das reine Denken
Vom Geist-Erleben in Rudolf Steiners „Lebensgang“
Zitate aus: Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, GA 28. | Hervorhebungen (fett) H.N.
Das Leben im Denken erschien mir allmählich als der in den physischen Menschen hereinstrahlende Abglanz dessen, was die Seele in der geistigen Welt erlebt. Gedanken-Erleben war mir das Dasein in einer Wirklichkeit, an die als an einer durch und durch erlebten sich kein Zweifel heranwagen konnte. Die Welt der Sinne erschien mir nicht so erlebbar. Sie ist da; aber man ergreift sie nicht wie den Gedanken. Es kann in ihr oder hinter ihr ein wesenhaftes Unbekanntes stecken. Aber der Mensch ist in sie hineingestellt. Da entstand die Frage: ist denn diese Welt eine volle Wirklichkeit? Wenn der Mensch an ihr aus seinem Innern die Gedanken webt, die dann Licht in diese Sinnenwelt bringen, bringt er dann auch tatsächlich etwas ihr Fremdes zu ihr hinzu? Das stimmt doch gar nicht zu dem Erlebnis, das man hat, wenn die Sinnenwelt vor dem Menschen steht, und er mit seinen Gedanken in sie einbricht. Dann erweisen sich doch die Gedanken als dasjenige, durch das die Sinnenwelt sich ausspricht. Die weitere Verfolgung dieses Nachsinnens war dazumal ein wichtiger Teil meines inneren Lebens.
GA 28, S. 62.
Eine starke Anregung erhielt ich durch das Lesen von Schillers „Briefen über ästhetische Erziehung des Menschen“. Der Hinweis darauf, daß das menschliche Bewußtsein zwischen verschiedenen Zuständen gleichsam hin und her schwinge, bot eine Anknüpfung an das Bild, das ich mir von dem inneren Wirken und Weben der menschlichen Seele gemacht hatte. Schiller unterscheidet zwei Bewußtseinszustände, in denen der Mensch sein Verhältnis zur Welt entwickelt. Überläßt er sich dem, was in ihm sinnlich wirkt, so lebt er unter der Nötigung der Natur. Die Sinne und die Triebe bestimmen sein Leben. Stellt er sich unter die logische Gesetzmäßigkeit der Vernunft, so lebt er in einer geistigen Notwendigkeit. Aber er kann einen mittleren Bewußtseinszustand in sich entwickeln. Er kann die „ästhetische Stimmung“ ausbilden, die weder einseitig an die Naturnötigung, noch an die Vernunftnotwendigkeit hingegeben ist. In dieser ästhetischen Stimmung lebt die Seele durch die Sinne; aber sie trägt in die sinnliche Anschauung und in das von der Sinnlichkeit angeregte Handeln ein Geistiges hinein. Man nimmt mit den Sinnen wahr, aber so, als ob das Geistige in die Sinne eingeströmt wäre. Man überläßt sich im Handeln dem Wohlgefallen des unmittelbaren Begehrens, aber man hat dieses Begehren so veredelt, daß ihm das Gute gefällt, das Schlechte mißfällt Die Vernunft ist da eine innige Verbindung mit der Sinnlichkeit eingegangen. Das Gute wird zum Instinkt; der Instinkt darf sich selbst die Richtung geben, weil er in sich den Charakter der Geistigkeit angenommen hat. Schiller sieht in diesem Bewußtseinszustand diejenige Seelenverfassung, durch die der Mensch die Werke der Schönheit erleben und hervorbringen kann. In der Entwickelung dieses Zustandes findet er das Aufleben des wahren Menschenwesens im Menschen.
Mich zogen diese Schiller'schen Gedankengänge an. Sie sprachen davon, daß man das Bewußtsein erst in einer bestimmten Verfassung haben müsse, um ein Verhältnis zu den Erscheinungen der Welt zu gewinnen, das der Wesenheit des Menschen entspricht. Mir war damit etwas gegeben, das die Fragen, die sich für mich aus Naturbetrachtung und Geist-Erleben stellten, zu einer größeren Deutlichkeit brachte. Schiller hat von dem Bewußtseinszustand gesprochen, der da sein muß, um die Schönheit der Welt zu erleben. Konnte man nicht auch an einen solchen Bewußtseinszustand denken, der die Wahrheit im Wesen der Dinge vermittelt? Wenn das berechtigt ist, dann kann man nicht in Kantscher Art das zunächst gegebene menschliche Bewußtsein betrachten und untersuchen, ob dieses an das wahre Wesen der Dinge herankommen könne. Sondern man mußte erst den Bewußtseinszustand erforschen, durch den der Mensch sich in ein solches Verhältnis zur Welt setzt, daß ihm die Dinge und Tatsachen ihr Wesen enthüllen.
Und ich glaubte, zu erkennen, daß ein solcher Bewußtseinszustand bis zu einem gewissen Grade erreicht sei, wenn der Mensch nicht nur Gedanken habe, die äußere Dinge und Vorgänge abbilden, sondern solche, die er als Gedanken selbst erlebt. Dieses Leben in Gedanken offenbarte sich mir als ein ganz anderes als das ist, in dem man das gewöhnliche Dasein und auch die gewöhnliche wissenschaftliche Forschung verbringt. Geht man immer weiter in dem Gedanken-Erleben, so findet man, daß diesem Erleben die geistige Wirklichkeit entgegenkommt. Man nimmt den Seelenweg zu dem Geiste hin. Aber man gelangt auf diesem inneren Seelenwege zu einer geistigen Wirklichkeit, die man dann auch im Innern der Natur wiederfindet. Man erringt eine tiefere Naturerkenntnis, indem man sich der Natur dann gegenüberstellt, wenn man im lebendigen Gedanken die Wirklichkeit des Geistes geschaut hat.
Mir wurde immer klarer, wie durch das Hinwegschreiten über die gewöhnlichen abstrakten Gedanken zu denjenigen geistigen Schauungen, die aber doch die Besonnenheit und Helligkeit des Gedankens sich bewahren, der Mensch sich in eine Wirklichkeit einlebt, von der ihn das gewöhnliche Bewußtsein entfernt. Dieses hat die Lebendigkeit der Sinneswahrnehmung auf der einen Seite, die Abstraktheit des Gedanken-Bildens auf der andern. Die geistige Schauung nimmt den Geist wahr wie die Sinne die Natur; aber sie steht mit dem Denken der geistigen Wahrnehmung nicht ferne wie das gewöhnliche Bewußtsein mit seinem Denken der Sinneswahrnehmung, sondern sie denkt, indem sie das Geistige erlebt, und sie erlebt, indem sie die erwachte Geistigkeit im Menschen zum Denken bringt.
GA 28, S. 69ff.
Aber mir zeigte sich der Weg, den der wahre Künstler in seinem Schaffen geht, als ein Weg zum wirklichen Geiste. Er geht aus von dem, was sinnlich wahrnehmbar ist; aber er gestaltet dieses um. Bei dieser Umgestaltung läßt er sich nicht von einem bloß subjektiven Drang leiten, sondern er sucht dem sinnlich Erscheinenden eine Form zu geben, die es so zeigt, als ob das Geistige selbst da stehe. Nicht die Erscheinung der Idee in der Sinnenform ist das Schöne, so sagte ich mir, sondern die Darstellung des Sinnlichen in der Form des Geistes. So erblickte ich in dem Dasein der Kunst ein Hereinstellen der Geist-Welt in die sinnliche. Der wahre Künstler bekennt sich mehr oder weniger unbewußt zum Geiste. Und es bedarf nur – so sagte ich mir damals immer wieder – der Umwandlung derjenigen Seelenkräfte, die im Künstler an dem sinnlichen Stoffe wirken, zu einem sinnenfreien, rein geistigen Anschauen, um in die Erkenntnis der geistigen Welt einzudringen.
Es gliederten sich mir dazumal die wahre Erkenntnis, die Erscheinung des Geistigen in der Kunst und das sittliche Wollen im Menschen zu einem Ganzen zusammen. In der menschlichen Persönlichkeit mußte ich einen Mittelpunkt sehen, in dem diese ganz unmittelbar mit dem ursprünglichsten Wesen der Welt zusammenhängt. Aus diesem Mittelpunkt heraus quillt das Wollen. Und wirkt in dem Mittelpunkt das klare Licht des Geistes, so wird das Wollen frei. Der Mensch handelt dann in Übereinstimmung mit der Geistigkeit der Welt, die nicht aus einer Notwendigkeit, sondern nur in der Verwirklichung des eigenen Wesens schöpferisch wird. In diesem Mittelpunkte des Menschen werden nicht aus dunklen Antrieben heraus, sondern aus „moralischen Intuitionen“ Tatenziele geboren, aus Intuitionen, die in sich so durchsichtig sind wie die durchsichtigsten Gedanken. So wollte ich durch das Anschauen des freien Wollens den Geist finden, durch den der Mensch als Individualität in der Welt ist. Durch die Empfindung des wahren Schönen wollte ich den Geist schauen, der durch den Menschen wirkt, wenn er im Sinnlichen sich so betätigt, daß er sein eigenes Wesen nicht bloß geistig als freie Tat darstellt, sondern so, daß dieses sein Geisteswesen hinausfließt in die Welt, die zwar aus dem Geiste ist, aber diesen nicht unmittelbar offenbart. Durch die Anschauung des Wahren wollte ich den Geist erleben, der sich in seinem eigenen Wesen offenbart, dessen geistiger Abglanz die sittliche Tat ist, und zu dem das künstlerische Schaffen durch das Gestalten einer sinnlichen Form hinstrebt.
