Rudolf Steiner über Begeisterung als Lebenselement von Pädagogik

Wir müssen uns bewußt sein der großen Aufgaben. Wir dürfen nicht bloß Pädagogen sein, sondern wir werden Kulturmenschen im höchsten Grade, im höchsten Sinne des Wortes sein müssen. Wir müssen lebendiges Interesse haben für alles, was heute in der Zeit vor sich geht, sonst sind wir für diese Schule schlechte Lehrer. Wir dürfen uns nicht nur einsetzen für unsere besonderen Aufgaben. Wir werden nur dann gute Lehrer sein, wenn wir lebendiges Interesse haben für alles, was in der Welt vorgeht. Durch das Interesse für die Welt müssen wir erst den Enthusiasmus gewinnen, den wir gebrauchen für die Schule und für unsere Arbeitsaufgaben. Dazu sind nötig Elastizität des Geistigen und Hingabe an unsere Aufgabe.
20.8.1919, GA 293, S. 16, Ansprache am Vorabend des ersten Lehrerkurses.

Die Lehrer haben den Kontakt mit der Schülerschaft der höheren Klassen ganz verloren. ...
Könnte man sagen: die Leute haben nicht die Fähigkeiten! Nun ja. Aber daran fehlt es nicht. Es fehlt an Enthusiasmus, an aktiver Arbeitslust. Die Leute wollen Trott, Routine; sie wollen eine schwere Masse sein, nicht ein anfeuerndes Element. Im Grunde sind sie doch eben träge.
11.10.1922, GA 263a, S. 103, Brief an Edith Maryon.

Etwas Bedrückendes war für mich der Bericht des Schulrats. Ich habe aus dem, was Sie mitgeteilt haben, die Meinung gehabt, daß er unwohlwollend abgefaßt sei. Wohlwollend ist der Bericht! ... Die Dinge sind wahr, die darin stehen, das ist das Bittere. ... Dann natürlich werden wir die Folgen haben, daß das­jenige, was im Prinzip gut ist, dadurch schlecht gemacht wird, daß es schlecht angewendet wird. Das Gute muß gut angewendet werden. Was wir brauchen, das ist ein gewisser Enthusiasmus, eine gewisse innere Betätigung. Die ist nach und nach geschwunden. ... Die nicht regsame Art des Unterrichtes, die Gleichgültigkeit, mit der der Unterricht erteilt wird, daß keine Impulsivität darin ist, das muß verschwinden. ... Es ist nicht Feuer darin, sondern Gleichgültigkeit. Es ist eine gewisse Bequemlichkeit darin. Da können wir nicht sagen, daß irgendwie dasjenige, was intendiert war, zum Ausdruck kommt.
GA 300b, 15.10.1922, S. 140-142, Lehrerkonferenz.

Wir dürfen uns nicht gehen lassen. Wir müssen unbe­dingt Feuer in den Unterricht hineinbringen. Wir müssen Enthusias­mus haben. Das ist unbedingt dasjenige, was vielfach fehlt. Das müssen wir machen. Sonst ist es eben zu leicht möglich, daß gerade bei einer Methode, die so sehr auf die Individualität des Lehrers abzielt, daß da sehr leicht ins Gegenteil verfallen werden kann. Der Schulrat hat gesagt: Mit unseren Lehrmethoden können wir mittel­mäßige Leute vielleicht haben, aber mit ihrer Methode brauchen Sie lauter Genies als Lehrer. Ich will nicht behaupten, daß er recht hat. Etwas ist daran. Es kommt furchtbar viel auf die Individualität des Lehrers an. Es soll gerade die Individualität des Lehrers herausgeholt und gefördert werden. Es arbeiten die Kinder nicht genügend mit, und dann ist dies, daß man nicht genügend Feuer in die Klasse hinein­trägt. Dann ist da manchmal ein gewisses spielerisches Element, das in den Unterricht hineinkommt, indem man die Kinder spielerisch beschäftigt, spielerisch im üblen Sinne. Es müßte doch jedem Lehrer eine tiefe, gründliche Freude machen, in die Klasse hineinzugehen.
GA 300b, 28.10.1922, S. 179, Lehrerkonferenz.

