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Rudolf Steiner über Anforderungen an den Lehrer

Sie werden nicht gute Erzieher und Unterrichter werden, wenn Sie bloß auf dasjenige sehen werden, was Sie tun, wenn Sie nicht auf dasjenige sehen werden, was Sie sind. [...] der Mensch in der Welt wirkt nicht nur durch dasjenige, was er tut, sondern vor allem durch dasjenige, was er ist.
Rudolf Steiner, 21.8.1919, GA 293, S. 26f.

Wir wollen  [...] aus dem, was uns Anthroposophie ist, eine pädagogische Kunst entwickeln. Das "Wie" im Unterricht, das ist es, was wir gewinnen wollen aus unserer geistigen Erkenntnis. [...] Das "Was" ergibt sich aus den sozialen Notwendigkeiten; das muß man mit vollem Interesse ablesen an dem, was der Mensch wissen und können soll, wenn er sich als tüchtiger Mensch in die Zeit hineinstellen soll. Aber das "Wie", wie den Kindern etwas beizubringen ist, das ergibt sich nur aus einer gründlichen, tiefen und liebevollen Menschenerkenntnis. Die soll walten und wirken in unserer Waldorfschule.
Rudolf Steiner, 13.1.1921, GA 298, S. 81f.

Siehe unbedingt auch: Rudolf Steiner über Pädagogik.

"Goldene Regeln" und Grundlegendes

Weil es notwendig war, die früher da und dort führenden Persönlichkeiten zusammenzurufen für die verschiedenen Begründungen, wurde es vielfach so, daß derjenige, der ein ausgezeichneter Waldorfschul-Lehrer sein konnte [...], ein schlechter Anthroposoph wurde. Man kann eben ein ausgezeichneter Waldorfschul-Lehrer sein und ein schlechter Anthroposoph [...]. Das ist es aber, um was es sich handelt: daß doch alle die einzelnen Unternehmungen herausgewachsen sind aus dem Mutterboden der Anthroposophie und man dessen eingedenk bleiben muß, daß man vor allen Dingen wirklich Anthroposoph bleiben muß, daß man dieses Zentrum nicht verleugnen darf, nicht verleugnen darf als Waldorfschul-Lehrer [...], daß man niemals auch nur im Entferntesten auf die Gesinnung kommen soll, zu sagen: Ich habe für die allgemeinen anthroposophischen Angelegenheiten keine Zeit. Sonst könnte zwar eine Zeitlang in jeder dieser Unternehmungen Leben sein, weil die Anthroposophie als solche wirklich Leben enthält und geben kann, aber es könnte dieses Leben nicht auf die Dauer unterhalten werden. Es würde versiegen auch für die einzelnen Unternehmungen.
13.2.1923, GA 257, S. 84.

Wir reden hier viel von Waldorfschul-Prinzip, von neuer Pädagogik. Das Wichtigste ist, daß man im Wachstum bleibt. Jeden Tag ist die Gefahr vorhanden, daß die Dinge sauer werden. Das ist es, worauf es ankommt, daß man nicht vom Kleben an den Gewohnheiten einschläft, wenn man etwas tun soll, wenn man etwas bereiten soll. [...] Es kommt darauf an, daß man eine neue Begeisterung wirklich aufbringt. [...] Innerlich zusammenwachsen mit der Flamme, die sich heute entzündet, auf daß die Michael-Impulse verwirklicht werden!
20.7.1924, GA 217a, S. 184.

Die drei goldenen Regeln der Erziehungs- und Unterrichtskunst, die in jedem Lehrer, jedem Erzieher, ganz Gesinnung, ganz Impuls der Arbeit sein müssen [...], die müssen sein:
Religiöse Dankbarkeit gegenüber der Welt, die sich in dem Kinde offenbart, vereinigt mit dem Bewußtsein, daß das Kind ein göttliches Rätsel darstellt, das man mit seiner Erziehungskunst lösen soll. In Liebe geübte Erziehungsmethode, durch die das Kind sich instinktiv an uns selbst erzieht, so daß man dem Kinde die Freiheit nicht gefährdet, die auch da geachtet werden soll, wo sie das unbewusste Element der organischen Wachstumskraft ist.
19.8.1922, GA 305, S. 75.

Schlussworte Rudolf Steiners nach dem ersten Lehrerkurs.
Heute möchte ich nun diese Betrachtungen schließen, indem ich Sie noch einmal auf das hinweise, was ich Ihnen gewissermaßen ans Herz legen möchte; das ist, daß Sie an vier Dinge sich halten:
Erstens daran, daß der Lehrer im großen und auch im einzelnen in der ganzen Durchgeistigung seines Berufes und in der Art, wie er das einzelne Wort spricht, den einzelnen Begriff, jede einzelne Empfindung entwickelt, auf seine Schüler wirkt. Denken Sie daran, daß der Lehrer ein Mann der Initiative sei, daß er niemals lässig werde, das heißt, nicht voll bei dem dabei sei, was er in der Schule tut, wie er sich den Kindern gegenüber benimmt. Das ist das erste: Der Lehrer sei ein Mensch der Initiative im großen und kleinen Ganzen.
Das zweite, meine lieben Freunde, ist, daß wir als Lehrer Interesse haben müssen für alles dasjenige, was in der Welt ist und was den Menschen angeht. [...] Wir sollen uns für die großen und für die kleinsten Angelegenheiten der Menschheit interessieren. Wir sollen uns für die großen und für die kleinsten Angelegenheiten des einzelnen Kindes interessieren können. [...]
Und das dritte ist: Der Lehrer soll ein Mensch sein, der in seinem Inneren nie ein Kompromiß schließt mit dem Unwahren. Der Lehrer muß ein tief innerlich wahrhaftiger Mensch sein, er darf nie Kompromisse schließen mit dem Unwahren, sonst würden wir sehen, wie durch viele Kanäle Unwahrhaftiges, besonders in der Methode, in unseren Unterricht hereinkommt. Unser Unterricht wird nur dann eine Ausprägung des Wahrhaftigen sein, wenn wir sorgfältig darauf bedacht sind, in uns selbst das Wahrhaftige anzustreben.
Und dann etwas, was leichter gesagt als bewirkt wird, was aber auch eine goldene Regel für den Lehrerberuf ist: Der Lehrer darf nicht verdorren und nicht versauern. Unverdorrte, frische Seelenstimmung! Nicht verdorren und nicht versauern! Das ist dasjenige, was der Lehrer anstreben muß.
6.9.1919, GA 294, S. 193f.

Wer Pädagogik in sich aufnehmen will, der schreibe sich vor diese Pädagogik als Motto: Durchdringe dich mit Phantasiefähigkeit, habe den Mut zur Wahrheit, schärfe dein Gefühl für seelische Verantwortlichkeit.
5.9.1919, GA 293, S. 203.

