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Rudolf Steiner über Jugendpädagogik

Quellen:
Karl-Martin Dietz: Erziehung in Freiheit. Rudolf Steiner über Selbständigkeit im Jugendalter. Menon, 2003 (112 S., 10€). O o
Peter Selg: "Eine grandiose Metamorphose". Zur geisteswissenschaftlichen Anthropologie und Pädagogik des Jugendalters. VAG, 2005 (149 S., 14€). O o 


Inhalt:
Von der Größe der Aufgabe
Urteilsfähigkeit
Idealismus und Weltinteresse
Erziehung zur Freiheit und moralisches Urteil
Menschenkunde


Von der Größe der Aufgabe

Unsere Überzeugungen gelten nur für uns. Wir bringen sie der Jugend bei, um ihr zu sagen: so sehen wir die Welt an; seht zu, wie sie sich euch darstellt. Fähigkeiten sollen wir wecken, nicht Überzeugungen überliefern.
Nicht an unsere 'Wahrheiten' soll die Jugend glauben, sondern an unsere Persönlichkeit. Daß wir Suchende sind, sollen die Heranwachsenden bemerken. Und auf die Wege der Suchenden sollen wir sie bringen.
1898, GA 31, S. 233f. 

[Der Pädagoge] muss in einer noch tieferen Weise in sein Zeitalter hineinwachsen: er darf nicht jenen Grundcharakter behalten, den das Denken und die ganze Gesinnung des Menschen in der Gegenwart hat. [...] [E]s handelt sich darum, die ganze Pädagogik und die ganze Didaktik in ein elementares Gefühl zusammenzufassen, so dass Sie gewissermaßen in Ihrer Seele die ganze Schwere und Wucht der Aufgabe empfinden: Menschen hineinzustellen in diese Welt. Ohne das wird unsere Waldorfschule nur eine Phrase bleiben. Wir werden alles Schöne sagen über die Waldorfschule, aber wir werden auf einem durchlöcherten Boden stehen, bis solche Löcher so groß werden, dass wir keinen Boden mehr haben, auf dem wir herumgehen können. Wir müssen die Sache innerlich wahrmachen. [...]
Und wir müssen uns klar sein darüber, dass dasjenige, was da an uns heranerzogen ist [an Intellektualismus usw.], jetzt in unserer Zeit wirklich sich erfassen muss, dass sich das gründlich selber in die Hand nehmen muss. Und das kann nur durch eine über das Individuelle hinausgehende, zeitgemäße Gewissenserforschung geschehen. Ohne diese zeitgemäße Gewissenserforschung können wir nicht über dasjenige hinauswachsen, was uns die Zeit geben kann. Und wir müssen hinauswachsen über dasjenige, was uns die Zeit geben kann. Wir dürfen nicht Hampelmänner der Zeitrichtung sein [...].
Im Grunde genommen wollte es die Menschheit immer vor sich selbst verhüllen, daß sie eine große Gewissenserforschung notwendig hat, etwas, was gründlich aufwühlen sollte alles Innerliche mit der Frage: Wie stehen wir denn heute eigentlich als Ältere da vor der Jugend? – Und da kann sich keine andere Antwort als diese ergeben [...], wenn wir tief innerlich ehrlich sein wollen: Wir wissen nichts mit ihnen anzufangen, wenn wir die Erziehung und den Unterricht nicht aus neuen Grundelementen heraus in die Hand nehmen. Wir stehen so da, daß wir eine Kluft aufgerichtet haben zwischen uns und der Jugend.
17.6.1921, GA 302, S. 94-96.

Der Lehrer muss in gewisser Weise ein Prophet sein. Hat er es doch zu tun mit dem, was leben soll in der zukünftigen Generation, nicht in der Gegenwart. [...]
Da muss in uns dasjenige leben, was erst die nachfolgenden Generationen auf den äußeren Plan des Lebens bringen werden. Da muss in uns ein prophetisch wirkendes Zusammengewachsensein leben mit der kommenden Entwicklung der Menschheit. Mit diesem Zusammengewachsensein steht und fällt das erzieherisch-künstlerische Fühlen und Denken und Wollen einer Lehrerwelt. [...]
Dass wir prophetisch erziehen müssen, dass wir voraussehen müssen, was die nächste Generation als Aufgaben hat, das ist ernst. Das steht in der Welt drinnen.
7.9.1919, GA 298, S. 28ff, Ansprache zur Eröffnung der Waldorfschule.

Wir reden hier viel vom Waldorfschulprinzip, von neuer Pädagogik. Das Wichtigste ist, dass man im Wachstum bleibt. Jeden Tag ist die Gefahr vorhanden, dass die Dinge sauer werden. – Das ist es, worauf es ankommt, dass man nicht vom Kleben an den Gewohnheiten einschläft, wenn man etwas tun soll, etwas bereiten soll.
20.7.1924, GA 217a, S. 184f.

Die Affaire mit den verschiedenen Schlingeln ist von den Lehrern mit unglaublicher Torheit behandelt worden. [...] Die Lehrer haben den Kontakt mit der Schülerschaft der höheren Klassen ganz verloren. [...]
Könnte man sagen: die Leute haben nicht die Fähigkeiten! Nun ja. Aber daran fehlt es nicht. Es fehlt an Enthusiasmus, an aktiver Arbeitslust. Die Leute wollen Trott, Routine; sie wollen eine schwere Masse sein, nicht ein anfeuerndes Element.
11.10.1922, Brief an Edith Maryon, GA 263a, S. 102f.

Urteilsfähigkeit

Vom siebenten bis vierzehnten Jahr ist es notwendig, einen weisen Gedächtnisschatz zusammen für das Leben, um so sich in der Zeit, wo der Astralleib geboren wird, einen möglichst reifen und reichen Seeleninhalt zu erschaffen. Erst dann soll das Urteilen beginnen.
7.6.1909, GA 109, S. 207f. 

Wir sehen, wie der Mensch eigentlich erst, wenn er die Geschlechtsreife überwunden hat, eigentlich sogar noch später, aus seiner elementaren Natur heraus geeignet wird, zum Intellektualistischen fortzuschreiten. Vorher wirkt das Intellektualistische auf seine Seelentätigkeit durchaus ablähmend, abtötend.
8.3.1922, GA 81, S. 88f.