Eine „Philosophie der Freiheit“, eine Lebensansicht von der geistdurstenden, in Schönheit strebenden Sinneswelt, eine geistige Anschauung der lebendigen Wahrheitswelt schwebte vor meiner Seele.
GA 28, S. 142f.
Mir war während meines Weimarer Aufenthaltes die Frage immer entschiedener aufgetaucht: wie soll man auf den Erkenntnisgrundlagen, die Goethe gelegt hat, weiterbauen, um von seiner Anschauungsart aus denkend zu derjenigen hinüberzuleiten, die geistige Erfahrung, wie sie sich mir ergeben hatte, in sich aufnehmen kann?
Goethe ging von dem aus, was die niederen Stufen des Erkennens, die der „Nutzenden“ und der „Wißbegierigen“ erreichen. Dem ließ er in seiner Seele entgegenleuchten das, was in den „Anschauenden“ und „Umfassenden“ dem Inhalt der niedern Erkenntnisstufe durch produktive Seelenkräfte entgegenleuchten kann. Wenn er so mit dem niederen Wissen in der Seele in dem Lichte des höheren Anschauens und Umfassens stand, so fühlte er sich mit dem Wesen der Dinge vereinigt.
Das erkennende Erleben im Geiste ist damit allerdings noch nicht gegeben; aber der Weg dazu ist von der einen Seite her vorgezeichnet, von derjenigen, die sich aus dem Verhältnis des Menschen zur Außenwelt ergibt. Vor meiner Seele stand, daß erst im Erfassen der anderen Seite, die sich aus dem Verhältnis des Menschen zu sich selbst ergibt, Befriedigung kommen könne.
Wenn das Bewußtsein produktiv wird, also von sich aus zu den nächsten Bildern der Wirklichkeit etwas hinzubringt: kann es da noch in einer Wirklichkeit bleiben, oder entschwebt es dieser, um in dem Unwirklichen sich zu verlieren? Was in dem vom Bewußtsein „Produzierten“ diesem gegenübersteht, das mußte durchschaut werden. Eine Verständigung des menschlichen Bewußtseins mit sich selbst müsse zuerst bewirkt werden; dann könne man die Rechtfertigung des rein geistig Erlebten finden.
GA 28, S. 152f.
Ich sprach mich in den Schriften und Aufsätzen, die ich damals veröffentlichte, stets so aus, daß die menschliche Seele in der Betätigung eines Denkens, das sie nicht aus der Sinneswelt schöpft, sondern in freier, über die Sinneswahrnehmung hinausgehender Tätigkeit entfaltet, als eine wahre Wirklichkeit erscheint. Dieses „sinnlichkeitsfreie“ Denken stellte ich als dasjenige hin, mit dem die Seele in dem geistigen Wesen der Welt darinnen steht.
Aber ich machte auch scharf geltend, daß der Mensch, indem er in diesem sinnlichkeitsfreien Denken lebt, auch wirklich sich bewußt in den geistigen Urgründen des Daseins befinde. Das Reden von Erkenntnisgrenzen hatte für mich keinen Sinn. Erkennen war mir das Wiederfinden der durch die Seele erlebten Geistes-Inhalte in der wahrgenommenen Welt. Wenn jemand von Erkenntnisgrenzen sprach, so sah ich darinnen das Zugeständnis, daß er die wahre Wirklichkeit nicht geistig in sich erleben und sie deshalb auch in der wahrgenommenen Welt nicht wiederfinden könne. [...]
Der Sinn meiner Darstellungen war damals dieser: Der Mensch tritt, indem er sich im Erdendasein von der Geburt an weiter entwickelt, der Welt erkennend gegenüber. Er gelangt zuerst zur sinnlichen Anschauung. Aber diese ist erst ein Vorposten des Erkennens. Es offenbart sich in dieser Anschauung noch nicht alles, was in der Welt ist. Die Welt ist wesenhaft; aber der Mensch gelangt zuerst noch nicht zu diesem Wesenhaften. Er verschließt sich noch vor demselben. Er bildet sich, weil er sein eigenes Wesen noch nicht der Welt gegenüberstellt, ein Weltbild, das des Wesens entbehrt. Dieses Weltbild ist in Wahrheit eine Illusion. Sinnlich wahrnehmend steht der Mensch vor der Welt als einer Illusion. Wenn aber aus seinem Innern zu der sinnlichen Wahrnehmung das sinnlichkeitsfreie Denken nachrückt, dann durchtränkt sich die Illusion mit Wirklichkeit; dann hört sie auf, Illusion zu sein. Dann trifft der in seinem Innern sich erlebende Menschengeist auf den Geist der Welt, der für den Menschen nun nicht hinter der Sinneswelt verborgen ist, sondern in der Sinneswelt webt und west. [...]
Von solchen Anschauungen durchdrungen ist, was ich im zweiten Bande meiner Ausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes 1888 schrieb: „Wer dem Denken seine über die Sinnesauffassung hinausgehende Wahrnehmungsfähigkeit zuerkennt, der muß ihm notgedrungen auch Objekte zuerkennen, die über die bloße sinnenfällige Wirklichkeit hinaus liegen. Diese Objekte des Denkens sind aber die Ideen. Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgrunde des Weltdaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen. – Das Denken hat den Ideen gegenüber dieselbe Bedeutung wie das Auge dem Lichte, das Ohr dem Ton gegenüber. Es ist Organ der Auffassung.“ [...]
Mir kam es damals weniger darauf an, die Welt des Geistigen so darzustellen, wie sie sich ergibt, wenn das sinnlichkeitsfreie Denken über das Sich-selbst-Erleben zur geistigen Anschauung fortschreitet, als vielmehr darauf, zu zeigen, daß das Wesen der in der sinnenfälligen Anschauung gegebenen Natur das Geistige ist. Ich wollte zum Ausdrucke bringen, daß die Natur in Wahrheit geistig ist.
Das lag darin begründet, daß mich mein Schicksal zu einer Auseinandersetzung mit den Erkenntnistheoretikern der damaligen Zeit geführt hat. [...] Ich wollte zeigen, daß der Mensch denkend nicht Bilder über die Natur wie ein ihr Außenstehender formt, sondern daß Erkennen Erleben ist, so daß der Mensch erkennend in dem Wesen der Dinge steht.
Und weiter war es mein Schicksal, meine eigenen Anschauungen an Goethe anzuknüpfen. In dieser Anknüpfung hat man zwar viel Gelegenheit, zu zeigen, wie die Natur geistig ist, weil Goethe selbst nach einer geistgemäßen Naturanschauung gestrebt hat; man hat aber nicht in ähnlicher Art Gelegenheit, über die rein geistige Welt als solche zu sprechen, weil Goethe die geistgemäße Naturanschauung nicht bis zur unmittelbaren Geistanschauung fortgeführt hat.
GA 28, S. 162ff.
In zweiter Linie kam es mir damals darauf an, die Idee der Freiheit zum Ausdrucke zu bringen. Handelt der Mensch aus seinen Instinkten, Trieben, Leidenschaften usw., so ist er unfrei. Impulse, die ihm so bewußt werden wie die Eindrücke der Sinneswelt, bestimmen dann sein Handeln. Aber es handelt da auch nicht sein wahres Wesen. Er handelt auf einer Stufe, auf der sein wahres Wesen sich noch gar nicht offenbart. Er enthüllt sich als Mensch da ebensowenig, wie die Sinneswelt ihr Wesen für die bloß sinnenfällige Beobachtung enthüllt. Nun ist die Sinneswelt nicht in Wirklichkeit eine Illusion, sondern wird dazu nur von dem Menschen gemacht. Der Mensch in seinem Handeln kann aber die sinnlichkeitsähnlichen Triebe, Begierden usw. als Illusionen wirklich machen; er läßt dann an sich ein Illusionäres handeln; es ist nicht er selbst, der handelt. Er läßt das Ungeistige handeln. Sein Geistiges handelt erst, wenn er die Impulse seines Handelns in dem Gebiete seines sinnlichkeitfreien Denkens als moralische Intuitionen findet. Da handelt er selbst, nichts anderes. Da ist er ein freies, ein aus sich selbst handelndes Wesen.
Ich wollte darstellen, wie derjenige, der das sinnlichkeitfreie Denken als ein rein Geistiges im Menschen ablehnt, niemals zum Begreifen der Freiheit kommen könne; wie aber ein solches Begreifen sofort eintritt,wenn man die Wirklichkeit des sinnlichkeitsfreien Denkens durchschaut.
