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Wichtige Stellungnahmen zur Katastrophe im Bildungswesen

Im Folgenden finden Sie wichtige  Stellungnahmen zur katastrophalen Lage des heutigen Bildungswesens. Links führen zu den Original-Artikeln.

Übersicht

>> Direkt zu den Zitaten / Zitate zur Frage der Finanzierung freier Schulen finden sich am Ende (>> Übersicht / >> Zitate).

- Gerald Hüther: "Schule produziert lustlose Pflichterfüller". Der Standard, 16.4.2012.
- August Schmölzer: "Es ist ein Versagen der Politik, aber auch der Eltern". Standard, 2.11.2011. 
- Frank-Olaf Radtke: Die außengeleitete Universität. WestEnd, Neue Zeitschrift für Sozialforschung 1/2008, S. 117-133.
- Christian Füller: "Noten behindern das Lernen". TAZ.de, 27.5.2009.
- Anonym: Ich bin ein Zombie, und ich lerne wie eine Maschine. ZEIT online, 18.2.2009.
- Kurt Singer: Unbeschwert lernen. Welt online, 15.3.2009.
- Heinz-Peter
Meidinger: Woran krankt die Bildungspolitik? TeachersNews, 9.2.2009.
- Ludger Wößmann:
"Geld allein macht nicht schlauer". WirtschaftsWoche online, 26.1.2009.
- Heike Jahberg:
Note für Berlins Grundschulen: Mangelhaft. Der Tagesspiegel, 19.1.2009.
- dpa:
Brüssel will Bildung auf Berufe ausrichten. FR-online.de, 16.12.2008.
- Susanne Vieth-Entus:
Immer mehr Kinder in der Psychiatrie. Tagesspiegel, 16.12.2008.
- Thieme Presseservice:
Computersucht - Ballerspiele gegen schlechte Laune. 15.12.2008.
- Remo Largo:
"Schule ist für Kinder da". Spiegel online, 11.12.2008.
- B. Taffertshofer: So wird das nie was mit Pisa. [Lesestudie] Süddeutsche Zeitung, 5.12.2008.
- SPD-Landtagsfraktion BW: Bessere Bildung für alle! G8-Elternumfrage. 29.11.2008.
- Daniel Goleman: Unsere Kinder - Opfer des Fortschritts. Spiegel online, 28.10.2008.
- Jürgen Spaniol: Schulkinder aus dem Gleichgewicht. Teacher News, 28.10.2008.
- Gordon Neufeld: "Wir müssen den Eltern vertrauen." Deutschlandfunk, 22.10.2008.
- Hartmut von Hentig: Abschied von der Paukerschule. Zehn Punkte zum Bildungsgipfel. Frankfurter Rundschau, 10.10.2008. [>> Download]
- Jeannette Otto: Die Angst der Lehrer. Warum es vielen Pädagogen so schwer fällt, mit Kritik umzugehen. DIE ZEIT, 25.9.2008.
Gerald Hüther: Schluss mit der Dressurschule! Süddeutsche Zeitung, 17.9.2008.
- Parvin Sadigh: Oberschichtkinder dürfen aufs Gymnasium. ZEIT online, 11.9.2008.
- MONITOR: Unerträglicher Lernstreß - Warum Schule krank macht. MONITOR, 4.9.2008.
- Bundeskanzlerin Angela Merkel: Bundesrepublik muss Bildungsrepublik werden. Rede vom 12.6.2008.
- Stephan Lebert u.a.: Verloren in der virtuellen Welt. DIE ZEIT, 12.6.2008
- Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2008. Pressemitteilung, 12.6.2008.
- Wilhelm von Humboldt
/ Tanjev Schultz: Sehr geehrte Kultusminister! Sueddeutsche.de, 24.5.2008.
- Hermann Otto Solms: Schulpolitik durch die Hintertür des Steuerrechts. Welt online, 23.5.2008.
- Detlef Hardorp: Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern?, 9.5.2008.
- Christian Füller: Du lernst nicht allein! taz 7.3.2008.
- Reinhard Kahl: Turbopolitik und Lehrplanwirtschaft. DIE ZEIT, 7.3.2008.
- Martin Spiewak: Macht die Schulen stark! DIE ZEIT, 21.2.2008.
- Nele Hirsch: Gemeinschaftsschule. Positionspapier der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
- Reinhard Kahl: Pädagogische Bulimie. DIE ZEIT, 11.2.2008.
- Susanne Gaschke: Kinderarbeit. DIE ZEIT, 7.2.2008.
- Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen Berlin: Rot-Rot kündigt Verlässlichkeit. Pressemitteilung vom 3.12.2007.
- Henning Kullack-Ublick: Bügel statt Bildung. Aktion Mündige Schule, 24.11.2007.
- Renate Allgöwer: Privatschulen können sich wenige leisten. Stuttgarter Zeitung, 18.10.2007.
- Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin: Bürgerschulen für alle! September 2007.
- Gerald Hüther: "So sinnvoll für das Kind wie möglich." Interview in der Hamburger Lehrerzeitung.
- Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hoffmann und Campe, 2007.
- Gordon Neufeld: Wider den Frust. Die Welt, 10.2.2007.
- Uwe Schaarschmidt: Die Ausgebrannten. Die Zeit, 14.12.2006, Interview mit Martin Spiewak.
- Matthias Kamann: Verachtung der Lehrer. Die Welt, 2.12.2006.
- Christian Pfeiffer: Schule erzeugt Verlierer. Tagesspiegel, 22.11.2006.
- Jörg Lau: Spiel ohne Grenzen. DIE ZEIT, 2.11.2006.
- Fördern und Fordern – eine Herausforderung für Bildungspolitik, Eltern, Schule und Lehrkräfte. Gemeinsame Erklärung der Bildungs- und Lehrergewerkschaften und der Kultusministerkonferenz vom 19.10.2006.
- Bundespräsident Horst Köhler: Bildung für alle. Berliner Rede vom 21.9.2006.
- Hartmut von Hentig: Die Lust an der Welt. DIE ZEIT, 28.5.2003.
- Peter Paulig: Die Staatsschule – ein Fall fürs Pflegeheim. Aus Bussmann: Unser Kind geht auf die Waldorfschule. rororo, 1998.
- Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Erziehung und Bildung als öffentliche Aufgabe", Rede am 21.3.1988.
- Werner Remmers: Wider die Überverwaltung in der Erziehung. Zeitschrift für Pädagogik, 1981, S. 22.
- Franz Pöggeler: Der pädagogische Fortschritt und die verwaltete Schule. Freiburg 1960.

Zur Frage der Finanzierung (Übersicht)

- Hermann Otto Solms: Schulpolitik durch die Hintertür des Steuerrechts. Welt online, 23.5.2008.
- Detlef Hardorp: Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern?, 9.5.2008.
- Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen Berlin: Rot-Rot kündigt Verlässlichkeit. Pressemitteilung vom 3.12.2007.
- Henning Kullack-Ublick: Bügel statt Bildung. Aktion Mündige Schule, 24.11.2007.
- Renate Allgöwer: Privatschulen können sich wenige leisten. Stuttgarter Zeitung, 18.10.2007.
- www.100-prozent-waldorf.de: 100% Schule braucht 100% Zuschuss. 1.9.2007.

Die Zitate

Gerald Hüther [im Interview]: "Schule produziert lustlose Pflichterfüller". Der Standard, 16.4.2012.

Es hat ja noch gar keiner unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerechnet, was das später einmal alles kostet, wenn ein einzelner, mutlos gewordener Mathematiklehrer es fertigbringt, jedes Jahr zwanzig Schülern die Lust an Mathe zu versauen. Denn dann haben die ja meistens nicht nur die Lust an Mathe verloren, sondern auch an den Naturwissenschaften. Das heißt, da ist auf einmal etwas kaputtgegangen, was möglicherweise die gesamte Karriere und Entwicklung eines Kindes belastet. Und wenn man diese Kosten alle zusammenrechnet, könnte herauskommen, dass es besser wäre, diesen betreffenden Lehrer bei vollen Bezügen nach Hause zu schicken, als ihn noch einen Tag länger diesen Schaden stiften zu lassen.

"Es ist ein Versagen der Politik, aber auch der Eltern". Standard, 2.11.2011. [Der Schauspieler August Schmölzer im Interview].

Wir müssen endlich aufhören, unsere Lehrpläne danach zu gestalten, wie die Wirtschaft die Menschen braucht. Wir müssen anfangen, die Lehrpläne so zu gestalten, dass der Mensch zu seiner eigenen Persönlichkeit reifen kann. Nur wenn er das kann, das ist meine völlige Überzeugung, wird er auch ein wunderbarer Teil dieser Gesellschaft sein, ein Individuum mit einer eigenen Meinung, mit einer eigenen Haltung, die er dann auch vertritt.