Mit der Geschlechtsreife ist die Zeit gekommen, in der der Mensch auch dazu reif ist, sich über die Dinge, die er vorher gelernt hat, ein eigenes Urteil zu bilden. Man kann einem Menschen nichts Schlimmeres zufügen, als wenn man zu früh sein eigenes Urteil wachruft. Erst dann kann man urteilen, wenn man in sich erst Stoff zum Urteilen, zum Vergleichen aufgespeichert hat. [...] In dem jungen Menschen muss der Sinn leben, zuerst zu lernen und dann zu urteilen. Das, was der Verstand über eine Sache zu sagen hat, sollte erst gesagt werden, wenn alle anderen Seelenkräfte gesprochen haben; vorher sollte der Verstand nur eine vermittelnde Rolle spielen. Er sollte nur dazu dienen, das Gesehene und Gefühlte zu erfassen, es so in sich aufzunehmen, wie es sich gibt, ohne dass das unreife Urteil sich gleich der Sache bemächtigt.
1907, GA 34, S. 342f.

Nur liegt die Sache so, daß dasjenige, was man menschliches Urteilsvermögen nennen könnte, selbständige Urteilsfähigkeit, eigentlich erst mit der vollen Geschlechtsreife im Menschen auftritt. Eine Art von Vorbereitung findet allerdings in der menschlichen Natur auf diese Urteilsfähigkeit hin eben vom 12. Lebensjahre ab ungefähr statt. Deshalb ist dies vom 12. Lebensjahre ab eine Art von drittem Abschnitt der Volksschulzeit, weil ja gewissermaßen schon hereinleuchtet dasjenige, was dann die Hauptsache in der menschlichen Wesenheit nach erlangter Geschlechtsreife ist, die selbständige Urteilsfähigkeit.
6.5.1920, GA 301, S. 168.

Jetzt [mit der Pubertät] fangen die Knaben und Mädchen an, das Warum eigentlich erst ernsthaftig zu verstehen. Vorher wollten sie Bilder bewundern, oder vielleicht auch verstehen, oder in einem Mittelzustand dazwischen leben, jetzt aber muß man eingehen auf die Warums, und man wird überall die Freude sehen der Kinder in diesem Lebensalter, wenn man sie auf besondere Warums aufmerksam macht, namentlich aber die Freude sehen, wenn man ihren Gesichtskreis nach der einen oder anderen Seite erweitert, wenn man Zusammenhänge sucht, wenn man zum Beispiel irgendwo vom Kleinsten auszugehen versucht und ins Größte zu kommen versucht; wenn man vom Größten auszugehen versucht und ins Kleinste zu kommen versucht. [...] Und so muß man nach dem 14., 15. Jahre jede Gelegenheit ergreifen, um Zusammenhänge mit dem früher mehr bildlich Vorgebrachten zu suchen. [...] Man merkt schon, wie die Urteilskraft sich in Rätselfragen umgießt, und man muß darauf natürlich ein sehr wachsames Auge haben.
21.6.1922, GA 302a, S. 78f.

Erst mit der Geschlechtsreife beginnt das seelisch-geistige Wesen des Menschen so leibfrei zu sein, daß wir es dem eigenen Urteil überlassen können.
4.5.1920, GA 301, S. 148-150.

Mit der Geschlechtsreife tritt das Kind in dasjenige Lebensalter ein, wo es gewissermaßen erst in der richtigen Weise der Außenwelt gegenüber urteilsfähig auftritt. Während es früher sein eigenes Wesen aus den Tiefen seines Organismus heraus an die Oberfläche gebracht hat, wird es jetzt fähig, das Geistige der Welt als solches aufzunehmen.
11.11.1921, GA 304, S. 114.

Mit der Geschlechtsreife wächst das Kind hinein in die Empfindung, daß es nun selbst schon etwas beurteilen kann; aber es hat das Bedürfnis, sich anzulehnen, die selbstverständliche Autorität, die selbstgewählte Autorität zu finden, sich zu sagen: Der ist so, die ist so, daß man darauf etwas geben kann, wenn man sich ein Urteil zu bilden hat. - Das ist wichtig, daß wir das Kind in einer richtigen Weise in dieses Selbstverständliche der Autorität gegenüber hineinwachsen lassen.
19.6.1921, GA 302, S. 123.

Mit der Geschlechtsreife tritt es dann auf, daß das Kind bemerkt und sehr sensitiv wird für die Unmöglichkeiten beim Lehrer und Erzieher. [...] Namentlich werden Sie bemerken, daß das Kind in dieser Zeit sehr sensitiv wird für die Gesinnung des Lehrers. Aber wenn wir es nicht mit uns egoistisch, sondern ehrlich mit dem Kinde meinen, dann werden wir gerade auf diese Empfindungsmöglichkeit hin erziehen und unterrichten. Dann werden wir gerade dasjenige herankommen lassen, daß wir in ein freies Verhältnis zur heranwachsenden Jugend kommen.
19.6.1921, GA 302, S. 137.

In diesem dritten Element der Erziehung, das eintritt mit der Geschlechtsreife, finden wir nur dasjenige berechtigt, was ich nennen kann: die erweckende Erziehung. Alles, was über die Geschlechtsreife hinausgeht, muß so wirken auf den jungen Menschen [...], daß die Entstehung des eigenen Urteils, diese innere Selbständigkeit, wie ein fortwährendes Aufwachen erscheint. Wenn man über die Geschlechtsreife hinaus jemandem etwas von außen beibringen will, tyrannisiert man ihn, man versklavt ihn.
30.8.1924, GA 304a, S. 178.

Und ist dann das Kind geschlechtsreif geworden, dann soll es fühlen: Jetzt bist du, nachdem auf dein Gefühl und deinen Willen gewirkt worden ist, jetzt bist du so weit, daß auf dein Vorstellungsleben gewirkt werden kann, jetzt wirst du reif, ins Leben hinaus entlassen zu werden.
14.11.1923, GA 304a, S. 122.