Auch auf diesem Gebiete ging ich in jener Zeit weniger darauf aus, die rein geistige Welt darzustellen, in welcher der Mensch seine moralischen Intuitionen erlebt, als vielmehr darauf, den geistigen Charakter dieser Intuitionen selbst zu betonen. Wäre es mir auf das erstere angekommen, so hätte ich wohl das Kapitel „Die moralische Phantasie“ in meiner „Philosophie der Freiheit“ so beginnen müssen: „Der freie Geist handelt nach seinen Impulsen; das sind Intuitionen, die von ihm außerhalb des Naturdaseins in der rein geistigen Welt erlebt werden, ohne daß er sich im gewöhnlichen Bewußtsein dieser geistigen Welt bewußt wird.“ Aber mir kam es damals darauf an, nur den rein geistigen Charakter der moralischen Intuitionen zu charakterisieren. Deshalb wies ich auf das Dasein dieser Intuitionen in der Gesamtheit der menschlichen Ideenwelt hin und sagte demgemäß: „Der freie Geist handelt nach seinen Impulsen, das sind Intuitionen, die aus dem Ganzen seiner Ideenwelt durch das Denken ausgewählt sind.“ - Wer nicht auf eine rein geistige Welt hinblickt, wer also nicht auch den ersten Satz schreiben könnte, der kann auch zu dem zweiten sich nicht voll bekennen.
GA 28, S. 166f.
Wie eine Ohnmacht im Erkennen erschien es mir, wenn die Seele die geistige Wirklichkeit, die in den Ideen zwar nicht selbst webt, die sich aber durch die Ideen vom Menschen erleben läßt, durch die Flucht vor den Ideen erreichen will.
Und dennoch zog mich auch etwas zu den mystischen Bestrebungen der Menschheit hin. Es ist die Art des inneren Erlebens der Mystiker. Sie wollen mit den Quellen des menschlichen Daseins im Innern zusammenleben, nicht bloß auf diese durch die ideengemäße Beobachtung als etwas Äußerliches schauen. Aber mir war auch klar, daß man zu der gleichen Art des inneren Erlebens kommt, wenn man mit dem vollen, klaren Inhalt der Ideenwelt in die Untergründe der Seele sich versenkt, statt diesen Inhalt bei der Versenkung abzustreifen. Ich wollte das Licht der Ideenwelt in die Wärme des inneren Erlebens einführen. [...]
Mir ging die innere Wärme des seelischen Erlebens gerade dann auf, wenn ich das zunächst unbestimmte Erleben der geistigen Welt in bestimmte Ideen prägte. Ich sagte mir oft: wie verkennen doch diese Mystiker die Wärme, die Seelen-Intimität, die man empfindet, wenn man mit geistdurchtränkten Ideen zusammenlebt. Mir war dieses Zusammenleben stets wie ein persönlicher Umgang mit der geistigen Welt gewesen. [...]
Ich suchte das Zusammensein mit dem Geiste durch die vom Geiste durchleuchteten Ideen auf dieselbe Art wie der Mystiker durch Zusammensein mit einem Ideenlosen. Ich konnte auch sagen: Meine Anschauung beruhe auf „mystischem“ Ideen-Erleben. [...]
Die Schwierigkeit ergab sich aber dadurch, daß ich die Ausdrucksformen für meine Anschauungen in meinen Schriften zu finden hatte. Man kann ja nicht sogleich eine neue Ausdrucksform für eine Beobachtung finden, die den Lesern ungewohnt ist. Ich hatte die Wahl: was ich zu sagen für notwendig fand, entweder mehr in Formen zu bringen, die auf dem Felde der Naturbetrachtung gewohnheitsmäßig angewendet, oder in solche, die von mehr nach dem mystischen Empfinden neigenden Schriftstellern gebraucht werden. Durch das letztere schienen sich mir die sich ergebenden Schwierigkeiten nicht hinwegräumen zu lassen.
Ich kam zu der Meinung, daß die Ausdrucksformen auf dem Gebiete der Naturwissenschaft in inhaltsvollen Ideen bestanden, wenn auch zunächst der Inhalt ein materialistisch gedachter war. Ich wollte Ideen bilden, die in ähnlicher Art auf das Geistige deuten, wie die naturwissenschaftlichen auf das sinnlich Wahrnehmbare. Dadurch konnte ich den Ideen-Charakter für das beibehalten, was ich zu sagen hatte. Ein gleiches schien mir bei dem Gebrauch von mystischen Formen unmöglich. Denn diese weisen im Grunde nicht auf das Wesenhafte außer dem Menschen, sondern sie beschreiben nur die subjektiven Erlebnisse im Menschen. Ich wollte nicht menschliche Erlebnisse beschreiben, sondern zeigen, wie eine geistige Welt durch Geistorgane im Menschen sich offenbart.
Aus solchen Untergründen heraus bildeten sich die Ideengestalten, aus denen dann später meine „Philosophie der Freiheit“ erwuchs. Ich wollte keine mystischen Anwandlungen in mir beim Bilden dieser Ideen walten lassen, trotzdem mir klar war, daß das letzte Erleben dessen, was in Ideen sich offenbaren sollte, von der gleichen Art im Innern der Seele sein mußte wie die innere Wahrnehmung des Mystikers. Aber es bestand doch der Unterschied, daß in meiner Darstellung der Mensch sich hingibt und die äußere Geistwelt in sich zur objektiven Erscheinung bringt, während der Mystiker das eigene Innenleben verstärkt und auf diese Art die wahre Gestalt des objektiven Geistigen auslöscht.
GA 28, S. 169ff.
Meine Darstellung von Goethes Ideen war ein Jahre lang dauerndes Ringen, Goethe durch die Hilfe der eigenen Gedanken immer besser zu verstehen. Indem ich auf dieses Ringen zurückblicke, muß ich mir sagen: ich verdanke ihm viel für die Entwickelung meiner geistigen Erkenntnis-Erlebnisse. Diese Entwickelung ging dadurch viel langsamer vor sich, als es der Fall gewesen wäre, wenn sich die Goethe-Aufgabe nicht schicksalsgemäß auf meinen Lebensgang hingestellt hätte. Ich hätte dann meine geistigen Erlebnisse verfolgt und sie ebenso dargestellt, wie sie vor mich hingetreten wären. Ich wäre schneller in die geistige Welt hineingerissen worden; ich hätte aber keine Veranlassung gefunden, ringend unterzutauchen in das eigene Innere.
So erlebte ich durch meine Goethe-Arbeit den Unterschied einer Seelenverfassung, der sich die geistige Welt gewissermaßen wie gnadevoll offenbart, und einer solchen, die Schritt vor Schritt das eigene Innere immer mehr dem Geiste erst ähnlich macht, um dann, wenn die Seele sich selbst als wahrer Geist erlebt, in dem Geistigen der Welt darinnen zu stehen. In diesem Darinnenstehen empfindet man aber erst, wie innig in der Menschenseele Menschengeist und Weltengeistigkeit mit einander verwachsen können.
GA 28, S. 176f.
Innerlich erlebt war die Aufgabe, die ich mir in meiner Doktorarbeit stellte: „eine Verständigung des menschlichen Bewußtseins mit sich selbst“ herbeizuführen. Denn ich sah, wie der Mensch erst dann verstehen konnte, was die wahre Wirklichkeit in der äußeren Welt ist, wenn er diese wahre Wirklichkeit in sich selbst geschaut hat.
Dieses Zusammentreffen der wahren Wirklichkeit der äußeren Welt mit der wahren Wirklichkeit im Innern der Seele muß für das erkennende Bewußtsein in emsiger geistiger Innentätigkeit errungen werden; für das wollende und handelnde Bewußtsein ist sie immer dann vorhanden, wenn der Mensch im Tun seine Freiheit empfindet.
Meine „Philosophie der Freiheit“ ist in einem Erleben begründet, das in der Verständigung des menschlichen Bewußtseins mit sich selbst besteht. Im Wollen wird die Freiheit geübt; im Fühlen wird sie erlebt; im Denken wird sie erkannt. Nur darf, um das zu erreichen, im Denken nicht das Leben verloren werden.
Während ich an meiner „Philosophie der Freiheit“ arbeitete, war meine stete Sorge, in der Darstellung meiner Gedanken das innere Erleben bis in diese Gedanken hinein voll wach zu halten. Das gibt den Gedanken den mystischen Charakter des inneren Schauens, macht aber dieses Schauen auch gleich dem äußeren sinnenfälligen Anschauen der Welt. Dringt man zu einem solchen inneren Erleben vor, so empfindet man keinen Gegensatz mehr zwischen Natur-Erkennen und Geist-Erkennen. Man wird sich klar darüber, daß das zweite nur die metamorphosierte Fortsetzung des ersten ist.
GA 28, S. 177f.
Mir war schon Jahre vorher dieses Ringen Schillers nach der Anschauung vom „wahrhaften Menschen“ vor die Seele getreten; als nun Goethes „Rätselmärchen“ selber für mich zum Rätsel wurde, da stellte es sich neuerdings vor mich hin. [...]
Der Briefwechsel zwischen den beiden Freunden, und was man sonst über ihren geistigen Verkehr wissen kann, bezeugen, daß die Schiller'sche Lösung Goethe zu abstrakt, zu einseitig philosophisch war. [...] Er hatte die Empfindung: geht man gegen das von Schiller wahrgenommene Rätsel der Seele mit philosophischen Begriffen vor, so verarmt der Mensch, indem er nach seinem wahren Wesen sucht; er wollte im Reichtum des seelischen Erlebens sich dem Rätsel nahen.