Ein Lehrer spricht davon, daß es schwer ist, in der kurzen Zeit einen Kontakt mit den Schülern zu bekommen.
Verkennen Sie nur nicht, daß die Frage vorzugsweise eine Sache des Interesses an den Kindern und den jugendlichen Leuten ist, und eine Sache des Enthusiasmus. Es ist nicht umsonst, daß ich bei jeder Gelegenheit betone, daß wir auf allen Gebieten nicht vorwärtskommen ohne Enthusiasmus, ohne innere Beweglichkeit. Wirklich, wenn ich – ich meine, es ist ja schlimm, aber diesen Enthusiasmus, den sehe ich nicht; ich kann nicht finden, daß Mühe gegeben wird, ihn wirklich hervorzuzaubern. Sehen Sie, wenn ich so alles ausführen könnte, was sich mir auf­drängt, so würde ich zum Beispiel nach einer Lehrerkonferenz pro­bieren, auf wieviel Stühlen Pech klebt, wenn die Lehrerkonferenz zu Ende ist. Es kommt mir vor, Sie kleben auf ihren Sitzen, Sie sind müde. Ein Mensch kann doch nicht müde sein, wenn er im Geiste leben soll. Müde sein ist doch eine Sache der Interesselosigkeit. ...
Was aber vor allen Dingen dazu gehört, das ist Enthusiasmus und Interesse. Die Begeisterung kann man nicht lehren. Ich habe schon ein bißchen den Eindruck, daß für den einzelnen von uns die Führung des Unterrichts etwas langweilig geworden ist. Es ist nicht das elementare Interesse da. Wir brauchen Enthusiasmus. Wir brau­chen nicht vornehme Überlegenheit und spitzfindiges Nachdenken. Wir müssen auf uns selbst die Methode anwenden, nicht müde zu sein. Auch in den Klassen sind die Freunde müde, wenn sie unter­richten sollen. Das geht nicht. Das ist gerade so, wie wenn man eine Eurythmistin sitzen sieht während der Proben. Es gibt ein Bild, das furchtbar ist. Das ist stillos.
15.7.1924, GA 300c, S. 189f, Lehrerkonferenz.

Ich glaube, die Zukunft der Pädagogik wird darin bestehen, daß nicht mehr gesprochen wird zu Lehrern, wie das heute geschieht, son­dern daß gesprochen wird in lauter Ideen und Vorstellungen, die sich in Gefühle umwandeln können. Denn auf nichts kommt es mehr an, als daß wir imstande sind, in uns selbst als Lehrer die nötige Ehrfurcht und den nötigen Enthusiasmus auszubilden, um den Unterricht mit Ehrfurcht und Enthusiasmus auszuüben. Ehrfurcht und Enthusiasmus, das sind die geheimen Grundkräfte, welche als die zwei Kräfte in Be­tracht kommen, die die Lehrerseele eben durchgeistigen müssen.
16.9.1920, GA 302a, S. 31f.

Ich möchte dazu heute über die Frage sprechen: Mit welchen Kräften arbeiten wir denn eigentlich, wenn wir pädagogisch arbeiten? ... Die Beantwortung der Frage: Wie macht man dies, wie macht man jenes? ist doch nur von geringem Wert. Von größtem Wert aber ist es, daß der Mensch Enthusiasmus hat in seiner Tätigkeit, und diesen Enthusiasmus in seiner Tätigkeit auch voll entwickeln kann, wenn er Pädagoge sein soll. Dieser Enthusiasmus hat eine ansteckende Gewalt; und er ist es allein, der Wunder wirken kann in der Erziehung. Das Kind geht mit dem Enthusiasmus gerne mit, und wenn es nicht mitgeht so ist das meistens ein Zeugnis dafür, daß dieser Enthusiasmus nicht vorhanden ist.
Nun möchte ich es als eine Art selbstverständliches Geheimnis aussprechen, daß ich, obwohl hier schon viel von Enthusiasmus gesprochen worden ist, trotzdem immer noch, wenn ich durch die Klassen gehe, bei der Lehrerschaft etwas von allerlei Bedrücktheit, von allerlei Schwere sehe. Die Schwere geht im Grunde genommen dennoch in vieler, vieler Beziehung durch die Klassenführung. Diese Schwere, die muß weg, und die Schwere kann sich auch ausdrücken in künstlichem Enthusiasmus. Der künstliche Enthusiasmus, der ist es auch nicht, der irgend etwas bewirken kann, sondern allein derjenige Enthusiasmus, der sich entzündet an unserem eigenen Darinnenstehen in der Sache, die wir bei der Klassenführung zu handhaben haben. Nun, sehen Sie, da ist es vor allen Dingen notwendig, daß Sie alle gründlich einsehen, wir brauchen hier als Lehrer wirklich ein eigenes Bewußtsein. Wir haben nötig, an der Ausbildung dieses unseres eigenen Bewußtseins zu arbeiten. ... Ich möchte sagen, an dem Waldorfschul-Lehrerbewußtsein müssen wir arbeiten.
16.10.1923, GA 302a, S. 122-124.