Nur diejenige Erziehungs- und Unterrichtskunst aber kann fruchtbar sein, durch die der Lehrer von dem Momente an, wo er das Schulzimmer betritt, auf das Kind wirkt wie aus einem einheitlichen Empfinden heraus. Eins muß sein Kindesseele und Lehrerseele durch ein unterbewußtes geheimnisvolles Band, das vom Lehrergeist übergeht in den Kindergeist. [...]
Wir müssen sprechen, wir müssen wirken können aus dem Geiste der Wahrheit heraus. [...] Das können wir nur, wenn wir verbunden sind, innerlichst verbunden sind mit allem Menschlichen; wenn wir aufgehen können, noch wenn wir die allerweißesten Haare schon erlangt haben, in dem, was der werdende Mensch seinem Wesen nach ist. Innerlich müssen wir verstehen können den werdenden Menschen. [...]
Wir brauchen [...] als Erzieher eine Erweckung der lebendigen Menschennatur, die in sich das ganze Kind wieder erlebt, indem sie mit ihm in geistige Beziehung tritt.
7.9.1919, GA 298, S. 30-32, Ansprache zur Eröffnung der Waldorfschule.

Das Zweite, was entwickelt werden muß in einer Zeit, in der man nach einer sozialen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft strebt, das ist vor allen Dingen ein soziales Verhalten des Lehrers zu den Kindern schon in der Schule; das ist eine neue Menschenliebe. Das ist ein Achten auf gewisse Kräfte, die zwischen dem Lehrer und dem Schüler spielen und die nicht spielen können, wenn der Lehrer nicht wirklich lebensvoll in die Erziehungskunst eingeführt ist. [...]
Diejenige Menschenkunde, die wir hier anstreben, von der wir wollen, daß sie Unterrichtskunst werde durch die Waldorfschule, diese Menscheneinsicht, diese Menschenkunde, die führt so in das Wesen des Menschen hinein, daß sie selber den Enthusiasmus, die Begeisterung, die Liebe erzeugt, daß dasjenige, was da als Kunde vom Menschen in unsere Köpfe hineingeht, unser Tun und unser Fühlen durchtränkt. [...]
Deshalb soll es so sein, daß bei dem Seminarkursus [...] eine solche Menschenkunde an die Lehrer herankommt, die sie selber so durchdringt, daß zu der Menschenkunde, zu dem Verstehen des werdenden Kindes, Menschenliebe im Unterricht hinzukommt. [...] Denn aus der [...] echten Liebe, die dasjenige durchdringt, was wir im Schulzimmer oder sonst beim Lehren und Unterrichten und Erziehen machen, aus dieser echten Liebe kommt es, ob der Unterricht dem Kinde leicht oder schwer wird, ob das Erziehen für das Kind gut oder schlecht ist. [...]
Daß alles gründlich von oben bis unten dem Wandel unterworfen werden müsse, daß wir eine andere Lehrerbildung brauchen, einen anderen Geist in der Schule, sogar eine andere Liebe, als sie jetzt durch die verbildete Lehrerschaft in die Schule hineingetragen wird, daran denken leider allzuwenig Menschen. [...]
Denn so, wie wir uns einleben sollen in wahre Menschenkunde, schwebt es uns vor, daß wir allmählich die Schule dahin bringen, daß die Kinder gerne in diese Schule hineingehen, daß sie sich freuen, in diese Schule hineinzugehen. Wir werden nichts Unnatürliches erziehen. Es wäre selbstverständlich unnatürlich, zu glauben, daß Kinder, die wieder einmal Ferien haben sollten, nicht lieber im Freien herumtollen, statt zur Schule zu gehen. Wir werden auch nicht so unverständig sein, zu glauben, daß Kinder, nachdem sie wochenlang herumgetollt haben, in der ersten Stunde hübsch brav sitzen sollen. Wir werden unsere Kinder verstehen. Aber wir werden es doch dahin bringen, daß nach einiger Zeit durch die Art, wie wir uns zu den Schülern verhalten, diese Schüler das, was in der Schulzeit geschieht, gerade so gerne tun wie das Herumtollen während der Ferien. Und das wird ein Ideal sein für die Waldorfschule, daß die Kinder wirklich aus innerem Antrieb dasjenige tun, was sie tun sollen. Nicht werden wir unser Ziel darin sehen, den Kindern bloß zu befehlen, sondern wir werden unser Ziel darin sehen, uns zu den Kindern so zu verhalten, daß die Kinder an unserem Verhalten empfinden: Das tue ich gerne [...].
31.8.1919, GA 297, S. 74ff.

Nur wenn der Lehrer in dem Kinde schon den ganzen vollen Menschen sieht und gewissermaßen prophetisch, hellseherisch vorausschauen kann, was aus jeder einzelnen Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit, die er unternimmt, an Glück und Schicksal für das ganze Leben abhängt, wird er in der richtigen Weise erziehen. Denn alles Leben, deshalb auch das Erziehungs- und Unterrichtsleben, das sich zwischen Menschen abspielt, muß auf dem Grundsatze ruhen: Alles, was zwischen Mensch und Mensch geschieht, geschieht nur dann richtig, wenn der ganze Mensch sich immer dem ganzen Menschen in rechter Liebe hingeben kann.
4.11.1922, GA 297a, S. 165.

[M]an erzielt nichts im Unterricht und in der Erziehung in der Schule, wenn nicht zwischen dem Lehrer und dem Kinde ein ganz bestimmtes Verhältnis ist, das Verhältnis wirklicher Liebe des Lehrers zum Kinde und des Kindes zum Lehrer. [...] Wir möchten, daß eine Atmosphäre von Liebe lebt in jeder Klasse, und daß aus dieser Atmosphäre von Liebe heraus der Unterricht gegeben werde.
Aber diese Liebe, sie läßt sich nicht diktieren. [...] Aber man braucht als Lehrer tatsächlich mehr Liebe, als man für das andere Leben braucht. Sehen Sie, die Menge von Liebe, die sonst die Menschen aufbringen für ihre Kinder, und wenn es eine noch so große Schar ist, ist gering gegen die für den Lehrer nötige; so viele Kinder hat man doch nicht, als der Lehrer gewöhnlich in der Klasse unterrichten muß. [...]
Aber [...] dieselbe Liebe, ebenso intensiv muß sie der Lehrer oder die Lehrerin für die Kinder unbedingt haben; mehr ins Seelische, mehr ins Geistige übersetzt, aber sie muß da sein. Diese Liebe hat man nicht angeboren, sondern die muß man aus etwas ganz anderem heraus haben. [...] Diese Liebe kann man nur aus einer Wissenschaft heraus haben, die wirklich vom Geiste handelt, die den Geist offenbart. Denn wo eine Wissenschaft den Geist gibt, da gibt sie auch Liebe. [...] Es ist der Geist des Weltverstehens und dieser Geist der Liebe, die vor allen Dingen drinnen sein wollen in dem Unterricht, den wir in der Waldorfschule pflegen, in der Erziehung, die wir in der Waldorfschule geben wollen. Und das läßt sich nicht machen mit allgemeinen Phrasen, das läßt sich nur machen, wenn man dasjenige, was man von der Entwickelung des Kindes kennt, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr im einzelnen immer wiederum anzuwenden weiß.
13.1.1921, GA 298, 71f.