Frank-Olaf Radtke: Die außengeleitete Universität. WestEnd, Neue Zeitschrift für Sozialforschung 1/2008, S. 117-133.

Mit der Stufung und Modularisierung von Lehrangeboten wird von Studium auf Unterricht umgestellt und die Verbindung von Forschung und Lehre selbst dem Anspruch nach aufgelöst. [...] Nicht Kreativität und Eigensinn, sondern Opportunismus und Über-Anpassung bestimmen den heimlichen Lehrplan der entkernten Universität. [...] "Bologna" wird jetzt zum Vorwand genommen, um etwas zu tun, was seit 1966 immer wieder versucht wurde, aber nicht durchzusetzen war: eine politisch-ökonomische Lenkung der Forschung, eine bürokratisch erzwungene Verkürzung der Studienzeit und eine Abkehr von der Öffentlichkeit – gegen den Willen einer wehrlos gemachten Universität.

Christian Füller: "Noten behindern das Lernen". TAZ.de, 27.5.2009.

"Sie ist die Lehrerin der Zukunft", sagt etwa Gesine Schwan über sie. "Die Zivilcourage, mit der sie in Verantwortung gegenüber ihren Schützlingen ihr Vorgehen verteidigt hat - gegen das alte Denken in standardisierten Zensuren -, verdient höchstes Lob." [...] Sabine Czerny, 37, hat in ein Kunststück fertiggebracht. Sie schaffte es, eine Klasse zufriedener Eltern und Kinder zu erzeugen - die hatten Spaß am Lernen, der Notenschnitt war hervorragend. Doch Sabine Czerny wurde dafür nicht etwa belohnt, sondern bestraft. Die Eltern aus den Parallelklassen stellten nervöse Fragen, Schulleiter baten sie, das Notenspektrum voll auszuschöpfen - also auch 5er und 6er zu benutzen. Schließlich wurde sie versetzt - wegen Störung des Schulfriedens.

Anonym: Ich bin ein Zombie, und ich lerne wie eine Maschine. ZEIT online, 18.2.2009.

"[...] Sie empfinden keine Neugier, kein Bedürfnis nach menschlichen Bindungen und sind weniger kreativ. [...] Wer früh Ritalin nimmt, lernt nicht, seine Affekte zu kontrollieren, denn er hat keine mehr. Ohne Pille ist er praktisch lebensunfähig."
Ein letzter Satz von Hüther geht mir noch Tage später im Kopf herum: "Ritalin ist die Droge für die Pflichterfüller-Generation."

Kurt Singer: Unbeschwert lernen. Welt online, 15.3.2009.

Die Leistungsstudien hätten durch die guten reformpädagogischen Beispiele den Blick dafür frei machen können, wie Kinder lieber lernen und mehr leisten. Schulbehörden und Lehrer haben jedoch aus Pisa vor allem gelernt zu testen, testen, testen; da wird die Lernschule zur Prüfschule. Gegen diese Testkrankheit sollten sich Lehrer wehren. Etwa gegen die Flut der angeordneten Vergleichsarbeiten, mit denen sie die Kinder zu bewerteten Menschen machen, und das bereits in der Grundschule. Lehrer könnten mit ihrer schulgesetzlich zugestandenen pädagogischen Freiheit gegen den Strom schwimmen.
[...] Aber Politiker verhalten sich wie in einer schweren Lernstörung. Sie ignorieren trotz hundert Jahren praktizierter Reformpädagogik die gewonnenen Erkenntnisse, auch die von Pisa, und verordnen das Gegenteil von dem, was Kindern hilft. Nur eine starke Bewegung der Eltern könnte mit ihrem Protest die Politiker zu pädagogischer Vernunft zwingen.

Heinz-Peter Meidinger: Woran krankt die Bildungspolitik? TeachersNews, 9.2.2009.

Verantwortungsbewussten Bildungsjournalismus findet man nur noch in wenigen Zeitungen. Dafür ein Negativbeispiel, das für viele andere steht. Am 16. Januar 2004 hieß es in einem Kommentar einer großen süddeutschen Zeitung: "Bayern braucht ein achtjähriges Gymnasium, und das lieber heute als morgen." Am 1. September 2008 schrieb dieselbe Journalistin: "Die Wut der Eltern auf das achtjährige Gymnasium ist groß. Jetzt rächt sich die übereilte Einführung!"

Ludger Wößmann: "Geld allein macht nicht schlauer". WirtschaftsWoche online, 26.1.2009.

Neuere Studien belegen, wie wichtig eine gute pädagogisch-fachliche Ausbildung der Lehrer ist. In Deutschland lernen angehende Lehrer im Studium nicht das, was sie hinterher im Job brauchen. Auch hier blockieren Interessengruppen und Eitelkeiten eine Reform. Allerdings weiß die Wissenschaft auch noch nicht genug darüber, was einen guten Lehrer konkret ausmacht und wie er genau das erlernt.

Heike Jahberg: Note für Berlins Grundschulen: Mangelhaft. Der Tagesspiegel, 19.1.2009.

Mit ungewöhnlich deutlichen Worten hat das Berliner Kammergericht die Zustände an den Grundschulen kritisiert. In einem noch nicht veröffentlichten Urteil, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, es sei gerichtsbekannt, "dass gerade die Grundschulen aufgrund des in Berlin bestehenden Personalmangels ... ihren Ausbildungspflichten nicht mehr in ausreichendem Maße nachkommen". Lehrer würden zunehmend von den Eltern häusliche Nacharbeit mit den Kindern fordern, "weil der Schulstoff nicht mehr angemessen vermittelt werden kann".
Bisher boten vor allem die Zustände an den Berliner Oberschulen Anlass für eine solch harsche Kritik. Anlass für das schlechte Zeugnis für die Grundschulen durch das Kammergericht bot den Richtern der Fall einer Mutter, der sie Unterhalt für die Betreuung ihres achtjährigen Sohn zusprachen, weil die Schulhorte nicht in der Lage seien, den Kindern die notwendige Förderung und Zuwendung zukommen zu lassen.

dpa: Brüssel will Bildung auf Berufe ausrichten. FR-online.de, 16.12.2008.

Nicht fürs Leben, sondern für die Arbeit sollen Europas Schüler künftig lernen. [...] "Es macht keinen Sinn, dass die Arbeitslosigkeit in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten wächst, aber freie Stellen unbesetzt bleiben", meinte EU-Bildungskommissar Jan Figel. [...] Figels tschechischer Kommissionskollege Vladimir Spidla sagte, Vorhersagen sollten den Bedarf verschiedener Berufe klären. [...] Figel räumte zugleich Rückschläge beim Erreichen der europäischen Bildungsziele ein. [...] Neben der Leseschwäche bereitet die große Zahl von Schulabbrechern Sorgen. Zudem schaffen weniger Schüler als gewünscht das Abitur oder eine Lehre, und auch die Weiterbildung Älterer bleibt hinter den EU-Zielen zurück. Als neue Ziele schlug Figel unter anderem Vorgaben zur Mobilität von Schülern und Studenten vor.

Susanne Vieth-Entus: Immer mehr Kinder in der Psychiatrie. Tagesspiegel, 16.12.2008.

In Berlin brauchen immer mehr Kinder und Jugendliche eine stationäre Behandlung in der Psychiatrie. Der Bedarf ist so groß, dass die insgesamt 240 Betten in den sechs Kliniken nicht mehr ausreichen und um 20 Prozent aufgestockt werden sollen. [...] Berlins Ärzte können bisher nur vermuten, wo die Ursachen liegen. Es komme vieles zusammen, meint Oliver Bilke, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Vivantes Kliniken. Als Stichworte nennt er übertriebenen Medienkonsum, fehlende familiäre Stabilität, eine "andere Form von Leistungsdruck in der Schule", aber auch Sprachdefizite, die weitere Probleme nach sich zögen. Die frühe Einschulung bringe „das Fass zum Überlaufen“.

Thieme Presseservice: Computersucht - Ballerspiele gegen schlechte Laune. 15.12.2008.

Sie haben 221 Berliner Schülerinnen und Schüler der achten Klassenstufe detailliert nach ihrem Computerspiel-Verhalten befragt. Ihre nun vorliegende Studie zeigt, dass etwa zwei Drittel aller Schüler (65,2 Prozent) als regelmäßige Spieler anzusehen sind. Von diesen Gewohnheitsspielern weist beinahe jeder Zehnte eine psychopathologische Sucht auf, die krankheitsrelevant ist.

