Rudolf Steiner über...
Rudolf Steiner über die Erziehung des Willens
Inhalt
1. Selbsterziehung des Lehrers
2. Wille und Wahrnehmung
3. Wille und Bewegung
4. Wille und Rhythmus
5. Wille und Gefühl
6. Wille, Interesse und Moral
7. Wille und Denken
8. Selbstständigwerden des Willens
1. Selbsterziehung des Lehrers
So daß die Erziehung in diesen ersten zweieinhalb Lebensjahren sich lediglich darauf beziehen kann, daß wir uns selbst so weit erziehen, daß wir in der Nähe des Kindes das denken, fühlen und wollen, was das Kind anschauen kann. Es erhält sich das manchmal noch, weil die Nachahmung im wesentlichen bis zum Zahnwechsel hingeht, für die späteren Lebensjahre.
29.12.1921, GA 303, S. 130.
Man darf solche Dinge nicht leicht nehmen, denn es gehören manchmal viele Jahre dazu, um so von innen heraus dasjenige zu tun, was sonst das Leben tut. [...] Wir müssen den Willen stark machen, stark machen die Denkkraft, damit sie stärker werden als der Körper, der seine Dinge weitermacht; dann zwingen wir den Körper, daß er für die Welt des Geistes durchsichtig wird.
18.8.1922, GA 305, S. 43f.
Um uns im geistig-seelischen Kräfteverhältnisse zu üben, müssen wir loskommen von dem äußerlichen Verlauf der Dinge. Und da ist eine gute Übung, die zugleich eine Willensübung ist, diese, wenn wir versuchen unsere Tageserlebnisse, wie wir sie vom Morgen bis zum Abend erleben, eben nicht vom Morgen bis zum Abend, sondern vom Abend zum Morgen hin rückwärts durchzudenken, und dabei möglichst auf die Einzelheiten einzugehen. [...]
Wenn wir in der Lage sind – und darauf kommt es an –, mit unserem Denken ganz loszukommen von der Art, wie die Wirklichkeit verläuft, dreidimensional, dann werden wir sehen, wie eine ganz ungeheure Verstärkung unseres Willens eintritt.
20.8.1922, GA 305, S. 89f.
Übertreibt man das Intellektualistische, ist man nicht imstande, auf das Bildhafte überzugehen, dann kommt beim Kinde in einer feinen, intimen Weise der Atmungsprozeß in Unordnung. Ich möchte sagen, es verdichtet sich in einem ohnmächtig werdenden Ausatmungsprozeß. Das müssen Sie sich nicht gleich grob vorstellen, sondern in feiner Weise, in differentieller Weise. Es verdichtet sich der Ausatmungsvorgang, und das Kind hat ein unterbewußtes Alpdrücken, wenn der Intellektualismus zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre zu stark an es herangebracht wird. Es kommt ein innerlich, ich möchte sagen, intimes Alpdrücken zustande, das der Organisation bleibt und das in einem späteren Alter zu asthmatischen Zuständen oder allerlei Krankheiten treibt, welche zusammenhängen mit einem nicht flotten Atmungsprozeß.
Treibt man dagegen das andere Extrem zu weit, stellt man sich in die Schule hinein wie ein kleiner Cäsar, indem man natürlich glaubt, man sei ein großer Cäsar, dann stellt sich heraus, daß das Kind sich fortwährend an den Willensimpulsen des Lehrers spießt. Ebenso wie man die Ausatmung verdichtet durch das Extrem des Intellektualistischen, verdünnt man die Kräfte, welche den Stoffwechsel besorgen sollen, durch ein einseitiges Befehlen, ein einseitiges Entwickeln der Willensimpulse als Lehrer. Es entwickeln sich im Kinde die Schwächen der Verdauungsorgane, die dann im späteren Alter zum Vorschein kommen können.
Beides ist eine Unmöglichkeit in der Erziehung: das Intellektualistische auf der einen Seite, und das vom Lehrer ausgehende übertriebene Willenshafte auf der anderen Seite. In dem Waagehalten, in dem Gleichgewichthalten zwischen beiden, in dem, was sich im Gemüte vollzieht, wenn der Wille sanft übergeht in die eigene Tätigkeit des Kindes, und dem, wo der Intellekt sich abmildert, so daß er den Atmungsprozeß nicht bedrückt, in der Gemütsbildung, die nach dem Bilde hinneigt und die sich äußert in einem solchen Schwebenkönnen, wie ich es charakterisiert habe, da liegt das Heil der kindlichen Entwickelung zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife.