Eine Weltanschauung, eine Philosophie, die auf abstrakte Anschauungen sich beschränkt, und nicht ausströmt in Dankbarkeit des Empfindungslebens gegenüber dem Kosmos, ist keine vollständige Philosophie. [...] Diese Dankbarkeit aber muß vor allen Dingen der Lehrer, der Erzieher haben. [...] Es ist auch das erste Bedeutungsvolle, das durch eine spirituelle Erkenntnis erreicht wird, daß man die Dankbarkeit schöpft für die Tatsache, daß man ein Kind zur Erziehung erhalten hat. [...]
Erziehungstechnik setzt überall voraus, daß der Erzieher alles, was er tut, aus religiös-moralischen Impulsen heraus tut. Man kann so empfinden auch einem schlecht veranlagten Kinde gegenüber. Man wird dann nicht mit Antipathie ihm gegenübertreten, sondern mit Tragik. [...] Wenn man diese Tragik erleben kann, dann führt sie gerade über die Klippen der Erziehungskunst hinweg. [...]
Ein neues Element tritt auf in der zweiten Lebensepoche. Diejenige Entwicklung des Kindes, die vor allen Dingen auf das rhythmische System gebaut ist, erfordert, daß alle Tätigkeit des Erziehers einen künstlerischen Charakter hat. Man wird niemals das zustande bringen, was in der Umgebung des Kindes wirken soll, wenn man nicht durchtränken kann die religiöse Stimmung gegenüber dem Kinde, die fortdauern muß, mit einer intensiven Liebe zu unseren Erziehungstaten, unserer Erziehungsaktivität. Denn in dieser Liebe waltet diejenige Kraft, welche den Erzieher zu einer Betätigung führt, welche von dem Kinde ästhetisch-liebend empfunden wird.
Vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife ist nichts in das Kind hinein wirksam, das nicht beim Erziehenden getragen ist von der Liebe zur Erziehungstat selber. Was man in Liebe als Erzieher ausführt, das wird von dem Kinde in diesem Lebensalter als etwas empfunden, das es sich aneignen muß, um ein Mensch zu sein. [...] Der Lehrer soll nicht nur das Kind lieben können, sondern er soll seine Methode lieben können, weil im Wirken dieser Methode sich das Kind entwickelt. [...]
Hat man das Kind in religiöser Ehrfurcht empfangen, hat man es in Liebe zu den Erziehungstaten bis zur Geschlechtsreife erzogen, dann kann man auch das rechte Erlebnis dem werdenden Menschen gegenüber haben: ihn in Freiheit als unseresgleichen neben sich zu haben. [Nun] wird man dem frei gewordenen Wesen gegenüber von Intellekt zu Intellekt wirken können. [...]
Man soll sich nicht sagen: du sollst dies oder jenes in die Kinderseele hineingießen, sondern du sollst Ehrfurcht vor seinem Geiste haben. Diesen Geist kannst du nicht entwickeln, er entwickelt sich selber. Dir obliegt es, ihm die Hindernisse seiner Entwicklung hinwegzuräumen, und das an ihn heranzubringen, das ihn veranlasst, sich zu entwickeln. Du kannst dem Geist die Hindernisse wegräumen im Physischen und auch noch ein wenig im Seelischen. [...] Der Geist entwickelt sich auch in allerfrühester Jugend schon am Leben. Aber sein Leben ist dasjenige, das man als Erzieher in seiner Umgebung entfaltet. Die allergrößte Selbstverleugnung ist Aufgabe des Erziehers. Er muß in der Umgebung des Kindes so leben, daß der Kindesgeist in Sympathie das eigene Leben an dem Leben des Erziehers entfalten kann. [...]
Man muß so erziehen können, daß man für dasjenige, was aus einer göttlichen Weltordnung neu in jedem Zeitalter in den Kindern in die Welt hereintritt, die physischen und seelischen Hindernisse wegräumt, und dem Zögling eine Umgebung schafft, durch die sein Geist in voller Freiheit in das Leben eintreten kann.
19.8.1922, GA 305, S. 71-75.

Lebendige Menschenerkenntnis

[E]ine solche Menschenerkenntnis wird unmittelbares inneres Erleben, wird unmittelbare Lebenspraxis. Denn in ihrer Verwandlung strömt sie ein in die Kraft der Liebe. Sie wird tätige Menschenerkenntnis. Stehe ich als Erzieher, als Unterrichtender dem Kinde gegenüber, so sprießt mir aus meiner Menschenerkenntnis in der sich entfaltenden seelisch-geistigen Liebe die Erkenntnis des Kindes. Ich brauche keine Anweisungen, theoretische Menschenanschauungen, wie sie etwa der Naturwissenschaft nachgebildet sind, erst in die Pädagogik hineinzutragen, ich brauche nur die Menschenerkenntnis zu fühlen, wie ich das gesunde Atmen, die gesunde Blutzirkulation als meine totale Gesundheit erlebe. Dann wird richtige Menschenerkenntnis, in richtiger Weise belebt, pädagogische Kunst.
[...] Möglich muß es dem Menschen sein, seine Menschenerkenntnis auf den Flügeln der Liebe wirken zu lassen, auf die andere menschliche Umgebung, vor allen Dingen auf die menschliche Umgebung des Kindes. Übergehen muß können dasjenige, was als Menschenerkenntnis erworben wird, in Gesinnung, in jene Gesinnung, in der diese Menschenerkenntnis als Liebe lebt. [...] Darum handelt es sich, daß wir die Fortbildung der Pädagogik beim Lehrer beginnen, daß beim Lehrer nicht der bloße Intellektualismus, der unkünstlerisch ist, wirkt, daß wir beim Lehrer beginnen, überzugehen aus der Menschenerkenntnis in künstlerisch-pädagogisch-didaktische Gesinnung, die unmittelbar in dem Kinde lebt, wodurch der Kontakt hergestellt wird zwischen Lehrer und Kind, zwischen Erziehendem und Kind, wodurch Menschenerkenntnis in waltender Liebe zu Unterricht, zu Erziehung unmittelbar wird.
25.3.1923, GA 304a, S. 21.

