde aufnehmen, Menschenkunde verstehen durch Meditieren, an Menschenkunde sich erinnern: da wird das Erinnern lebendiges Leben. Es ist nicht bloß ein Erinnern wie sonst, sondern ein Erinnern, welches neue innere Impulse aus sich heraustreibt.
Da kommt die Erinnerung quellend aus dem geistigen Leben, und da überträgt sich in unser äußeres Arbeiten dasjenige, was als dritte Etappe kommt: Nach dem meditierenden Verstehen kommt das schaffende, das schöpferische Sich-Erinnern, das zugleich ein Aufnehmen aus der geistigen Welt ist. So also haben wir: Zuerst ein Aufnehmen oder Wahrnehmen der Menschenkunde, dann ein Verstehen, ein meditierendes Verstehen dieser Menschenkunde, indem wir in uns immer mehr hineingehen, innerlich hineingehen, wo die Menschenkunde empfangen wird von unserem ganzen rhythmischen System, und dann haben wir ein Erinnern der Menschenkunde aus dem Geistigen heraus. Das heißt, aus dem Geiste heraus pädagogisch schaffen, pädagogische Kunst werden. Gesinnung muß das werden, Seelenverfassung muß das werden.
21.9.1920, GA 302a, S. 52f.

Und in dem Augenblicke, wo wir zum Ethischen und dann zum Religiösen übergehen wollen, müssen wir uns bewußt werden, daß in die Instinkte, daß in die Triebe, in die Emotionen dasjenige einfließen muß, was uns im wahren Sinne des Wortes zum Menschen macht, dasjenige, was wir schließlich finden, wenn wir erkennend das Weltenall betrachten und den Menschen darinnen finden, dasjenige, was eine alte Tradition ausspricht, indem sie das Wort prägt: „Der Mensch ist ein Abbild der Gottheit.“ Nur wenn wir eine solche Gesinnung in das Wollen hineintragen können, daß bis in unsere Instinktimpulse noch erkennbar ist, daß der Mensch das Ebenbild Gottes ist, entsteht ein solches Wollen, das einen ethischen und auch schon religiös gefärbten Charakter trägt. Dann kann der Mensch sich bewußt sein: er bleibt in seinem Wollen wahrhaft Mensch.
7.1.1922, GA 303, S. 304.

Derjenige, der zum Lehrer und Erzieher aus anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft heraus vorbereitet ist, der ist sich bewußt: In dem, was da von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr sich in dem Antlitz des Kindes immer mehr und mehr zur deutlichen Physiognomie umprägt, in dem, was durch die Regsamkeit der Hände hindurchwirkt, in dem, was in die Sprache hinein sich zaubert, in dem lebt dasjenige, was aus geistigen Welten heruntersteigt. Und daß man erkennen lernt diese Tätigkeit in der geistigen Welt, die ganz anders geartet ist als die in der physischen Welt, daß man mit dieser Gesinnung, mit dieser Empfindung als Erzieher dem Kinde gegenübertritt, das heißt, ein Heil in dem Erzieherberufe sehen; das heißt, in dem Erzieherberufe etwas sehen, was sich etwa mit den Worten umschreiben läßt: Mir ist aus den geistigen Welten heraus eine Menschenwesenheit gegeben; ich habe ihre Rätsel mit zu lösen; ich habe ihr Wege ins Leben hineinzuweisen durch eine wirkliche Menschenerkenntnis-Kunst.
27.2.1921, GA 304, S. 42f.

Eine solche Menschenerkenntnis wird [...] unmittelbares inneres Erleben, wird unmittelbare Lebenspraxis. Denn in ihrer Verwandlung strömt sie ein in die Kraft der Liebe. Sie wird tätige Menschenerkenntnis. Stehe ich als Erzieher, als Unterrichtender dem Kinde gegenüber, so sprießt mir aus meiner Menschenerkenntnis in der sich entfaltenden seelisch-geistigen Liebe die Erkenntnis des Kindes. Ich brauche keine Anweisungen, theoretische Menschenanschauungen, wie sie etwa der Naturwissenschaft nachgebildet sind, erst in die Pädagogik hineinzutragen, ich brauche nur die Menschenerkenntnis zu fühlen, wie ich das gesunde Atmen, die gesunde Blutzirkulation als meine totale Gesundheit erlebe. Dann wird richtige Menschenerkenntnis, in richtiger Weise belebt, pädagogische Kunst.
[...] Möglich muß es dem Menschen sein, seine Menschenerkenntnis auf den Flügeln der Liebe wirken zu lassen, auf die andere menschliche Umgebung, vor allen Dingen auf die menschliche Umgebung des Kindes. Übergehen muß können dasjenige, was als Menschenerkenntnis erworben wird in Gesinnung, in jene Gesinnung, in der diese Menschenerkenntnis als Liebe lebt. [...] Darum handelt es sich, daß wir die Fortbildung der Pädagogik beim Lehrer beginnen, daß beim Lehrer nicht der bloße Intellektualismus, der unkünstlerisch ist, wirkt, daß wir beim Lehrer beginnen, überzugehen aus der Menschenerkenntnis in künstlerisch-pädagogisch-didaktische Gesinnung, die unmittelbar in dem Kinde lebt, wodurch der Kontakt hergestellt wird zwischen Lehrer und Kind, zwischen Erziehendem und Kind, wodurch Menschenerkenntnis in waltender Liebe zu Unterricht, zu Erziehung unmittelbar wird.
25.3.1923, GA 304a, S. 21.