Remo Largo: "Schule ist für Kinder da". Spiegel online, 11.12.2008.

Sich geborgen fühlen und angenommen zu sein sind Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Lernen. Aber in der Schule sind solche Emotionen oft regelrecht tabu. [...]
SPIEGEL: In Bayern, das sich gern als deutsches Musterland sieht, wechseln die Kinder alle zwei Jahre, oft jedes Jahr den Lehrer. Das gilt als gute Vorbereitung auf eine globalisierte Welt, in der wir flexibel sein müssen für den Arbeitsmarkt.
Das kann man so behaupten. Aber im Grunde genommen ist das eine emotionale Misshandlung, man kann auch sagen: eine Vernachlässigung der Kinder. Da wird ein Grundbedürfnis einfach missachtet. Wenn wir nachschauen, warum manche Klassen völlig aus dem Ruder laufen, ist ein häufiger Grund intensiver Lehrerwechsel.

B. Taffertshofer: So wird das nie was mit Pisa. [Lesestudie] Süddeutsche Zeitung, 5.12.2008.

Zum dritten Mal seit 1992 haben Forscher mehr als 2.500 über 14-Jährige nach ihren Lesegewohnheiten befragt. Während vor acht Jahren noch fast jeder Dritte zwischen elf und 50 Bücher im Jahr las, schafft dieses Pensum heute nur noch jeder Vierte. [...] 25 Prozent der Befragten gaben an, nie zu einem Buch zu greifen. [...] So gaben beispielsweise 45 Prozent der 14- bis 19-Jährigen an, dass sie als Kind nie ein Buch geschenkt bekamen. Zum Vergleich: 1992 berichteten noch 72 Prozent dieser Altersgruppe von häufigen Buchpräsenten.

SPD-Landtagsfraktion BW: Bessere Bildung für alle! G8-Elternumfrage. 29.11.2008.

60,8% der Eltern geben an, dass ihr Kind eine Gesamtstundenbelastung (Unterricht, Hausaufgaben, Stoffwiederholung) von über 40 Stunden pro Woche hat. [...] Fast 50% der Eltern gaben an, dass ihr Kind außerschulische Aktivitäten aufgeben musste. [...] 73% der Eltern würden wenn sie die Wahl zwischen einem G8- und G9-Zug hätten für ihr Kind den G9-Zug wählen.

Daniel Goleman: Unsere Kinder - Opfer des Fortschritts. Spiegel online, 28.10.2008.

Während der durchschnittliche Intelligenzquotient amerikanischer Kinder im Lauf des vergangenen Jahrhunderts stetig gestiegen ist, bezeugten die letzten drei Jahrzehnte einen drastischen Rückgang der grundlegenden sozialen und emotionalen Fähigkeiten.

Jürgen Spaniol: Schulkinder aus dem Gleichgewicht. Teacher News, 28.10.2008.

Neue Untersuchungen der Hochschule Aalen an über 3.000 hessischen Schülerinnen und Schülern der Klassen 1 bis 10 in Zusammenarbeit mit dem hessischen Kultusministerium (Arbeitsgebiet Schule&Gesundheit) belegen, dass Schülerinnen und Schüler fundamentale Defizite bei Gleichgewichtstests aufweisen und, dass Schülerinnen und Schüler mit schlechtem Gleichgewicht signifikant schlechtere Schulnoten haben. [...]
Der durchschnittliche Unterschied zu den Schülern mit gutem Gleichgewicht beträgt je nach Fach bis zu 0,7 Notenstufen. [...] Besonders ausgeprägt sind Gleichgewichtsdefizite bei Haupt- und Realschülern: Hier weist nur jeder vierte Schüler und jede dritte Schülerin die zu erwartende Gleichgewichtsleistung auf. Die Haupt- und Realschüler mit schlechtem Gleichgewicht zeigen signifikant schlechtere Schulleistungen.
Aber auch in Gymnasien und Gesamtschulen zeigen nur rund 60 Prozent der Schüler und 70 Prozent der Schülerinnen angemessene Gleichgewichtsergebnisse. Gymnasiasten mit schlechtem Gleichgewicht weisen ebenfalls schlechtere Schulleistungen in Deutsch und Mathematik auf.

Gordon Neufeld: "Wir müssen den Eltern vertrauen." Deutschlandfunk, 22.10.2008.

Es gibt da eine falsche Vorstellung über das Wesen von Lehre und Lernen. Die Kraft des Lehrenden liegt nicht in seiner Ausbildung, sondern die Kraft liegt immer in der Beziehung des Kindes zu demjenigen, von dem es lernen soll. [...] Nordamerikanische Studien haben gezeigt, dass die Kinder, die von ihren Eltern unterrichtet worden sind, im Eingangstest der Universität besser abschneiden und sogar von den Eliteuniversitäten inzwischen bevorzugt werden. Also die Beziehung des Kindes zu denjenigen, die verantwortlich sind, die Bindung, macht die eventuelle Inkompetenz der Eltern, was Wissen angeht, im Ergebnis mehr als wett. [...]
Die Weisheit der Erziehung lag immer in der Kultur und nicht bei den Regierungen und wenn die Regierungen zu viel Macht bekommen und wenn die Regierungen stärker in wirtschaftlichen Bezügen denken als die Kultur, dann schadet das dem Gesamtzusammenhang.

Hartmut von Hentig: Abschied von der Paukerschule. Zehn Punkte zum Bildungsgipfel. Frankfurter Rundschau, 10.10.2008. [>> Download]

Fragen dann die Landesregierungen, die Schulgemeinden und Lehrer(Verbände), was sie ihrerseits tun könnten und sollten, muss man [...] sie auffordern, durch Erfahrung und Wissenschaft Wohlbegründetes, schon Bekanntes und Begonnenes geduldig und konsequent zu verwirklichen:
- die Autonomisierung der Schule [...]
- Ganztagsschulen zur Entzerrung der Lern- und Lebensvorgänge in der Schule [...]
- Entschulung des Lernens der 13- bis 15-Jährigen, der „im Prinzip“ alle Schulleute zustimmen, weil in dem Alter das Lernen mit Papier und Bleistift, aus Büchern und Lehrerwort nicht gelingt [...]

Jeannette Otto: Die Angst der Lehrer. Warum es vielen Pädagogen so schwer fällt, mit Kritik umzugehen. DIE ZEIT, 25.9.2008.

"Seit Jahren gibt es eine große Unzufriedenheit unter den Eltern, mit den Unterrichtsmethoden, den Umgangsformen, dem Verhältnis zu den Lehrern", sagt Edda Georgi [von der Elternkammer Hamburg]. "Aber anstatt Kritik zu üben, geben manche Eltern lieber 800 Euro im Monat für Nachhilfe aus."
Was es heißt, wenn sich ein Lehrerkollegium der Beurteilung durch eine unabhängige Schulinspektion stellen muss, hat Edda Georgi am Gymnasium ihrer Tochter vor einiger Zeit selbst erlebt. Der Bericht offenbarte schonungslos viele Schwachstellen, die auch die Elternvertreter seit Langem kritisierten.

Gerald Hüther: Schluss mit der Dressurschule! Süddeutsche Zeitung, 17.9.2008.

Aus neurobiologischer Sicht ist das freie Spiel das beste Training für Kindergehirne überhaupt, für die Entwicklung der Persönlichkeit ist das ganz entscheidend. [...] Es gibt keine Motivation von außen. Wir haben lediglich die Möglichkeit, die Motivation, die ein Kind von vornherein mitbringt, nicht kaputt zu machen. [...] Jedes Kind kommt mit Entdeckerfreude und Gestaltungslust auf die Welt, und es ist kein Naturgesetz, dass es irgendwann die Lust am Lernen verliert. Eine gute Schule erkennt man daran, dass die Kinder morgens gern hingehen und traurig sind, wenn die Ferien beginnen. [...]
Wichtig ist nicht, die Kulturgüter zu überliefern, sondern den Geist anzuzünden, der die Kulturgüter hervorgebracht hat. Dann bekommen wir von ganz allein hervorragende Weltentdecker.

Parvin Sadigh: Oberschichtkinder dürfen aufs Gymnasium. ZEIT online, 11.9.2008.