9.4.1924, GA 308, S. 40f.
Der eigene Astralleib des Erziehers muß so beschaffen sein, daß er ein instinktives Verständnis hat für die Verkümmerungen im Ätherleibe des Kindes.
Nehmen wir an, es sei in der Lebergegend des Kindes der Ätherleib verkümmert. Dadurch wird in dem Kinde die Erscheinung hervorgebracht, daß es mit seinen Intentionen dasteht, immer will, aber dieses Wollen ihm immer vor der Tat stoppt. Wenn nun der Erzieher innerlich sich ganz hineinfühlen kann in diese Lage, daß man mit seinem Willen sich durchdrücken muß in die Tat, wenn man mitfühlen kann dieses Stoppen und zu gleicher Zeit entwickeln kann aus seiner eigenen Energie heraus ein tiefes Mitleid mit diesem so innerlich Erlebten, dann bildet man im eigenen Astralleib das Verständnis aus für diese Lage des Kindes, und man wird nach und nach dazu kommen, jede Spur von Sympathie oder Antipathie mit dieser Erscheinung bei dem Kinde in sich auszutilgen. Dadurch, daß der Erzieher die Sympathie und Antipathie in sich austilgt, dadurch wirkt er erzieherisch auf seinen eigenen Astralleib. [...] Erst dann, wenn man es so weit gebracht hat, daß einem eine solche Erscheinung zum objektiven Bild wird, daß man sie mit einer gewissen Gelassenheit als objektives Bild nimmt und nichts anderes dafür empfindet als Mitleid, dann ist die im astralischen Leib befindliche Seelenverfassung da, die in richtiger Weise den Erzieher neben das Kind hinstellt. Und dann wird er alles übrige mehr oder weniger richtig besorgen. [...]
Wie aber kommt man zu einem solchen Verständnis? Zu einem solchen Verständnis kommt man eben dadurch, daß man ein größeres und immer größeres Interesse entwickelt für das Mysterium der menschlichen Organisation überhaupt.
26.6.1924, GA 317, S. 32f.
2. Wille und Wahrnehmung
Daß wir zum Beispiel die Kreide weiß empfinden, das ist hervorgegangen aus der Anwendung des Willens, der über die Sympathie und Phantasie zur Imagination wird.
22.8.1919, GA 293, S. 37.
Was uns zunächst in den Sinnen, ganz im Umfange der zwölf Sinne, in Beziehung bringt zur Außenwelt, das ist nicht erkenntnismäßiger, sondern willensmäßiger Natur.
23.8.1919, GA 293, S. 48.
In jedem Sinnesorgan schafft das Willensmäßige das innere Bild. Das Sinnesorgan, passiv, hat zunächst nur die Aufgabe, sich oder den Menschen der Außenwelt zu exponieren, aber es findet in jedem Sinnesorgan eine innere Aktivität statt, und die ist willensartiger Natur. [...] Und dieses Willensartige erträgt nämlich zwischen dem Eintritt in die Volksschule und ungefähr dem 9. Jahr zunächst nur, daß man es in einer ganz menschlich-bildhaften Weise an alle Dinge der Natur und des Menschen heranführt. [...]
Aber ganz ohne Verständnis bleibt das Kind dafür, daß man ihm in diesen Jahren schon etwas erklären will. Dafür hat es gar kein Verständnis. Wenn man ihm in diesen Jahren etwas erklären will, dann wird es stumpf, dann geht das gar nicht. Aber es geht wunderbar, wenn man alles, was man an das Kind heranbringen will, nicht erklärt, sondern erzählt, wenn man auch mit Worten, mit Vorstellungen malen will, wenn man Rhythmus hineinbringt in die ganze Art und Weise, wie man dem Kinde die Dinge beibringt.
19.4.1923, GA 306, S. 96f.
Dasjenige, was der Erwachsene abgesondert im Auge erlebt, erlebt das Kind durch den ganzen Leib hindurch, und ohne daß Überlegung dazwischentritt, kommen die Willensimpulse unmittelbar wie Reflexerscheinungen beim Kinde zutage.
8.4.1924, GA 308, S. 14.
3. Wille und Bewegung
Die Initiative des Willens wird gestärkt, wenn man Bewegungen ausführt als Kind, wo jede einzelne Bewegung eine seelische zu gleicher Zeit ist, wo Seele sich hineingießt in jede einzelne Bewegung.