Man wird finden, daß es ganz erstaunlich ist, wie ein Gedanke, der unausgesprochen bleibt, der nur in einem feinen Mienenspiel fortlebt, der vielleicht nur dadurch fortlebt, daß ich einmal unter dem Einfluß eines Gedankens mich schneller oder langsamer bewege bei dem Kinde, man wird erstaunen, wie die Feinheiten der Lebensäußerung, die beim Erwachsenen sonst in der Seele bleiben, in der Seele des Kindes ihre Fortsetzung finden; wie das Kind sich ganz einlebt, nicht nur in das physische, sondern in das seelisch-geistige Offenbaren seiner Umgebung. Wer sich eine feine Empfindung erwirbt für diese Tatsache des Lebens, der wird dazu kommen, in der Nähe des kleinen Kindes sich auch nicht einen unreinen oder unkeuschen oder unmoralischen Gedanken zu gestatten, weil er weiß, daß es Imponderabilien gibt in der Wirkungsweise des Erwachsenen, die durch die Kraft der Nachahmung vom Erwachsenen aus im ganz kleinen Kinde weiterleben. Das Gefühl von dieser Tatsache und die Gesinnung, zu der dieses Gefühl wird, macht eigentlich den Erzieher.
26.5.1923, GA 304a, S. 34f.

Lernt man den Geist wirklich kennen, dann fängt er an, nicht bloß das abstrakte tote Gebilde zu sein, das heute der intellektualistische Mensch in sich hat, sondern ein innerlich Tätiges zu werden. Der Geist fängt an, selber die Summe der Wachstumskräfte zum Beispiel in dem werdenden Menschen zu sein. Alles wird innerlich regsamer und tätig. Der Geist wird schöpferisch, wird so dicht wie die Materie.
Lernt man die Materie richtig kennen, so verwandelt sie sich in Geist. Lernt man den Geist richtig kennen, verwandelt er sich vor unserem Seelenauge in Materie, die dasjenige ist, was der Geist in seiner Schöpferkraft nach außen hin offenbart. Und die Worte Materie und Geist, einseitig gebraucht, hören auf einen Sinn zu haben. Wenn wir aber anfangen, aus einer solchen Gesinnung heraus zu sprechen, dann reden wir vielleicht auch noch von Materie und Geist, weil die Worte einmal geprägt sind, aber wir reden ganz anders, indem wir das Wort Materie oder Stoff aussprechen, weil wir es gefühlsmäßig anders färben, wenn wir diese anthroposophische Erkenntnis haben, die ich gerade charakterisiert habe. Das Wort Materie und Stoff bekommt einen anderen, geheimen Klang. Dieser geheime Klang aber wirkt dann auf das Kind, nicht der Inhalt des Wortes Materie.
1.7.1923, GA 304a, S. 92.

Eine wirkliche Geisteswissenschaft ist nicht etwas, was in mystischen Nebelregionen schwebt, sondern was wirklich in praktischer, in unmittelbar erfahrungsgemäßer Weise hinschaut zum Leben, zur Welt. Daher frägt diese Geisteswissenschaft nicht abstrakt nach der Beziehung von Seele und Leib, sondern sie frägt erfahrungsgemäß [...] nach der Beziehung zwischen Seele und Leib. [...]
Zu schärfen den Blick für diese Metamorphose für das Menschenleben um das siebente Jahr herum, zu schärfen weiter den Blick für jene ungeheure Metamorphose, die sich dann im vierzehnten, fünfzehnten Jahre mit der Geschlechtsreife vollzieht, das ist das erste, was Gesinnung werden muß, Charakter werden muß vor allen Dingen bei dem Lehrer.
10.8.1923, GA 304a, S. 96f.

So haben wir überall hinzuschauen auf den ganzen Menschen und während des Kindesalters den Keim zu legen zu einem innerlich religiös erfaßten Sittlichen, und zu einem Menschen, der dem Leben voll gewachsen ist.
Das kann man dann, wenn man versucht, wirklich aus voller Menschenerkenntnis heraus, aus jener Menschenerkenntnis, die sich aus Menschenbeobachtung ergibt von der Geburt bis zum Grabe hin, die Pädagogik zu holen. Wenn in unserer Zeit die Erziehungsreformbestrebungen in so intensiver Weise auftreten, so ist es, weil die Erziehungsfrage für unsere Zeit auch die größte soziale Frage ist.
Das aber durchglüht die Waldorfschul-Pädagogik, von der ich hier nun in ganz kurzer Weise habe sprechen wollen, wie eine Gesinnung, wie eine allgemeine Menschenliebe. Und daher geben wir uns [...] doch der Hoffnung hin, daß gerade eine auf Menschenerkenntnis gebaute Pädagogik auch im besten Sinne eine menschenbildende Pädagogik sein kann, daß man, indem man aus der Beobachtung des Menschenlebens in der Schule wirkt, man am besten auch durch die Schule auf das Leben wirkt.
10.8.1923, GA 304a, S. 104.