Wir entlassen den Menschen mit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahre ins Leben hinaus. Wir stellen ihn dann uns gleich. Er blickt dann zurück auf unsere Autorität, behält uns lieb, wenn wir rechte Lehrer, Erzieher waren; aber er geht zu seinem eigenen Urteil über. Das haben wir nicht gefangen genommen, wenn wir bloß auf das Gefühl gewirkt haben. Und so geben wir dann das Seelisch-Geistige mit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahre frei, rechnen damit auch in den sogenannten höheren Klassen, rechnen von da ab mit den Schülern und Schülerinnen so, daß wir an ihre eigene Urteilskraft und Einsicht appellieren.
17.8.1923, GA 307, S. 232.

Ein Rauchverbot zu erlassen, ist die bequemste Maßregel. Aber die Kinder dazu zu bringen, dass sie aus der Einsicht die Sache unterlassen, das hat eine Wirkung für das ganze Leben. Es ist ungeheuer bedeutend, dass man nicht irgendwie verbietet und straft; dass man weder verbietet noch straft, sondern etwas anderes macht.
16.11.1921, GA 300b, S. 49.

Idealismus und Weltinteresse

Geradeso wie der menschliche Leib sein gesundes Knochensystem braucht [...], so braucht der astralische Leib mit dem eingeschlossenen Ich, wenn er sich richtig entwickeln soll, in diesem Lebensalter Ideale. Das muss man ganz voll ernst nehmen. Ideale, diejenigen Begriffe, die einen Willenscharakter haben, Ideale mit Willenscharakter, das ist dasjenige, was wir jetzt als ein festes Gerüst dem astralischen Leib einfügen müssen. [...]
Das Mädchen neigt mehr nach dem Kosmischen hin, das heißt, wir müssen es mehr dadurch zum Ideal bringen, daß wir ihm die Taten des Helden erzählen [...]; mehr dasjenige beibringen, was Erlebnistatsachen sind. Dem Knaben müssen wir mehr die abgerundete Gestalt, die Charakterfigur beibringen.
16.6.1921, GA 302, S. 82.

Und wenn wir nicht die Gelegenheit finden, zu einem Menschen zwischen dem vierzehnten, fünfzehnten und einundzwanzigsten Jahre so zu sprechen, daß man sich in naturgemäßer Weise mit ihm zu Idealen erheben kann, zu Idealen, die das Herz mit Freude durchdringen, so tut man diesem jungen Menschen [...] nichts besonders Gutes. Mit Menschen in diesen Jahren muß man von Idealen sprechen, von dem, was das spätere Leben unter allen Umständen dem richtig heranwachsenden Menschen bringen muß.
14.3.1913, GA 150, S. 20.

Sehen wir nur auf das menschliche Lebensalter hin vom vierzehnten bis zum zwanzigsten, einundzwanzigsten Jahr. Da leben wir [...] so, daß aus unserem Inneren herauftauchen intensive Seelenerlebnisse. Nicht abstrakte Gedanken sind es da. Da sind es die Jugendideale, die innerlich vollsaftig sind, mit innerer Intensität und voll Kraft, die man erlebt nicht bloß wie blasse, matte Gedanken. Da steht der Mensch unter dem Eindruck einer inneren Impulsivität.
Was ist es, was da im Menschen wirksam ist? Nun, was da im Menschen wirksam ist, es lebt eigentlich halbträumerisch in ihm. [...] Unterbewußt arbeitet es in unseren Jugendjahren in uns, was bewußt nur durch die imaginative Erkenntnis zur Offenbarung kommen kann. Der jugendliche Mensch [...] sehnt sich nach einer Erkenntnis, die imaginativ ist, denn nur dadurch versteht er sich selbst. [...] Er verlangt nach einer Offenbarung von seiten der Alten, die diese Alten ihm nur geben könnten [...], wenn sie imaginative Erkenntnisse hätten.
7.4.1922, GA 82, S. 42f.

Es ist notwendig, wenn das Kind in das geschlechtsreife Lebensalter kommt, daß in ihm erweckt wird ein bis zu einem gewissen Gerade außerordentlich großes Interesse für die Außenwelt. Es muß durch die Art des Unterrich­tes und der Erziehung die Außenwelt mit ihrer Gesetzmäßigkeit sehen, mit ihrem Verlaufe, mit ihren Ursachen und Wirkungen, mit ihren Absichten und Zielen. [...] Es muß das alles so an die Jugend herangebracht werden, daß es in der jugendlichen Seele fortwährend noch nachklingt, daß in der jugendlichen Seele Rätsel entstehen über die Natur, über Kosmos und Welt, über die menschliche Natur im allgemeinen, über geschichtliche Fragen und so weiter. Rätsel müssen über die Welt und ihre Erscheinungen in der jugendlichen Seele entstehen.
21.6.1922, GA 302a, S. 75f.

Sehen Sie [...], dasjenige, was dem Menschen heute nicht anerzogen wird, das ist die Weite des Horizontes für das Leben, das volle Verständnis für das Leben. Das ist es, was wir gerade bei den Waldorfschullehrern haben müssen, was wir dann übertragen müssen von dem Lehrer eben auf die Schüler, so daß tatsächlich gerade durch Erziehung und Unterricht das Leben immer mehr und mehr zu Weiten der Interessen getrieben wird.
17.8.1923, GA 307, S. 244.

Lebenskunde muß aller Unterricht geben. Zu lehren wird sein auf der Altersstufe vom fünfzehnten bis zwanzigsten Jahre, aber in vernünftiger, ökonomischer Weise, alles dasjenige, was sich auf die Behandlung des Ackerbaues, des Gewerbes, der Industrie, des Handels bezieht. Es wird kein Mensch durch dieses Lebensalter durchgehen dürfen, ohne daß er eine Ahnung bekommt von dem, was beim Ackerbau, im Handel, in der Industrie, im Gewerbe geschieht. Diese Dinge werden aufgebaut werden müssen als Disziplinen, die unendlich viel notwendiger sind als vieles Zeug, das jetzt den Unterricht dieser Lebensjahre ausfüllt.
Dann werden in diesem Lebensalter aufzutreten haben alle diejenigen Dinge, die ich jetzt nennen möchte Weltanschauungssache. Dazu wird gehören vor allen Dingen Geschichtliches und Geographisches, alles dasjenige, was sich auf Naturerkenntnis bezieht, aber immer mit Bezug auf den Menschen, so daß der Mensch den Menschen aus dem Weltall heraus kennenlernen wird.
11.5.1919, GA 192, S. 98.