[...] Durch dasjenige, was sie als beseeltes Turnen durchmachen – das kann man ganz deutlich sehen –, wächst ihr Interesse für die Außenwelt. [...] Sie bekommen ein solches Interesse für die Beobachtung der Außenwelt, daß das ganz erstaunlich ist. Zu dieser Kultur des Willens hat man in der entsprechenden Weise hinzuzufügen die Kultur der Innerlichkeit, die entsteht, wenn man richtiges Musikalisches und Gesangliches an die Kinder heranbringt. Und [...] so findet man, daß durch das Eurythmisch-Turnerische das Verhältnis zur Außenwelt in bezug namentlich auf das, was vom Willen ausgeht, gestärkt wird, mit Initiative durchdrungen wird, und daß vom Musikalischen in jeder Form ausgeht die gemüthafte Verinnerlichung.
28.4.1920, GA 301, S. 96.
Sehen Sie, während der Mensch seinen Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus in Regsamkeit hat, da sind allerdings diejenigen Gedanken, die künstlich zwischen Geburt und Tod in den Kopf hineingebracht werden, aus dem Kopf draußen. Das Kind springt herum, bewegt sich, bringt den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus in Bewegung. Die während des physischen Erdenlebens eingepflanzten Gedanken, die gehen zurück. Aber dasjenige, was sonst in den Träumen figuriert, diese übersinnliche Weisheit ist jetzt auf unbewußte Art im Kopfe drinnen, macht sich gerade im Kopfe geltend. Führen wir daher das Kind nach der Gymnastik wiederum zurück in die Schulstube, dann setzen wir ihm etwas, was im Unterbewußten für das Kind minderwertig ist, an die Stelle desjenigen, was es vorher gehabt hat während der gymnastischen Übungen.
28.12.1921, GA 303, S. 117.
Es kommt durchaus in Betracht, daß alles dasjenige, was sozusagen Kopferziehung und Kopfunterricht ist, in den Vormittagsstunden mit den Kindern bewältigt werden soll, und erst nachdem dieses eben absolviert ist, werden die Kinder an das Leiblich-Physische nachmittags, insofern sie es nicht austoben in den Zwischenstunden am Vormittag, geführt. Und nachdem diese mehr physisch-gymnastische Erziehung Platz gegriffen hat, wird das Kind nicht wiederum zum Kopfunterricht zurückgeführt. Ich habe es ja schon angedeutet, daß das zerstörerisch wirkt auf das Leben; denn während die Kinder gerade dasjenige pflegen, was sich auf das Leiblich-Physische bezieht – die Details werden wir in den nächsten Tagen ausführen –, arbeitet ein unbewußtes Übersinnliches in dem Kinde, und der Kopf ist nicht mehr in der Lage, nachdem er sich dieser leiblich-physischen Erziehung hingegeben hat, nach dieser Betätigung wiederum zur Kopfarbeit zurückzukehren.
30.12.1921, GA 303, S. 153f.
Dagegen muß der Charakter einer Bewegung ein wesentliches Element bilden beim Didaktischen. Es muß der Eurythmisierende dabei fühlen das Zurückströmen irgendeiner Bewegung oder Haltung in seine eigene Empfindung. [...]
Weil es auch wichtig ist für eine mehr psychologische Physiologie, müßten sich mit diesen Figuren die Waldorflehrer überhaupt befassen; für die Erkenntnis des menschlichen Organismus müßten sich die Waldorflehrer damit befassen. Es ist zugleich eine Grundlage für allgemeines künstlerisches Empfinden, für eine Erkenntnis des inneren menschlichen Organismus, was man daran lernen kann, an diesen Figuren. [...]
Das gerade, was ich als Charakter bezeichnet habe, das ist das Erleben des Gefühles hei einem Willensakte. Der Turnlehrer hat es unmittelbar mit dem Willensakt zu tun, der Eurythmielehrer mit dem Erleben des Gefühles beim Willensakte.
1.3.1923, GA 300b, S. 294ff.
4. Wille und Rhythmus
Es geht das Vorstellungsmäßige über in das Willensmäßige, wenn das Wiederholen eintritt.
15.6.1921, GA 342, S. 144.
5. Wille und Gefühl
Wir müssen Kunst lehren im Zeichnen und so weiter, wir müssen Seelisches lehren im Rechnen, und wir müssen auf künstlerische Art Konventionelles lehren im Lesen und Schreiben: wir müssen den ganzen Unterricht durchdringen mit einem künstlerischen Element. Daher werden wir von Anfang an einen großen Wert darauf zu legen haben, daß wir das Künstlerische im Kinde pflegen. Das Künstlerische wirkt ja ganz besonders auf die Willensnatur des Menschen.