Wie wir in der wahren Erziehungskunst das ganze Menschenleben vor uns haben sollen, so sollten wir auch aus dieser Gesinnung heraus, aus der wir eine Erziehungskunst üben, das ganze Leben in seinem weitesten Kreise vor Augen haben. Als Erzieher wirken, heißt: Nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft wirken! Aber wie der Mensch, wenn er Kind ist, die Zukunft in sich trägt, so wird gerade derjenige von der schönsten pädagogischen Gesinnung getragen sein, der sich in jedem Augenblicke sagen kann: Was du zu bilden hast, das ist dir von den Göttern heruntergeschickt; du sollst es in der richtigen, würdigen Weise in das Leben hineinführen. Und mit dem Kinde den Weg von der göttlichen Weltordnung in die irdische Weltordnung in lebendiger Weise zu wirken, ist das, was als ein Gefühlsimpuls, als ein Willensimpuls unsere pädagogische Kunst durchdringen muß, wenn sie die für das Menschenleben so wichtigen Forderungen, die heute auftreten, befriedigen will.
14.11.1923, GA 304a, S. 123.

Aber lassen Sie sich das zum Schlusse sagen: Wenn man in eine Schule hineingeht, die im Sinne dieser Erziehungskunst geführt wird, wenn man betrachtet die ganze Gesinnung des Lehrerkollegiums, von der doch ausstrahlt alles dasjenige, was in jeder Klasse, mit jedem einzelnen Kinde geschieht, dann muß es so sein, als ob über der Türe, wo sich die Lehrer für ihre intimsten Beratungen versammeln, ständen die immerdar mahnenden Worte: „Alle Erziehungskunst soll sein für Euch die Erstehung der Forderung Eurer eigenen Selbsterziehung. Eure Selbsterziehung, Ihr Lehrer, ist der Keim alles desjenigen, was Ihr als Erzieher der Kinder wirken könnt. Ja, Ihr werdet nichts anderes wirken für die Kinder, als was aus Eurer Selbsterziehung hervorgeht.“ – Das muß aber nicht nur stehen wie ein Mahnwort von außen, sondern das muß tief eingeschrieben sein in das Herz, in die Seele, in das Gemüt jedes einzelnen Lehrenden und Erziehenden.
19.11.1923, GA 304a, S. 145.

Leib, Seele und Geist werden gestaltet in diesen Jahren, und wir müssen wissen als Lehrer, daß sie in diesen Jahren gestaltet werden. Aus diesem Wissen, aus diesem Impuls, und aus dem daraus entspringenden Enthusiasmus geht dasjenige hervor, was dem Lehrer die Methode gibt, die Gefühls-, die Willensimpulse; die hingebende, opferwillige Gesinnung ist vor allen Dingen dasjenige, was zugrunde liegen muß den pädagogischen Methoden. Die schönste pädagogische Methode hat keinen Wert, wenn nicht Kindeserkenntnis vorliegt, wenn nicht vorliegt dasjenige, wodurch der Lehrer mit dem Kinde so in eins zusammenwachsen kann, daß das Kind ihn nachahmen kann, daß das Kind das gestalten darf in seinen eigenen Qualitäten.
30.8.1924, GA 304a, S. 170.

Da tritt nun das auf, was das dritte Element in der Erziehung sein muß [...]: die erweckende Erziehung. Alles, was über die Geschlechtsreife hinausgeht, muß so wirken auf den jungen Menschen, auf den jungen Mann, das junge Mädchen, daß die Entstehung des eigenen Urteils, diese innere Selbständigkeit, wie ein fortwährendes Aufwachen erscheint. Wenn man über die Geschlechtsreife hinaus jemandem etwas von außen beibringen will, tyrannisiert man ihn, man versklavt ihn. Wenn man die ganze Erziehung so leitet, daß man von diesem Lebensalter ab, von der Geschlechtsreife ab, alles aufnimmt so, wie wenn jemand aus dem Schlaf erweckt wird – der Mensch hat bis dahin geschlafen in bezug auf die Beurteilung von dem oder jenem, es kommt ihm jetzt vor, als ob er sein eigenes Wesen aus sich herausruft – dieses Gefühl, daß es sein eigenes Wesen ist, das aus ihm herauskommt, daß der Lehrer ihm nur der Anreger, der Erwecker ist, das kann man entwickeln, wenn man so vorgeht, wie ich es ausgeführt habe für die zwei ersten Lebensalter; dann wächst man hinein in den Gebrauch seines eigenen Urteils, dann wird die spätere Erziehung, der Unterricht ein erweckender. Und wenn man als Lehrer, als Erziehender, seiner Gesinnung nach tief durchdrungen ist von diesem Erweckenden, dann weiß man auch im Stil, in der Haltung, im Vortrag alles so zu gestalten, daß dasjenige, was nun eigenes Urteil sein soll desjenigen, der belehrt, der erzogen wird, daß das wirklich aus dem Betreffenden herauskommt, daß es in einer gewissen dramatischen Steigerung geht bis dahin, wo er selber nun einsetzt mit dem inneren Betätigen, das gerade im astralischen Leib lebt. [...] Dasjenige, was unser astralischer Leib ist, der, wie gesagt, später herauskommt, ist der ewige Wesenskern des Menschen, der heruntersteigt, sich nur mit dem physischen und auch dem ätherischen Leib umkleidet und wieder durch die Pforte des Todes geht.
30.8.1924, GA 304a, S. 178f.