Man kann natürlich nicht erziehen und unterrichten, wenn man beim Erziehen und Unterrichten nicht gewissermaßen im Geiste erfühlen kann den ganzen Menschen [...] Und wenn Sie das Gefühl haben: Sie stehen in Verbindung mit den aus der Zeit vor der Geburt aus der geistigen Welt herunter sich entwickelnden Kräften –, wenn Sie dieses Gefühl haben, das eine tiefe Ehrfurcht erzeugt, dann werden Sie sehen, daß Sie durch das Vorhandensein dieses Gefühls mehr bewirken können als durch alles intellektuelle Ausspintisieren dessen, was man tun soll. Die Gefühle, die der Lehrer hat, sind die allerwichtigsten Erziehungsmittel. [...]
Von größtem Wert aber ist es, daß der Mensch Enthusiasmus hat in seiner Tätigkeit, und diesen Enthusiasmus in seiner Tätigkeit auch voll entwickeln kann, wenn er Pädagoge sein soll. [...] Ich möchte sagen, an dem Waldorfschul-Lehrerbewußtsein müssen wir arbeiten. Das können wir aber nur [...], wenn wir gerade auf dem Gebiete der Pädagogik zu einem wirklichen Erleben des Geistigen kommen.
16.9.1920, GA 302a, S.22,25.

Sehen Sie, das ist dasjenige, was Anthroposophie wiederum der Menschheit zurückbringen möchte, daß man ein Wissen hat über die Welt, aber daß der Mensch nicht davon ausgeschlossen ist (...), daß aus alledem, was man über die Welt wissen kann, nun auch wirklich die Kraft kommt, auch in den Menschen wirklich hineinzuschauen nach Seele, Körper und Geist, daß man auch wirklich wissen kann, was der Geist im Menschen macht (...)
Solche Vorträge wie die, die ich gehalten habe, werden erst dann ihr Ziel erreicht haben, wenn sie nicht mehr gehalten zu werden brauchen (...), sondern wenn man wiederum eine Weltanschauung haben wird, eine Erkenntnis, in der schon die Erziehung so enthalten ist, daß wenn der Lehrer (...) diese Weltanschauung hat, daß er dann wiederum, und zwar aus seiner vollen Naivität heraus, die instinktive Kunst des Erziehens kann.
25.8.1922, GA 305, S. 177f.

Aber [...] die große Verantwortlichkeit gegenüber dem geistigen Leben, die hat man nur dann, wenn sie einem nicht ersetzt werden soll durch ein bloß äußerliches Verantwortlichkeitsgefühl. Wenn man sich bloß richtet nach dem, was Verordnung ist für jedes Schuljahr, dann glaubt man sich auch frei von der Notwendigkeit, von Woche zu Woche erlebend darüber nachzuforschen, was man mit Bezug auf den einzelnen Gegenstand in der Schule vorzunehmen hat, und wie man es vorzunehmen hat. Dieses immer fort und fort aus dem lebendigen geistigen Quell Herausschöpfen, das ist das, was unseren Lehrern eigen sein soll. Da muß man sich dem geistigen Leben gegenüber verantwortlich fühlen.
13.1.1921, GA 298, S. 80f.

Was der Erzieher tut, kann nur in geringem Maße davon abhängen, was in ihm durch allgemeine Normen einer abstrakten Pädagogik angeregt ist; es muß vielmehr in jedem Augenblicke seines Wirkens aus lebendiger Erkenntnis des werdenden Menschen heraus neu geboren sein. Man kann natürlich einwenden, solch ein lebensvolles Erziehen und Unterrichten scheitere an Schulklassen mit großer Schülerzahl. Innerhalb gewisser Grenzen ist dieser Einwand gewiß berechtigt; wer ihn über diese Grenzen hinaus macht, der beweist aber dadurch nur, daß er von dem Gesichtspunkte einer abstrakten Norm-Pädagogik aus spricht; denn eine auf wahrer Menschenerkenntnis beruhende lebendige Erziehungs- und Unterrichtskunst durchzieht sich mit einer Kraft, die in dem einzelnen Zögling die Anteilnahme anregt, so daß man nicht nötig hat, ihn durch das unmittelbare, "individuelle" Bearbeiten entsprechend bei der Sache zu halten. Man kann, was man im Erziehen und Unterrichten wirkt, so gestalten, daß der Zögling im Aneignen es selbst individuell für sich fasst. Dazu ist nur nötig, daß, was der Lehrende tut, genügend stark lebt. Wer den Sinn für echte Menschenerkenntnis hat, dem wird der werdende Mensch in einem solch hohen Maße zu einem von ihm zu lösenden Lebensrätsel, daß er in der versuchten Lösung das Mit­leben der Zöglinge weckt. Und ein solches Mitleben ist ersprießlicher als ein individuelles Bearbeiten, das den Zögling nur allzu leicht in Bezug auf echte Selbstbetätigung lähmt.
GA 24, S. 86f / GA 298, S. 11f.

Um aber dafür, ich möchte sagen, das rechte Herz zu haben, daß sich jetzt in diesem Lebensalter die jungen Damen und Herren so neben den Lehrer hinstellen werden, der ihnen früher Autorität war, um dazu das rechte Verhältnis zu haben, muß man eben (...) ein offenes Urteil für die Welt überhaupt haben, als Weltmensch in der Welt drinnen stehen; (...) nicht bloß eintrainiert haben Unterrichtsmethoden, sondern selber sich Fragen zu beantworten nach den Zielen der Menschheit, nach dem Inhalt der einzelnen Menschheitsepochen, nach dem Sinn des Lebens in der Gegenwart und so weiter. Und man muß diese Fragen nicht im Kopfe wälzen, sondern im Gemüte tragen, dann wird man sie auch im Gemüte mit der Jugend wirklich erleben.
25.8.1922, GA 305, S. 171.

Die Waldorfschule ist nicht eine ,,Reformschule" wie so manche andere, die gegründet werden, weil man zu wissen glaubt, worin die Fehler dieser oder jener Art des Erziehens und Unterrichtens liegen; sondern sie ist dem Gedanken entsprungen, daß die besten Grundsätze und der beste Wille in diesem Gebiete erst zur Wirksamkeit kommen können, wenn der Erziehende und Unterrichtende ein Kenner der menschlichen Wesenheit ist. Man kann dies nicht sein, ohne auch eine lebendige Anteilnahme zu entwickeln an dem ganzen sozialen Leben der Menschheit. Der Sinn, der geöffnet ist für das Wesen des Menschen, nimmt auch alles Leid und alle Freude der Menschheit als eigenes Erlebnis hin. Durch einen Lehrer, der Seelenkenner, Menschenkenner ist, wirkt das ganze soziale Leben auf die in das Leben hineinstrebende Generation. Aus seiner Schule werden Menschen hervorgehen, die sich kraftvoll in das Leben hineinstellen können.
Februar 1920, GA 24, S. 276 und GA 300c, S. 15. Die pädagogische Zielsetzung der Waldorfschule