Wirklich, es ist manchmal etwas ungeheuer Schmerzliches, wenn man heute zum Beispiel zu Anthroposophen redet und eigentlich gezwungen ist, den Leuten lauter Dinge zu sagen, die ... doch die Welt auf den Kopf stellen in bezug auf das, was die Menschen gelernt haben, und es wird gar nicht aufgepaßt. Wenn man das ganze Schwergewicht dessen erfaßt, was es heißt, über so etwas wie, sagen wir zum Beispiel, das meteorische Eisen so zu reden, wie das gestern geschehen ist, so ist man erstaunt, mit welcher Gleichgültigkeit so etwas hingenommen wird. Von denjenigen, die nichts gelernt haben, begreife ich es; von denjenigen, die die wissenschaftlichen Begriffe über das Eisen aufgenommen haben, begreift man es nicht. Aber so ist die Welt einmal heute.
Aber so darf die Welt nicht sein im Kopf und namentlich im Her­zen des Erziehers und Unterrichters. Der muß impulsiert sein von dem Bewußtsein: alles Wissen, in das wir hineingekommen sind durch das neuere Wissen, ist totes Wissen; und wir müssen aus dem Tod heraus ein Lebendiges schaffen, und nur dieses können wir in der Schule brau­chen, was aus diesem Enthusiasmus heraus kommt.
16.10.1923, GA 302a, S. 144.

Daher gibt es für das zweite Lebensalter [Jahrsiebt] des Menschen nichts anderes, als an dasselbe künstlerisch heranzukommen. Der Lehrer, der Erzieher, der gerade im volksschulmäßigen Alter mit den Kindern zu tun hat, muß seine ganz besondere Sorgfalt darauf verwenden, daß alles, was zwischen ihm und den Kindern vorgeht, in der Handhabung einen künstlerischen Charakter trägt. Ich meine, in dieser Beziehung wird einiges an neuen methodischen Impulsen für die Erziehung schon not­wendig sein, welche methodischen Impulse aber doch sehr stark ins Praktisch-Lebendige übergehen. ... Nun ist aber gerade für das Alter zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre in der Erziehungskunst nichts giftiger als die Pedanterie; dagegen ist nichts förderlicher als der von selbstverständlichem innerem Enthusiasmus getragene künstlerische Sinn; wenn jede Handhabung, die man dem Kinde entgegenträgt, jedes Wort, das man zu ihm spricht, nicht von Pedanterie, nicht von theoreti­schem Nachdenken, sondern von künstlerischem Enthusiasmus getragen ist, den das Kind in seiner Entwickelung sieht, und dem gegenüber es die innere Freude und Befriedigung dafür hat, wie da aus dem Zentrum des menschlichen Lebens heraus eine göttlich-geistig naturhafte Plastik das Kind allmählich bildet. Wenn der Mensch aus einer solchen Stimmung heraus in der Schule mit seinen Kindern weiterzukommen versteht, dann ist das die einzig mögliche lebendige Methodik. Und das, was ich hier nur skizzieren kann, muß einfließen in diesen Enthusiasmus.
14.11.1923, GA 304a, S. 112f.

Gerade aber wenn man diese Dinge durchschaut, wird man wissen: es handelt sich darum, daß Imitation beim Kinde dasjenige ist, was es beherrscht bis hinein in seine leiblich-seelische Entwickelung, und daß wir nötig haben darauf zu sehen als Erzieher, daß wir in diesen ersten sieben Lebensjahren die Gestalter sind von Leib, Seele und Geist. Die Erziehung für die ersten sieben Lebensjahre muß eine gestaltende sein. ... Aus diesem Wissen, aus diesem Impuls, und aus dem daraus entspringenden Enthusiasmus geht dasjenige hervor, was dem Lehrer die Methode gibt, die Gefühls-, die Willensimpulse; die hinge­bende, opferwillige Gesinnung ist vor allen Dingen dasjenige, was zugrunde liegen muß den pädagogischen Methoden. Die schönste päd­agogische Methode hat keinen Wert, wenn nicht Kindeserkenntnis vorliegt, wenn nicht vorliegt dasjenige, wodurch der Lehrer mit dem Kinde so in eins zusammenwachsen kann, daß das Kind ihn nachahmen kann, daß das Kind das gestalten darf in seinen eigenen Qualitäten.
30.8.1924, GA 304a, S. 170.

