Vom Wesen der Waldorfpädagogik
Die Erziehungsfrage als soziale Frage
Rudolf Steiner: Die Erziehungsfrage als soziale Frage. (GA 296, 9.-17.8.1919). | Zwischenüberschriften eingefügt.
1. Vortrag: Industrialismus. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Nachahmung, Autorität, Menschenliebe.
2. Vortrag: Reines Denken, Vorgeburtlichkeit. Zerrissene Seelen. Verfluchter Stundenplan.
3. Vortrag: Ware, Arbeit, Kapital. Notwendigkeit imaginativer, inspirativer, intuitiver Begriffe.
4. Vortrag: Lehrergesinnung. Vorgeburtlichkeit. Kopf, Brust, Gliedmaßen; phys., Äther-, Astralleib. Individualisieren.
5. Vortrag: Wandel der Intelligenz. Neigung zum Bösen und Irrtum. Gottes-Begriff, Christus-Impuls.
6. Vortrag: Goetheanismus. Engel, Erzengel, Zeitgeister. Staatliches Unterrichtswesen, Pension und inneres Tätigsein.
1. Vortrag, 9.8.1919
[...] Zu keiner Zeit vielleicht war eigentlich weniger Neigung vorhanden, in wahrem und echtem Sinne des Wortes die Seele zu erheben zu den geistigen Welten, und notwendig ist es ganz besonders in dieser Zeit, die Seele zu erheben zu den geistigen Welten. [...] Die Probleme, die Aufgaben, die der Gegenwart gestellt sind, von ihnen glaubt man heute in weitesten Kreisen, daß man sie lösen kann mit den Gedanken, mit den Impulsen, welche herzunehmen sind aus dem äußerlichen menschlichen Wissen. [...]
Was die Menschen heute in weitesten Kreisen beschäftigt, worüber aber doch ernstlich nachzusinnen den Menschen vor allen Dingen die intellektuelle Kraft fehlt, weil die intellektuelle Kraft in der gegenwärtigen Zeit fast wie gelähmt ist bei einem großen Teil der Menschheit, das sind ja die sozialen Probleme. Und der Glaube herrscht, daß man diese sozialen Probleme mit dem, was man heute Wissen und Erkenntnis nennt, bewältigen könne. Man wird sie nicht bewältigen können, man wird sie niemals bewältigen können, wenn sie nicht in Angriff genommen werden vom Gesichtspunkte geistiger Erkenntnis. [...]
Alles das, was die Naturforscher ausgedacht haben, und was heute populäre Bildung ist, viel mehr populäre Bildung ist als diese Menschen glauben, das ist Glaube, eigentlich Aberglaube an eine gespenstische Welt. Und an die Seite dieser gespenstischen Welt ist dasjenige gestellt, was aus dem modernen Industrialismus an geistiger Wirksamkeit über die Menschen gekommen ist. Der Industrialismus, man muß ihn in seiner geistigen Bedeutung einmal ins Auge fassen. Nehmen Sie dasjenige, was den Industrialismus vorzugsweise beherrscht, die Maschine. Die Maschine unterscheidet sich von allem übrigen, mit dem es der Mensch zu tun haben kann in seinem äußeren Leben.
Ich bitte Sie, betrachten Sie das Tier. Sie werden, indem Sie Ihre wissenschaftlichen oder sonstigen Erkenntnisgedanken auf das Tier anwenden – ich will gar nicht vom Menschen in dem heutigen Zusammenhang sprechen –, noch so viel über das Tier erforschen können, es bleibt immer etwas, ich möchte sagen, Göttlich-Tiefes im Tiere; Sie schöpfen es nicht aus, Sie kommen nicht dahinter. Hinter das, was Sie über das Tier denken, stellt sich immer etwas, was Ihnen unbekannt bleibt. Bei der Pflanze ist es nicht weniger. Und nehmen Sie selbst den Kristall, nehmen Sie die wunderbaren Formen der Kristallwelt, Sie werden sich sagen müssen: Gewiß, man kann das Äußerste begreifen in der Kristallwelt, in ihren Formen und so weiter, wenn man auf diese Sache hin geschult ist, aber es bleibt noch hinlänglich vieles von dem, was der Mensch verehren kann als dasjenige, zu dem er nicht mit dem unmittelbaren, unhellseherischen Verstande dringt.