Die Goethe'schen Märchenbilder weisen zurück auf Imaginationen, die von Suchern nach dem Geist-Erleben der Seele öfters vor Goethe hingestellt worden sind. Die drei Könige des Märchens findet man in einiger Ähnlichkeit in der „Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz“. Andere Gestalten sind Wieder-Erscheinungen von früher in Bildern des Erkenntnisweges Aufgetretenem. – Bei Goethe erscheinen diese Bilder nur in schöner, edler, künstlerischer Phantasie-Form, während sie vorher doch einen mehr unkünstlerischen Charakter tragen.
Goethe hat in diesem Märchen die Phantasieschöpfung nahe an die Grenze herangeführt, an der sie in den inneren Seelenvorgang übergeht, der ein erkennendes Erleben der wirklichen geistigen Welten ist. Ich vermeinte, am tiefsten könne man in sein Gemüt sehen, wenn man sich in diese Dichtung versenkt.
Nicht die Erklärung, wohl aber die Anregungen zu seelischem Erleben, die mir von der Beschäftigung mit dem Märchen kamen, waren mir wichtig. Diese Anregungen wirkten dann in meinem folgenden Seelenleben fort bis in die Gestaltung meiner später geschaffenen Mysteriendramen hinein.
GA 28, S. 180ff.
Bevor ich den Vortrag hielt, faßte ich in meiner Seele zusammen, was ich aus meinen geistigen Erfahrungen heraus über die unbewußten Einströmungen der wirklichen Geisteswelt in die menschliche Phantasie sagen konnte. Mir erschien, was in der Phantasie lebt, nur dem Stoffe nach angeregt von den Erlebnissen der menschlichen Sinne. Das eigentlich Schöpferische in den echten Phantasiegestaltungen zeigte sich mir als ein Abglanz der außer dem Menschen bestehenden geistigen Welt. Ich wollte zeigen, wie die Phantasie das Tor ist, durch das die Wesenheiten der geistigen Welt schaffend auf dem Umwege durch den Menschen in die Entfaltung der Kulturen hereinwirken.
In der Phantasie erhebt sich die Seele um ebensoviel über den gewöhnlichen Bewußtseinsstand, wie sie sich im Traumleben unter denselben heruntersenkt. Es erscheint nicht das im Sinnensein verborgene Geistige, sondern das Geistige wirkt auf den Menschen; er kann es aber nicht in seiner ureigenen Gestalt erfassen, sondern er verbildlicht es sich unbewußt durch einen Seeleninhalt, den er aus der Sinneswelt entlehnt. Das Bewußtsein dringt nicht bis zur Anschauung der Geisteswelt vor; aber es erlebt diese in Bildern, die ihren Stoff aus der Sinneswelt entnehmen. Dadurch werden die echten Phantasie-Schöpfungen zu Erzeugnissen der geistigen Welt, ohne daß diese selbst in das Bewußtsein des Menschen eindringt.
Ich wollte durch den Vortrag einen der Wege zeigen, auf denen die Wesenheiten der geistigen Welt an der Entwickelung des Lebens arbeiten.
GA 28, S. 216f.
So war es mit Menschen, so war es mit Weltanschauungen. Ich ging gerne zu Suphan, ich ging gerne zu Hartleben. Suphan ging nie zu Hartleben; Hartleben nie zu Suphan. Keiner konnte in des andern Denk- und Gefühlsrichtung eintreten. Ich war sogleich bei Suphan, sogleich bei Hartleben wie zu Hause. Aber weder Suphan noch Hartleben kamen eigentlich zu mir. Sie blieben auch, wenn sie zu mir kamen, bei sich. In meiner geistigen Welt konnte ich keine Besuche erleben.
Ich sah die verschiedensten Weltanschauungen vor meiner Seele. Die naturwissenschaftliche, die idealistische und viele Nuancen der beiden. Ich fühlte den Drang, auf sie einzugehen, mich in ihnen zu bewegen; in meine geistige Welt warfen sie eigentlich kein Licht. Sie waren mir Erscheinungen, die vor mir standen, nicht Wirklichkeiten, in die ich mich hätte einleben können.
So stand es in meiner Seele, als das Leben mir unmittelbar nahe rückte Weltanschauungen wie diejenige Haeckels und Nietzsches. Ich empfand ihre relative Berechtigung. Ich konnte durch meine Seelenverfassung sie nicht so behandeln, daß ich sagte: das ist richtig, das unrichtig. Da hätte ich, was in ihnen lebt, als mir fremd empfinden müssen. Aber ich empfand die eine nicht fremder als die andere; denn heimisch fühlte ich mich nur in der angeschauten geistigen Welt, und „wie zu Hause“ konnte ich mich in jeder andern fühlen.
Wenn ich das so schildere, kann es scheinen, als ob mir im Grunde alles gleichgültig gewesen wäre. Das war es aber durchaus nicht. Ich hatte darüber eine ganz andere Empfindung. Ich empfand mich mit vollem Anteil in dem anderen darinnen, weil ich es mir nicht dadurch entfremdete, daß ich sogleich das Eigene in Urteil und Empfindung hineintrug.
GA 28, S. 235f.
Ich suchte in meinem Buche darzulegen, daß nicht hinter der Sinneswelt ein Unbekanntes liegt, sondern in ihr die geistige Welt. Und von der menschlichen Ideenwelt suchte ich zu zeigen, daß sie in dieser geistigen Welt ihren Bestand hat. Es ist also dem menschlichen Bewußtsein das Wesenhafte der Sinneswelt nur so lange verborgen, als die Seele nur durch die Sinne wahrnimmt. Wenn zu den Sinneswahrnehmungen die Ideen hinzuerlebt werden, dann wird die Sinneswelt in ihrer objektiven Wesenhaftigkeit von dem Bewußtsein erlebt. Erkennen ist nicht ein Abbilden eines Wesenhaften, sondern ein Sich-hinein-Leben der Seele in dieses Wesenhafte.
GA 28, S. 244f.
Ich sah im Mittelpunkt des menschlichen Seelenlebens ein vollkommenes Zusammensein der Seele mit der Geistwelt. [...] Man meint nämlich, um zu erkennen, müsse die Seele – oder das „Ich“ – sich von dem Erkannten unterscheiden, dürfe also nicht mit ihm in eins zusammenfließen. Doch ist diese Unterscheidung ja auch dann möglich, wenn die Seele gewissermaßen pendelartig sich zwischen dem Eins-Sein mit dem geistig Wesenhaften und der Besinnung auf sich selbst hin- und herbewegt. Sie wird dann „unbewußt“ im Untertauchen in den objektiven Geist, bringt aber das vollkommen Wesenhafte bei der Selbstbesinnung in das Bewußtsein herein.
Ist es nun möglich, daß die persönliche Individualität des Menschen in die geistige Wirklichkeit der Welt untertaucht, so kann in dieser Wirklichkeit auch die Welt der sittlichen Impulse erlebt werden. Sittlichkeit bekommt einen Inhalt, der sich aus der geistigen Welt innerhalb der menschlichen Individualität offenbart; und das ins Geistige erweiterte Bewußtsein dringt bis zum Anschauen dieses Offenbarens vor. Was den Menschen anregt zum sittlichen Handeln, ist Offenbarung der Geistwelt an das Erleben dieser Geistwelt durch die Seele. Und dieses Erleben geschieht innerhalb der persönlichen Individualität des Menschen. Sieht der Mensch im sittlichen Handeln sich im Wechselverkehr mit der Geistwelt, so erlebt er seine Freiheit. Denn die Geistwelt wirkt in der Seele nicht in Notwendigkeit, sondern so, daß der Mensch in Freiheit die Aktivität entfalten muß, die ihn zum Annehmen des Geistigen veranlaßt.
In dem Hindeuten darauf, daß die Sinnenwelt in Wirklichkeit geistiger Wesenheit ist, und daß der Mensch als seelisches Wesen durch die wahre Erkenntnis der Sinneswelt in einem Geistigen webt und lebt, liegt das eine Ziel meiner „Philosophie der Freiheit“. In der Kennzeichnung der moralischen Welt als einer solchen, die ihr Dasein in dieser von der Seele erlebten Geistwelt aufleuchten und damit den Menschen in Freiheit an sich herankommen läßt, ist das zweite Ziel enthalten. [...]
Im Geist-Erleben lag die Quelle für die Gestaltung, die ich den Ideen meines Buches gab. Es ist zunächst die Darstellung einer Anthroposophie, die auf die Natur hin und auf das Stehen des Menschen in der Natur mit seiner ihm individuell eigenen sittlichen Wesenheit orientiert ist.
Für mich war mit der „Philosophie der Freiheit“ gewissermaßen das von mir abgesondert und in die Außenwelt hineingestellt, was der erste Lebensabschnitt durch das schicksalsgemäße Erleben der naturwissenschaftlichen Daseinsrätsel an Ideengestaltung von mir verlangt hat. Der weitere Weg konnte nunmehr nur in einem Ringen nach einer Ideengestaltung für die geistige Welt selbst sein.