Kein Lehrer kann irgendeinem Jungen oder Mädchen in Wahrheit ein Wissen überliefern, wenn nicht in diesem jungen Menschen die empfindende Überzeugung gereift ist. Der kann etwas. - Es ist einfach der Menschheit gegenüber ein unverantwortliches Beginnen, als Pädagoge anders wirken zu wollen als dadurch, dass die Jugend zuerst die selbstverständliche Meinung bekommt: Der kann etwas.
11.10.1922, GA 217, S. 135.

[D]er Mensch wird mit der Geschlechtsreife aus dem geistig-seelischen Leben der Welt herausgeworfen und hineingeworfen in die äußerliche Welt, die er nur mit seinem physischen, seinem ätherischen Leib wahrnehmen kann. Und wenn das auch durchaus nicht klar in das Bewußtsein herauftritt, im Unterbewußten spielt es eine um so größere, eine um so intensivere Rolle. [...]
Man muss [als Pädagoge] so in der Sache drinnenstehen, dass man jetzt die vollgültigen Gründe für die Dinge anzuführen in der Lage ist. Tritt einem [als Jugendlichem] gerade in diesem Lebensalter durch den Menschen eine nichtbegründete Welt von Inhalten entgegen, treten einem Zustände entgegen in der Welt, die unvernünftig empfunden werden und denen gegenüber man so empfindet, dass man sich sagt: Was ich bisher gelebt habe, bevor ich die Welt betreten habe, ist ja eigentlich sinnlos, denn das alles führt mich in eine Welt, die ja unvernünftig ist -, findet man da nicht den Anschluss an Menschen, die nun wiederum die Vernünftigkeit der Welt wenigstens bis zu einem gewissen Grade begründen können, dann wird der innere Sturm zu groß, dann verliert [der Jugendliche] den inneren Halt. Denn dieser freigewordene astralische Leib, der ist eben nicht von dieser Welt. Aus seiner Welt ist der Mensch herausgeworfen, und er will sich in diese Welt nur hineinstellen, wenn diese Welt es begründen kann, dass sie auch da ist.
Sie werden das gründlich mißverstehen, was ich sage, wenn Sie meinen, daß ich das für das volle Bewußtsein des Menschen schildere. Nein, [...] im Unterbewußten drinnen sich abspielend, in Gefühlen heraufwogend, sich auslebend in enttäuschten Idealen, in enttäuschten Wünschen, sich auslebend in einem gewissen Stumpfwerden vielleicht gegenüber dem, was sich in der unvernünftigen Außenwelt darstellt.
4.1.1922, GA 303, S. 240f.

Nun aber zu den Dingen, die nicht so sind, wie sie sein sollten [...] Das ist, daß tatsächlich für die oberen Klassen [...] das vorliegt, daß der Unterricht etwas wie Sensation ist, dem man sich hingibt. Das gibt auch dem Unterricht etwas so Unregsames. Sie wollen jede Stunde eine andere Sensation haben. [...] Es geht zu wenig nach dem Können hinaus, sondern nach dem einfachen Aufnehmen. [...] Wenn die Schüler so wenig beschäftigt werden innerlich, und man ihnen zu wenig Verantwortungsgefühl beibringt, so denken sie sich, da kann ich alles mögliche mitnehmen.
15.10.1922, GA 300b, S. 146, Konferenz.

Wir fühlen: wir haben die unendliche Last der Schwere auf uns, die ja davon herkommt, daß wir begreifen lernen müssen, wie jeder Mensch sich in die Arbeit des Lebens hineinstellen müsse, wie das Leben lebenswert sein muss in sozialer Beziehung, in individuell menschlicher Beziehung, indem wir uns [...] in die Arbeit in einer menschenwürdigen Weise hineinfinden. [...]
Da begründen wir dann wahre Arbeitsschulen, nicht Schulen, in denen etwa der Grundsatz aufgestellt wird, daß man möglichst das Unterrichten und Erziehen in Tändelei verwandeln soll, sondern wo durch das Leben, das die Autorität in die Schule hineinträgt, auch das Schwerste von dem Kinde hingenommen wird, das Kind gerade sich herandrängt zu dem, was zu überwinden ist, nicht zu dem, was es nur gerne tut.
Darauf ist nun auch gerade die pädagogische Grundlage der Waldorfschule angelegt, daß das Kind in der richtigen Weise arbeiten lernt, daß das Kind mit seinem ganzen vollen Menschen herangeführt wird an die Welt, die in sozialer Beziehung die Arbeit fordert, die auf der anderen Seite aber auch fordert, daß der Mensch dem Menschen selbst in der richtigen Weise, und vor allem sich selbst in der richtigen Weise gegenübersteht.
11.11.1921, GA 304, S. 117.

Deutlich wird damit vor einem gesamtanthropologischen Hintergrund, dass die Erziehung des Jugendalters den jungen Menschen mit der - dem Verstehen zugänglichen - Welt des Gewordenen und einer - dem handelnden Willen erreichbaren - Welt des Werdenden verbinden soll, ihn mithin in einem sehr tiefen Sinne in die Zeitlichkeit der eigenen Existenz einzuführen hat.
Peter Selg, "Eine grandiose Metamorphose", S. 48.

Erziehung zur Freiheit und moralisches Urteil

Das ist es auch, was von Anfang an durch alles das, was in der Waldorfschul-Pädagogik lebt, durchgeleuchtet hat. Sie sollte nicht ein System von Grundsätzen, sondern ein Impuls zum Aufwecken sein. Sie sollte Leben sein, nicht Wissen, nicht Geschicklichkeit, sondern Kunst sollte sie sein, lebensvolles Tun, weckende Tat. [...] Die heutige Jugend verlangt, wenn sie sich richtig versteht, im Bewußtsein [...] erweckt zu werden. [...] Nur dann kommen wir weiter, wenn wir uns diese tragische Gestalt des Weltgeschehens in unserer Zeit klarmachen: daß wir eigentlich gegenüber dem Nichts stehen, an das wir in der Erdenentwickelung notwendigerweise einmal herankommen mußten zur Begründung der menschlichen Freiheit. Und gegenüber dem Nichts brauchen wir das Aufwecken im Geiste.
4.10.1922, GA 217, S. 34.