21.8.1919, GA 294, S. 10.
Wenn Sie das Kind Sätze, die es vermöge seiner Altersstufe längst noch nicht versteht, wiederholen lassen, wenn Sie es veranlassen, sich diese Sätze rein gedächtnismäßig einzuprägen, dann wirken Sie allerdings nicht auf sein Verständnis, weil Sie nicht eingehen können auf den Sinn, denn der muß sich erst später enthüllen, aber Sie wirken auf seinen Willen, und das sollen Sie auch, das müssen Sie auch. Sie müssen auf der einen Seite versuchen, diejenigen Dinge an das Kind heranzubringen, die vorzugsweise künstlerische sind: Musikalisches, Zeichnerisches, Plastisches und so weiter, aber Sie müssen auf der andern Seite auch das, was einen Sinn haben kann in abstrakter Form, dem Kinde so beibringen, daß es zunächst den Sinn zwar noch nicht versteht, sondern erst im späteren Leben, weil es ihn durch die Wiederholung aufgenommen hat und sich daran erinnern kann und mit dem stärkeren Reifezustand dann begreift, was es vorher nicht begreifen konnte. Da haben Sie auf sein Wollen gewirkt. Und ganz besonders haben Sie damit auch auf sein Fühlen gewirkt, und das sollten Sie eigentlich nicht vergessen. [...] Für das denkende Erkennen müssen wir durchaus das vornehmen, wobei es darauf ankommt, den Sinn zu enthüllen: Lesen, Schreiben und so weiter; für das wollende Tun müssen wir alles ausbilden, bei dem es nicht auf ein bloßes Deuten des Sinnes ankommt, sondern auf ein unmittelbares Ergreifen durch den ganzen Menschen: Künstlerisches. Was zwischen beiden liegt, das wird vorzugsweise auf die Gefühlsbildung, auf die Gemütsbildung wirken. Auf diese Gemütsbildung wirkt es wirklich sehr stark, wenn das Kind in die Lage versetzt wird, erst etwas rein gedächtnismäßig aufzunehmen, unverstanden, ohne daß an dem Sinn, trotzdem einer vorhanden ist, herumgemäkelt wird, so daß es erst nach einiger Zeit, wenn es durch andere Maßnahmen reifer geworden ist, sich wieder daran erinnert und jetzt erst verstehen kann, was es früher aufgenommen hat. Das ist eine Feinheit in der erzieherischen Tätigkeit, die aber durchaus beachtet werden muß, wenn man innig fühlende Menschen erziehen will.
27.8.1919, GA 294, S. 85f.
Indem man nach und nach alles bloß Intellektuelle aus dem Künstlerischen, aus dem ganzen Menschen herausarbeitet, wird man auch ganze Menschen heranziehen, Menschen mit wirklicher Initiative, die wiederum Lebenskraft im Leibe haben, nicht Menschen, die [...] mit 30 Jahren eigentlich nicht wissen, wo sie stehen.
28.4.1920, GA 301, S. 103.
Das Kind muß in der richtigen Weise lernen, seinen Willen aus seinem Organismus herauszutreiben. – Dazu muß der Wille in allen seinen Äußerungen in der richtigen Art etwas Gefühlsmäßiges aufnehmen. Wir müssen nicht nur das oder jenes tun, wir müssen auch Sympathie und Antipathie in entsprechender Weise mit dem entwickeln, was wir tun.
3.1.1922, GA 302, S. 222.
Denn das musikalische Element, namentlich wenn weniger auf das Inhaltliche der Musik, als auf Rhythmus und Takt, und das Erfühlen von Rhythmus und Takt gesehen wird, wird eine gute Grundlage für die Stärke, für die Energie des Willens geben, namentlich wenn es im Beginne der Elementarschule schon in der richtigen Weise gepflegt wird.
21.8.1922, GA 305, S. 101.