Die Erkenntnisse, die der Mensch in der Sinnesbeobachtung von außen empfängt, waren von mir als inneres anthroposophisches Geist-Erlebnis der Menschenseele dargestellt. Daß ich den Ausdruck „Anthroposophie“ damals noch nicht gebraucht habe, rührt davon her, daß meine Seele zunächst immer nach Anschauungen und fast gar nicht nach Terminologien drängt.
GA 28, S. 246ff.
Ich hielt dafür, daß eingesehen werden müsse, wie der rechte Weg in die geistige Welt zunächst zum Erleben der reinen Ideen führt. Das war es, was ich in allen Formen geltend machte, daß der Mensch, wie er Farben, Töne, Wärmequalitäten usw. in seinem bewußten Erleben haben könne, er ebenso reine, von aller äußeren Wahrnehmung unbeeinflußte, mit einem völligen Eigenleben auftretende Ideen erleben kann. Und in diesen Ideen ist der wirkliche, lebendige Geist. Alles übrige geistige Erleben im Menschen, so sagte ich damals, müsse sich aufsprießend im Bewußtsein aus diesem Ideenerleben ergeben.
GA 28, S. 299f.
Am Ende meiner weimarischen Zeit hatte ich sechsunddreißig Lebensjahre hinter mir. Schon ein Jahr vorher hatte in meiner Seele ein tiefgehender Umschwung seinen Anfang genommen. Mit meinem Weggang von Weimar wurde er einschneidendes Erlebnis. Er war ganz unabhängig von der Änderung meiner äußeren Lebensverhältnisse, die ja auch eine große war. Das Erfahren von dem, was in der geistigen Welt erlebt werden kann, war mir immer eine Selbstverständlichkeit; das wahrnehmende Erfassen der Sinneswelt bot mir die größten Schwierigkeiten. Es war, als ob ich das seelische Erleben nicht so weit in die Sinnesorgane hätte ergießen können, um, was diese erlebten, auch vollinhaltlich mit der Seele zu verbinden. [...]
Eine vorher nicht vorhandene Aufmerksamkeit für das Sinnlich-Wahrnehmbare erwachte in mir. Einzelheiten wurden mir wichtig; ich hatte das Gefühl, die Sinneswelt habe etwas zu enthüllen, was nur sie enthüllen kann. Ich betrachtete es als ein Ideal, sie kennen zu lernen allein durch das, was sie zu sagen hat, ohne daß der Mensch etwas durch sein Denken oder durch einen andern in seinem Innern auftretenden Seelen-Inhalt in sie hineinträgt.
Ich wurde gewahr, daß ich einen menschlichen Lebensumschwung in einem viel spätern Lebensabschnitt erlebte als andere. Ich sah aber auch, daß das für das Seelenleben ganz bestimmte Folgen hat. Ich fand, wie die Menschen, weil sie früh vom seelischen Weben in der geistigen Welt zum Erleben des Physischen übergehen, zu keinem reinen Erfassen weder der geistigen, noch der physischen Welt gelangen. Sie vermischen fortdauernd ganz instinktiv dasjenige, was die Dinge ihren Sinnen sagen, mit dem, was die Seele durch den Geist erlebt und was dann von ihr mitgebraucht wird, um sich die Dinge „vorzustellen“.
Für mich war in der Genauigkeit und Eindringlichkeit der sinnenfälligen Beobachtung das Beschreiten einer ganz neuen Welt gegeben. Das von allem Subjektiven in der Seele freie, objektive Sich-Gegenüberstellen der Sinneswelt offenbarte etwas, worüber eine geistige Anschauung nichts zu sagen hatte.
Das warf aber auch sein Licht auf die Welt des Geistes zurück. Denn indem die Sinneswelt im sinnlichen Wahrnehmen selbst ihr Wesen enthüllte, war für das Erkennen der Gegenpol da, um das Geistige in seiner vollen Eigenart, unvermischt mit dem Sinnlichen, zu würdigen.
Besonders einschneidend in das Seelenleben wirkte dieses, weil es sich auch auf dem Gebiete des menschlichen Lebens zeigte. Meine Beobachtungsgabe stellte sich darauf ein, dasjenige ganz objektiv, rein in der Anschauung hinzunehmen, was ein Mensch darlebte. [...]
Ich fand bald, daß ein solches Beobachten der Welt wahrhaft in die geistige Welt hineinführt. Man geht im Beobachten der physischen Welt ganz aus sich heraus; und man kommt gerade dadurch mit einem gesteigerten geistigen Beobachtungsvermögen wieder in die geistige Welt hinein.
So waren damals die geistige und die sinnenfällige Welt in ihrer vollen Gegensätzlichkeit mir vor die Seele getreten. Aber ich empfand [...], daß ganz voll mit der Seele in diesem Gegensatz drinnen stehen, gleichbedeutend ist mit „Verständnis für das Leben haben“. [...]
Aus alledem drang in mein Gefühlsleben eine ganz intensive Hingabe nicht an ein gedankenmäßiges theoretisches Erfassen, sondern an ein Erleben des Rätselhaften in der Welt.
Ich stellte, um meditativ das rechte Verhältnis zur Welt zu gewinnen, immer wieder vor meine Seele: Da ist die Welt voller Rätsel. Erkenntnis möchte an sie herankommen. Aber sie will zumeist einen Gedankeninhalt als Lösung eines Rätsels aufweisen. Doch die Rätsel - so mußte ich mir sagen - lösen sich nicht durch Gedanken. Diese bringen die Seele auf den Weg der Lösungen; aber sie enthalten die Lösungen nicht. In der wirklichen Welt entsteht ein Rätsel; es ist als Erscheinung da; seine Lösung ersteht ebenso in der Wirklichkeit. Es tritt etwas auf, das Wesen oder Vorgang ist; und das die Lösung des andern darstellt.
So sagte ich mir auch: die ganze Welt, außer dem Menschen, ist ein Rätsel, das eigentliche Welträtsel; und der Mensch ist selbst die Lösung.
Dadurch konnte ich denken: der Mensch vermag in jedem Augenblick etwas über das Welträtsel zu sagen. Was er sagt, kann aber stets nur so viel an Inhalt über die Lösung geben, als er selbst über sich als Mensch erkannt hat.
So wird auch das Erkennen zu einem Vorgang in der Wirklichkeit. Fragen offenbaren sich in der Welt; Antworten offenbaren sich als Wirklichkeiten; Erkenntnis im Menschen ist dessen Teilnahme an dem, was sich die Wesen und Vorgänge in der geistigen und physischen Welt zu sagen haben.
Es war dies alles zwar schon andeutungsweise, an einigen Stellen sogar ganz deutlich in den Schriften enthalten, die von mir bis in die hier geschilderte Zeit gedruckt sind. Allein in dieser Zeit wurde es intensivstes Seelen-Erlebnis, das die Stunden erfüllte, in denen Erkenntnis meditierend auf die Weltgründe blicken wollte. Und was die Hauptsache ist: dieses Seelen-Erlebnis ging in seiner damaligen Stärke aus dem objektiven Hingeben an die reine, ungetrübte Sinnes-Beobachtung hervor. Mir war in dieser Beobachtung eine neue Welt gegeben; ich mußte aus dem, was bisher erkennend in meiner Seele war, dasjenige suchen, was das seelische Gegen-Erlebnis war, um das Gleichgewicht mit dem Neuen zu bewirken.
Sobald ich die ganze Wesenhaftigkeit der Sinneswelt nicht dachte, sondern sinnlich anschaute, ward ein Rätsel als Wirklichkeit hingestellt. Und im Menschen selbst liegt dessen Lösung.
Es lebte in meinem ganzen Seelenwesen die Begeisterung für dasjenige, was ich später „wirklichkeitsgemäße Erkenntnis“ nannte. Und namentlich war mir klar, daß der Mensch mit einer solchen „wirklichkeitsgemäßen Erkenntnis“ nicht in irgendeiner Weltecke stehen könne, während sich außer ihm das Sein und Werden abspielt. Erkenntnis wurde mir dasjenige, was nicht allein zum Menschen, sondern zu dem Sein und Werden der Welt gehört. Wie Wurzel und Stamm eines Baumes nichts Vollendetes sind, wenn sie nicht in die Blüte sich hineinleben, so sind Sein und Werden der Welt nichts wahrhaft Bestehendes, wenn sie nicht zum Inhalt der Erkenntnis weiterleben. Auf diese Einsicht blickend, wiederholte ich bei jeder Gelegenheit, bei der es angebracht war: der Mensch ist nicht das Wesen, das für sich den Inhalt der Erkenntnis schafft, sondern er gibt mit seiner Seele den Schauplatz her, auf dem die Welt ihr Dasein und Werden zum Teil erst erlebt. Gäbe es nicht Erkenntnis, die Welt bliebe unvollendet.
GA 28, S. 316ff.