Unterschichtenkinder wurden im Schnitt mindestens eine Note schlechter bewertet als Oberschichtkinder. Betrachtet man nur die Mädchen, sieht es noch schlimmer aus: 1,4 Notenpunkte beträgt der Unterschied. Migrantenkinder schneiden nur zu 0,2 Prozent - also fast gar nicht - schlechter ab als die anderen Kinder.
Doch selbst bei gleichen Zensuren werden Unterschicht- und Oberschichtkinder mit zweierlei Maß gemessen. Die Soziologen haben die Kinder mit einer Durchschnittsnote 2,0 miteinander verglichen. Jene aus den niedrigsten Bildungs- und Einkommensgruppen bekommen nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent eine Gymnasialempfehlung, während in der höchsten Bildungs- und Einkommensgruppe nahezu alle Kinder aufs Gymnasium wechseln sollen.

MONITOR: Unerträglicher Lernstreß - Warum Schule krank macht. MONITOR, 4.9.2008.

Immer mehr Schulen leiden unter Notenangst und Leistungsstress, doch in Deutschland herrscht ein erheblicher Mangel an Schulpsychologen. [...] Der Redaktion liegt eine noch nicht veröffentlichte Studie des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) vor, nach der in Deutschland ein Schulpsychologe im Durchschnitt für über 16 500 Schüler zuständig ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt eine Obergrenze von 2500 Schülern, für die ein Schulpsychologe bereit stehen sollte. "Wir wissen, dass etwa 20 Prozent der Schüler in Deutschland eine Betreuung bräuchten", erklärt Klaus Seifried vom BDP gegenüber MONITOR. Tatsächlich könnten sich die Schulpsychologen in Deutschland in Großstädten um lediglich 2-3 Prozent und in Flächenstaaten sogar um nur 0,5-1 Prozent  der Schüler kümmern.
Jeder fünfte Schüler zeige inzwischen mittlere bis schwere Auffälligkeiten wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen, aggressives Verhalten, sozialen Rückzug und Kontaktängste. Im internationalen Vergleich ist Deutschland laut Studie bei der Versorgung mit Schulpsychologen europäisches Schlusslicht. So würden in Russland etwa 600 Schüler von einem Schulpsychologen betreut, in Italien seien es sogar weniger als 500.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Bundesrepublik muss Bildungsrepublik werden. Rede vom 12.6.2008.

Wohlstand für alle heißt heute und morgen: Bildung für alle. Unser Land muss sich darauf in allen Bereichen vorbereiten. Ich selbst werde mich auch ganz persönlich dieser Sache annehmen [...] Bund und Länder haben unterschiedliche Zuständigkeiten im Bildungsbereich. Das hat gute Gründe, und das hat sich bewährt. Aber Bund und Länder haben auch eine gemeinsame politische Verantwortung für unser gesamtes Bildungssystem. Die Bürgerinnen und Bürger interessieren sich nämlich nicht für Zuständigkeitsfragen. Sie erwarten, dass die Verantwortlichen gemeinsam dazu beitragen, dass unser Bildungssystem jedem die Chance auf Einstieg und Aufstieg ermöglicht. Genau diese Erwartung will ich erfüllen.

Stephan Lebert u.a.: Verloren in der virtuellen Welt. DIE ZEIT, 12.6.2008.

"Was heute als Deutscharbeit abgegeben wird", sagt Wallmann, "ist mit den Leistungen von vor 20 Jahren gar nicht mehr vergleichbar." Die meisten Kinder hätten kein Gefühl mehr für die Möglichkeiten der Sprache, sie verarmten rhetorisch und in ihren Gedanken. Lesen? Eine Zumutung. [...]
Wallmann tut es schon körperlich weh, wenn er Jugendliche "mit Steckern in den Ohren" träumerisch durch die Straßen ziehen sieht, während ihr Gehirn in einer musikalischen Wohlfühlsoße schwimmt. Erst jetzt, da die Kinder der Gesamtschule "abgestöpselt sind", wie er es ausdrückt, und die Pausen nicht mehr in der Zweisamkeit mit dem iPod verbringen dürften, seien sie überhaupt wieder für Gefühle und Regungen anderer Menschen empfänglich. [...]
Mädchen und Jungs stellen ohne jeden Sinn für Privatheit Fotos und Details ihres Lebens ins Netz, buhlen um nichts mehr als um Beifall und Anerkennung. "Die wichtigste Währung", sagt Abke, "ist die Aufmerksamkeit. Wer die meisten Einträge im Gästebuch hat, fühlt sich am besten."

Autorengruppe: Bildung in Deutschland 2008. Pressemitteilung, 12.6.2008.

Risikolagen von Kindern nehmen zu. In Deutschland lebte 2006 mehr als jedes zehnte Kind unter 18 Jahren in einer Familie, in der kein Elternteil erwerbstätig war. 13% der Kinder wuchsen in Familien auf, in der niemand einen Abschluss des Sekundarbereichs II hatte. Bei über 3,4 Millionen oder 23% der Kinder lag das Einkommen der Familie unter der Armutsgefährdungsgrenze. [...] Angesichts der Tatsache, dass eine Kumulation solcher Risikolagen zu einer deutlichen Verschlechterung der Bildungschancen führt, ist ihr Ansteigen in den letzen Jahren besonders bedenklich.

Wilhelm von Humboldt / Tanjev Schultz: Sehr geehrte Kultusminister! Sueddeutsche.de, 24.5.2008.

Werte Kollegen! Sie haben es zugelassen, dass viele Schulen in Deutschland nur der Verwahrung frustrierter Kinder dienen und so manche Universität in Wahrheit eine mittelmäßige Fachschule ist, die die Studenten auf das Berufsleben trimmt. [...] Stellen Sie sich vor: Sie, die Kultusminister aller 16 Länder, Sie alle treten gemeinsam vor die Presse. Sie halten ein Programm hoch, in dem steht, wie Sie aus den Schulen und Universitäten die glanzvollsten Orte des Landes machen. Und dann präsentieren Sie die Rechnung. Sie bestehen darauf, dass sie beglichen wird. Sonst treten Sie kollektiv zurück. Sie könnten Geschichte schreiben!

Hermann Otto Solms: Schulpolitik durch die Hintertür des Steuerrechts. Welt online, 23.5.2008. [Vizepräsident des Bundestages]

Privatschulkosten sollen nach dem Willen des Finanzministers zukünftig nicht mehr steuerlich absetzbar sein. Der Entwurf zum Jahresteuergesetz 2009, der am 4. Juni im Kabinett beraten wird, setzt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf eigenwillige Weise um: Das Gericht hatte verfügt, dass auch Schulgelder für Privatschulen im EU-Ausland steuermindernd anerkannt werden. Statt dies umzusetzen, will das Finanzministerium die - schon heute auf 30% der tatsächlichen Schulgelder begrenzte - Abzugsfähigkeit ganz kippen. [...]
Wenn es dem Finanzminister wirklich darum ginge Kosten abzuwenden, dann würde er im Gegenteil die Zahl der Schulen in freier Trägerschaft deutlich ausweiten. Wären die staatlich anerkannten Ersatzschulen in öffentlicher Hand, müssten deutsche Steuerzahler rund 870 Millionen Euro mehr ausgeben. [...] Statt Chancengleichheit herzustellen und Bildungsinvestitionen zu ermöglichen, werden den Eltern, die ihr Recht auf freie Wahl der Schule wahrnehmen, weitere Hürden in den Weg gestellt.

Detlef Hardorp: Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern? (9.5.2008).

Indem die öffentliche Hand für Schulen in freier Trägerschaft weniger aufwendet als für öffentliche Schulen, spart sie rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Die Freien Schulen erhielten 2005 im Durchschnitt 3.646 Euro Finanzhilfe pro Schüler und Jahr, wohingegen sich die Schülerkosten an staatlichen Schulen auf durchschnittlich 6.622 Euro beliefen.

Christian Füller: Du lernst nicht allein! taz 7.3.2008. [Autor von: Schlaue Kinder, schlechte Schulen. O o].

Schüler werden nicht gefördert, sondern ausgelesen. Der Schule ist es fremd, nachhängende Schüler so energisch zu fördern, dass sie den Anschluss von Anfang an halten. "Keine Zeit", "kein Personal", heißen die Ausreden, "Sitzenbleiben" und "Abschulen" die Methoden, diese Schüler loszuwerden. Und alle wissen es. [...] In Deutschland besteht eine Schulstruktur fort, die aus dem Kaiserreich stammt. Aus Haupt- und Sonderschulen sind Ghettos der Chancenlosigkeit geworden.

Reinhard Kahl: Turbopolitik und Lehrplanwirtschaft. DIE ZEIT, 7.3.2008.