Nicht darum handelt es sich, moralische Urteile zu überliefern, sondern darum, die Keime zum Bilden von eigenen Moralkräften zu pflegen. Das moralische Urteil soll man dem Kinde nicht einimpfen. Man soll es so vorbereiten, daß das Kind, wenn es mit der Geschlechtsreife zur vollen Urteilsfähigkeit erwacht, an der Beobachtung des Lebens sich selber das moralische Urteil bilden kann.
19.8.1922, GA 305, S. 68.

[Durch das natürliche Verhältnis von Autorität und Nachahmung bis zur Geschlechtsreife] entwickelt sich, indem das Kind in die Neigung zum Ideal hineinwächst, in der richtigen Weise der Sinn für das Gute. Das Kind müssen wir an uns halten, damit es bis zur Geschlechtsreife das Gute tut. Bis dahin müssen wir durch das gegenseitige Wechselverhältnis so wirken, dass das Kind das Gute tut. Es ist schon notwendig, wenn das elf-, zwölf-, dreizehnjährige Kind das Gute tut, dass so stark die Autorität des Erziehers hinter ihm steht, dass es in dem Moment, wo es das Gute tut, so fühlt, als ob es damit seinen Lehrer und Erzieher zufrieden macht. Und das Schlechte soll es meiden. Es soll fühlen, dass er von irgendeiner unbestimmten Seite kommt und unzufrieden ist. Irgendwo soll es den Erzieher vermuten. So soll es zusammenwachsen mit dem Lehrer und dem Erzieher. Es soll ihm erst mit der Geschlechtsreife entwachsen.
19.6.1921, GA 302, S. 136.

Wer in dem Lebensalter vom siebten bis vierzehnten, fünfzehnten Jahre nicht diese Möglichkeit entwickelt hat, zu einem anderen Menschen als zu seiner Autorität hinzuschauen, der ist für das nächste Lebensalter, das mit der Geschlechtsreife beginnt, vor allen Dingen nicht fähig, das Allerwichtigste auszubilden, was es für das Menschenleben gibt: das Gefühl der sozialen Liebe. [...] Diese freie Hingabe der einen Seele an die andere muß sich aus etwas entwickeln; die muß sich zuerst aus der Hingabe durch das Autoritätsgefühl hindurchwinden. [...] Liebeleere Menschen, antisoziale Menschen entstehen, wenn das Autoritätsgefühl zwischen dem siebten und vierzehnten, fünfzehnten Jahre nicht im Unterrichten und Erziehen lebt.
15.6.1919, GA 192, S. 193.

Es wird zunächst nicht Moral gelehrt, es wird Moral gelebt. Das Gute wandert herüber in die Sympathien und Antipathien des Kindes vom Lehrer zum Kinde [...] Es ist von einer großen Wichtigkeit, daß in diesem labilen Gleichgewichte des Verhältnisses zwischen dem Kinde und seinem Erzieher, seinem Lehrer eine lebendige Moral sich entwickele. [...] Mit der Geschlechtsreife kommt das, was die Anthroposophie den astralischen Leib nennt, der den Menschen erst [...] in die Welt hineinstellt, [...] nun dem ätherischen Leib entgegen, und dasjenige, was in mehr künstlerischer Weise in einem System von Sympathie und Antipathie ausgebildet ist, es verwandelt sich das in moralische Haltung, in Seelenverfassung.
Sehen Sie, das ist das wunderbare Geheimnis der Geschlechtsreife des Menschen, daß dasjenige, was wir vorher als lebendige Moral im Kinde pflegen, dann bewußte Moral, Moralprinzipien wird mit der Geschlechtsreife.
24.11.1921, GA 304, S. 177.

Wenn wir bis zur Geschlechtsreife Gefühle erweckt haben für das Gute und Böse, für das Göttliche und Nichtgöttliche, dann kommt das Kind nach der Geschlechtsreife dazu, aus seinem Innern aufsteigend diese Gefühle zu haben. Sein Verstand, sein Intellekt, seine Einsicht, seine Urteilskraft sind nicht beeinflußt, sondern es kann jetzt frei aus sich heraus urteilen. [...]
Wir entlassen den Menschen mit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahre ins Leben hinaus. Wir stellen ihn dann uns gleich. Er blickt dann zurück auf unsere Autorität, behält uns lieb, wenn wir rechte Lehrer, Erzieher waren; aber er geht zu seinem eigenen Urteil über. Das haben wir nicht gefangen genommen, wenn wir bloß auf das Gefühl gewirkt haben. Und so geben wir dann das Seelisch-Geistige mit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahre frei, rechnen damit auch in den sogenannten höheren Klassen, rechnen von da ab mit den Schülern und Schülerinnen so, daß wir an ihre eigene Urteilskraft und Einsicht appellieren. [...]
Und so ist dieses Hinschauen auf den freien Menschen, auf den Menschen, der weiß, sich seine Richtung im Leben selber zu geben, dasjenige, was wir in der Waldorfschule vor allen Dingen erstreben.
17.8.1923, GA 307, S. 232f.

Und hat man nun [...] die richtigen moralischen Sympathien und Antipathien ausgebildet in der Zeit, wo das Wichtigste für den Willen unterirdisch verlaufen ist, dann darf der Wille, der eigene, auf die Freiheit gebaute Wille, der in die volle Verantwortlichkeit im Menschen eintritt, der darf so erscheinen, daß man [...] empfängt den Menschen, nachdem er geschlechtsreif geworden ist, als einen freien Genossen neben sich. Dann ist der Mensch imstande, umzuwandeln, zu metamorphosieren dasjenige, was man ihm als die Gabe moralischer Sympathien und Antipathien gegeben hat [...] in seine moralischen Impulse, die nun aus seinem eigenen Wesen kommen.
26.3.1923, GA 304a, S. 49f.