Ich gebe Ihnen diese Schilderung, weil das zugleich der lebendige Geist sein muß, der überhaupt in der ganzen pädagogischen Auffas­sung der Waldorfschule waltet. Man muß immer die Sache von allen möglichen Seiten kennenlernen wollen und niemals einverstanden da­mit sein, daß man sie nur von einer Seite kennengelernt hat. Man muß als Waldorfschullehrer immer viel mehr sich dessen bewußt sein: Eigentlich mußt du noch alles selber lernen –, als zu denken: Eigentlich bist du doch ein furchtbar gescheiter Kerl. – Es kommt einem fast gar nicht das letztere so leicht, wenn man in die Waldorf­schul-Pädagogik sich wirklich eingelebt hat. Alles, was einem aus die­ser Richtung kommt, muß beim richtigen Waldorfschullehrer aus ei­ner gemüthaften, gefühlshaften Ecke kommen – aus dem richtigen Selbstvertrauen, das eins ist mit dem richtigen Gottvertrauen. Wenn der Mensch weiß, daß die göttlichen Kräfte in ihm wirken, so wird er, ganz abgesehen von dem, was er äußerlich mehr oder weniger ge­lernt hat, einen innerlich lebendigen Quell haben, der weit zurück­liegt im Menschen. Man ist erst am Beginn des Weges, wenn man ein äußerlich errungenes Selbstvertrauen hat. Man ist erst, wo man zu sein hat, wenn einen das Selbstvertrauen zum Gottvertrauen ge­führt hat, einen geführt hat dazu, in der richtigen Weise zu empfin­den: Nicht ich, sondern der Christus in mir ist das Wirksame. Da wird das Selbstvertrauen aber zu gleicher Zeit zur Selbstbescheiden­heit, weil man weiß, daß man die göttlich-christlichen Kräfte reflek­tiert in demjenigen, was man in der Seele trägt. Dieser Geist muß in der Schulführung überall drinnen sein. Wenn dieser Geist nicht drin­nen ist, so wäre diese Schule wie ein äußerlicher Organismus, dem man das Blut abzapfen oder die Atmung versperren würde. Auf die­sen Geist kommt es eben gerade an. Und wenn dieser Geist lebendig ist, dann wird, ganz unabhängig von den Persönlichkeiten des Lei­ters oder der Lehrer, aus diesem Geiste selber heraus der Enthusias­mus kommen. Dann wird man auch das Vertrauen haben können, daß in der ganzen Schule etwas vom objektiven Geiste lebt, was nicht dasselbe ist wie der individuelle Geist eines einzelnen Lehrers. Das kann aber wiederum nur durch sorgfältige Pflege im Konferenzleben des Lehrerkollegiums sich nach und nach herausbilden.
22.4.1923, GA 306, S. 167f.

Und so sehen Sie Stück für Stück, daß die Waldorfschul-Pädagogik den Lehrer lesen lehren will, aber nicht in einem Buche, nicht in einem pädagogischen System, sondern im Menschen.
In diesem wunderbarsten Dokument der Welt, im Menschen, soll der Waldorflehrer lesen lernen. Dasjenige, was ihm diese Lektüre gibt, geht über in allen Enthusiasmus für Unterrichten und Erziehen. Was wirklich so gelesen werden kann, daß es unmittelbar den Menschen nach Leib, Seele und Geist zur allseitigen Tätigkeit aufruft, wie allein man sie als Lehrer braucht, das ist allein im Buche der Welt enthalten. Und alles andere Lernen, alle anderen Bücher, alle anderen Lektüren sollen gerade dem Pädagogen die Möglichkeit geben, in dem großen Buche der Welt zu lesen. Kann er das, dann wird er ein Unterrichtender mit dem nötigen Enthusiasmus, und aus dem Enthusiasmus allein kann diejenige Kraft, die Stärke des Impulses hervorgehen, welche eine Schulklasse beleben kann.
15.8.1923, GA 307, S. 203.