Es muß [...] erkannt werden, was es für den Menschen bedeutet, wenn er in der richtigen Weise durch die – wenn ich so sagen darf – unteren Lebensalter, also zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife – durch das Lebensalter bis zum 9., 12. Jahr usw. – musikalisch geführt wird. In diesem richtigen musikalischen Einführen liegt die Grundlage für das Hinwegschaffen all der Hindernisse, die wir im späteren Leben für die mutige, sinngemäße Entfaltung unseres Willens haben. [...] Das ist überhaupt etwas, was zu dem Wunderbarsten gehört, daß man gerade durch anthroposophische Forschung durchschauen kann, wie das Musikalische innerlich menschenschöpferisch ist. Man lernt erkennen, wie in der Ausstrahlung der Nerven vom verlängerten Mark, von dem ganzen Rückenmarksystem, wie in diesem Auslaufen der Nerven ein ungeheuer feines musikalisches Instrument gegeben ist. Und man lernt erkennen, daß es vertrocknet und verhärtet und den ganzen Menschen innerlich unfähig macht, das Mutartige richtig zu entfalten, wenn der musikalische Unterricht und die musikalische Erziehung nicht entgegenkommen diesem wunderbar feinen Musikinstrumente.
22.4.1923, GA 306, S. 169f.
6. Wille, Interesse und Moral
Es ist durchaus nicht etwas die Naivität des Kindes Verletzendes, wenn wir das Kind anweisen, selbst mit der hohlen Hand die Körperformen nachzufühlen, wenn wir es aufmerksam machen auf das Auge, indem es die Wendungen des Kreises zum Beispiel verfolgt, und ihm sagen: Du machst ja selbst mit deinem Auge einen Kreis. Das ist nicht eine Verletzung der Naivität des Kindes, sondern es ist ein Inanspruchnehmen des Interesses des ganzen Menschen. Daher müssen wir uns bewußt sein, daß wir das Untere des Menschen hinauftragen in das Obere, in das Nerven-Sinneswesen.
21.8.1919, GA 294, S. 19.
Man bedenke nur, wie Sympathie, so richtig im irdischen Sinne entwickelt, alles Wollen durchsetzt; also das, was als Zukunftskeim, als nachtodlicher Keim durch den Willen in uns liegt, wird von Liebe, von Sympathie durchsetzt. Dadurch wird [...] alles, was mit dem Wollen zusammenhängt, damit es in der rechten Weise gehemmt oder gepflegt werden kann, auch in der Erziehung mit ganz besonderer Liebe verfolgt werden müssen. Wir werden der Sympathie, die schon im Menschen ist, zu Hilfe kommen müssen, indem wir uns an sein Wollen wenden. Was wird denn daher der eigentliche Impuls für die Willenserziehung sein müssen? Es kann kein anderer sein, als daß wir selber Sympathie mit dem Zögling entwickeln. [...]
Durch das, was wir im Seminar versuchten, werden Sie nur ein guter Erzieher für das Vorstellungsleben des Kindes. Für sein Willensleben werden Sie ein guter Erzieher, wenn Sie versuchen, jeden einzelnen mit Sympathie, mit wirklicher Sympathie zu umgeben. Diese Dinge gehören auch zum Erziehen: Antipathie, die uns befähigt zum Begreifen - Sympathie, die uns befähigt zum Lieben.
22.8.1919, GA 294, S. 34f.
Schon das wird außerordentlich gut auf das Kind in methodischer Beziehung wirken, wenn Sie ihm in den ersten Stunden davon gesprochen haben, daß es Schreiben, Lesen und Rechnen zwar jetzt noch nicht kann, aber alle diese Dinge in der Schule lernen wird. Dadurch prägt sich in dem Kinde die Hoffnung aus, der Wunsch, der Vorsatz, und es lebt sich durch das, was sie selber tun, in eine Gefühlswelt hinein, die wieder Ansporn ist zur Willenswelt. Also selbst das können Sie tun, daß Sie in bezug auf das Erzieherische das, was Sie später tun wollen, nicht unmittelbar an das Kind heranbringen, sondern es einige Zeit in der Erwartung lassen. Das wirkt außerordentlich günstig auf die Willensausbildung des werdenden Menschen.
25.8.1919, GA 294, S. 59.
Haben Sie dieses Gefühl von der Heiligkeit des Aufrufens des Ich durch die Sprache, dann werden Sie es auch durch die verschiedenen Maßnahmen bei den Kindern erwecken können. Und dann werden Sie namentlich das Ich-Gefühl bei den Kindern nicht in egoistischer Weise erwecken, sondern in einer andern Weise. Denn man kann das Ich-Gefühl in zweifacher Weise beim Kinde erwecken. Wenn man es falsch erweckt, dann wirkt es gerade zur Anfachung des Egoismus, wenn man es richtig erweckt, wirkt es zur Anfachung des Willens, geradezu zur Selbstlosigkeit, gerade zum Leben mit der Außenwelt.