Und es ist das Bedeutsame, daß dies eintritt, daß die Pflicht selbst herauswächst aus Gefallen und Mißfallen, daß Pflicht nicht eingeimpft wird, sondern eben aus Gefallen und Mißfallen herauswächst. Denn das ist der Aufgang der wahren Freiheit in der Menschenseele. Darin erlebt man die Freiheit, daß das Moralische der tiefste eigene Impuls der individuellen Menschenseele ist. Hat man das Kind in selbstverständlicher Autorität an das Moralische herangeführt, so daß das Moralische für es in der Gefühlswelt lebt, dann arbeitet sich die Pflicht nach der Geschlechtsreife aus dem eigenen Inneren des Menschen heraus. Das ist das Gesunde. Da führen wir die Kinder in der rechten Weise zu dem, was individuelles Freiheitserlebnis ist. - Warum haben das die Menschen heute nicht? Sie haben es nicht, weil sie es nicht haben können, weil ihnen vor der Geschlechtsreife eingeimpft wird, was gut und böse ist, was sie tun oder lassen sollen.
22.7.1924, GA 310, S. 118.

Es ist ja nicht nur Liebe von einem zum anderen Geschlecht; das ist nur ein Spezialfall. Die Liebe ist dasjenige, was sich über alles erstreckt, die der innerste Antrieb zum Handeln ist: wir sollen das tun, was wir lieben. Es soll die Pflicht zusammenwachsen mit der Liebe; wir sollen das gern haben, was wir tun sollen. Und das entwickelt sich in der rechten Art, wenn wir [...] in der richtigen Weise das Schönheitsgefühl ausbilden.
19.6.1921, GA 302, S. 135.

Ich fand mich genötigt zu sagen: Alle Zukunft der menschlichen Ethik hängt davon ab, daß die Kraft der moralischen Intuition mit jedem Tag stärker werde. Damit war auch gesagt, dass wir mit Bezug auf die moralische Pädagogik überhaupt nur vorwärtskommen, wenn wir die Kraft der moralischen Intuition in der menschlichen Seele immer mehr stärken, wenn wir das einzelne menschliche Individuum immer mehr und mehr dahin bringen, sich bewusst zu werden, was in seiner Seele an moralischen Intuitionen ersprießen kann.
6.10.1922, GA 217, S.53. 

Darauf muss alle Erziehung hinauslaufen, diese moralischen Intuitionen zu wecken, so dass jeder Mensch fühlt von sich: Ich bin nicht von dieser Erde allein, ich bin nicht bloß ein Produkt der physischen Vererbung, ich bin aus den geistigen Welten heruntergestiegen auf die Erde und habe etwas zu tun auf dieser Erde als dieser einzelne individuelle Mensch.
Aber da muß man wissen nicht bloß, daß man etwas zu tun hat, sondern was man zu tun hat. Man muß in sich finden in der einzelnen konkreten Situation darinnen, was man zu tun hat. Das muß einem die Seele sagen. Das unbestimmte Gewissen muß zur moralischen individuellen Intuition werden. Das heißt: frei werden als Mensch -, das heißt: Nur bauen auf dasjenige, was in dem Menschen selber drinnen ist.
29.8.1922, GA 305, S. 225.

Daher hat der Lehrer hinwegzuräumen, was diese mit heiliger Scheu behütete Individualität in ihrer Entwickelung hindern kann. [...] Und gerade wenn man eine solche Menschenkunde entwickelt, lernt man mit feinem Sinn beobachten, wo irgendein Hindernis der freien Entwickelung der Individualität da ist. Man braucht da nicht groß hineinzugreifen. Man vermeidet eine fremdartige Gestaltung der Individualität. [...] Das heißt aber wirkliche Achtung gegenüber der menschlichen Freiheit haben! Diese menschliche Freiheit bedingt, daß der Mensch die Impulse, die ihn leiten und treiben im Leben, in sich selber findet.
7.6.1922, GA 83, S. 188f.

Hat man das Kind in religiöser Ehrfurcht empfangen, hat man es in Liebe zu den Erziehungstaten bis zur Geschlechtsreife erzogen, dann kann man auch das rechte Erlebnis dem werdenden Menschen gegenüber haben: ihn in Freiheit als unseresgleichen neben sich zu haben. Ist man dann in der Lage, noch weiter erzieherisch auf den Menschen wirken zu können, so wird man dem frei gewordenen Wesen gegenüber von Intellekt zu Intellekt wirken können. Indem man so erzieht, wie das angedeutet worden ist, indem man vorher nicht antastet, was sich frei entwickeln soll, sondern den Geist stufenweise wach werden läßt durch das, was man als Erzieher tut, wird der Mensch, wenn er geschlechtsreif geworden ist, sein eigenes Wesen als ein erwachendes erleben; und dieser Moment des Erwachens wird der Quell einer Kraft sein, die im ganzen folgenden Leben nachwirkt.
19.8.1922, GA 305, S. 74.

Das Größte, was man vorbereiten kann in dem werdenden Menschen, in dem Kinde, das ist, daß es im rechten Momente des Lebens durch das Verstehen seiner selbst zu dem Erleben der Freiheit kommt. Wahre Freiheit ist inneres Erleben, und wahre Freiheit kann nur dadurch im Menschen entwickelt werden, daß man als Erzieher und Unterrichter so auf den Menschen hinschaut. [...] Freiheit kann ich dem Menschen nicht geben, er muß sie an sich selbst erleben. [...] und unangetastet habe ich gelassen in scheuer Ehrfurcht vor der göttlichen Wesenheit in jedem einzelnen individuellen Menschen, was dann selber zum Begreifen seiner selbst kommen muß.
10.4.1924, GA 308, S. 72ff.

Menschenkunde

Während zwischen der Geburt und dem Zahnwechsel der ätherische Leib gewissermaßen aus dem physischen herausgezogen wird, selbständig wird, zieht man zwischen dem 7. und 14. Jahre den astralischen Leib nun nach und nach an; und wenn er ganz angezogen ist, wenn der astralische Leib nicht mehr bloß lose verbunden ist, sondern den physischen und Ätherleib ganz innig durchdringt, dann ist der Mensch auf dem Lebenspunkt der Geschlechtsreife angelangt. - Beim Knaben sieht man an der Verwandlung der Stimme, dass der astralische Leib nun ganz im Kehlkopf drinnen ist; bei der Frau an der Ausbildung anderer Organe, Brustorgane und so weiter, dass der astralische Leib nun ganz eingezogen ist. Der astralische Leib zieht langsam in den menschlichen Leib hinein von allen Seiten. - Die Linien und die Richtungen, die er verfolgt, das sind die Nerven. Den Nervensträngen nach, von außen nach innen, zieht der Astralleib ein. Er fängt da an, von der Umgebung, von der Haut aus allmählich und dann sich innerlich zusammenzuziehen, den ganzen Körper auszufüllen. Vorher ist er eine lose Wolke, in der das Kind lebt. Dann zieht er sich zusammen, ergreift innig all die Organe, verbindet sich, wenn wir grob sprechen, chemisch mit dem Organismus, mit dem physischen und ätherischen Gewebe.
18.8.1924, GA 311, S. 99.