Hinschauend auf das Kind in rechter Weise, können wir uns anregen lassen dadurch, daß wir uns sagen: eigentlich müssen wir im Lehren und Erziehen Priester werden. Denn dasjenige, was uns entgegentritt im Kinde, offenbart uns in äußerlicher Realität wohl am stärksten, großartigsten, intensivsten, was als göttlich-geistige Weltenordnung dem äußeren, physischen Materiellen zugrunde liegt; denn in der großartigsten Weise ist bei dem Kinde materiell ausgeführt, was die schöpferisch-geistigen Kräfte hinter der materiellen Weltordnung tragen. Wir aber sind hingestellt neben das Kind, um in der Materie den Geist zu seinem entsprechenden Keimen, Wachsen, Fruchten kommen zu lassen.
Diese Gesinnung muß zugrunde liegen jeder Methode. Ausgedachte Methoden haben nur einen Sinn, wenn sie im Lichte dieser Ergebnisse betrachtet sind; sind sie aber im Lichte dieser Ergebnisse gewonnen, dann wird Leben in den Kindern einer Klasse sein, wenn der Lehrer die Klasse betritt, unter die Kinder tritt. Dann wird Lehren und Erziehen dasjenige werden, was das wichtigste Ferment, der wichtigste Impuls der Entwickelung ist.
30.8.1924, GA 304a, S. 181f.

Sie werden es alle wissen, daß es Leute gibt, die untersuchen gewisse Dinge mit dem Mikroskop. Sie sehen wunderbare Dinge unter dem Mikroskop; aber es gibt auch andere Leute, die noch nicht verstehen, durch das Mikroskop zu schauen; die schauen hinein, wenn sie es auch richten, sie sehen gar nichts. Man muß erst lernen zu sehen, indem man erst das Instrument handhaben muß, durch das man sieht. Dann, wenn man gelernt hat durch das Mikroskop zu sehen, dann sieht man auch das Entsprechende. Man sieht nichts an dem Menschen, wenn man nicht gelernt hat, richtig die geistigen, die seelischen Augen einzustellen nach demjenigen, das dem Denken, nach demjenigen, das dem Fühlen, nach demjenigen, das dem Wollen entspricht. Augenorientierung, das ist es, was auf diese Weise hervorgerufen werden sollte bei der Lehrerschaft der Waldorfschule. Denn erst müssen die Lehrer wissen, wie es sich mit den Kindern verhält, dann können sie die richtige Gesinnung entwickeln, und aus der richtigen Gesinnung heraus, kann dann erst dasjenige kommen, was richtiger Unterricht ist.
18.8.1922, GA 305, S. 55.

Man geht als Lehrer, als Erzieher in eine Schulklasse hinein. Man darf sich doch wirklich nicht vorstellen, daß man einer der allergescheitesten Menschen ist. Man darf sich doch höchstens nur als relativ gescheit ansehen. Es bringt das gewiß den Lehrer dazu, eine wahrhaft gesunde Gesinnung zu haben. [...] Man muß so erziehen können, daß Anlagen ausgebildet werden, die man selbst gar nicht hat. Das heißt aber: Es gibt etwas im Menschen, was man als Erzieher oder Lehrer überhaupt nicht erfassen kann. Das ist etwas, dem man mit scheuer Ehrfurcht gegenüberstehen soll; und das sich durch die Erziehungskunst entfaltet, ohne daß man es wie ein Abbild der eigenen Fähigkeiten in den Zögling von sich aus hineinbringt.
19.8.1922, GA 305, S. 62f.

Wenn die Erkenntnis vom Wesen des Menschen zunächst gesucht werden muß für die Unterrichts- und Erziehungskunst, so handelt es sich für das praktische Leben doch darum, welche Gesinnung, welche Seelenverfassung in dem Lehrer, in dem Erziehenden vorhanden ist gerade dadurch, daß er eine solche Weltanschauung hat, die im spirituellen Leben wurzelt. Eine solche Weltanschauung bleibt nämlich, wenn sie ehrlich erworben ist, nicht bloß ein Gedankensystem, sondern ist von einer Gesinnungsrichtung begleitet. [...]
Eigentlich müßten alle unsere höheren Empfindungen beginnen können mit der Grundempfindung des Dankes dafür, daß uns die kosmische Welt aus sich herausgeboren und in sich hineingestellt hat. Eine Weltanschauung, eine Philosophie, die auf abstrakte Anschauungen sich beschränkt, und nicht ausströmt in Dankbarkeit des Empfindungslebens gegenüber dem Kosmos, ist keine vollständige Philosophie.
Es ist auch das erste Bedeutungsvolle, das durch eine spirituelle Erkenntnis erreicht wird, daß man die Dankbarkeit schöpft für die Tatsache, daß man ein Kind zur Erziehung erhalten hat. Ehrfurcht vor dem geheimnisvollen Wesen des Kindes – Ehrfurcht und Dankbarkeit sind in diesem Punkte nicht zu trennen – muß der Anfang der Gesinnung sein, mit welcher der Erzieher an seine Aufgabe geht. Es gibt nur eine Stimmung gegenüber dem Kinde, welche die richtigen Impulse zum Erziehen und Unterrichten gibt; und das ist gerade dem Kinde gegenüber die religiöse Stimmung.
19.8.1922, GA 305, S. 70f.