Die Antwort der Kultusministerkonferenz (KMK) auf die Unruhe in den Schulen und auf den Aufschrei vieler Eltern über das auf acht Jahre verkürzte Turbogymnasium mit dem Stoff von ehemals neun Jahren heißt „flexibilisieren“. Konkret: Es bleibt bei 265 gymnasialen Pflichtstunden im Stundenplan bis zum Abitur, aber künftig dürfen davon fünf Stunden "Wahlunterricht" sein. [...] Es spricht vieles dafür, die Schulzeit im Gymnasium zu verkürzen, wenn man nicht zugleich versucht, den "Stoff" von neun in acht Jahre hinein zu pressen und dann auch noch völlig darauf verzichtet zu beobachten, was dabei passiert. Kultusminister nennen diese versäumte Selbstverständlichkeit sonst gern "Evaluation" und verlangen sie von anderen.

Martin Spiewak: Macht die Schulen stark! [Integration, Sprachförderung] DIE ZEIT, 21.2.2008.

Zugespitzt formuliert heißt die bildungsökonomische Alternative: Leisten wir uns einen Leistungskurs in Latein mit sechs Schülern, oder bezahlen wir für das Geld Sprachförderung in der Brennpunktschule? Bisher ist die Lateinlobby stärker.

Nele Hirsch: Gemeinschaftsschule. Positionspapier der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

DIE LINKE will eine Bildung, die auf das vielseitig entwickelte Individuum zielt, das in der Gemeinschaft grundlegende Bedingungen für seine Entwicklung, aber auch Orientierung für seine Entfaltung findet. [...] Darum will DIE LINKE eine Schule, in der alle Kinder erfolgreich lernen können. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft so groß wie in kaum einem anderen europäischen Staat. [...]
Konservative Bildungspolitik geht immer noch davon aus, dass Menschen nur soviel staatlich finanzierte Bildung zuteil werden soll, wie es für den ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft und die Verwertung auf dem Arbeitsmarkt erforderlich erscheint. [...] Frühzeitige Einordnung in unterschiedliche Bildungsgänge mit unterschiedlichen Abschlusszielen, mangelhafte Förderung [...] und vielerorts schlechte Lehr- und Lernbedingungen haben zur Folge, dass Kinder und Jugendliche die ihnen möglichen Bildungsabschlüsse gar nicht oder erst über Umwege erreichen, sodass ihnen viele Lebenschancen verwehrt bleiben. [...] Die Ausgrenzung eines beträchtlichen Teils von Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben, aus Arbeit, Teilhabe, Kultur belastet mittlerweile auch die sozialen Sicherungssysteme, den Generationenvertrag und den sozialen Frieden in der Gesellschaft.

Reinhard Kahl: Pädagogische Bulimie. DIE ZEIT, 11.2.2008.

Heute entdeckt zum Beispiel das Internetunternehmen Google, dass es der Produktivität nützt, wenn die Mitarbeiter 20 Prozent ihrer Zeit für eigene Projekte zur Verfügung haben. Die beiden Gründer von Google waren übrigens auf einer Montessori-Schule. Mit 20 Prozent Zeit für eigene Projekte würde man Schüler  dazu erziehen, tatsächlich etwas zu wollen und die Schule nicht nach 12 oder 13 Jahren zu verlassen wie Landsknechte eine aufgelöste Armee.

Susanne Gaschke: Kinderarbeit. DIE ZEIT, 7.2.2008 [Über das 8-jährige Gymnasium, "G8"].

"G8" ist eine Ideologie, der Nachmittagsfreizeit und Musikunterricht, Zeit für den Sportverein, für Freunde, fürs Lesen und fürs Nichtstun zu opfern sind. Diese Ideologie heißt "Tempo um jeden Preis" und bedeutet die Unterwerfung der Pädagogik unter sachfremde, ökonomistische Kriterien. Sie passt zum Zeitgeist der vergangenen 15 Jahre, in dem Schlagwörter wie "Konkurrenzkampf", "Wettbewerb" und "Wohlstand" (alles CDU-Leitantrag 2000) einen besseren Klang hatten als vermeintlich verstaubte Begriffe wie "Bildung", "Charakter", "geistige Reife" oder "Urteilsvermögen". (...) 1993 einigten sich bei einem Treffen in Potsdam nicht etwa die Kultus-, sondern die Finanzminister der 16 Länder darauf, den Ministerpräsidenten den bisher radikalsten Vorschlag zu machen: die bundesweite Abschaffung der 13. Klasse als Bestandteil des "Föderalen Konsolidierungsprogramms" zur Finanzierung des Solidarpakts. (...)
Was Eltern jetzt erleben, wenn Zwölfjährige sich müde aus der Schule nach Hause schleppen, ist aber konkret: Sie sehen den Verlust all dessen, was gemeinhin Jugend ausmacht. Die Bundesrepublik ist nicht reich an Beispielen für Reformen, die kassiert wurden, weil sie nichts verbesserten. Aber wenn jemals in einer politischen Einzelfrage eine Umkehr, ein Einsehen bei den politisch Verantwortlichen nötig (und möglich!) war, dann jetzt – manchmal ist der einzige Weg nach vorn ein Schritt zurück.

Arbeitsgemeinschaft "Freie Schulen Berlin": Rot-Rot kündigt Verlässlichkeit. Pressemitteilung vom 3.12.2007.

Es gab mal Politiker wie Peter Strieder, die wenigstens den Mut hatten öffentlich auszusprechen, was sie von den freien Schulen in Berlin halten nämlich gar nichts: "Die freien Schulen sollten froh sein, dass sie überhaupt Geld kriegen; die staatlichen Schulen müssten vor den freien Trägern geschützt werden; "Privatschulen" sollten klein gehalten werden, weil sie ohnehin nur Klientelinteressen bedienen; der hohe Zulauf zu den freien Schulen schwäche die staatlichen Schulen, ziehe die engagierten Eltern ab" – und was sonst noch so an ideologischen Vorurteilen über das zivilgesellschaftliche Engagement im Bereich von Bildung zu hören ist. Da nützt es dann auch nichts, wenn Politiker öffentlich zivilgesellschaftliches Engagement preisen und Krokodilstränen des Bedauerns über den Existenzkampf vergießen, den die freien Schulen seit mehreren Jahren in Berlin kämpfen müssen. Die Sprache des Geldes spricht eine andere Sprache.

Henning Kullack-Ublick: Bügel statt Bildung. Aktion Mündige Schule, 24.11.2007.

Vor anderthalb Jahrhunderten (1864) verlor das Königreich Dänemark beim Deutsch-Dänischen Krieg einen bedeutenden Teil seines Territoriums. Der Krieg hatte das Land bis zum Äußersten strapaziert und es stand vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Wie reagierte König Christian IX? Er verdoppelte die Bildungsausgaben und rechtfertigte dies vor seinem entsetzten Kabinett mit den Worten:
"Arm sind wir schon! Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, haben wir das Recht auf einen eigenen Staat verloren."

Was für ernste Worte! Wie man es viel "chilliger" machen kann, hat uns gerade unsere Schleswig-Holsteinische Landesregierung vorgeführt: [...] Daher soll im Haushalt zwar an den Zuschüssen für die freien Schulen gespart werden, aber die doppelte Summe, nämlich 1,5 Millionen Euro, wurden der Flensburger Brauerei als Zuschuss für die Weiterentwicklung ihres Bügelverschlusses zugesagt.

Renate Allgöwer: Privatschulen können sich wenige leisten. Stuttgarter Zeitung, 18.10.2007.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Jahr 2005 ein Schulgeld von 120 Euro im Monat als zumutbar angesehen. [...] Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Paare mit zwei Kindern mindestens 3600 Euro netto im Monat zur Verfügung haben müssten, wenn sie für beide Kinder das Schulgeld aufbringen wollten. Alleinerziehende müssten mindestens 2600 Euro haben. Damit könnten sich 50 Prozent der Paare und 83 Prozent der Alleinerziehenden keine Privatschule für ihre Kinder leisten. Damit verstoße das Schulgeld gegen das Sonderungsverbot des Grundgesetzes, denn so sei die Schulwahl abhängig von den Finanzen, erklärte Albrecht Hüttig von der Rudolf-Steiner-Schule in Nürtingen. Außerdem würden die der Studie zugrunde gelegten 120 Euro Elternbeiträge nicht einmal ausreichen, um die Existenz der Schulen zu sichern. Im Schnitt nehmen die Privatschulen im Land 140 Euro Schulgeld.

Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin: Bürgerschulen für alle! September 2007.