[Wahre Geist-Erkenntnis] muß eine wirkliche Erziehungs- und Unterrichtskunst tragen. Denn sie führt zu einer Menschen-Erkenntnis, die so in sich bewegliche, lebendige Ideen hat, daß der Erzieher sie in die praktische Anschauung der einzelnen kindlichen Individualität umsetzen kann. [...] Die hier gemeinte Geist-Erkenntnis führt nicht, nach dem Vorbilde der Natur-Erkenntnis, zum Vorstellen allgemeiner Ideen, um diese im einzelnen Falle anzuwenden, sondern sie erzieht den Menschen zu einer Seelen-Verfassung, die den einzelnen Fall in seiner Selbständigkeit schauend erlebt. [...] Wer aber auf die für dieses Gebiet sachgemäße Beobachtungsart eingeht, der schärft sein Seelenauge für das Individuelle der Kindeswesenheit. Ihm wird das Kind nicht zum "einzelnen Fall", den er nach einem Allgemeinen beurteilt, sondern zum ganz individuellen Rätsel, das er zu lösen sucht.
Februar 1920, GA 24, S. 267ff und GA 300c, S. 9f. Die pädagogische Zielsetzung der Waldorfschule

Meditativ erarbeitete Menschenkunde
Die Betrachtungen, die eine geisteswissenschaftliche Pädagogik so anstellt, wie wir sie angestellt haben, gehen alle darauf aus, den Menschen intimer kennenzulernen. Aber wenn Sie dann über diese Dinge meditierend nachdenken, so können Sie gar nicht anders als bewirken, daß diese Dinge in Ihnen weiterwirken. [...] Wenn Sie nun Menschenkunde studieren, wie wir es getan haben, so erleben Sie das zunächst bewusst; meditieren Sie nachher darüber, so geht ein innerer geistig-seelischer Verdauungsprozeß in Ihnen vor sich, und der macht Sie zum Erzieher und Unterrichter. Geradeso, wie Sie der Stoffwechsel zum sonst lebenden Menschen macht, so macht Sie dieses meditierende Verdauen einer wahren Menschenkunde zum Erzieher. [...] Und solche Betrachtungen wie die heutigen, wenn wir sie nur immer wieder und wieder in uns erwecken, wenn wir auch nur 5 Minuten am Tage darauf zurückkommen, sie bringen alles innere Seelenleben in Bewegung. Wir werden innerlich so gedanken- und empfindungsfruchtbare Menschen, daß alles nur so aus uns heraussprudelt. Abends meditieren Sie über Menschenkunde, und morgens quillt Ihnen heraus: Ja, mit dem Hans Müller mußt du jetzt dieses oder jenes machen – oder: Bei diesem Mädchen fehlt es an dem und dem und so weiter. Kurz, Sie wissen, was Sie für den speziellen Fall anwenden müssen. [...]
[Der Erzieher] muß Menschenkunde aufnehmen, Menschenkunde verstehen durch Meditieren, an Menschenkunde sich erinnern: da wird das Erinnern reales Leben. [...] Da kommt die Erinnerung quellend aus dem geistigen Leben, [...] das schaffende, das schöpferische Sich-Erinnern, das zugleich ein Aufnehmen aus der geistigen Welt ist. [...] Das heißt: aus dem Geiste heraus pädagogisch schaffen, pädagogische Kunst werden. Gesinnung muß das werden, Seelenverfassung muß das werden.
21.9.1920, GA 302a, S. 51-53.

Weiteres zur Selbsterziehung

Auf das Kind soll alles Augenmerk der Erziehung gerichtet sein. Aber das kann eben nur dann der Fall sein, wenn der einzelne Lehrer und Unterrichter und Erzieher wirklich tief hineinschauen kann mit einem, das Ganze des Menschen erblickenden künstlerischen Auge auf das Kind. Daher muß alle wirkliche Erziehungsfrage hingelenkt werden auf eine Lehrerfrage, eine Erzieherfrage. Und dazu ist gerade die Waldorfschul-Pädagogik geworden, und alles das, was wir treiben in den Konferenzen, in den Verhandlungen der Lehrer untereinander. Denn schließlich ist ja das Lehrerkollegium die Seele einer solchen Erziehungskunst, aber es ist nur dann die Seele, wenn zusammenwirken die einzelnen Individualitäten.
Aber lassen Sie sich das zum Schlusse sagen: Wenn man in eine Schule hineingeht, die im Sinne dieser Erziehungskunst geführt wird, wenn man betrachtet die ganze Gesinnung des Lehrerkollegiums, von der doch ausstrahlt alles dasjenige, was in jeder Klasse, mit jedem einzelnen Kinde geschieht, dann muß es so sein, als ob über der Türe, wo sich die Lehrer für ihre intimsten Beratungen versammeln, ständen die immerdar mahnenden Worte: "Alle Erziehungskunst soll sein für Euch die Erstehung der Forderung Eurer eigenen Selbsterziehung. Eure Selbsterziehung, Ihr Lehrer, ist der Keim alles desjenigen, was Ihr als Erzieher der Kinder wirken könnt. Ja, Ihr werdet nichts anderes wirken für die Kinder, als was aus Eurer Selbsterziehung hervorgeht." – Das muß aber nicht nur stehen wie ein Mahnwort von außen, sondern das muß tief eingeschrieben sein in das Herz, in die Seele, in das Gemüt jedes einzelnen Lehrenden und Erziehenden. [...] Was in dieser Art für die Erziehung geleistet werden kann und geleistet werden muß, ganz besonders in unserer Zeit, wo das Leben so kompliziert geworden ist, wo das Leben anstelle der abbauenden Kräfte aufbauende Kräfte braucht, was da wirksam sein muß, das ist die Erkenntnis, daß die wahre, die wirkliche menschliche Erziehung, die Erziehung zur Liebe, diejenige ist, die zwar durch die hingebungsvolle Anstrengung des Kopfes als Mittel gefördert wird, die aber in ihrem Wesen hervorgeht aus Seele, Gemüt und Herz des Lehrers.
19.11.1923, GA 304a, S. 145.

Alles hängt davon ab, daß man innerlich dasjenige erarbeitet, was, ich möchte sagen, nur fadengezeichnet wird in dem Buche oder in dem Vortrage.
Es handelt sich also darum, daß der passiv gewordene Verstand unseres intellektualistischen Zeitalters aktiv wird. Geisteswissenschaft selber ist ein innerliches Tun, insofern man sich mit einer Vorstellungswelt beschäftigt, und unterscheidet sich dadurch radikal von dem, was man heute gewöhnt ist. Sehen Sie, auf diese innerliche Selbsterziehung kommt ungeheuer viel an. Denn dadurch wird die abstrakte Geistigkeit, die gerade dem heutigen Verstandesbildung anhaftet, durchaus überwunden. Dadurch aber wird die ganze Geistes- und Seelenverfassung des Menschen eine andere.
23.4.1920, GA 301, S. 63.