Kinder liebhaben genügt allein auch nicht für den Lehrer; sondern das Lehren liebhaben, das Erziehen liebhaben, und es liebhaben mit derjenigen Objektivität, die am Kinde sich offenbart, das eignet man sich an, wenn man von einer spirituellen Grundlage für die physische, seelische und moralische Erziehung aus an seine Aufgabe geht. Und wenn man diese rechte Liebe für das Erziehen, für das Unterrichten als Gesinnung hat, dann wird man auch das Kind heranbilden bis zur Geschlechtsreife so, daß man wirklich es der Freiheit, dem freien Gebrauche seiner Intellektualität im weiteren Leben überliefern kann. [...]
Man soll sich nicht sagen: du sollst dies oder jenes in die Kinderseele hineingießen, sondern du sollst Ehrfurcht vor seinem Geiste haben. Diesen Geist kannst du nicht entwickeln, er entwickelt sich selber. Dir obliegt es, ihm die Hindernisse seiner Entwickelung hinwegzuräumen, und das an ihn heranzubringen, das ihn veranlaßt, sich zu entwickeln. Du kannst dem Geist die Hindernisse wegräumen im Physischen und auch noch ein wenig im Seelischen. Was der Geist lernen soll, das lernt er dadurch, daß du ihm diese Hindernisse wegnimmst. Der Geist entwickelt sich auch in allerfrühester Jugend schon am Leben. Aber sein Leben ist dasjenige, das man als Erzieher in seiner Umgebung entfaltet. Die allergrößte Selbstverleugnung ist Aufgabe des Erziehers. Er muß in der Umgebung des Kindes so leben, daß der Kindesgeist in Sympathie das eigene Leben an dem Leben des Erziehers entfalten kann. [...]
Die drei goldenen Regeln der Erziehungs- und Unterrichtskunst, die in jedem Lehrer, jedem Erzieher, ganz Gesinnung, ganz Impuls der Arbeit sein müssen, die nicht bloß intellektualistisch gefaßt werden dürfen, sondern die von dem ganzen Menschen erfaßt werden müssen, die müssen sein:
Religiöse Dankbarkeit gegenüber der Welt, die sich in dem Kinde offenbart, vereinigt mit dem Bewußtsein, daß das Kind ein göttliches Rätsel darstellt, das man mit seiner Erziehungskunst lösen soll. In Liebe geübte Erziehungsmethode, durch die das Kind sich instinktiv an uns selbst erzieht, so daß man dem Kinde die Freiheit nicht gefährdet, die auch da geachtet werden soll, wo sie das unbewußte Element der organischen Wachstumskraft ist.
19.8.1922, GA 305, S. 73ff.

Sehen Sie, das ist dasjenige, was vor allen Dingen bei den Lehrern und Erziehern der Waldorfschule selber heranerzogen werden muß, und wohinein gerade sich diese Lehrer aus Gründen, die ich dann darzulegen haben werde, verhältnismäßig schnell hineingelebt haben: Unbefangenheit gegenüber dem Wandel in der Menschennatur. Der Waldorflehrer – wenn ich mich jetzt etwas paradox ausdrücke – ist unter Umständen stets bereit, das Morgen ganz anders zu finden, als das Gestern war. Das ist dasjenige, was im Grunde genommen sein Erziehungsgeheimnis ist. [...]
Diese Unbefangenheit, dieses Sich-Hineinstellen in die Welt, um mit jedem Tage neue Weisheit zu empfangen, und sich stets wollen mit voller Leerheit des Gemütes dem Neuen gegenüberstellen, das ist dasjenige, was ja auch den Menschen gesund und frisch und kraftvoll erhält. Und dieses unbefangene Wesen gegenüber dem Wandel im Leben und dieses Frischsein, das einem wird durch die Empfindung des Wandels, das ist es, was das innerste Wesen und die innerste Gesinnung des Waldorflehrers ausmachen soll.
25.8.1922, GA 305, S. 168f.

Wenn Sie genauer zusehen, so werden Sie finden: Anthroposophie will nichts anderes, als die Erkenntnis allseitig machen und spiritualisieren. Daß sie Anthroposophie heißt, ist ihr, wie ich ausgeführt habe, höchst gleichgültig. Sie will tatsächlich nichts anderes, als dasjenige, was allmählich einseitig geworden ist, wiederum universalistisch machen. Wenn man trotzdem Fanatismus, sogar Dogmatismus, Eingeschworensein auf bestimmte Formeln in der anthroposophischen Bewegung findet, so ist das von außen hineingetragen, nicht von innen heraus gestaltet; denn es wird sehr vieles in die Bewegung hineingetragen, was gar nicht der Natur und dem Wesen der Bewegung entspricht. Daher, wenn gesagt wird, daß das auch so eine Sekte ist hinter dem Waldorfschul-Prinzip, wo sich die Leute so allerlei Schrullen machen, so muß man eben auf sie eingehen, auf das Tatsächliche, in dem sie lebt, und man wird dann sehen, daß sie ganz besonders im Unterrichts- und Erziehungswesen leben kann, und daß sie tatsächlich nun nichts anderes will, als nun nicht schrullenhaft und falsch idealistisch, nicht abstrakt, sondern in Praxis das Menschheitsideal in dem lebenden Menschen verwirklichen.
Mit diesem Hinweis darauf, daß in der Waldorfschule hauptsächlich die Gesinnungsatmosphäre es ausmacht, das Lebendige, das aus den Lehrern sprechen soll, das ist es, womit ich zunächst diese Erziehungsvorträge ja werde abschließen müssen.
25.8.1922, GA 305, S. 179f.