Im Zusammenhange mit dem Umschwung in meinem Seelenleben stehen für mich inhaltsschwere innere Erfahrungen. – Ich erkannte im seelischen Erleben das Wesen der Meditation und deren Bedeutung für die Einsichten in die geistige Welt. Ich hatte auch früher schon ein meditatives Leben geführt; doch kam der Antrieb dazu aus der ideellen Erkenntnis seines Wertes für eine geistgemäße Weltanschauung. Nunmehr trat in meinem Innern etwas auf, das die Meditation forderte wie etwas, das meinem Seelenleben eine Daseinsnotwendigkeit wurde. Das errungene Seelenleben brauchte die Meditation, wie der Organismus auf einer gewissen Stufe seiner Entwickelung die Lungenatmung braucht.
Wie die gewöhnliche begriffliche Erkenntnis, die an der Sinnesbeobachtung gewonnen wird, sich zu der Anschauung des Geistigen verhält, das wurde mir in diesem Lebensabschnitt aus einem mehr ideellen Erleben zu einem solchen, an dem der ganze Mensch beteiligt ist. Das ideelle Erleben, das aber das wirkliche Geistige doch in sich aufnimmt, ist das Element, aus dem meine „Philosophie der Freiheit“ geboren ist. Das Erleben durch den ganzen Menschen enthält die Geisteswelt in einer viel wesenhafteren Art als das ideelle Erleben. Und doch ist dieses schon eine obere Stufe gegenüber dem begrifflichen Erfassen der Sinneswelt. Im ideellen Erleben erfaßt man nicht die Sinneswelt, sondern eine gewissermaßen unmittelbar an sie angrenzende geistige Welt.
GA 28, S. 323f.
Lebe ich mich mit meiner Seele in Vorstellungen ein, die an der Sinneswelt gebildet sind, so bin ich im unmittelbaren Erfahren nur imstande, von der Wirklichkeit des Erlebten so lange zu sprechen, als ich sinnlich beobachtend einem Dinge oder Vorgange gegenüberstehe. Der Sinn verbürgt mir die Wahrheit des Beobachteten, solange ich beobachte.
Nicht so, wenn ich mich durch ideell-geistige Erkenntnis mit Wesen oder Vorgängen der geistigen Welt verbinde. Da tritt in der Einzel-Anschauung die unmittelbare Erfahrung von dem über die Anschauungsdauer hinausgehenden Bestand des Wahrgenommenen ein. Erlebt man zum Beispiel das „Ich“ des Menschen als dessen ureigenste innere Wesenheit, so weiß man im anschauenden Erleben, daß dieses „Ich“ vor dem Leben im physischen Leibe war und nach demselben sein wird. [...]
In einer solchen aus innerer geistiger Lebensnotwendigkeit geübten Meditation entwickelt sich immer mehr das Bewußtsein von einem „inneren geistigen Menschen“, der in völliger Loslösung von dem physischen Organismus im Geistigen leben, wahrnehmen und sich bewegen kann. Dieser in sich selbständige geistige Mensch trat in meine Erfahrung unter dem Einfluß der Meditation. Das Erleben des Geistigen erfuhr dadurch eine wesentliche Vertiefung.
GA 28, S. 325f.
Ich fühlte, wie das Ideelle des vorangehenden Lebens nach einer gewissen Richtung zurücktrat und das Willensmäßige an dessen Stelle kam. Damit das möglich ist, muß sich das Wollen bei der Erkenntnis-Entfaltung aller subjektiven Willkür enthalten können. Der Wille nahm in dem Maße zu, als das Ideelle abnahm. Und der Wille übernahm auch das geistige Erkennen, das vorher fast ganz von dem Ideellen geleistet worden ist. [...]
Führt auf der einen Seite das Meditieren zu der Erkenntnis des Geistigen, so ist andererseits die Folge solcher Ergebnisse der Selbstbeobachtung die innere Verstärkung des geistigen, vom Organismus unabhängigen Menschen und die Befestigung seines Wesens in der Geisteswelt, so wie der physische Mensch seine Befestigung in der physischen Welt hat. – Nur wird man gewahr, wie die Befestigung des geistigen Menschen in der Geisteswelt sich ins Unermeßliche steigert, wenn der physische Organismus diese Befestigung nicht beschränkt [...]
GA 28, S. 327f.
Es kann sich, so sagte ich mir immer wieder, gar nicht darum handeln, die Frage zu beantworten: ist der Wille des Menschen frei oder nicht? Sondern die ganz andere: wie ist der Weg im Seelenleben beschaffen von dem unfreien, naturhaften Wollen zu dem freien, das heißt wahrhaft sittlichen? Und um auf diese Frage Antwort zu finden, mußte darauf hingeschaut werden, wie das Göttlich-Geistige in jeder einzelnen Menschenseele lebt. Von dieser geht das Sittliche aus; in ihrem ganz individuellen Wesen muß also der sittliche Impuls sich beleben. [...]
Die sittliche Weltordnung stand immer klarer als die eine auf Erden realisierte Ausprägung von solcher Art Wirkens-Ordnungen vor mir, die in übergeordneten geistigen Regionen zu finden sind. Sie ergab sich als das, das nur derjenige in seine Vorstellungswelt hereinerfaßt, der Geistiges anerkennen kann.
All diese Einsichten schlossen sich mir gerade in der hier geschilderten Lebensepoche mit der erklommenen umfassenden Wahrheit zusammen, daß die Wesen und Vorgänge der Welt nicht in Wahrheit erklärt werden, wenn man das Denken zum „Erklären“ gebraucht; sondern wenn man durch das Denken die Vorgänge in dem Zusammenhange zu schauen vermag, in dem das eine das andere erklärt, in dem eines Rätsel, das andere Lösung wird, und der Mensch selbst das Wort wird für die von ihm wahrgenommene Außenwelt.
Damit aber war die Wahrheit der Vorstellung erlebt, daß in der Welt und ihrem Wirken der Logos, die Weisheit, das Wort waltet.
GA 28, S. 333f.
Ich sah in dem Denken, das aus der Naturerkenntnis folgen kann – aber damals nicht folgte – die Grundlage, auf der die Menschen die Einsicht in die Geistwelt erlangen konnten. Ich betonte deshalb scharf die Erkenntnis der Naturgrundlage, die zur Geist-Erkenntnis führen muß. Für denjenigen, der nicht wie ich erlebend in der Geistwelt steht, bedeutet ein solches Sich-Versenken in eine Denkrichtung eine bloße Gedankenbetätigung. Für den, der die Geist-Welt erlebt, bedeutet sie etwas wesentlich anderes. Er wird in die Nähe von Wesen in der Geist-Welt gebracht, die eine solche Denkrichtung zur allein herrschenden machen wollen. Da ist Einseitigkeit in der Erkenntnis nicht bloß der Anlaß zu abstrakter Verirrung; da ist geist-lebendiger Verkehr mit Wesen, was in der Menschenwelt Irrtum ist. Von ahrimanischen Wesenheiten habe ich später gesprochen, wenn ich in diese Richtung weisen wollte. Für sie ist absolute Wahrheit, daß die Welt Maschine sein müsse. Sie leben in einer Welt, die an die sinnenfällige unmittelbar angrenzt.
Mit meinen eigenen Ideen bin ich keinen Augenblick dieser Welt verfallen. Auch nicht im Unbewußten. Denn ich wachte sorgfältig darüber, daß sich all mein Erkennen im besonnenen Bewußtsein vollzog. Um so bewußter war auch mein innerer Kampf gegen die dämonischen Mächte, die nicht aus der Naturerkenntnis Geist-Anschauung, sondern mechanistisch-materialistische Denkart werden lassen wollten.
Der nach geistiger Erkenntnis Suchende muß diese Welten erleben; bei ihm genügt nicht ein bloßes theoretisches Denken darüber. Ich mußte mir damals meine Geistanschauung in inneren Stürmen retten. Diese Stürme standen hinter meinem äußeren Erleben.
Ich konnte in dieser Prüfungszeit nur weiter kommen, wenn ich mit meiner Geist-Anschauung die Entwickelung des Christentums mir vor die Seele rückte. [...] Ich mußte mich, nachdem die Prüfungszeit mich harten Seelenkämpfen ausgesetzt hatte, selber in das Christentum versenken, und zwar in der Welt, in der das Geistige darüber spricht. [...]
In der Zeit, in der ich die dem Wort-Inhalt nach Späterem so widersprechenden Aussprüche über das Christentum tat, war es auch, daß dessen wahrer Inhalt in mir begann keimhaft vor meiner Seele als innere Erkenntnis-Erscheinung sich zu entfalten. Um die Wende des Jahrhunderts wurde der Keim immer mehr entfaltet. Vor dieser Jahrhundertwende stand die geschilderte Prüfung der Seele. Auf das geistige Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster ernstester Erkenntnis-Feier kam es bei meiner Seelen-Entwickelung an.
GA 28, S. 364ff.
Ich sah, wie mit der Goethe- und Hegel-Zeit alles verschwindet, was in die menschliche Denkungsart erkennend Vorstellungen von einer geistigen Welt aufnimmt. Das Erkennen sollte fortan durch Vorstellungen von der geistigen Welt nicht „verwirrt“ werden. [...]
In Hegel erblickte ich den größten Denker der neuen Zeit. Aber er war eben nur Denker. Für ihn war die Geistwelt im Denken. Gerade, indem ich restlos bewunderte, wie er allem Denken Gestaltung gab, empfand ich doch, daß er kein Gefühl für die Geistwelt hatte, die ich schaute, und die erst hinter dem Denken offenbar wird, wenn das Denken sich erkraftet zu einem Erleben, dessen Leib gewissermaßen Denken ist, und der als Seele in sich den Geist der Welt aufnimmt.