25.8.1919, GA 294, S. 65f.
Es wäre traurig, wenn wir mit irgend etwas vollständig zufrieden sein könnten, denn es gibt nichts, was wir nicht auch noch besser machen könnten. Und dadurch gerade unterscheidet sich der in der Kultur etwas höherstehende Mensch von dem niedriger stehenden, daß der letztere immer mit sich zufrieden sein möchte. Der Höherstehende möchte nie mit sich so richtig zufrieden sein, weil ein leiser Wunsch nach Bessermachen, sogar nach Andersmachen, immer mitklingt als Motiv. [...] Für den, der die Seele wirklich beobachten kann, ist es das erste Element von alledem, was nach dem Tode übrigbleibt. [...]
Der Mensch aber, der noch in Ihnen lebt, der zweite Mensch, der entwickelt – allerdings jetzt nicht vorstellungsgemäß, sondern willensgemäß – immer ein deutliches Bild von dem, wie er die Handlung, wenn er noch einmal in derselben Lage wäre, ausführen würde. Unterschätzen Sie ja nicht eine solche Erkenntnis! Unterschätzen Sie überhaupt nicht diesen zweiten Menschen, der in Ihnen lebt.
25.8.1919, GA 293, S. 71f.
Moralbegriffe bringt man nicht in die Kinder hinein, indem man an den Verstand appelliert, sondern indem man an Gefühl und Willen appelliert. Aber an Gefühl und Willen wird man dann appellieren können, wenn man die Gedanken und Gefühle des Kindes darauf hinlenkt, wie es selbst nur dann ganz Mensch ist, wenn es seine Hände benutzt zur Arbeit für die Welt, wie es dadurch das vollkommenste Wesen ist, und wie eine Beziehung besteht vom menschlichen Kopf zum Tintenfisch und vom menschlichen Rumpf zur Maus oder zum Schaf oder zum Pferd. Durch dieses Sich-Hineingestellt-Fühlen in die Naturordnung nimmt das Kind auch Gefühle auf, durch die es sich später recht als Mensch weiß.
28.8.1919, GA 294, S. 107
Das Schlimmste ist das Miterleben der von Menschen gemachten Welt, ohne daß man sich kümmert um diese Welt.
Diesen Dingen können wir nur entgegenarbeiten, wenn wir mit diesem Entgegenarbeiten schon auf der letzten Stufe des Volksschulunterrichts beginnen, wenn wir wirklich das Kind im 15., 16. Jahr nicht aus der Schule herauslassen, ohne daß es wenigstens von den wichtigsten Lebensverrichtungen einige elementare Begriffe hat. So daß es die Sehnsucht bekommt, dann bei jeder Gelegenheit neugierig, wißbegierig zu sein auf dasjenige, was in seiner Umgebung vorgeht und dann aus dieser Neugierde und Wißbegierde heraus seine Kenntnisse weiter entwickelt. [...] Das heißt, wir sollten nicht unterlassen, aus den physikalischen naturgeschichtlichen Begriffen heraus, die wir gewonnen haben, das Kind in den Gang wenigstens ihm naheliegender Betriebssysteme einzuführen. Das Kind sollte im allgemeinen mit dem 15. und 16. Jahr einen Begriff bekommen haben von dem, was in einer Seifenfabrik oder in einer Spinnerei vor sich geht. [...] Solch ein Beibringen gewisser Zusammenfassungen von Betriebszweigen, das ist für den kindlichen Menschen im 13., 14., 15., 16. Jahr eine allergrößte Wohltat. [...] Der Mensch würde nämlich nicht nur das davon haben, daß er dann diese Dinge weiß, sondern das Wichtigste ist, daß er fühlt, indem er durch das Leben und durch seinen Beruf geht: er hat diese Dinge einmal gewußt; er hat sie einmal durchgenommen. Das wirkt nämlich auf die Sicherheit seines Handelns. Das wirkt auf die Sicherheit, mit der der Mensch sich in die Welt hineinstellt. Das ist sehr wichtig für die Willens- und Entschlußfähigkeit des Menschen.
3.9.1919, GA 294, S. 162ff.