Nehmen Sie die Maschine, sie ist durch und durch durchsichtig. [...] Das macht den Verkehr mit der Maschine so verheerend für den Menschen, daß die Maschine geistig-seelisch so durchsichtig ist; daß alles, was an Kräften und Kräftezusammenhängen in der Maschine ist, so wasserklar daliegt vor den menschlichen Sinnen und dem menschlichen Verstande. Das ist das, was Herz und Seele der Menschen aussaugt, was den Menschen trocken macht, was den Menschen unmenschlich macht. [...]
Das sind die Dinge, die immer stärker und stärker gewirkt haben seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, das sind die Dinge, welche gegenwärtig dem Menschen das eigentlich Menschliche aussaugen. Wenn die Menschen weiter nur so nachdenken würden, wie sie über die maschinenhafte Astronomie und über den Industrialismus, indem sie in ihm arbeiten, nachdenken, würden die Geister mechanisiert werden, die Seelen, sie würden schläfrig, vegetarisiert werden, und die Leiber animalisiert. [...]
Es ist charakteristisch, wie die Menschheit verloren hat – ich habe das hier schon einmal erwähnt –, verloren hat auf dem Wege seit der Mitte des 15. Jahrhunderts neben zwei Lebenselementen das Dritte. Eine mächtige Partei nennt sich heute „Sozialdemokratie“, das heißt: Sozialismus und Demokratie hat sie zusammengeschweißt, obwohl sie das Gegenteil voneinander sind. Aber sie hat sich sie zusammengeschweißt, und sie hat ausgelassen das Geistige. Denn der Sozialismus kann sich nur auf das Wirtschaftliche, die Demokratie nur auf das Staatlich-Rechtliche beziehen; auf das Geistige würde sich beziehen der Individualismus. Die Freiheit, sie ist ausgelassen in dem Wort Sozialdemokratie, sonst müßte es heißen: individuelle oder individualistische Sozialdemokratie. Dann würden alle drei Dinge als Menschenforderung in einem solchen Schlagworte zum Ausdrucke kommen. Aber es ist charakteristisch für die neuere Zeit, daß dieses Dritte ausgeblieben ist, daß also gewissermaßen der Geist wirklich zur Maja, zur großen Täuschung für die zivilisierte Menschheit des Westens geworden ist, Europas und seines kolonialen Nachwuchses, Amerikas.
Das sind die Dinge, von denen ausgegangen werden muß, wenn man Geisteswissenschaft im Sinne einer großen Kulturfrage betrachtet. Über dasjenige, was in den Forderungen der Gegenwart lebt, kann eigentlich gar nicht diskutiert werden. Das sind historische Forderungen. Eine historische Forderung ist der Sozialismus, er muß nur im richtigen Sinne verstanden werden. Eine historische Forderung ist die Demokratie, eine historische Forderung ist aber auch der Liberalismus, die Freiheit, der Individualismus, wenn auch diese letztere Forderung von der modernen Menschheit wenig bemerkt wird. Und die Menschheit wird nicht weiter mitreden können, ohne daß sie ihren sozialen Organismus im Sinne der Dreigliederung: des Sozialismus für das Wirtschaftsleben, der Demokratie für das Rechts- oder Staatsleben, der Freiheit oder des Individualismus für das Geistesleben einrichtet.
Das wird angesehen werden müssen als das einzige Heil, als die wirkliche Rettung der Menschheit. Aber wir werden uns nicht täuschen dürfen darüber, daß gerade deshalb, weil dies intensive, unbesiegliche historische Forderungen sind für die Gegenwart, sich andere Forderungen für denjenigen, der die Dinge tiefer durchblickt, aufstellen. Die erwachsenen Menschen werden in einem sozialen Organismus leben müssen, der wirtschaftlich sozial, staatlich demokratisch, geistig liberal aufgerichtet wird sein müssen.