GA 28, S. 367f.
Der in die Geistwelt Schauende findet sein eigenes Wesen immer veräußerlicht, wenn er Meinungen, Ansichten aussprechen soll. Er tritt in die Geistwelt nicht in Abstraktionen, sondern in lebendigen Anschauungen. Auch die Natur, die ja das sinnenfällige Abbild des Geistigen ist, stellt nicht Meinungen, Ansichten auf, sondern sie stellt ihre Gestalten und ihr Werden vor die Welt hin.
Ein inneres Bewegtsein, das alle meine Seelenkräfte in Wogen und Wellen brachte, war damals mein inneres Erlebnis.
GA 28, S. 373.
Noch vor der Zeit der Betätigung innerhalb der Theosophischen Gesellschaft, noch in der letzten Zeit der Redaktion des „Magazin“ liegt die Ausarbeitung meines zweibändigen Buches „Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert“, das dann von der zweiten Auflage ab erweitert um einen Überblick über die Entwickelung der Weltanschauungen von der Griechenzeit bis zum neunzehnten Jahrhundert als „Rätsel der Philosophie“ erschienen ist. [...] Wenn ich auf dieses Buch zurückblicke, so scheint mir mein Lebensgang gerade an ihm sich symptomatisch auszudrücken. [...]
Dazu kam, daß ich nirgends in das Geistgebiet auf einem mystisch-gefühlsmäßigen Wege vordrang, sondern überall über kristallklare Begriffe gehen wollte. Das Erleben der Begriffe, der Ideen führte mich aus dem Ideellen in das Geistig-Reale. Die wirkliche Entwickelung des Organischen von Urzeiten bis zur Gegenwart stand vor meiner Imagination erst nach der Ausarbeitung der „Welt- und Lebensanschauungen“. Während dieser hatte ich noch die naturwissenschaftliche Anschauung vor dem Seelenauge, die aus der Darwin'schen Denkart hervorgegangen war. Aber diese galt mir nur als eine in der Natur vorhandene sinnenfällige Tatsachenreihe. Innerhalb dieser Tatsachenreihe waren für mich geistige Impulse tätig, wie sie Goethe in seiner Metamorphosenidee vorschwebten. [...]
Das alles war von mir in ideellem Inhalte noch gedacht; zur imaginativen Anschauung arbeitete ich mich erst später durch. Erst diese Anschauung brachte mir die Erkenntnis, daß in Urzeiten in geistiger Realität ganz anderes Wesenhaftes vorhanden war als die einfachsten Organismen. Daß der Mensch als Geist-Wesen älter ist als alle andern Lebewesen, und daß er, um seine gegenwärtige physische Gestaltung anzunehmen, sich aus einem Weltenwesen herausgliedern mußte, das ihn und die andern Organismen enthielt Diese sind somit Abfälle der menschlichen Entwickelung; nicht etwas, aus dem er hervorgegangen ist, sondern etwas, das er zurückgelassen, von sich abgesondert hat, um seine physische Gestaltung als Bild seines Geistigen anzunehmen. Der Mensch als makrokosmisches Wesen, das alle übrige irdische Welt in sich trug, und das zum Mikrokosmos durch Absonderung des übrigen gekommen ist, das war für mich eine Erkenntnis, die ich erst in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erlangte. [...]
Als ich dann später die zweite Auflage des Buches bearbeitete, da war in meiner Seele schon die Erkenntnis von der wahren Entwickelung. Ich fand nötig, obwohl ich den Gesichtspunkt, den ich in der ersten Auflage eingenommen hatte, als das festhielt, was Denken ohne geistige Anschauung geben kann, kleine Änderungen in der Ausdrucksform vorzunehmen. [...]
Bei alledem hat die Gestalt, die meine „Rätsel der Philosophie“ bekommen haben, nicht nur eine subjektive Berechtigung als festgehaltener Gesichtspunkt aus einem gewissen Abschnitte meines geistigen Werdeganges, sondern eine ganz objektive. Diese besteht darin, daß ein Denken, wenn es auch geistig erlebt wird, als Denken, die Entwickelung der Lebewesen nur so vorstellen kann, wie das in meinem Buche dargestellt wird. Und daß der weitere Schritt durch die geistige Anschauung geschehen muß.
So stellt mein Buch ganz objektiv den voranthroposophischen Gesichtspunkt dar, in den man untertauchen muß, den man im Untertauchen erleben muß, um zu dem höheren aufzusteigen. Dieser Gesichtspunkt tritt bei demjenigen Erkennenden auf als eine Etappe des Erkenntnisweges, der nicht in mystisch-verschwommener, sondern in geistig-klarer Art die Geistwelt sucht. In der Darstellung dessen, was sich von diesem Gesichtspunkt aus ergibt, liegt also etwas, das der Erkennende als Vorstufe des Höheren braucht.
GA 28, S. 401ff.
Mir fiel für dieses Buch die Darstellung des „Egoismus in der Philosophie“ zu. Nun trägt mein Aufsatz diese Überschrift nur deshalb, weil der Gesamttitel des Buches das forderte. Diese Überschrift müßte eigentlich sein: „Der Individualismus in der Philosophie“. Ich versuchte, in ganz kurzer Form einen Überblick über die abendländische Philosophie seit Thales zu geben, und zu zeigen, wie deren Entwickelung darauf zielt, die menschliche Individualität zum Erleben der Welt in Ideenbildern zu bringen, so, wie dies versucht ist, in meiner „Philosophie der Freiheit“ für die Erkenntnis und das sittliche Leben darzustellen.
Wieder stehe ich mit diesem Aufsatz vor dem „Tore der Geistwelt“. In der menschlichen Individualität werden die Ideenbilder gezeigt, die den Welt-Inhalt offenbaren. Sie treten auf, so daß sie auf das Erleben warten, durch das in ihnen die Seele in die Geistwelt schreiten kann. Ich hielt in der Schilderung an dieser Stelle ein. Es steht eine Innenwelt da, die zeigt, wie weit das bloße Denken im Weltbegreifen kommt.
Man sieht, ich habe das voranthroposophische Seelenleben vor meiner Hingabe an die öffentliche anthroposophische Darstellung der Geistwelt von den verschiedensten Gesichtspunkten aus geschildert. Darinnen kann kein Widerspruch mit dem Auftreten für die Anthroposophie gefunden werden. Denn das Weltbild, das entsteht, wird durch die Anthroposophie nicht widerlegt, sondern erweitert und fortgeführt. [...]
Und man sehe insbesondere, wie meine „Theosophie“ aufgebaut ist. Bei jedem Schritte, der in diesem Buche gemacht wird, steht das geistige Schauen im Hintergrunde. Es wird nichts gesagt, das nicht aus diesem geistigen Schauen stammt. Aber indem die Schritte getan werden, sind es zunächst im Anfange des Buches naturwissenschaftliche Ideen, in die das Schauen sich hüllt, bis es sich in dem Aufsteigen in die höheren Welten immer mehr im freien Erbilden der geistigen Welt betätigen muß. Aber dieses Erbilden wächst aus dem Naturwissenschaftlichen wie die Blüte einer Pflanze aus dem Stengel und den Blättern. – Wie die Pflanze nicht in ihrer Vollständigkeit angeschaut wird, wenn man sie nur bis zur Blüte ins Auge faßt, so wird die Natur nicht in ihrer Vollständigkeit erlebt, wenn man von dem Sinnenfälligen nicht zum Geiste aufsteigt.
So strebte ich darnach, in der Anthroposophie die objektive Fortsetzung der Wissenschaft zur Darstellung zu bringen, nicht etwas Subjektives neben diese Wissenschaft hinzustellen. – Daß gerade dieses Streben zunächst nicht verstanden wurde, ist ganz selbstverständlich. Man hielt eben Wissenschaft mit dem abgeschlossen, was vor der Anthroposophie liegt, und hatte gar keine Neigung dazu, die Ideen der Wissenschaft so zu beleben, daß das zur Erfassung des Geistigen führt. Man stand im Banne der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgebildeten Denkgewohnheiten. Man fand nicht den Mut, die Fesseln der bloß sinnenfälligen Beobachtung zu durchbrechen; man fürchtete, in Gebiete zu kommen, wo jeder seine Phantasie geltend macht.
GA 28, S. 408ff.
Ich bemerkte an ihr [Mrs. Besant], daß sie ein gewisses Recht habe, von der geistigen Welt aus ihren eigenen inneren Erlebnissen zu sprechen. [...] Aber ich war andrerseits streng in meiner Anschauung, daß in unserer Zeit die Einsicht in die geistige Welt innerhalb der Bewußtseinsseele leben müsse.