Und es ist nicht uneben für den Unterricht, wenn Sie gerade daran denken, mancherlei im Unterricht unausgesprochen sein zu lassen, so daß das Kind veranlaßt ist, sich in seinen Seelenkräften weiter mit dem zu befassen, was es im Unterricht aufgenommen hat. Es ist gar nicht gut, bis zum allerletzten i-Tüpfelchen alles erklären zu wollen im Unterricht. Dann geht das Kind nur aus der Schule und hat das Gefühl, daß es alles schon aufgenommen hat und sucht nach anderem Allotria. [...] Daß heute unsere Kinder solche Rangen werden, das hängt nur damit zusammen, daß wir zu viel falschen Anschauungsunterricht und zu wenig Willens- und Gefühlsunterricht treiben.
5.9.1919, GA 294, S. 185
Und wir bereiten, wir müssen das tun, das Kind in der richtigen Weise für den Beginn der Zwanzigerjahre vor, wenn wir berücksichtigen, daß ja jetzt das Subjektive mit dem astralischen Leib sich selbständig entwickelt. Geradeso wie der menschliche Leib sein gesundes Knochensystem braucht, wenn er nicht einherwackeln soll, so braucht der astralische Leib mit dem eingeschlossenen Ich, wenn er sich richtig entwickeln soll, in diesem Lebensalter Ideale. Das muß man ganz voll ernst nehmen. Ideale, diejenigen Begriffe, die einen Willenscharakter haben, Ideale mit Willenscharakter, das ist dasjenige, was wir jetzt als ein festes Gerüst dem astralischen Leib einfügen müssen.
[...] Macht man mit solchen Kindern einen Schulausflug, so redet man mit den einzelnen wiederum nach ihrem individuellen Gestaltet sein. Man redet mit ihnen: Wie stellst du dir vor, daß du das machen wirst, daß du jenes machen wirst? – Man weist auf die Zukunft hin, nimmt die Zweckidee, die Zielidee in das Leben auf. Wir durchsteifen in einer gewissen Weise den astralischen Leib und das ist wichtig, daß wir ihn in diesem Lebensalter in dieser Weise durchsteifen.
16.6.1921, GA 302, 82f.
7. Wille und Denken
Aber nun kommt etwas anderes: daß das, was man dem Sinne nach aufgenommen hat, nur auf die Betrachtung wirkt, nur auf das denkende Erkennen und daß man durch das Zum-Sinn-Erheben den Menschen einseitig heranzieht zum bloßen Betrachten der Welt, zum denkenden Erkennen. Und würden wir einzig und allein im Sinne dieses Satzes unterrichten, so würden wir Menschen herausbekommen, die alle willensschwach wären. [...] Und in der Tat, wenn man einseitig nur bei allem zunächst den Sinn zergliedert, so könnte man sehr weitgehend das menschliche Betrachten der Welt erziehen. Aber man würde damit niemals den wollenden Menschen erziehen, denn das Wollen kann man nicht dadurch erzwingen, daß man den Sinn einer Sache ins helle Licht rückt. Das Wollen will schlafen, und es will nicht in dieser Weise voll aufgeweckt sein, daß man überall, ich möchte sagen, in unkeuscher Weise den Sinn enthüllt.
27.8.1919, GA 294, S. 83f.
Eigentlich brauchen wir nur den Gliedmaßenmenschen auszubilden und einen Teil des Brustmenschen. Denn der Gliedmaßenmensch und der Brustmensch, die haben dann die Aufgabe, den Kopfmenschen aufzuwecken, so daß Sie also hier eigentlich erst die wirkliche Charakteristik des Erziehens und Unterrichtens bekommen. [...]
Der richtige Weg ist, soviel als möglich durch den Willen den Intellekt zu wecken. Das können wir nur, wenn wir vom Künstlerischen übergehen in die intellektuelle Bildung.
2.9.1919, GA 293, S. 168f, 174.
Allein man kann den Willen und das ihm zugrunde liegende gesunde Gemüt nicht erziehen, wenn man nicht die Einsichten entwickelt, die in Gemüt und Willen tatkräftige Antriebe erwecken. Ein Fehler, der nach dieser Richtung hin in der Gegenwart häufig gemacht wird, besteht nicht darin, daß man zuviel an Einsicht in den aufwachsenden Menschen hineinträgt, sondern darin, daß man Einsichten pflegt, denen die Stoßkraft für das Leben mangelt. Wer glaubt, den Willen bilden zu können, ohne die ihn belebende Einsicht zu pflegen, der gibt sich einer Illusion hin.
11.9.1919, GA 300b, S. 10, Aufsatz „Die pädagogische Grundlage der Waldorfschule“.