Wo immer Schulen als staatliche Anstalten betrieben werden, bestimmt die Logik des bürokratischen Handelns das Verhalten der Akteure. So entfremden sich die Schulen dem gesellschaftlichen Umfeld. So wird verhindert, was das Geheimnis des Erfolges ist: eine Praxis von Schule als gemeinsame Angelegenheit der Betroffenen und Beteiligten, der Lehrer und Eltern, der Schüler und der lokalen Gesellschaft. [...] Die generelle Lösung kann nur darin bestehen, die Schulen aus den öffentlichen Organisationsstrukturen herauszulösen. Schulträgerschaften werden über öffentlich- oder privatrechtliche Stiftungen oder über gemeinnützige Organisationsstrukturen geregelt. Die Finanzierung erfolgt über Platzgelder oder über Bildungsgutscheine. So kann ein produktiver Wettbewerb zwischen den Schulen und den Schultypen ins Leben gerufen werden. So werden gute und schlechte Schulen sichtbar. Das real existierende Schulsystem hingegen kennt nur schlechte Schüler, die dann frühzeitig sortiert werden, nicht aber schlechte Schulen und Lehrer.

Gerald Hüther: "So sinnvoll für das Kind wie möglich." Interview in der Hamburger Lehrerzeitung.

Wie müsste Schule fortan organisiert sein?
So wie diejenigen Schulen, die es ja auch hier bei uns vereinzelt gibt, die beim PISA-Test besser abgeschnitten haben als alle anderen und in die die Schüler so gern gehen, dass sie traurig sind, wenn die Ferien beginnen. Wo es solche Schulen gibt, finden Sie unter: www.adz-netzwerk.de.

Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hoffmann und Campe, 2007. o

Neueste neurobiologische Studien zeigen: Entscheidende Voraussetzungen für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden. [...] Bleibt der Bedeutungshunger des Heranwachsenden ungestillt, dann passiert etwas Fatales. Entweder entwickelt das Kind nun eine seelische Symptomatik (zum Beispiel Angst oder depressive Symptome), oder es kommt zu einem Vorgang, den wir derzeit bei einem großen Teil junger Menschen erkennen: Der Körper sucht sich Ersatzreize [...] Wenn Kinder und Jugendliche das Gefühl haben, nicht als Person "gesehen", wahrgenommen, gefordert und gefördert zu werden, und es vermissen, für andere Menschen bedeutsam zu sein, dann kommt es bei ihnen – aus einer unausweichlichen neurobiologischen Logik heraus – zu einem dramatischen Anstieg des Suchtrisikos. (S. 20ff)
Einerseits bildet sich das, was Lehrer und Eltern tun (aber natürlich auch viele andere Erlebnisse), fortlaufend in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen ab. Andererseits registrieren diese, wie sie ihrerseits in den Köpfen ihrer Eltern, ihrer Lehrer und sonstiger Bezugspersonen wahrgenommen werden, wie sie sich also in deren Spiegelsystemen abbilden [vgl. die Forschungen zu "Spiegelneuronen" in den letzten Jahren]. An der Art und Weise, wie sie von ihren Eltern und Lehrern wahrgenommen werden, erkennen Kinder und Jugendliche nicht nur, wer sie selbst sind, sondern vor allem auch, wer sie sein könnten, das heißt, worin ihre Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. (S. 26f)
Der Mangel, den wir zu beklagen haben, ist nicht die Erosion von Disziplin und nicht die Missachtung sozialer Regeln, sondern die Tatsache, dass es zu viele Kinder gibt, mit denen diese Regeln nicht gemeinsam gelebt wurden und werden. [...] Ein Dialog mit der Jugend über Werte muss damit beginnen, dass wir uns befragen, ob unser Land jenseits dessen, was wir funktionierende Wirtschaft nennen, überhaupt noch Werte hat. (S. 141)

Gordon Neufeld: Wider den Frust. Die Welt, 10.2.2007. [Entwicklungspsychologe, Autor des Bestsellers "Unsere Kinder brauchen uns!"].

Niemand denkt aber daran, dass der Schlüssel zur Erziehung nicht darin liegt, was wir tun, sondern wer wir für unsere Kinder sind. Wir sehen nicht, dass es um Beziehung geht, sondern sind besessen davon, alles richtig zu machen. [...] Lehrer sollten sich nicht länger nur auf ihren Fachunterricht beschränken, sondern auf Fluren, Pausenhöfen und bei Mittagstischen stärker präsent sein, um in echte Beziehung zu ihren Schülern treten zu können.  Kindergärtnerinnen könnten Hausbesuche machen, um dem Kind zu zeigen: Ich interessiere mich für Dich. [...] Wir denken immer, in der Adoleszenz gehe es darum, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Das stimmt auch, aber diese Individualität kann nur aus dem Schoß einer stabilen Bindung an fürsorgliche Erwachsene heraus geboren werden. [...] Es ist auch wichtig, daran zu denken, dass wir nur dann, wenn uns das Herz unserer Teenager gehört, wirksame Erziehungsarbeit leisten können.

Uwe Schaarschmidt: Die Ausgebrannten. Die Zeit, 14.12.2006, Interview mit Martin Spiewak. [Professor für Psychologie an der Universität Potsdam, 2006 emeritiert, Autor der größten Studie zur Lehrergesundheit in Deutschland. "Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern", Beltz, 2005]

Wir finden vier Muster beruflichen Verhaltens und Erlebens. Das erste steht für psychische Gesundheit: hohes, aber nicht überzogenes Engagement, Widerstandskraft gegenüber Alltagsbelastungen – und Zufriedenheit. Ein weiteres, bei Lehrern selteneres Muster ist die Schonungshaltung. Und dann gibt es zwei Risikomuster: erstens die Tendenz, sich über alle Maßen zu verausgaben, und zweitens den Rückzug in die Resignation – das problematischste Muster. [...] Nur ganze 17 Prozent sind dem erstgenannten "gesunden" Muster zuzurechnen. Doch jeweils 30 Prozent der Lehrer gehören zu einer der beiden Risikogruppen. [...] Bei anderen Berufsgruppen, die ebenfalls psychosozialen Beanspruchungen ausgesetzt sind, wie Pflegekräften, Polizisten oder Ärzten finden wir nicht eine annähernd so hohe Zahl von Personen mit Risikomustern. Dabei ist das häufige Vorkommen von Resignation besonders bedenklich, denn Lehrer sollten doch ihre Schüler motivieren und mitreißen können. Das ist jedoch unmöglich, wenn sie ihre verbliebene Kraft nur dazu aufwenden, irgendwie über die Runden zu kommen. [...]
Neben zu großen Klassen und zu hohen Stundenzahlen nennen Lehrer "schwierige Schüler" als größte Belastung. Sie sehen sich mehr als früher mit geringer Lernbereitschaft und destruktivem Schülerverhalten konfrontiert und fühlen sich mit diesen Problemen allein gelassen. [...] Eine gute Zusammenarbeit im Kollegium verleiht Lehrern das Gefühl, mit ihren Problemen nicht allein zu stehen, und gibt ihnen Halt und Anerkennung. [...] Viele Lehrer haben Angst, ihren Unterricht zu öffnen und sich anderen anzuvertrauen, wenn es schlecht läuft. Hier ist ein partnerschaftliches Verhalten der Schulleitung gefragt. Doch so verstandene Personalführung und Teamentwicklung ist leider nicht die Norm. [...]
[Wie kann die Politik die Gesundheit der Lehrer fördern?]
Indem sie ihnen zum Beispiel mehr Möglichkeiten für selbstbestimmtes professionelles Handeln einräumt. Der Schulalltag ist in ein Korsett von Reglementierungen und Bevormundungen geschnürt, wie sie in anderen akademischen Berufen kaum vorstellbar sind. Diese Art der Fremdbestimmung macht es Lehrern schwer, auch längerfristig Ziele zu setzen und zu verfolgen – eine wesentliche Bedingung psychischer Gesundheit im Berufsleben.

Matthias Kamann: Verachtung der Lehrer. Die Welt, 2.12.2006.

Zu wenig beachtet, ja, gering geschätzt wird zum andern der pädagogische Kern der Schule. Hierzu gehört, dass der Respekt gegenüber Lehrern dramatisch gesunken ist. [...] Verächtlichkeit schlägt Lehrern auch aus den Kultusbürokratien entgegen, die seit Pisa immer neue Evaluierungen und Kompetenzstandards produzieren, welche oft nur dazu dienen, bei der nächsten Vergleichsstudie dem Schema der OECD-Forscher besser gerecht zu werden. [...] Nicht als Erziehungstechniker, sondern nur als gebildete, lebenskluge Persönlichkeiten können Lehrer Kinder überzeugen.

Christian Pfeiffer: Schule erzeugt Verlierer. Tagesspiegel, 22.11.2006. [Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen]

Die Nachmittagsgestaltung der Schulen müsste unter der Überschrift "Lust auf Leben wecken" stehen.