Wir atmen eigentlich dasjenige ein, was uns geschlechtsreif macht, was uns aber auch im weitesten Sinne die Möglichkeit gibt, mit der Welt in ein Verhältnis des liebenden Umfangens zu treten. Das atmen wir eigentlich ein. In jedem Naturprozess liegt eben ein Geistiges und ein Geistig-Seelisches. Dieses Geistig-Seelische dringt in uns ein durch den Atmungsprozess. Es kann erst herein, wenn die Kräfte seelisch geworden sind, die vorher im Organismus gewirkt haben und die mit dem Zahnwechsel aufhören, im Organismus zu wirken. Da strömt dann dasjenige in den Menschen herein, was aus dem Atmungsprozess kommen will.
Dem aber wirkt entgegen [...] dasjenige, was aus den Wachstumskräften kommt, die eben noch Wachstumskräfte geblieben sind [...] und die ihr physisches Korrelat finden in dem [...] Stoffwechselsystem [...] Da spielt der Stoffwechsel in das Zirkulations-, in das rhythmische System hinein. [...]
Und man kann sagen, wenn man ein wenig bildhaft spricht [...] Astralischer Leib und Ätherleib führen ihre hauptsächlichste Attacke aus zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre. [...] Das Kind lernt sich erst in diesem Zeitpunkte so recht von der Außenwelt unterscheiden. Und dem entspricht ein ganz bestimmtes Gegeneinanderstürmen des Atmungsrhythmus und des Zirkulationsrhythmus, des astralischen Leibes und des ätherischen Leibes.
7.8.1921, GA 206, S. 100-102.

Unser Haupt, das eigentlich organisiert ist auf das Außerirdische, würde jene starken Kräfte, die von unserem Stoffwechsel aus als Willensträger in das Haupt hineinschießen wollen, nicht ohne weiteres aufnehmen können. Diese Kräfte müssen sich zuerst stauen. Diese Kräfte müssen zuerst haltmachen, bevor sie genügend filtriert, genügend verdünnt, verseelt sind, um im Haupte sich geltend machen zu können. Und diese Etappe machen diese Kräfte durch am Ende des zweiten Lebensjahrsiebtes, wenn sich die Kräfte des Willens in der Kehl­kopforganisation stauen, wenn sie so in dem Menschen aufschießen, dass sie sich sogar in der männlichen Organisation - in der weiblichen zeigt sich das etwas anders - in der Umwandelung der Stimme geltend machen. Das sind die Willenskräfte, die, bevor sie zum Haupt schießen, Halt machen, so dass wir sagen: am Ende unseres zweiten Lebensjahrsiebts stauen sich die Willenskräfte in unserer Sprachorganisation. Dann sind sie genügend filtriert, genügend verseelt, um nun sich in unserer Hauptesorganisation geltend machen zu können. Dann sind wir so weit, wenn wir geschlechtsreif geworden sind und auch dasjenige haben, was der Geschlechtsreife parallel geht, die Umwandelung des Sprechens, dann sind wir so weit, dass durch unser Haupt zusammenwirken können in unserem irdischen Menschen Vorstellung und Wille.
1.5.1920, GA 201, S. 150.

[Mit der Geschlechtsreife] tritt Empfindung, Gefühl für das Allgemein-Menschliche in sein Inneres herein, und dieses ist das Gegenstück dazu, dass der Mensch fortpflanzungsfähig wird. Er ist in der Lage, Menschen aus sich hervorzubringen im physischen Sinne; geistig­-seelisch kommt er in die Lage, in sich die ganze Menschheit zu erleben.
4.1.1922, GA 303, S. 243.

Was sich nun zunächst [in der Pubertät] geltend macht, das ist, dass beim Mädchen der astralische Leib eine größere Bedeutung hat als beim Knaben. Der astralische Leib hat durch das ganze Leben hindurch beim weiblichen Geschlecht eine größere Bedeutung als beim männlichen Geschlecht. Die ganze weibliche Organisation ist ja durch den astralischen Leib mehr nach dem Kosmos hin organisiert. Durch die weibliche Natur enthüllt und offenbart sich vieles, was eigentlich Geheimnisse des Kosmos sind. Der astralische Leib der weiblichen Natur ist in sich differenzierter, wesentlich reicher gegliedert als der astralische Leib des Mannes, der in gewisser Weise ungegliederter, undifferenzierter, größer ist. Dagegen entwickelt sich das Mädchen zwischen dem 13., 14. und 20., 21. Jahr so, dass sein Ich in einer starken Weise beeinflusst wird von dem, was sich im astralischen Leib gestaltet. Man sieht, wie beim Mädchen das Ich allmählich, man möchte sagen, aufgesogen wird von dem astralischen Leib, so dass dann, wenn das 20., 21. Jahr eintritt, beim Mädchen eigentlich ein starker Gegendruck stattfindet, eine starke Anstrengung zum Ich.
Beim Knaben ist das wesentlich anders. Beim Knaben saugt der astralische Leib das Ich viel weniger ein. Es bleibt das Ich zwar verborgen. Es ist noch nicht recht wirksam, aber es bleibt doch, ohne dass es stark beeinflusst wird von dem astralischen Leib, zwischen dem 14., 15. und 20. und 21. Jahr bestehen, so dass der Knabe durch dieses Bestehenbleiben des Ich, Nichtaufgesogenwerden des Ich und doch wieder Nichtselbständigsein des Ich viel leichter in diesem Lebensalter ein Duckmäuser wird als das Mädchen.
16.6.1921, GA 302, S. 74f.