Daher ist diejenige Pädagogik, die aus wirklicher Menschenerkenntnis hervorgeht, so stark eine Gesinnungspädagogik, eine Pädagogik, die auf die Gesinnung des Lehrers vor allen Dingen wirken soll. Etwas extrem ausgesprochen möchte man sagen: die Kinder sind ja schon recht, aber die Erwachsenen sind nur so wenig recht! Wir brauchen tatsächlich das, was ich schon am Schluß des ersten Vortrages gesagt habe: wir brauchen gar nicht ein Herumreden, wie wir die Kinder behandeln sollen, sondern wir brauchen vor allen Dingen eine Erkenntnis, wie wir uns selber verhalten sollen als Lehrender und Erziehender. Wir brauchen Herz. Aber nicht bloß so, daß wir sagen: wir sollen nicht den Verstand, sondern das Herz des Kindes behandeln, pädagogisch und didaktisch, sondern wir brauchen eben – das möchte ich noch einmal betonen –, wir brauchen Herz für die Pädagogik selber.
17.4.1923, GA 306, S. 70f.

[W]ir müssen den jungen Menschen dahin gebracht haben, daß er jetzt über die Geschlechtsreife hinaus in voller Besonnenheit sich entwickelt, so daß er gewissermaßen zu sich selbst gekommen ist: dann entwickelt sich die Werkliebe. Und die muß gewissermaßen als etwas frei aus dem Menschen heraus Entstehendes sich auf der Grundlage von allem übrigen entwickeln: die Werkliebe, die Arbeitsliebe, die Liebe zu dem, was man auch selber tut. [...]
Was ist dazu nun notwendig beim Lehrer? Ja, dazu ist etwas notwendig beim Lehrer, was im Grunde genommen das Schwerste ist, das man entwickeln kann als Lehrender und Erziehender. Denn das Beste, was man dem Kinde geben kann durch das erste und zweite Lebensalter, ist das, was mit der Geschlechtsreife in ihm von selbst erwacht, wovon man selbst als aus der Individualität kommend überrascht ist, was aus dem Menschen selber herauskommt und dem gegenüber man sich sagt: Dazu warst du ja eigentlich nur ein Werkzeug. Ohne die Gesinnung, die aus diesem heraussprudelt, kann man nämlich nicht in der richtigen Weise ein Lehrer sein. [...]
Das wird man aber nur können, wenn man sich ganz und gar als Lehrer abgewöhnt, die Schüler zu dem machen zu wollen, was man selber ist. Und wenn man sich entschließen kann, bis zur äußersten Möglichkeit hin selbstlos in der Schule zu stehen, sich möglichst in bezug auf seine menschlichen Sympathien und Antipathien, in bezug auf seine persönlichen Eigenschaften auszuschalten und sich ganz hinzugeben an dasjenige, was einem die Schüler sagen, natürlich unbewußt sagen [...]. Dadurch entsteht aber eben erst das richtige Bewußtsein im Lehrer. Und das hat er, wenn er sich sagt: Jede Erziehung ist im Grunde genommen Selbsterziehung des Menschen. Es gibt im Grunde genommen auf keiner Stufe eine andere Erziehung als Selbsterziehung.
20.4.1923, GA 306, S. 130f.

Es kommt am wenigsten Lebenspraxis heraus, wenn man von pädagogischen Theorien ausgeht. Die ergeben gar nichts, nur Vorurteile ergeben sie eigentlich. Dagegen ist die wirkliche Pädagogik Menschenerkenntnis Und richtige Menschenerkenntnis ist es schon, wenn sie nach dieser besonderen Richtung hin ausgebildet wird, wie ich es angedeutet habe. Sie ist schon Pädagogik, und sie wird zur Didaktik in der lebendigen Handhabung des Unterrichts und der Erziehung; sie wird eben zur pädagogisch-didaktischen Gesinnung, und auf diese kommt es an.
21.4.1923, GA 306, S. 148.

So handelt es sich darum, daß im wirklichen Sinn die Lehrerkonferenz zum Geist und zur Seele des ganzen Schulorganismus werde; dann geht jeder Lehrer erst mit der richtigen Gesinnung und der richtigen Seelenverfassung in die Klasse hinein.
22.4.1923, GA 306, S. 162.

[W]enn ich an meine Bilder selber glaube, mit alldem, was in meinen Worten liegt, wenn ich sie dem Kinde beibringe, da wirkt die Gesinnung des Lehrers mit auf das Kind. Solche Dinge können Sie unendlich viele finden. Und so wirken auch die Imponderabilien mit in der interessanten Frage, die jetzt eben aufgestellt ist. Es handelt sich nicht darum, daß man als Lehrer nun die Ansicht hat: Ich weiß das, das Kind weiß es nicht, und ich frage das nun, als wenn ich es wissen wollte. Nicht wahr, es ist ein großer Unterschied, ob ich das Kind frage etwa über die Schlacht bei Zabern, und ich weiß es, das Kind aber nicht, oder weiß es auch; die Unwahrheit liegt darinnen, daß ich frage, während ich die Sache schon weiß. Nun kann ich aber die Gesinnung haben, daß mich trotzdem an der Antwort des Kindes etwas interessiert, und ich stelle vorzugsweise die Fragen in der Absicht, nun richtig zu erfahren, was das Kind über die Sache meint. Dann weiß ich wirklich nicht, was das Kind sagen wird. Das Kind sagt mir die Dinge nuanciert. Und wenn ich mir überhaupt als Ideal stelle, wie ich es oftmals betont habe in meinen Vorträgen:
Kein Weiser ist so gescheit, daß er nicht von einem Säugling etwas lernen könnte – ja man kann noch so weit in der Wissenschaft fortgeschritten sein, der Schrei eines Säuglings kann einen viel lehren –, so kann man tatsächlich als Lehrer aus jeder Antwort des Kindes, wenn man die Frage in dieser Gesinnung stellt, lernen zu lehren. Man kann aus jeder Antwort eines Kindes durchaus nicht das herausholen: man will hören, was man weiß, sondern man kann dasjenige kennenlernen, was das Kind einem sagt. Dann wird man auch seine Frage richtig stellen. Dann wird man sehr häufig zum Beispiel die Frage so formulieren: Was meinst du darüber? Schon in der Betonung der Frage wird etwas liegen, daß man selber als Lehrer neugierig ist, was das Kind antwortet. Es ist wirklich so, daß auf die Imponderabilien, die sich abspielen zwischen Kind und Lehrer, viel ankommt.
19.4.1923, GA 306, S. 185.