Nachahmung, Autorität und Menschenliebe
Die große Frage für die Zukunft wird sein: Wie werden wir uns zu benehmen haben gegenüber den Kindern, wenn wir sie so erziehen wollen, daß sie als Erwachsene in das Soziale, das Demokratische, in das Liberale in umfassendstem Sinne hineinwachsen können? Und eine der allerwichtigsten der sozialen Fragen für die Zukunft, ja schon für die Gegenwart, ist einmal die Erziehungsfrage. [...]
Betrachten Sie schließlich das Kind wirklich verständig, Sie werden überall finden: Das Kind ist ein nachahmendes Wesen, es tut dasjenige, was die Großen tun. Die große Wichtigkeit in dem Kindesleben ist die, daß die Menschen, die in der Umgebung des Kindes sind, nur dasjenige tun, was das Kind nachahmen kann, ja, daß sie nur dasjenige denken und empfinden in der Umgebung des Kindes, was das Kind nachahmen kann. Das Kind setzt, indem es durch die Geburt ins physische Dasein eintritt, nur das fort, was es erlebt hat in der geistigen Welt vor der Empfängnis. Da lebt man ja als Menschenwesen in den Wesen der höheren Hierarchien drinnen; da tut man alles dasjenige, was an Impulsen aus dem Wesen der höheren Hierarchien kommt. Da ist man in einem noch viel höheren Grade ein Nachahmer, weil man in einer Einheit ist mit denjenigen Wesen, die man nachahmt. Dann wird man in die physische Welt herausgesetzt. Da setzt man die Gewohnheit, eins zu sein mit der Umgebung, fort. [...]
Wenn die Menschen im sozialen Organismus werden erwachsen sein sollen, so werden sie freie Menschen sein müssen. – Frei wird man nur, wenn man zuerst als Kind möglichst intensiver Nachahmer war. [...] Und die Menschen werden nicht freie Wesen werden, trotz aller Deklamationen und trotz alles politischen Gewimmers über Freiheit, wenn die entsprechende Kraft der Nachahmung im Kindesalter nicht eingepflanzt wird. Denn was im Kindesalter in dieser Weise eingepflanzt wird, das allein kann die Grundlage für die soziale Freiheit geben.
Und Sie wissen: vom 7. Jahre bis zur Geschlechtsreife, bis zum 14., 15. Jahre lebt im Kinde die Kraft, die man nennen kann das Tun auf Autorität hin. Es kann dem Kinde kein größeres Heil widerfahren, als wenn es dasjenige, was es unternimmt, deshalb tut, weil verehrte Menschen in seiner Umgebung sagen: Das ist richtig, das soll getan werden. – Es ist nichts schlimmer für das Kind, als wenn man es zu früh vor der Geschlechtsreife an sogenanntes eigenes Urteil gewöhnt. Das Autoritätsfühlen zwischen dem 7. und 14. Jahre wird in der Zukunft in erhöhtem und intensiverem Maße ausgebildet werden müssen, als es in der Vergangenheit ausgebildet war. Bewußter und bewußter wird alle Erziehung in diesen Jahren geleitet werden müssen im Sinne eines reinen schönen Autoritätsgefühles, das im Kinde erwacht; denn dasjenige, was in diesen Jahren in das Kind hineingepflanzt werden soll, es soll die Grundlage bilden für das, was die Erwachsenen im sozialen Organismus erleben sollen als das gleiche Recht der Menschen. Das gleiche Recht der Menschen wird nicht anders da sein, denn die Menschen werden nie reif werden als Erwachsene für das gleiche Recht der Menschen, wenn sie nicht in der Kindheit das Autoritätsgefühl eingepflanzt erhalten. In der Vergangenheit mag ein viel geringerer Grad von Autoritätsgefühl genügt haben; in der Zukunft wird er nicht genügen. [...]