Das sind die Dinge, die einem belegen können, wie Unterrichten und Erziehen nicht auszugehen haben von irgendeinem Erlernen, das man dann anwendet, sondern wie Unterricht und Erziehung auszugehen haben von einem lebendigen Durchdrungensein, das einen so hineinstellt in die Klasse, wie wenn man etwas wäre, das in diesem Wirken auf die Kinder, ich möchte sagen, nach vorne sich äußert, indem von hinten her die Weltengeheimnisse pulsierend den Menschen durchströmen; wie wenn man das bloße Werkzeug dafür wäre, daß die Welt zu dem Kinde sprechen könne. Dann liegt ein wirklicher, nun nicht äußerlich pedantischer, sondern ein innerlich lebenskräf­tiger methodischer Zug im Unterrichte. Daß nicht eine Begeisterung erkünstelt werde, sondern eine Begeisterung erblühe, wie die Blüte erblüht aus der ganzen Pflanze, aus dem, was der Lehrer in sich trägt als sein Verhältnis zur Welt, darauf kommt es an.
Man muß sprechen, wenn man von der Methodik des Lehrens und den Lebensbedingungen des Erziehens spricht, von dem Enthusiasmus, der angeregt werden kann von wirklicher Einsicht in die Welt, nicht von theoretisch-abstrakter Einsicht.
10.4.1924, GA 308, S. 72.

Es kam mir diesmal weniger darauf an, auf Einzelheiten einzugehen, als vielmehr darauf, zu versuchen, den ganzen Geist der Pädagogik, die aus Anthroposophie herausströmen soll, zu kennzeichnen. Denn in der Tat bedürfen die Menschen heute vielleicht noch mehr als der Einzelheiten, deren Notwendigkeit nicht unterschätzt werden soll, einer durchgreifenden Erneuerung, einer durchgreifenden Erkraftung des ganzen geistigen Lebens. Und man kann sagen: In allen geistigen Berufen ist für die nächste Zukunft außer dem geistigen Inhalt, den sie brauchen, vor allen Dingen notwendig eine Erneuerung des Enthusiasmus, der aus einem im Geiste ergriffenen Welterkennen und einer solchen Weltanschauung sich entwickeln kann. Und daß der Bildner, der Seelenkünstler, denn das muß der Pädagoge werden, dieses Enthusiasmus am meisten bedarf, das fängt man heute schon an, in weitesten Kreisen zu empfinden.
11.4.1924, GA 308, S. 75.

Wenn man dem Menschen, namentlich dem werdenden Menschen, dem Kinde, wie ich schon sagte, gegenübertritt, kann man nicht auskommen damit, daß man gewisse Regeln hat darüber, wie es gut ist, zu erziehen und zu unterrichten, und dann sich etwa nach diesen Regeln richten will, wie man die Sache in der Technik tun kann. Das führt niemals zu einer wirklichen Schulpraxis. Zur Schulpraxis braucht man im Handhaben des Unterrichts, im Handhaben der Erziehung inneres Feuer, inneren Enthusiasmus, man braucht Impulse, die nicht verstandesmäßig nach Regeln von dem Lehrenden und Erziehenden auf das Kind übergehen, sondern die in intimer Weise hinüberwirken von dem Erziehenden oder Lehrenden auf das Kind. Der ganze Mensch muß als Erzieher wirken, nicht bloß der denkende Mensch; der fühlende Mensch muß es, der wollende Mensch muß es.
13.4.1924, GA 309, S. 9.

Man wird vor allen Dingen, wenn man ganz lebendig durchdrungen ist von einer solchen Menschenerkenntnis, wenn man den Menschen anschaut, dasjenige bekommen als Didaktik und Pädagogik, was einen wirklich innerlich enthusiasmiert, was einen als Lehrer innerlich begeistert, was übergeht in die Handhabung. Das, was sich richtet nach Regeln, die in den pädagogischen Anleitungsbüchern stehen, ist eine abstrakte innere Tätigkeit der Seele; dasjenige, was man bekommt aus wirklicher anthroposophischer Menschenerkenntnis, das geht über in das Wirken, in das Wollen; das wird Impuls des Tatsächlichen, das der Lehrer vollbringt in der Klasse. Man wird seelisch organisiert als Lehrer durch eine lebendige Menschenerkenntnis, während man durch dasjenige, was aus bloßer naturwissenschaftlicher Weltanschauung hervorgeht, eben zwar sehr gescheit wissen kann, was man mit dem Kinde tun soll, aber es nicht kann, weil es nicht in die Geschicklichkeit und lebendige Handhabung des lebendigen Geistes seitens des physischen Lehrers hineingeht.
15.4.1924, GA 309, S. 54.