Wenn man irgend etwas behauptet über das Sinnliche von Pflanze, Tier, Mineral oder den physischen Menschen, so muß man es durch Experiment und Sinnesbeobachtung beweisen. Das heißt in diesem Fall, man muß den Gegenstand unterstützen. Wenn man sich begibt in das freie Reich des Geistes, da müssen sich die Wahrheiten untereinander tragen. Da kann man nur dadurch einen Beweis für die Dinge finden, daß die Wahrheiten sich untereinander tragen. [...] Das muß gründliche innere Gesinnung werden, so über das Geistige denken zu können, sonst wird man im Menschen zwar das Seelische, nicht aber den Geist, der in ihm ebenso lebt und west wie das Seelische, ergreifen, erziehen und unterrichten können.
9.4.1924, GA 308, S. 26f.

Man denkt, man habe heute schon etwas Höheres, als man es gehabt hat vor dem vierzehnten, fünfzehnten Jahrhundert. Man hat es nicht. Aber man muß wieder dazu kommen, dasjenige was man hat, in derselben Weise bewußt, willkürlich, besonnen handhaben zu lernen, wie man früher unbewußt in instinktiven Intuitionen zu Anschauungen von der Menschennatur gekommen ist. Diese Bildung innerhalb der Zeitkultur, das ist dasjenige, was sozusagen wie ein Zauberhauch durch alle Lehrerseminarbildung hindurchgehen müßte, was Gesinnungsbildung für die Lehrerschaft werden müßte, was eigentlich erst den Lehrer bringen würde in den Mittelpunkt desjenigen Horizontes der Weltanschauung, den er übersehen, überblicken müßte. Daher ist es heute nicht so notwendig, daß man sich hinsetzt und experimentelle Gedächtnis- und Willensuntersuchungen, Verstandesuntersuchungen macht, sondern wichtig ist, daß die didaktische, die methodische, die pädagogische Bildung in Seminaren dahin orientiert wird, daß eine Gesinnung Platz greift in den Lehrerseelen, die in der Richtung geht, wie ich sie eben charakterisiert habe. Auf das Zentrale des Menschenwesens müßte eigentlich gerade in der Lehrerbildung losgegangen werden.
Und wenn das der Fall ist, dann wird dasjenige, was der Lehrer erfahren kann, erleben kann durch seine eigene Bildung, in ihm nicht ein totes Anwenden von Erziehungsregeln sein, nicht ein Nachdenken darüber, wenn irgendein Kind da ist: Wie wendet man diese oder jene Regel an? – Das ist etwas, was im Grunde genommen gar nicht sein darf, sondern es muß im ganzen Menschenwesen des Lehrers ein intensiver Eindruck entstehen von dem Kinde wiederum als Ganzes, und dasjenige, was da erblickt wird in dem Kinde, muß Freude und Leben erweckend sein. Und jenes Wesen, das als Freude und Leben erweckend im Lehrer wirkt, das muß wachsen können und unmittelbar eingeben dasjenige, was in der Frage liegt: Was machst du mit dem Kinde?
10.4.1924, GA 308, S. 46f.

Dann aber wird einem jedes einzelne Menschenkind zu einem heiligen Rätsel. Denn dann bildet jedes einzelne Kind die große Frage – nicht: Wie soll man es erziehen, daß es, wie man es sich ausgedacht hat, sich einem Idol nähert –, sondern: Wie soll man das pflegen, was einem die Götter heruntergeschickt haben in die irdische Welt? – Man lernt sich erkennen zu einem Helfer der göttlich-geistigen Welt, und man lernt vor allem die Frage aufwerfen: Was kann werden, wenn man mit einer solchen Gesinnung an den Unterricht und an die Erziehung herangeht?
Wahre Pädagogik geht vor allen Dingen von dieser Gesinnung aus. Auf diese Gesinnung, die Pädagogik, den Unterricht zu pflegen, darauf kommt es an! Menschenerkenntnis kann nur erworben werden, wenn die Menschenliebe – also hier die Liebe zum Kinde – zur werktätigen Gesinnung wird. Entsteht eine solche Gesinnung, dann wird der Erzieherberuf zum Priesterberuf [...].
Solche Gesinnung, wie ich sie charakterisiert habe, kann nicht abstrakt arbeiten, sie muß geistig arbeiten – aber für das Praktische arbeiten. Solche Gesinnung erwirbt man sich auch nicht dadurch, daß man sich Theorien aneignet, die lebensfremd und lebensfern sind; sondern man erwirbt sie sich nur, wenn man einen Sinn hat für jede Lebensäußerung, wenn man auf jede Lebensäußerung mit Liebe einzugehen vermag.
17.7.1924, GA 310, S. 14f.