Und darauf kommt es an, daß man sich angewöhnt, das Geistige immerfort gegenwärtig zu haben. Worauf kam es mir zum Beispiel den Lehrern der Waldorfschule gegenüber an? Darauf kam es mir an, daß diese Lehrer abtun gewissermaßen alles dasjenige, was Normpädagogik ist, was dann so verwertet wird im Unterrichte, daß man sich erinnert, man solle dieses so, jenes so machen, die richtige pädagogische Wissenschaft sagt dies und sagt jenes und so weiter. Geisteswissenschaft ist gewissermaßen darauf hinauslaufend, daß man in jedem Momente eigentlich vergißt den geistigen Inhalt, den man durch die Geisteswissenschaft aufgenommen hat, und ihn jederzeit wiederum neu aufnehmen und in sich erzeugen muß. Man hat nicht wirklich die Geisteswissenschaft, wenn man sie als etwas hat, woran man sich erinnert.
Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich hier etwas Persönliches vorbringe. Ich bin niemals imstande, wenn ich 30-, 40-, 50mal über dasselbe Thema rede, irgendwie den gleichen Vortrag zu halten. Ich kann dies ebensowenig, wie ich – verzeihen Sie den grotesken Vergleich – das wieder essen könnte, was ich gestern gegessen habe. Da steht man im Lebendigen drinnen. Und so steht man mit dem, was geisteswissenschaftlicher Inhalt ist, im Lebendigen drinnen. Man hat es immer fort und fort neu zu erarbeiten. So versuchte ich auch die Lehrer der Waldorfschule so vorzubereiten, daß sie gewissermaßen jeden Morgen mit jungfräulicher Seele ihre Schule betreten, um vor etwas völlig Neuem zu stehen, vor lauter neuen Rätseln. Das Vergessenkönnen, das nur die andere Seite des Verarbeitetwerdens ist, das ist es, was Geisteswissenschaft dem Menschen anerzieht, was das Ergebnis der Selbsterziehung durch Geisteswissenschaft ist. Sie werden sagen: Ich kenne ja auch ein paar Geisteswissenschafter oder Anthroposophen, die zählen mir doch an den Fingern her dasjenige, was sie gelernt haben. Ja, meine sehr verehrten Anwesenden, das ist ja noch die Unvollkommenheit der Anthroposophen. Ich habe es nicht verhindern können, daß auch solche Anthroposophen gegenwärtig hier sind, die müssen sich das also eventuell anhören. Es ist eine Unvollkommenheit, wenn man das anthroposophische Wissen als ein Gedächtniswissen hat, wenn man es nicht hat als einen Urquell des inneren Seelenerlebens, das jederzeit neu erschaffen sein will in der Seele. Das ist aber die Stimmung, in der man gerade dem Menschen gegenüberstehen soll, wenn man ihn unterrichten oder erziehen soll. Also darum handelt es sich, daß Geisteswissenschaft durch die Art, wie man sie verarbeitet, unsere Seele in eine Lebendigkeit bringt, die so verläuft, wie im Physischen der Verdauungsprozeß jeden Tag neu verläuft, so daß alles bloß Gedächtnismäßige schwindet gegenüber dem, was Geisteswissenschaft dadurch gibt, daß sie vom aktiven Verstande, nicht vom passiven Verstande ausgeht.
23.4.1920, GA 301, S. 64f.

Denn sehen Sie, es ist schon zweierlei notwendig im Unterrichte und in der Erziehung. Das eine ist, daß wir die Kunst verstehen, aus dem Kinde möglichst viel herauszuholen; wir werden ja zuerst Vorstellungsgemäßes herausholen; das andere aber ist, daß wir die Möglichkeit haben, mit dem Kinde so zusammen zu sein, daß uns das Kind in seiner Art liebhaben kann.
Nun, es gibt alle die Dinge, die man mit Mühe sich anerziehen kann, auch in einzelnen Fällen als Instinkt. Das ist ein kompliziertes psychologisches Problem, auf das wir ja jetzt unmittelbar nicht eingehen können; aber es ist so, daß dasjenige, was wir mit Mühe in uns heranziehen können, für einzelne Menschen wie angeflogen ist, wie instinktiv da ist: sie werden von einer Kinderschar wie von selbst eben geliebt. Das ist etwas, was sehr schön sein kann, wenn es im einzelnen herauskommt. Aber gegenüber der Kultur- und Zivilisationsentwickelung handelt es sich darum, daß wir so etwas auch durch eine gewisse Selbsterziehung erreichen können. Und wir können es erreichen, wenn wir versuchen, uns zur Welt so zu stellen, wie wir uns stellen müssen, wenn wir Geisteswissenschaft treiben. Wir können ja eben, wie ich schon sagte, Geisteswissenschaft nicht treiben, wie wenn wir in einem Kino sitzen und schauen, wir können Geisteswissenschaft nur treiben, wenn wir innerlichst mittun. Ich sagte schon einmal: Lesen Sie meine "Geheimwissenschaft" und lesen Sie sie, ohne daß Sie innerlich erleben und Ihnen dasjenige, was gesagt wird, nur die Anleitung ist zu Ihren eigenen Gedanken, so bleibt Ihnen diese ganze Geisteswissenschaft Stroh. Sie bleibt daher vielen Leuten Stroh. Aber lesen Sie sie so, daß Sie sie nur wie eine Partitur betrachten, die Sie eigentlich erst haben, wenn Sie alle Einzelheiten selbst aus sich herausholen, dann entwickeln Sie bei diesem Herausholen eben Kräfte in sich, die sonst verschlossen bleiben in der menschlichen Natur, die nicht herauskommen.
Das sind gerade diejenigen Kräfte, die die Verhältnisse entwickeln insbesondere zu Kindern, die gewissermaßen die Kinder auf uns aufmerksam machen. Haben wir diesen Prozeß in uns durchgemacht des Heraufholens von geistigen Kräften in uns, so stellen wir ein Band unmittelbar von Seele zu Seele her zwischen uns und dem Kinde. Und dieses Band ist für die gemüthafte und für die moralische Führung, die Willensführung des Kindes von einer ungeheuren Bedeutung. Sie werden es kaum dahin bringen, eine Klasse, in der 40 Prozent Rangen sind, in moralischer und gemüthafter Beziehung unartige Kinder sind, zu beruhigen durch moralische oder gemütvolle Ermahnungen, die wie abstrakte Sätze aus Ihnen herauskommen. Sie können manchmal durch den Tonfall Ihrer Stimme oder durch die Energie Ihrer Stimme für kurze Zeit etwas erreichen. Aber im Wesen wird dadurch nichts erreicht. Aber versuchen Sie einmal Erfahrungen über das Folgende zu sammeln: Versuchen Sie es, sich vorzubereiten auf Ihre Schulstunden dadurch, daß Sie zu der gewöhnlichen Vorbereitung noch eine Art meditative Vorbereitung hinzufügen, etwas hinzufügen, was gerade mit dem Unterrichte, den Sie zu erteilen haben, nicht das Geringste zu tun hat, was aber etwas zu tun hat mit der eigenen Erhebung Ihrer Seele, was etwas zu tun hat mit dem Durchdringen irgendeines Stoffes, irgendeiner Empfindung, irgendeines Gefühls, das uns der Welt aufschließt. Wenn Sie am Abend eine solche meditative innere – ich darf mich des Ausdrucks bedienen – Beschauung durchgemacht haben und diese Beschauung dadurch beleben, daß Sie am Morgen wiederum an sie zurückdenken und sie gewissermaßen nacherleben, dann werden Sie eine Wirkung bemerken, wenn Sie in die Klasse hineingehen. Das sieht aus, als ob ich Aberglaube erzählen wollte, aber das sind Dinge, denen gegenüber man keine Theorien fassen soll, sondern die man beobachten soll. Man beobachtet sie und man wird sie bestätigt finden. Darauf kommt es an. Es ist ja bei der Mehrzahl der heutigen Menschen nicht sehr viel Neigung vorhanden, solche Dinge zu beobachten. Aber wir werden uns eben bequemen müssen dazu, wenn wir aus der Misere der heutigen Zeit herauskommen wollen, zu einem solchen Beobachten; dann werden schon die entsprechenden Überzeugungen, die aus solchen Beobachtungen hervorgehen können, insbesondere für die pädagogische Kunst, sich der Menschheit auch erschließen. Haben wir es zu tun mit einer solchen Schülerin, wie diejenige ist, von der hier die Rede ist, so weist sie uns ja ganz deutlich darauf hin, daß in dem besonderen Fall, wo sie sagte, daß sie den Lehrer liebte, ihre Willenserziehung unter dem unmittelbaren Einflusse dieses persönlichen Verhältnisses stand. Aber alle Willenserziehung wird immer unter dem Eindrucke des persönlichen Verhältnisses stehen bei Kindern bis noch über die Geschlechtsreife hinaus. Man mag darüber philosophieren wie man will, jede Philosophie, die etwas anderes sagt, als daß das persönliche Verhältnis für die Gemüts- und Willensbildung ein ausschlaggebendes ist, wird gegen das Leben sündigen. Das muß man eben Lebenserkenntnis nennen, welche sich nicht scheut, auf diese Dinge des Lebens einzugehen. Und wenn man die Dinge ernst nimmt, die entstehen können durch die Befruchtung der Erziehungskunst von seiten der Geisteswissenschaft, so werden sich einem manche Dinge aufschließen, die sich sonst durchaus nicht erschließen wollen.
29.4.1920, GA 301, S. 114ff. Erziehung als Problem der Lehrerbildung.