Ich schaute in eine alte Geist-Erkenntnis der Menschheit. Sie hatte einen traumhaften Charakter. Der Mensch schaute in Bildern, in denen die geistige Welt sich offenbarte. Aber diese Bilder wurden nicht durch den Erkenntniswillen in voller Besonnenheit entwickelt. Sie traten in der Seele auf, ihr aus dem Kosmos gegeben wie Träume. Diese alte Geist-Erkenntnis verlor sich im Mittelalter. Der Mensch kam in den Besitz der Bewußtseinsseele. Er hat nicht mehr Erkenntnis-Träume. Er ruft die Ideen in voller Besonnenheit durch den Erkenntniswillen in die Seele herein. – Diese Fähigkeit lebt sich zunächst aus in den Erkenntnissen über die Sinneswelt. Sie erreicht ihren Höhepunkt als Sinnes-Erkenntnis innerhalb der Naturwissenschaft.
Die Aufgabe einer Geist-Erkenntnis ist nun, in Besonnenheit durch den Erkenntniswillen Ideen-Erleben an die geistige Welt heranzubringen. Der Erkennende hat dann einen Seelen-Inhalt, der so erlebt wird wie der mathematische. Man denkt wie ein Mathematiker. Aber man denkt nicht in Zahlen oder geometrischen Figuren. Man denkt in Bildern der Geist-Welt. Es ist, im Gegensatz zu dem wachträumenden alten Geist-Erkennen, das vollbewußte Drinnenstehen in der geistigen Welt.
GA 28, S. 428f.
Aus dem Erleben der allgemeinen Geist-Welt wuchsen die besonderen Erkenntnisse heraus. Man erlebt viel, indem man ein solches Buch wie die „Theosophie“ aufbaut. Es war bei jedem Schritte mein Bestreben, nur ja im Zusammenhange mit dem wissenschaftlichen Denken zu bleiben. Nun nimmt mit der Erweiterung und Vertiefung des geistigen Erlebens dieses Streben nach einem solchen Zusammenhang besondere Formen an. Meine „Theosophie“ scheint in dem Augenblicke, wo ich von der Schilderung der Menschenwesenheit zur Darstellung der „Seelenwelt“ und des „Geisterlandes“ komme, in einen ganz anderen Ton zu verfallen.
Die Menschenwesenheit schildere ich, indem ich von den Ergebnissen der Sinneswissenschaft ausgehe. Ich versuche die Anthropologie so zu vertiefen, daß der menschliche Organismus in seiner Differenziertheit erscheint. Man kann ihm dann ansehen, wie er in seinen unterschiedenen Organisationsweisen auch in unterschiedener Art mit den ihn durchdringenden geistig-seelischen Wesenhaftigkeiten verbunden ist. Man findet die Lebenstätigkeit in einer Organisationsform; da wird das Eingreifen des Ätherleibes anschaulich. Man findet die Organe der Empfindung und Wahrnehmung; da wird durch die physische Organisation auf den Astralleib verwiesen. Vor meiner geistigen Anschauung standen diese Wesensglieder des Menschen: Ätherleib, Astralleib, Ich usw. geistig da. Für die Darstellung suchte ich sie an das anzuknüpfen, was Ergebnisse der Sinneswissenschaft waren. – Schwierig wird für den, der wissenschaftlich bleiben will, die Darstellung der wiederholten Erdenleben und des sich durch diese hindurch gestaltenden Schicksales. Will man da nicht bloß aus der Geistschau sprechen, so muß man auf Ideen eingehen, die sich zwar aus einer feinen Beobachtung der Sinneswelt ergeben, die aber von den Menschen nicht gefaßt werden. Der Mensch stellt sich vor eine solche feinere Betrachtungsweise in Organisation und Entwickelung anders hin als die Tierheit. Und beobachtet man dieses Anderssein, so stellen sich aus dem Leben heraus die Ideen vom wiederholten Erdenleben ein. Aber man beachtet es eben nicht. Und so erscheinen dann solche Ideen nicht aus dem Leben geholt, sondern willkürlich gefaßt oder einfach aus älteren Weltanschauungen aufgegriffen. [...]
Noch schwieriger stellt sich von diesem Gesichtspunkte aus die Sache bei den Kapiteln über die „Seelenwelt“ und das „Geisterland“. Da erscheinen für den, der die vorangehenden Ausführungen nur so gelesen hat, daß er von dem Inhalte Kenntnis genommen hat, die dargestellten Wahrheiten wie willkürlich hingeworfene Behauptungen. Aber anders ist es bei dem, dessen Ideen-Erleben durch das Lesen dessen, was an die Beobachtung der Sinneswelt angeknüpft ist, eine Erkraftung erfahren hat. Für ihn haben sich die Ideen zu selbständigem innerem Leben losgelöst von dem Gebundensein an die Sinne. Und nun kann dann der folgende Seelenvorgang in ihm sich ereignen. Er wird das Leben der losgelösten Ideen gewahr. Sie weben und wirken in seiner Seele. Er erlebt sie, wie er durch die Sinne Farben, Töne, Wärme-Eindrücke erlebt. Und wie in Farben, Tönen usw. die Naturwelt gegeben ist, so ist ihm in den erlebten Ideen die Geist-Welt gegeben. – Wer allerdings so ohne inneren Erlebnis-Eindruck die ersten Ausführungen meiner „Theosophie“ liest, daß er nicht ein Umwandeln seines bisherigen Ideen-Erlebens gewahr wird, wer gewissermaßen an die folgenden Ausführungen, trotzdem er das Vorangehende gelesen hat, so herangeht, als ob er das Buch mit dem Kapitel „Seelenwelt“ zu lesen beginnen würde, der kann nur zu einem Ablehnen kommen. Ihm erscheinen die Wahrheiten als unbewiesene Behauptungen hingepfahlt. Aber ein anthroposophisches Buch ist darauf berechnet, in innerem Erleben aufgenommen zu werden. Dann tritt schrittweise eine Art Verstehen auf. Dieses kann ein sehr schwaches sein. Aber es kann – und soll – da sein. Und das weitere befestigende Vertiefen durch die Übungen, die in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ geschildert sind, ist eben ein befestigendes Vertiefen. Zum Fortschreiten auf dem Geisteswege ist das notwendig; aber ein richtig verfaßtes anthroposophisches Buch soll ein Aufwecker des Geistlebens im Leser sein, nicht eine Summe von Mitteilungen. Sein Lesen soll nicht bloß ein Lesen, es soll ein Erleben mit inneren Erschütterungen, Spannungen und Lösungen sein.
Ich weiß, wie weit das, was ich in Büchern gegeben habe, davon entfernt ist, durch seine innere Kraft ein solches Erleben in den lesenden Seelen auszulösen. Aber ich weiß auch, wie bei jeder Seite mein innerer Kampf darnach ging, nach dieser Richtung hin möglichst viel zu erreichen. Ich schildere dem Stile nach nicht so, daß man in den Sätzen mein subjektives Gefühlsleben verspürt.
Ich dämpfe im Niederschreiben, was aus Wärme und tiefer Empfindung heraus ist, zu trockener, mathematischer Stilweise. Aber dieser Stil kann allein ein Aufwecker sein, denn der Leser muß Wärme und Empfindung in sich selbst erwachen lassen. Er kann diese nicht in gedämpfter Besonnenheit einfach aus dem Darsteller in sich hinüberfließen lassen.
GA 28, S. 432ff.
Es gab ja immer die tiefste Befriedigung, wenn ich sehen konnte, wie durch dieses fortwährende Eintauchen in das Künstlerische die anthroposophische Bewegung neues Leben empfing. Man braucht, um mit den Ideen die Wesenhaftigkeiten des Geistigen zu umfassen und sie ideenhaft zu gestalten, Beweglichkeit der Ideen-Tätigkeit. Die Erfüllung der Seele mit dem Künstlerischen gibt sie.
Und es war ja durchaus nötig, die Gesellschaft vor dem Eindringen aller derjenigen inneren Unwahrheiten zu bewahren, die mit der falschen Sentimentalität zusammen-hängen. Eine geistige Bewegung ist ja diesem Eindringen immer ausgesetzt. Belebt man den mitteilenden Vortrag durch die beweglichen Ideen, die man selbst dem Leben in dem Künstlerischen verdankt, so wird die aus der Sentimentalität kommende innere Unwahrhaftigkeit, die in dem Zuhörenden steckt, hinweggebannt. – Das Künstlerische, das von Empfindung und Gefühl zwar getragen wird, das aber aufstrebt zur lichterfüllten Klarheit in der Gestaltung und Anschauung, kann das wirksamste Gegengewicht gegen die falsche Sentimentalität geben. [...]
Es war eine fortdauernde Gegenwirkung gegen dieses innerlich unwahre sentimentale Element notwendig. Denn in eine geistige Bewegung dringt es immer wieder ein. Man kann es nicht etwa einfach abweisen, oder ignorieren. Denn die Menschen, die sich zunächst diesem Elemente hingeben, sind in vielen Fällen in ihren tiefsten Seelenuntergründen doch Suchende. Aber es wird ihnen zunächst schwierig, zu dem mitgeteilten Inhalt aus der geistigen Welt ein festes Verhältnis zu gewinnen. Sie suchen in der Sentimentalität unbewußt eine Art Betäubung. Sie wollen ganz besondere Wahrheiten erfahren, esoterische. Sie entwickeln den Drang, sich mit diesen sektiererisch in Gruppen abzusondern.
GA 28, S. 455f.