Jörg Lau: Spiel ohne Grenzen. DIE ZEIT, 2.11.2006.

Ein paar Szenen aus derzeit in Deutschland sehr verbreiteten Computerspielen: Du schleichst dich von hinten an die Frau heran, greifst sie dir und ziehst das Messer durch die Kehle. Es macht ein schmatzendes Geräusch, sie fällt vornüber. [...]
Bei den Viertklässlern gibt es eine genau bezifferbare Beziehung zwischen Computerspielnutzung und Schulnoten in Deutsch, Sachkunde und Mathematik: Wer eine eigene Konsole im Zimmer hat, liegt in diesen Fächern eine halbe Note unter dem Durchschnitt.

Fördern und Fordern – eine Herausforderung für Bildungspolitik, Eltern, Schule und Lehrkräfte. Gemeinsame Erklärung der Bildungs- und Lehrergewerkschaften und der Kultusministerkonferenz vom 19.10.2006.

Es gilt eine Entwicklung zu befördern, die es den Lehrkräften ermöglicht, sich stärker auf den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin zu konzentrieren. [...] Interne und externe Evaluation sollen als Instrumente schulischer Qualitätsentwicklung wie auch als Instrumente individueller Förderung verstanden werden. [...]
Im Zentrum dieser qualitativen Schulentwicklung steht die Verwirklichung einer neuen Lehr- und Lernkultur. Sie geht von den Interessen und Stärken der Lernenden aus, analysiert aber auch deren Schwächen und entwickelt vor allem geeignete Fördermaßnahmen zur Leistungssteigerung mit Blick auf den jeweiligen individuellen Lernprozess. [...] Durch die systematische Stärkung der einzelnen Schule wird die neue Lehr- und Lernkultur zusätzlich mit Leben erfüllt [...] Die zunehmend eigenverantwortlich agierende Schule orientiert sich an länderübergreifenden Bildungsstandards und gibt den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern bzw. in den beruflichen Schulen den Betrieben systematisch Rückmeldungen und Handlungsempfehlungen für die Leistungsverbesserung der Schülerinnen und Schüler. [...]
Die Anerkennung von Bildung als hohes gesellschaftliches Gut erfordert ausreichende Investitionen in allen Bereichen des Bildungssystems. Deutschland muss hier wieder eine führende Position im internationalen Vergleich einnehmen und seine Anstrengungen zur Finanzierung der gewachsenen Bildungsanforderungen trotz schwieriger Kassenlage in den Ländern fortsetzen.

Bundespräsident Horst Köhler: Bildung für alle. Berliner Rede vom 21.9.2006, gehalten in der Kepler-Oberschule in Berlin-Neukölln.

Im vergangenen Jahr erreichten in Deutschland 80.000 Jungen und Mädchen keinen Schulabschluss. Es fehlen Ausbildungsplätze - in diesem Herbst wahrscheinlich 30.000. [...] Wir hören von Schulen, in denen Gleichgültigkeit, Disziplinlosigkeit, ja Gewalt den Alltag bestimmen. Auch dadurch verliert unser Land intellektuell und sozial jedes Jahr einen Teil seiner jungen Generation. Und: Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat im Vergleich zu dem Kind eines Akademikerpaares nur ein Viertel der Chancen, aufs Gymnasium zu kommen. [...]
Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche. Konzentrieren wir uns auf Bildung. Deutschland steht nicht zum ersten Mal vor einer solchen Herausforderung. Vor 200 Jahren half Wilhelm von Humboldt, sein Land - Preußen - aus Rückständigkeit und Unfreiheit zu führen. Er entwickelte ein neues Bildungsideal, er weckte Begeisterung dafür und er entwarf ein Bildungswesen auf der Höhe der Zeit. [...]
Gute Bildung stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Diese Erkenntnis finden wir bei Humboldt und Kant, bei Goethe und Pestalozzi. [...] Gute Bildung geht nicht in erster Linie von gesellschaftlichen Bedürfnissen oder den Anforderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes aus. Zuallererst hilft gute Bildung uns, das zu entwickeln, was in jedem einzelnen von uns steckt; was uns von Gott gegeben ist. [...] Bildung bedeutet nicht nur Wissen und Qualifikation, sondern auch Orientierung und Urteilskraft. [...] Bildung hilft, die Welt und sich selbst darin kennen zu lernen. Aus dem Wissen um das Eigene kann der Respekt für das Andere, das Fremde wachsen. Und sich im Nächsten selbst erkennen, heißt auch: fähig sein zu Empathie und Solidarität. Bildung ohne Herzensbildung ist keine Bildung. Erst wenn Wissen und Wertebewusstsein zusammenkommen, erst dann ist der Mensch fähig, verantwortungsbewusst zu handeln. Und das ist vielleicht das höchste Ziel von Bildung. [...] Wo die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, da kann es nicht gleichgültig sein, in welcher geistigen Verfassung sich das Volk befindet. [...]
Schulen müssen die Lebensbedingungen ihrer Schüler in den Blick nehmen können - und die sind von Stadtteil zu Stadtteil, von Region zu Region unterschiedlich. Darum brauchen die Schulen nicht nur Lehrpläne, Stellen- und Budgetpläne, sondern sie benötigen innerhalb dieser Pläne auch Freiheit für eigene Gestaltungsideen. [...] Für all das brauchen Schulen aber auch Ruhe. Ihre Kraft darf nicht durch ständig neue bildungspolitische Vorgaben ermüdet werden. [...]
Der Lehrerberuf verlangt solides Fachwissen - er verlangt aber auch Liebe zu Kindern und die Überzeugung, dass in jedem einzelnen Schüler etwas Besonderes steckt. Lehrerinnen und Lehrer arbeiten oft unter schwierigen Voraussetzungen. In manchen Schulen ist es für sie nahezu unmöglich, ihre Aufgabe zu erfüllen, weil in den Elternhäusern und im sozialen Umfeld der Schüler schon so viel versäumt wurde. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die nicht aufgeben, die darauf brennen, jungen Menschen etwas beizubringen - das sind für mich Helden des Alltags. Wir alle kennen Lehrer, die ihre Schüler im Unterricht begeistern können. Wir alle kennen Pädagogen, für die der Einsatz für ihre Schüler nicht nach dem letzten Klingelzeichen endet. Wir wissen, wie viele Schulleiter sich bemühen, ihre Schule nach vorn zu bringen. Ihnen allen danke ich ganz, ganz herzlich! [...]
Wenn es um Bildung geht, muss auch über Geld gesprochen werden. Das war übrigens schon zu Humboldts Zeiten so. Seine Heimat, Preußen, war damals von Napoleon besiegt, war halbiert und finanziell ausgeblutet. Aber Preußen und später ganz Deutschland wurde ein "Schulstaat" - gegen alle Widerstände von Eltern, die glaubten, das Leben sei ihren Kindern Lehrmeister genug; gegen den Widerstand der Städte und Gemeinden, denen ganzjährige statt der bisherigen "Winterschulen" zu teuer waren; gegen den Widerstand von Unternehmern, die von Kinderarbeit profitierten. [...] Und was ist uns heute Bildung wert? Nur jeder zehnte Euro, den die öffentliche Hand in Deutschland ausgibt, fließt ins Bildungssystem. Bei den Ausgaben für die allgemeinbildenden Schulen liegen wir deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder, und der Abstand hat über die letzten Jahre zugenommen. [...] Wer an der Bildung spart, spart an der falschen Stelle. "Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die teurer ist als Bildung - keine Bildung." (John F. Kennedy).

Hartmut von Hentig: Die Lust an der Welt. DIE ZEIT, 28.5.2003.

Von allem, was uns das Buch lehrt, ist dies vielleicht die akuteste Lektion – die eigentliche Antwort auf Timss und Pisa und Iglu: Es zeigt, wie lustvoll und natürlich man das Wahrnehmen, Denken, Aneignen mit Kindern üben kann, ohne die Tätigkeiten und Interessen nun schon der Vierjährigen zu "verschulen". Dass deutsche Schüler ungern lernen, ist der Grund dafür, dass sie zu wenig lernen. Den besorgten Pädagogen und Bildungspolitikern hat das schlechte Abschneiden der deutschen Schule in den internationalen Untersuchungen zu "basalen" Schulleistungen nahe gelegt, Frühlesen, Frühschreiben, Frührechnen "einzuführen". Das wird man auch – unterstützt von beunruhigten Eltern – und ahnt nicht, wie heikel das ist, nicht zuletzt, weil es ja widerstandslos "geht" und man die schädlichen Folgen nicht gleich sieht.
[...]
Unsere Republik wird eher an Rücksichtslosigkeit, Besitzstandswahrung, Erfolgsstreben zugrunde gehen als an fehlenden "Bildungsstandards" und an der mittelmäßigen Platzierung im OECD-Vergleich. Vor allem aber: Nur wer sich aufgehoben fühlt, ist auch frei zu lernen.