Ich habe Schulprogramme gelesen, in denen als einer der ersten Grundsätze steht: Das Rektorat soll abgeschafft werden; die Lehrer sollen auf dem Standpunkt absoluter Gleichberechtigung stehen mit den Schülern; es soll die ganze Schule aufgebaut sein auf Kameradschaftlichkeit. [...] Denn niemals, wenn der Sozialismus in der Schule eingeführt wird, kann er im Leben sein. Nur dadurch werden die Menschen reif zu einem sozial gerechten Zusammenleben, daß sie gerade in der Schulzeit auf wirkliche Autorität hin das Leben bauen. [...]
Nach der Geschlechtsreife, vom 14., 15. bis zum 21. Jahr entwickelt sich bei dem Menschen ja nicht nur das geschlechtliche Liebesleben, sondern es entwickelt sich dieses geschlechtliche Liebesleben nur als ein Spezialfall der allgemeinen Menschenliebe überhaupt; es ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Menschenliebe. Und diese Kraft der allgemeinen Menschenliebe, die sollte [...] da besonders gepflegt werden. Denn niemals wird diejenige Konfiguration des Wirtschaftslebens, welche eine historische Forderung ist, durchglüht sein können von dem, von dem sie durchglüht sein soll, von Brüderlichkeit, das heißt von allgemeiner Menschenliebe, wenn nicht in diesen Jahren die allgemeine Menschenliebe entwickelt wird.
Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben, wie sie angestrebt werden muß für die Zukunft, sie wird in den Menschenseelen nur sein, wenn die Erziehung nach dem 15. Jahre so eingerichtet wird, daß gerade mit aller Bewußtheit hingearbeitet wird auf die allgemeine Menschenliebe, wenn Weltanschauungsfragen, wenn die ganze Erziehung, die auf die sogenannte Einheitsschule folgen soll, aufgebaut wird auf Menschenliebe, überhaupt auf Liebe zur äußeren Welt.
Auf diesem dreifachen Erziehungs-Unterboden muß aufgerichtet werden das, was der Zukunft der Menschheit erblühen soll. Ohne daß man wissen wird, der physische Leib, der ein Nachahmer ist, der muß in der richtigen Weise ein Nachahmer werden, wird man in diesen physischen Leib hineinverpflanzen nur die animalischen Triebe.
Ohne daß man wissen wird, daß vom 7. bis 14. Jahre sich der Ätherleib besonders entwickelt, der auf Autorität hin sich entwickeln muß, wird sich im Menschen entwickeln nur die allgemeine Kulturschläfrigkeit. Und diejenige Kraft, die notwendig werden wird für den Rechtsorganismus, sie wird nicht da sein.
Und ohne daß vom 14., 15. Jahre an die Kraft der Liebe, die an den Astralleib gebunden ist, in vernünftiger Weise in alles, was Unterricht oder Lehre ist, hineingelegt wird, werden die Menschen niemals ihren astralischen Leib entwickeln können, weil sie den astralischen Leib nimmer zu einem freien Wesensgebilde im Menschen gestalten können. [...]
Also die Fragen, die uns vorliegen, sie müssen in eine geistige Atmosphäre gebracht werden; das ist dasjenige, was als Überzeugung wird in die Menschenseelen einziehen müssen. Und noch einmal möchte ich es betonen: Man mag diskutieren darüber, wie lange oder wie kurz es noch dauern kann, bis eine solche Überzeugung in die Menschenseelen eindringt; aber jedenfalls, was unbewußt von den Menschen erstrebt wird – es ist keine Rede davon, daß es erreicht werden kann, wenn diese Überzeugung nicht in die Menschenseelen hineinkommt. [...]
Ein chaotisches, planloses Wirtschaftsleben; ein Rechtsleben, das nur ein Machtleben ist; ein Geistesleben, das zur Phrase entartet ist: das ist die dreifache Gliederung, die wir im Grunde genommen gehabt haben. Aus dieser dreifachen Gliederung müssen wir heraus. Und wir kommen nur heraus, wenn wir dasjenige ernst zu nehmen verstehen, was gerade mit der Dreigliederung gemeint ist. [...]