Wir konnten schon darauf hinweisen, welche Differenz eintritt zwischen Knaben und Mädchen so gegen das 10. Lebensjahr hin. Da beginnen die Mädchen stärker zu wachsen, namentlich auch stärker in die Höhe zu wachsen. [...] Es lebt sich der weibliche Organismus zwischen dem 10. und 12., 13., 14. Lebensjahr als Organismus in etwas Geistiges hinein. [...] Die Blutzirkulation steht, man möchte sagen, in diesen Lebensjahren der ganzen Welt gegenüber. Sie muss sich gewissermaßen an der ganzen Welt, an dem Universum regulieren. [...]
Der Knabe beginnt mit dem 13., 14. Jahre ein anderes Wesen zu zeigen, als er früher gezeigt hat, und da beginnt er auch das Mädchen an Größe zu überwachsen. Er wächst hinaus. Er holt das wiederum nach, was er früher versäumt hat, aber er holt das nach in einem Zustande, in dem der Mensch ganz anders der Welt gegenübersteht, als er in früheren Lebensjahren gegenübergestanden hat. Daher wird beim Knaben jetzt mehr engagiert das Nervensystem als das Blutsystem. Und so ist es beim Knaben leicht der Fall, dass sein Nervensystem gerade in diesen Jahren überreizt wird, wenn man nicht in der richtigen Weise die Eindrücke des Schulwesens an den Knaben heranbringt. Denn in diesen Jahren hat einen ungeheuren Einfluss auf den Knaben dasjenige, was in der Sprache oder in den Sprachen, die er gelernt hat, liegt. Die menschlichen Vorstellungen, die in der Sprache oder in den Sprachen niedergelegt sind, die dringen gewissermaßen, während der Körper schwächer wächst, sie dringen in den Knaben ein. Und so beginnt mit diesem Lebensalter in dem Knaben die Welt zu rumoren, innerlich zu toben, aber die Welt, die auf der Erde die Umgebung bildet.
Man möchte sagen: dem Mädchen wird etwas von dem ganzen Kosmos, von dem Universum eingepflanzt, etwas früher; dem Knaben wird die Umgebung auf der Erde auf dem Umwege durch die Sprache eingepflanzt. Sie können äußerlich an Symptomen das dadurch wahrnehmen, dass der Knabe seine Stimme verändert. [...]
Ich möchte sagen: die Worte mit ihrem bedeutungsvollen Inhalte, die sind in sein Nervensystem unbewusst eingezogen, die rumoren in seinen Nerven. Er weiß mit sich selber nichts anzufangen, der Knabe. Er hat ja etwas in sich aufgenommen, das ihm gerade im 14.,15. Lebensjahr anfängt, fremd zu erscheinen. Er kommt in ein Staunen hinein, in ein Kritisieren, Skeptizieren gegenüber sich selbst; er kommt in eine Haltlosigkeit gegenüber sich selbst. [...] Denn dasjenige, was am meisten entfernt liegt vom gewöhnlichen Bewusstsein, der Wille, der ist es, der förmlich anstürmt gegen das Knaben-Nervensystem im 14., 15. Lebensjahre. [...]
Und in demselben Sinne, wie der Knabe sich selber ein Rätsel wird, etwas, das er bestaunt, wird dem Mädchen gerade in diesen Jahren die Außenwelt ein Rätsel. Das Mädchen hat aufgenommen etwas Überirdisches in sich. Es gestaltet sich die ganze Menschenwesenheit unbewusst in dem Mädchen. Dann hat man ein Menschenwesen vor sich mit dem 14.,15. Lebensjahre, das nun vor der Welt erstaunt, das in der Welt die Rätsel findet, das in der Welt vor allen Dingen die Realisierung von Werten finden möchte.
Und so beginnt für das Mädchen gerade mit dieser Lebensepoche an der Außenwelt manches unverständlich zu werden. Beim Knaben wird dann in der Innenwelt viel unverständlich. Beim Mädchen wird in der Außenwelt viel unverständlich.
25.8.1922, GA 305, S. 164ff.

Mit dem Eintritt in die eigentliche Zeit- und Schicksalsgestalt seiner Erdenbiographie bekommt der junge Mensch einen intuitiven Zugang zu der menschheitlich-moralischen Dimension des irdischen Daseins, spürt die folgenreiche Verantwortlichkeit der individuellen, sozialen und gesamtzivilisatorischen Prozesse - und dies auch dann, wenn er die als notwendig erlebten (oder gar kritisch eingeforderten) Verhaltensweisen und Handlungsschritte selbst noch keineswegs verbindlich vollziehen kann und in vielem hinter den von ihm selbst formulierten, idealistisch geprägten Ansprüchen zurückbleiben muss.
Peter Selg: "Eine grandiose Metamorphose", S. 40.

Was will denn diese Jugendbewegung letzten Endes? Ja, sie will diesen wolkenartigen Menschen, der da hervortritt nach der Geschlechtsreife, der im Menschen lebt, diesen Menschen möchte sie erfassen! Die Jugend möchte so erzogen werden, dass sie diesen Menschen erfasst. Aber wer ist dieser Mensch? Was stellt er eigentlich vor? Was tritt gewissermaßen aus diesem menschlichen Leib hervor, den man gesehen hat in seiner Physiognomie, in seinen Gesten sich heranbilden, bei dem man auch fühlen kann, wie im zweiten Lebensalter vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife sich das ausgestaltet, was vorirdisches Dasein hatte? Was kommt jetzt als etwas ganz Fremdes zum Vorschein, was schießt da aus dem Menschen heraus, wenn er jetzt nach der Geschlechtsreife seiner Freiheit sich bewusst wird, hingeht zu anderen Menschen, Zusammenschlüsse sucht aus einem inneren Impuls heraus, der den ihm unerklärlichen, den anderen unerklärlichen Zug, diesen ganz bestimmten Zug im Inneren des Menschen begründet hat? Was ist dieser Mensch, dieser zweite Mensch, der da erscheint? Er ist derjenige, der im vorigen Erdenleben gelebt hat und der schattenhaft sich jetzt in das gegenwärtige Erdenleben hineinstellt. Die Menschheit wird nach und nach Karma berücksichtigen lernen in dem, was in eigentümlicher Weise hereinschießt in das menschliche Leben um die Zeit der Geschlechtsreife herum. In dem Augenblicke des Lebens, wo der Mensch fähig wird, ein Menschenwesen seinesgleichen hervorzubringen, da tritt in ihm auch dasjenige an Impulsen auf, was er in früheren Erdenleben dargestellt hat.
12.6.1924, GA 239, S. 211f.