Peter Paulig: Die Staatsschule ein Fall fürs Pflegeheim. Aus: H. und J. Bussmann (Hg.): Unser Kind geht auf die Waldorfschule. rororo, 1998, S. 28f. [Peter Paulig war seit 1984 viele Jahre Vorsitzender der Aktion Humane Schule e.V.]

Die verwaltete Staatsschule deformiert auch die Engagiertesten. Sie ist eine Art Transformator, in dem Kräfte wirken, die schon nach kurzer Zeit aus lebendigen Originalen kümmerliche Kopien machen. Und bei vielen dieser Kopien hat man den Eindruck, daß sie - und das ist das Ergebnis dieser Anpassung auf Rezept! - sich selbst die Ohren verstopfen, die Augen zukleben und die Herzen zum Schweigen bringen. Mit anderen Worten: Da gibt es Lehrer, Schulleiter und Schulverwaltungsbeamte, die eine Doppelexistenz führen. Offiziell identifizieren sie sich auch mit pädagogisch unsinnigsten Vorschriften und handeln danach, aber im Gespräch unter vier Augen zögern sie nicht, das von ihnen offiziell Sanktionierte als puren Unsinn zu qualifizieren.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Erziehung und Bildung als öffentliche Aufgabe", Rede am 21.3.1988, zit. nach Paulig, a.a.O.

Die Bürokratie darf die Initiative des Erziehers nicht lähmen. Zur öffentlichen Verantwortung der Pädagogen gehört ihre Freiheit.

Werner Remmers: Wider die Überverwaltung in der Erziehung. In "Zeitschrift für Pädagogik", 1981, S. 22, zit. nach Paulig, a.a.O. [W. Remmers war 1976-82 Kultusminister in Niedersachsen].

Zornig aber kann und muß man werden über die Bürokratisierung des Schulwesens, die heute alles beherrscht ... Wir kommen aus der pädagogisch tödlichen Regelungsflut nur wieder heraus, wenn der einzelnen Schule einschließlich ihres örtlichen Umfeldes eine erlaßfreie Selbständigkeit – innerhalb einiger weniger Rahmenbedingungen – wiedergegeben und zugemutet wird.

Franz Pöggeler: Der pädagogische Fortschritt und die verwaltete Schule. Freiburg 1960, S. 8, zit. nach Paulig, a.a.O.

Es hat den Anschein, als habe sich der Staat (auch in der Demokratie) gerade im Schulwesen ein letztes Reservat absolutistischer Gebarung erhalten, was ihm – unter den Auspizien freiheitlicher Demokratie – etwa in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst usw. heute völlig unmöglich wäre.

Zur Frage der Finanzierung

Hermann Otto Solms: Schulpolitik durch die Hintertür des Steuerrechts. Welt online, 23.5.2008. [Vizepräsident des Bundestages]

Privatschulkosten sollen nach dem Willen des Finanzministers zukünftig nicht mehr steuerlich absetzbar sein. Der Entwurf zum Jahresteuergesetz 2009, der am 4. Juni im Kabinett beraten wird, setzt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf eigenwillige Weise um: Das Gericht hatte verfügt, dass auch Schulgelder für Privatschulen im EU-Ausland steuermindernd anerkannt werden. Statt dies umzusetzen, will das Finanzministerium die - schon heute auf 30% der tatsächlichen Schulgelder begrenzte - Abzugsfähigkeit ganz kippen. [...]
Wenn es dem Finanzminister wirklich darum ginge Kosten abzuwenden, dann würde er im Gegenteil die Zahl der Schulen in freier Trägerschaft deutlich ausweiten. Wären die staatlich anerkannten Ersatzschulen in öffentlicher Hand, müssten deutsche Steuerzahler rund 870 Millionen Euro mehr ausgeben. [...] Statt Chancengleichheit herzustellen und Bildungsinvestitionen zu ermöglichen, werden den Eltern, die ihr Recht auf freie Wahl der Schule wahrnehmen, weitere Hürden in den Weg gestellt.

Detlef Hardorp: Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern? (9.5.2008).

Indem die öffentliche Hand für Schulen in freier Trägerschaft weniger aufwendet als für öffentliche Schulen, spart sie rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Die Freien Schulen erhielten 2005 im Durchschnitt 3.646 Euro Finanzhilfe pro Schüler und Jahr, wohingegen sich die Schülerkosten an staatlichen Schulen auf durchschnittlich 6.622 Euro beliefen.

Arbeitsgemeinschaft "Freie Schulen Berlin": Rot-Rot kündigt Verlässlichkeit. Pressemitteilung vom 3.12.2007.

Es gab mal Politiker wie Peter Strieder, die wenigstens den Mut hatten öffentlich auszusprechen, was sie von den freien Schulen in Berlin halten nämlich gar nichts: "Die freien Schulen sollten froh sein, dass sie überhaupt Geld kriegen; die staatlichen Schulen müssten vor den freien Trägern geschützt werden; "Privatschulen" sollten klein gehalten werden, weil sie ohnehin nur Klientelinteressen bedienen; der hohe Zulauf zu den freien Schulen schwäche die staatlichen Schulen, ziehe die engagierten Eltern ab" – und was sonst noch so an ideologischen Vorurteilen über das zivilgesellschaftliche Engagement im Bereich von Bildung zu hören ist. Da nützt es dann auch nichts, wenn Politiker öffentlich zivilgesellschaftliches Engagement preisen und Krokodilstränen des Bedauerns über den Existenzkampf vergießen, den die freien Schulen seit mehreren Jahren in Berlin kämpfen müssen. Die Sprache des Geldes spricht eine andere Sprache.

Henning Kullack-Ublick: Bügel statt Bildung. Aktion Mündige Schule, 24.11.2007.

Vor anderthalb Jahrhunderten (1864) verlor das Königreich Dänemark beim Deutsch-Dänischen Krieg einen bedeutenden Teil seines Territoriums. Der Krieg hatte das Land bis zum Äußersten strapaziert und es stand vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Wie reagierte König Christian IX? Er verdoppelte die Bildungsausgaben und rechtfertigte dies vor seinem entsetzten Kabinett mit den Worten:
"Arm sind wir schon! Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, haben wir das Recht auf einen eigenen Staat verloren."

Was für ernste Worte! Wie man es viel "chilliger" machen kann, hat uns gerade unsere Schleswig-Holsteinische Landesregierung vorgeführt: [...] Daher soll im Haushalt zwar an den Zuschüssen für die freien Schulen gespart werden, aber die doppelte Summe, nämlich 1,5 Millionen Euro, wurden der Flensburger Brauerei als Zuschuss für die Weiterentwicklung ihres Bügelverschlusses zugesagt.

Renate Allgöwer: Privatschulen können sich wenige leisten. Stuttgarter Zeitung, 18.10.2007.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Jahr 2005 ein Schulgeld von 120 Euro im Monat als zumutbar angesehen. [...] Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Paare mit zwei Kindern mindestens 3600 Euro netto im Monat zur Verfügung haben müssten, wenn sie für beide Kinder das Schulgeld aufbringen wollten. Alleinerziehende müssten mindestens 2600 Euro haben. Damit könnten sich 50 Prozent der Paare und 83 Prozent der Alleinerziehenden keine Privatschule für ihre Kinder leisten. Damit verstoße das Schulgeld gegen das Sonderungsverbot des Grundgesetzes, denn so sei die Schulwahl abhängig von den Finanzen, erklärte Albrecht Hüttig von der Rudolf-Steiner-Schule in Nürtingen. Außerdem würden die der Studie zugrunde gelegten 120 Euro Elternbeiträge nicht einmal ausreichen, um die Existenz der Schulen zu sichern. Im Schnitt nehmen die Privatschulen im Land 140 Euro Schulgeld.

- www.100-prozent-waldorf.de: 100% Schule braucht 100% Zuschuss. 1.9.2007.

Wussten Sie, dass die schleswig-holsteinischen Waldorfschulen ihren Betrieb trotz Rücknahme der Zuschusskürzung auch heute nur noch aufrechterhalten können, weil ihre Lehrerinnen und Lehrer im Schnitt 20-30 Prozent weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen an den staatlichen Schulen? Was die Große Koalition im Zuge der Mindestlohndebatte auf Bundesebene als "sittenwidrig" brandmarkt, ist in Schleswig-Holstein Politik!