Beachten Sie, bitte, daß ich doch gesagt habe, es findet sich heute der abstrakte Grundsatz  – ich habe ihn sogar als mustergültig bezeichnet –, aus dem Kinde heraus zu entwickeln. Das können wir heute in allen Varianten hören, und wir können den Glauben finden, daß man es tue. Aber versuchen Sie nur einmal erst darauf einzugehen, was es heißt, die kindliche Natur nicht als ein unbekanntes Mystisches hinzunehmen, das dann aus sich heraus entwickelt werden soll, sondern sich selbst erst bereit zu machen durch das, was wir in uns als Selbsterziehung erlangen, was wir nur durch Geisteswissenschaft erlangen können. Versuchen Sie durch Geisteswissenschaft einen Blick zu erlangen für das, was wirklich in den Kindern lebt! Ich habe durchaus nichts gegen den Grundsatz, man solle nichts von außen an das Kind heranbringen, sondern alles in dem Kinde sehen; man muß aber erst lernen, in dem Kinde zu sehen. Dazu muß der Mensch erst durchsichtig werden. Und das, was ich gebe, führt ja nur dahin, wirklich die verschiedensten Seiten der Menschennatur zu sehen. Man verdeckt sich aber die verschiedenen Seiten der Menschennatur durch vieles von dem, was heute aus der gewöhnlichen materialistischen Gesinnung heraus stammt. Denn dasjenige, was man heute vielfach geistig-seelisch nennt, ist ein Abstraktes, ein Intellektualistisches.
23.4.1920, GA 301, S. 237.

Aber der Lehrer muß nicht nur diejenigen, die so werden können wie er, sondern er muß auch diejenigen richtig erziehen und unterrichten, die weit über ihn hinauswachsen müssen nach ihren Anlagen. Das wird man aber nur können, wenn man sich ganz und gar als Lehrer abgewöhnt, die Schüler zu dem machen zu wollen, was man selber ist. Und wenn man sich entschließen kann, bis zur äußersten Möglichkeit hin selbstlos in der Schule zu stehen, sich möglichst in bezug auf seine menschlichen Sympathien und Antipathien, in bezug auf seine persönlichen Eigenschaften auszuschalten und sich ganz hinzugeben an dasjenige, was einem die Schüler sagen, natürlich unbewußt sagen, dann wird man die Genies in demselben Sinne richtig erziehen, wie man die Dummen richtig erziehen wird. Dadurch entsteht aber eben erst das richtige Bewußtsein im Lehrer. Und das hat er, wenn er sich sagt: Jede Erziehung ist im Grunde genommen Selbsterziehung des Menschen.
Es gibt im Grunde genommen auf keiner Stufe eine andere Erziehung als Selbsterziehung. Aus tieferen Gründen heraus wird ja das insbesondere durch die Anthroposophie eingesehen, die von wiederholten Erdenleben ein wirklich forschungsgemäßes Bewußtsein hat. Jede Erziehung ist Selbsterziehung, und wir sind eigentlich als Lehrer und Erzieher nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes. Wir müssen die günstigste Umgebung abgeben, damit an uns das Kind sich so erzieht, wie es sich durch sein inneres Schicksal erziehen muß.
Diese richtige Stellung des Erziehenden und Lehrenden zum Kinde kann man durch nichts anderes sich erringen als immer mehr und mehr durch die Ausbildung dieses Bewußtseins, daß es eben so ist. Für die Menschen im allgemeinen mag es verschiedene Gebete geben; für den Lehrer gibt es außerdem noch dieses Gebet: "Lieber Gott, mache, daß ich mich in bezug auf meine persönlichen Ambitionen ganz auslöschen kann." Und "Christus, mache besonders an mir wahr den paulinischen Ausspruch: Nicht ich, sondern der Christus in mir." – Wie gesagt, für die anderen Menschen mag es mancherlei Gebete geben, für den Lehrer gibt es gerade dieses Gebet zu dem Gott im allgemeinen und zu dem Christus im besonderen, damit in ihm der richtige heilige Geist der wahren Erziehung und des wahren Unterrichts walten kann. Denn dies ist die richtige Dreieinigkeit für den Lehrer.
20.4.1923, GA 306, S. 131f.