Es wäre bequemer, das nicht auszusprechen, aber es muß eben ausgesprochen werden, denn wir brauchen eine wirkliche Menschenerkenntnis. Was wir an Gedanken im Gehirn haben, das sind nur Bilder dessen, was sich im wirklichen Gedankenprozeß abspielt. Dasjenige, wofür das Gehirn das Werkzeug ist, das sind die passiven Bilder für die wirklichen Prozesse, die sich beim Denken abspielen. Daß das Denken zum Bewußtsein kommt, das ist von diesen Bildern abhängig; aber in diesen Bildern liegt nicht die innere Kraft, die im Denken wirkt, liegt nicht das Willensgemäße des Denkens. [...] Während des Denkens über die physische Natur waltet eigentlich der Prozeß im ganzen, im vollen Menschen, und zwar gerade für das Denken im Skelett. Wir setzen uns auch mit unserem Denken in das Skelett hinein mit unserem zwölften Jahre.
2.1.1922, GA 303, S. 209.
So handelt es sich um nichts Geringeres, als daß wir zwischen dem siebenten und dem vierzehnten Lebensjahre des Kindes das Denken in die richtige Verbindung mit dem Wollen, mit dem Willen bringen. [...] Und deshalb kann der Mensch ein moralisches Wesen werden, weil er hier auf Erden Gelegenheit hat, erst sein Denken mit seinem Willen zusammenzuschalten, in Verbindung zu bringen. Darauf beruht der ganze menschliche Charakter, insofern er aus dem Inneren hervorgeht, daß die richtige Harmonie hervorgerufen wird durch menschliche Tätigkeit zwischen Denken und Wille. [...]
Das ist dasjenige, was die moderne Zivilisation im Grunde genommen verschlafen hat. Verschlafen hat sie die Einsicht, daß die Erziehung bestehen müßte in der Zusammenschaltung des Willens, der erst mit dem zwanzigsten Lebensjahre voll emanzipiert als seelische Eigenschaft erscheint, mit dem Denken, das schon im siebenten Jahre erscheint. Dann erst bekommt man die richtige Ehrfurcht für die Entwickelung des Menschen [...]. [...]
Sachgemäß, das heißt, menschenwesengemäß ist allein die Frage: Wie bringen wir das sich im Kopfe emanzipierende Denken mit dem in den Gliedern sich emanzipierenden Willen in die richtige Harmonie? – Weder einseitig auf das Denken, noch einseitig auf den Willen, sondern allseitig auf den ganzen Menschen müssen wir hinblicken, wenn wir Erzieher werden wollen.
9.8.1923, GA 307, S. 88ff.
8. Selbstständigwerden des Willens
Während da das Vorstellen gewissermaßen sich aus dem Leiblichen zurückzieht und selbständig Seelisches wird, ist es später, zumeist schon vorher sich ankündend, aber namentlich vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, der Wille, das, was wir Wille nennen, was sich zurückzieht aus der ganzen Organisation des Kindes und sich lokalisiert in der Kehlkopf- und Sprachorganisation. Ganz genau so, wie sich nach innen drängt das Vorstellungsleben, und selbständig seelisches Element wird, so lokalisiert sich in dem, was aus der Sprache und ihren Organen im 14., 15. Jahre wird – bei manchen Kindern etwas früher natürlich –, das Willenselement.
20.4.1920, GA 301, S. 24.
Man kann sagen: Alles Willensmäßige ist selbst noch bei dem Kinde zwischen dem fünfzehnten und einundzwanzigsten Jahre abhängig von der Art und Weise, wie der Organismus in die Bewegung hineinwirkt. [...]
Und der Wille emanzipiert sich erst um das zwanzigste Jahr herum in derselben Weise von dem Organismus, wie sich das Gefühl um das vierzehnte Jahr herum, das Denken um das siebente Jahr beim Zahnwechsel emanzipiert.
Bei uns, in unserem Zeitalter sind ja die Menschen nach ihrer eigenen Meinung nach dem vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahr erwachsen; und daß man nach dem vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahre nicht nur äußere Kenntnis, sondern auch noch innere Charakterbildung, gerade Willensbildung sich aneignen soll, das erkennen unsere jungen Leute zwischen dem fünfzehnten und einundzwanzigsten Jahre ja nicht an. [...] Es ist dies ganz begreiflich in einer auf das Äußere gerichteten Zeit.
9.8.1923, GA 307, S. 84f.