[Man bringe...] vor allem seine Lehrer-, seine Erzieher­phantasie etwas in Schwung. Die muß man allerdings haben, denn ohne sie kann man nicht Lehrer oder Erzieher sein. Daher muß schon immer, wenn es sich um die Charakteristik von etwas handelt, was aus dem Anthroposophischen hervorgeht, auf Enthusiasmus, auf Begeiste­rung hingewiesen werden. – Ich bin immer wenig erbaut, wenn ich zum Beispiel in unserer Waldorfschule in eine Klasse hineinkomme und beim Lehrer oder bei der Lehrerin merke, sie sind müde, sie unterrich­ten aus einer gewissen Verfassung der Müdigkeit heraus. Ja, das kann man doch überhaupt nicht! Man kann doch nicht müde sein, man kann doch nur enthusiasmiert sein, mit seinem ganzen Menschen dabei sein, wenn man unterrichtet. Es ist ganz falsch, müde zu sein, wenn man unterrichten will; das muß man sich für anderes aufbewahren.
19.7.1924, GA 310, S. 57.

Und begreiflich wird es sein, daß gerade so etwas wie die pädagogische Kunst dem Anthroposophen besonders ans Herz gewachsen sein muß. Denn, was ist eigentlich das innerlich Schönste auf der Welt? Es ist doch der werdende Mensch. Diesen Menschen aus den geistigen Welten in der physischen Welt durch die Geburt ankommen zu sehen, wie er in der unbestimmten Weise das, was in ihm lebt, heruntergetragen hat, wie immer bestimm­ter und bestimmter das wird, was in den Zügen, in den Bewegungen liegt; dieses Hereinwirken göttlicher Kräfte, göttlicher Offenbarun­gen durch die Menschengestalt in die physische Welt, das in der rich­tigen Weise anzuschauen, hat etwas allertiefst Religiöses. Kein Wunder daher, daß da, wo man echteste, wahrste, intimste Menschlichkeit will, wie auf anthroposophischem Boden, man gerade das Rätsel des heran­wachsenden Menschen mit heiliger, religiöser Inbrunst betrachtet und ihm mit all der Arbeit, die man leistet, entgegenkommen möchte.
Das ist etwas, was aus den tiefsten Seelenregungen heraus die Be­geisterung gibt für die pädagogische Kunst innerhalb der anthropo­sophischen Bewegung.
24.7.1924, GA 310, S. 175f.

Man kriegt manchmal ein bißchen Schmerzen, wenn man in anthroposophische Ansiedlungen oder Zusammenrottungen kommt. Da ist manchmal eine solche bleierne Schwere. Man kriegt die Leute nicht zum Beweglichwerden. Bleierne Schwere ist da; wenn man eine Diskussion beginnt, macht keiner den Mund auf, weil auch die Zunge bleiern schwer ist. Die Leute machen ein "Gesicht bis ans Bauch". Sie sind so wenig geneigt, zum Heiterwerden, zum Lachen zu kommen!
Vor allen Dingen, was gehört zum Erziehen von solchen Kindern dazu? Nicht die bleierne Schwere, sondern Humor, wirklicher Humor, Lebenshumor. Man wird trotz allen möglichen gescheiten Kunstgriffen solche Kinder nicht erziehen können, wenn man nicht den nötigen Lebenshumor hat. Also es wird schon Platz greifen müssen in der anthroposophischen Bewegung, daß man Sinn hat für Beweglichkeit. Ich will nicht auf zu viel hinweisen. Aber es ist schon wirklich wahr, am wenigsten wird man verstanden mit dem, was ich, wenn ich gefragt werde, wenn es sich um die eine oder andere Kalamität handelt, was sollen wir tun, wenn ich da antworte: Enthusiasmus haben. Enthusiasmus haben, das ist dasjenige, auf was es ankommt.
1.7.1924, GA 317, S. 102f, Heilpädagogischer Kurs.