Nun stellt man sich gewöhnlich vor, daß das Allersubjektivste im Leben die Liebe ist, und von dem, der liebt, stellt man sich schon nicht vor, daß er irgendwie objektiv sein könnte. Daher wird heute nirgends, wo von Erkenntnis gesprochen wird, im Ernste von der Liebe gesprochen. [...] Aber die Liebe selber, das Sich-Hingeben an die Welt und ihre Erscheinungen betrachtet man jedenfalls nicht als eine Erkenntnis. Für das Leben aber ist die Liebe die erste Erkenntniskraft. Und ohne diese Liebe ist es vor allen Dingen unmöglich, zu einer Menschenerkenntnis zu kommen, welche die Grundlage für eine wirkliche pädagogische Kunst sein könnte. [...]
Dann aber wird einem jedes einzelne Menschenkind zu einem heiligen Rätsel. Denn dann bildet jedes einzelne Kind die große Frage - nicht: Wie soll man es erziehen, daß es, wie man es sich ausgedacht hat, sich einem Idol nähert -, sondern: Wie soll man das pflegen, was einem die Götter heruntergeschickt haben in die irdische Welt? - Man lernt sich erkennen zu einem Helfer der göttlich-geistigen Welt, und man lernt vor allem die Frage aufwerfen: Was kann werden, wenn man mit einer solchen Gesinnung an den Unterricht und an die Erziehung herangeht?
Wahre Pädagogik geht vor allen Dingen von dieser Gesinnung aus. Auf diese Gesinnung, die Pädagogik, den Unterricht zu pflegen, darauf kommt es an! Menschenerkenntnis kann nur erworben werden, wenn die Menschenliebe - also hier die Liebe zum Kinde - zur werktätigen Gesinnung wird. Entsteht eine solche Gesinnung, dann wird der Erzieherberuf zum Priesterberuf [...].
Solche Gesinnung, wie ich sie charakterisiert habe, kann nicht abstrakt arbeiten, sie muß geistig arbeiten - aber für das Praktische arbeiten. Solche Gesinnung erwirbt man sich auch nicht dadurch, daß man sich Theorien aneignet, die lebensfremd und lebensfern sind; sondern man erwirbt sie sich nur, wenn man einen Sinn hat für jede Lebensäußerung, wenn man auf jede Lebensäußerung mit Liebe einzugehen vermag.
17.7.1924, GA 310, S. 12ff.

Auf die Entwickelung solcher Gefühle kommt es an! Das ist ja nicht das Wesentliche an der Anthroposophie, daß sie theoretisch lehrt: der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, es gibt ein Karma, es gibt wiederholte Erdenleben und so weiter. Man kann sehr gescheit sein, kann das alles wissen; doch Anthroposoph im wahren Sinne des Wortes ist man dadurch nicht, wenn man diese Dinge auf die gewöhnliche Art, wie den Inhalt eines Kochbuches, weiß. Darauf kommt es an, daß das menschliche Seelenleben ergriffen und vertieft werde durch die anthroposophische Weltanschauung, und daß man dann wirken lernt aus einem solchen ergriffenen und vertieften Seelenleben.
Daher kann die erste Aufgabe, die für die Pädagogik auf der Grundlage der Anthroposophie erfüllt werden kann, diese sein, daß man zunächst darauf hinarbeitet, daß die Lehrer, die Erzieher im tiefsten Sinne Menschenerkenner seien, und daß sie, wenn sie diese Gesinnung nach rechter Menschenbeobachtung in sich aufgenommen haben, mit der Liebe, die aus dieser Gesinnung folgt, an das Kind herantreten. Daher ist das erste, was in einem Seminarkurs für im anthroposophischen Sinne wirken sollende Erzieher vorkommt, nicht, daß man sagt, du sollst es so oder so machen, sollst diesen oder jenen pädagogischen Handgriff anwenden, sondern das erste ist das Erwecken der pädagogischen Gesinnung aus Menschenerkenntnis heraus. Hat man diese pädagogische Gesinnung aus Menschenerkenntnis bis zur rechten Pädagogenliebe, bis zum Erwecken der Pädagogenliebe gebracht, dann kann man sagen, der Lehrer ist reif zum Erziehen, zum Unterrichten. Das erste, um was es sich bei einer auf Menschenerkenntnis begründeten Pädagogik handelt, wie es die Waldorfschul-Pädagogik zum Beispiel ist, das ist nicht, Regeln anzugeben, so oder so solle man erziehen, sondern das erste ist, die Seminarkurse so zu halten, daß man die Herzen der Lehrer findet, daß man diese Herzen so weit vertieft, daß aus ihnen heraus die Liebe zum Kinde erwächst. Die glaubt ja ein jeder natürlich sich andiktieren zu können. Aber diese andiktierte Menschenliebe kann ja nichts leisten; sie könnte vielen guten Willen haben, aber kann nichts leisten. Etwas leisten kann erst diejenige Menschenliebe, die aus einem vertieften Beobachten im Einzelfalle hervorgehen kann.
18.7.1924, GA 310, S. 37f.

Man wird Geduld haben müssen als Lehrender und Erziehender mit der eigenen Selbsterziehung, mit dem Erwecken dessen in der Seele, was wirklich keimen und wachsen kann in der Seele. Man wird in dieser Beziehung an sich selbst die schönsten Entdeckungen machen können. Man darf nur nicht, um solche Entdeckungen machen zu können, den Mut gleich beim ersten Anhub verlieren.
Der Mensch sollte, wenn er irgendeine Tätigkeit beginnt, die eine geistvolle Tätigkeit sein soll, es eigentlich unter allen Umständen ertragen können, ungeschickt zu sein. Wer nicht ertragen kann, ungeschickt zu sein, die Dinge zuerst dumm und unvollkommen zu machen, der wird sie aus dem Innern heraus eigentlich niemals vollkommen machen können. Und insbesondere im lehrenden und erziehenden Beruf müssen wir erst dasjenige in unserer eigenen Seele entzünden, was wir eigentlich ausüben sollen; richtig entzünden. Wenn es uns gelingt, ein- oder zweimal bildhafte Darstellungen zu ersinnen, bei denen wir sehen, daß sie bei den Kindern einschlagen, dann werden wir nämlich eine merkwürdige Entdeckung an uns selber machen: Wir werden sehen, daß uns dann das Erfinden von solchen Bildern immer leichter und leichter wird, daß wir nach und nach so erfinderische Menschen werden, wie wir uns das von uns gar nicht vorgestellt hätten.
15.8.1924, GA 311, S. 62.

Nun müssen wir wissen, daß es bei dem, was Geisteswissenschaft geben kann, sich immer nur handeln kann um den Appell an den Menschen. Man strebt immer nach Vorschriften: Das sollst du so machen und das andere so. – Derjenige, der Erzieher werden will für abnorme Kinder, der ist nie fertig, für den ist jedes Kind wieder ein neues Problem, ein neues Rätsel. Aber er kommt nur darauf, wenn er nun geführt wird durch die Wesenheit im Kinde, wie er es im einzelnen Fall machen muß. Es ist eine unbequeme Arbeit, aber sie ist die einzig reale.
Daher handelt es sich im Sinne dieser Geisteswissenschaft so stark darum, daß wir gerade als Erzieher im allereminentesten Sinne Selbsterziehung pflegen.
28.6.1924, GA 317, S. 74f.