Stellen wir uns aber nun vor, die Dinge werden Gesinnung, von denen heute gesprochen worden ist. Dann steht der Lehrer den Kindern so gegenüber, daß sich ihm in dem einzelnen Kinde eine ganze Welt, und nicht nur eine menschliche, sondern eine göttlich-geistige Welt im Irdischen offenbart. Und man möchte sagen: In so vielfacher Anschauungsweise, als er Kinder zur Pflege bekommt, offenbart sich dem Erzieher die Welt. – Er schaut durch jedes Kind in die große Welt hinein. Seine Erziehung wird zur Kunst. Seine Erziehung wird von dem Bewußtsein getragen: was getan wird, das wird unmittelbar an der Weltenentwickelung getan. [...]
So wird es auch möglich für eine wirklichkeitsgemäße Erziehungskunst, daß man, wenn man nicht selber gerade ein Genie ist, als Erzieher Genies gegenübersteht. Denn man weiß, man hat nicht hinzuführen zu einem abstrakten Ideal, sondern da im Kinde drinnen wirkt der Gott im Menschen, wirkt durch das Leiblich-Physische hindurch. Hat man diese Gesinnung, dann bringt man dies auch zustande. Die sich ausbreitende, über die Erziehung sich ergießende Liebe bringt es zustande. Aber diese Gesinnung muß vorhanden sein.
17.7.1924, GA 310, S. 21.

Auf die Entwickelung solcher Gefühle kommt es an! Das ist ja nicht das Wesentliche an der Anthroposophie, daß sie theoretisch lehrt: der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, es gibt ein Karma, es gibt wiederholte Erdenleben und so weiter. Man kann sehr gescheit sein, kann das alles wissen; doch Anthroposoph im wahren Sinne des Wortes ist man dadurch nicht, wenn man diese Dinge auf die gewöhnliche Art, wie den Inhalt eines Kochbuches, weiß. Darauf kommt es an, daß das menschliche Seelenleben ergriffen und vertieft werde durch die anthroposophische Weltanschauung, und daß man dann wirken lernt aus einem solchen ergriffenen und vertieften Seelenleben.
Daher kann die erste Aufgabe, die für die Pädagogik auf der Grundlage der Anthroposophie erfüllt werden kann, diese sein, daß man zunächst darauf hinarbeitet, daß die Lehrer, die Erzieher im tiefsten Sinne Menschenerkenner seien, und daß sie, wenn sie diese Gesinnung nach rechter Menschenbeobachtung in sich aufgenommen haben, mit der Liebe, die aus dieser Gesinnung folgt, an das Kind herantreten. Daher ist das erste, was in einem Seminarkurs für im anthroposophischen Sinne wirken sollende Erzieher vorkommt, nicht, daß man sagt, du sollst es so oder so machen, sollst diesen oder jenen pädagogischen Handgriff anwenden, sondern das erste ist das Erwecken der pädagogischen Gesinnung aus Menschenerkenntnis heraus. Hat man diese pädagogische Gesinnung aus Menschenerkenntnis bis zur rechten Pädagogenliebe, bis zum Erwecken der Pädagogenliebe gebracht, dann kann man sagen, der Lehrer ist reif zum Erziehen, zum Unterrichten. Das erste, um was es sich bei einer auf Menschenerkenntnis begründeten Pädagogik handelt, wie es die Waldorfschul-Pädagogik zum Beispiel ist, das ist nicht, Regeln anzugeben, so oder so solle man erziehen, sondern das erste ist, die Seminarkurse so zu halten, daß man die Herzen der Lehrer findet, daß man diese Herzen so weit vertieft, daß aus ihnen heraus die Liebe zum Kinde erwächst. Die glaubt ja ein jeder natürlich sich andiktieren zu können. Aber diese andiktierte Menschenliebe kann ja nichts leisten; sie könnte vielen guten Willen haben, aber kann nichts leisten. Etwas leisten kann erst diejenige Menschenliebe, die aus einem vertieften Beobachten im Einzelfalle hervorgehen kann.
18.7.1924, GA 310, S. 37.

Wer Anthroposoph, Geisteswissenschafter ist, der weiß: das Auskriechen des Schmetterlings aus der Puppe ist selbst ein von den Göttern der Welt hingestelltes Bild für die Unsterblichkeit der Menschenseele. [...] Wenn ich nicht die Vorstellung habe, daß das Kind dumm ist und ich gescheit bin, sondern wenn ich vor dem Kinde mit dem Bewußtsein stehe, daß das so ist in der Welt und das Kind an etwas heranführe, woran ich selbst am allerintensivsten glaube, dann gibt es ein imponderables Verhältnis und das Kind kommt wirklich in der Erziehung vorwärts. Da laufen in das Erziehungsverhältnis fortwährend moralische Imponderabilien ein. Und darauf kommt es an.
Wenn man dies durchschaut, wird man im erzieherischen Unterricht, in der unterrichtenden Erziehung aus der ganzen Gesinnung heraus überall darauf kommen, wie es sich mit dem Richtigen verhält.
19.7.1924, GA 310, S. 55.