2. Vortrag, 10.8.1919
[...] Ich sagte Ihnen: Wir haben in unserem Geistesleben noch immer griechische Seelenverfassung. Die Art und Weise, wie wir unsere Gedanken bilden, die Art und Weise, wie wir gewöhnt sind über die Welt zu denken, ist eigentlich ein Nachklang der griechischen Seelenverfassung. Und die Art und Weise, wie wir heute gewöhnt sind das Recht anzuschauen und alles dasjenige, was mit dem Rechte zusammenhängt, das ist ein Nachklang der römischen Seelenverfassung. [...] Sie wissen ja, daß dann dasjenige, was im Griechentum aus dem Blute heraus sich gebildet hat, im Römertum abstrakt geworden ist. [...]
Nicht wahr, man ist Bürger in der Welt heute doch nicht dadurch, daß man Mensch geworden ist und als Mensch dasteht, sondern man ist Bürger in der Welt dadurch, dass man als Bürger da oder dort anerkannt und eingeschrieben ist. Diese Dinge, die sind alle zurückzuführen auf römisches Wesen. [...] Dies führt dazu, daß ja heute, wo diese Dinge in der Dekadenz, im Verfall sind, viele Menschen überhaupt nicht mehr wert zu sein glauben desjenigen, was sie als Mensch wert sind, sondern glauben etwas wert zu sein dadurch, daß sie in irgendeiner Beamtenhierarchie eingereiht sind, diesen oder jenen Beamtenrang haben. Man ist viel lieber etwas Unpersönliches aus den römischen Rechtsbegriffen heraus, als eine Persönlichkeit.
Nun ist in der Menschheit seit dem 15. Jahrhundert unbewußt, unterbewußt das Streben, alles auf die Spitze der Persönlichkeit zu bauen. Dies bezeugt uns, daß mit Bezug auf unser Geistesleben und mit Bezug auf unser Rechtsleben die Zeiten alt geworden sind, daß wir in bezug auf beide eine Erneuerung brauchen, eine wirkliche Erneuerung brauchen. Es hängt das zusammen, was da als Erneuerung sich in Menschenseelen geltend machen soll, mit vielen tieferen Impulsen der Menschheitsentwickelung überhaupt. [...]
Die Menschheit ist seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Lage, ein gespenstisches Bild von der Welt sich zu machen mit Bezug auf ihre eine Hälfte. Dahinter steckt aber für die Wissenschaft der Einweihung etwas sehr Tiefes, und dieses müssen wir uns auch einmal vor die Seele führen.
Sehen Sie, an der sinnlichen Anschauung als solcher kann man nicht herumkorrigieren; selbst ob man sie als Maja oder sonst etwas ansieht, ist im Grunde genommen für eine tiefere Weltanschauung gleichgültig. An der sinnlichen Anschauung selbst kann man nicht herumkorrigieren; sie ist das, was sie ist. [...] Die Diskussion beginnt erst in dem Augenblicke, wo wir uns Gedanken über diese sinnliche Anschauung machen, wo wir diese sinnliche Anschauung als dies oder jenes anschauen, als dies oder jenes interpretieren. Da beginnt erst die Schwierigkeit. Und warum beginnt da die Schwierigkeit? Sie beginnt aus dem Grunde, weil die Begriffe, die wir uns seit dem 15. Jahrhundert als Menschen bilden müssen, andere Begriffe sind als die früheren Menschheitsbegriffe. [...]
Sehen Sie, diese abstrakten Begriffe, die wir als ganze Menschheit uns bilden, die haben das eigentümliche, daß sie auf die sinnliche Welt zwar angewendet werden von uns, aber eigentlich für diese sinnliche Welt gar nicht taugen. [...]
Wie der Mensch sich Erkenntnisbegriffe bildet über die Außenwelt, das ist eine Seitenströmung seiner Seelenentwickelung. Geradeso, wie wenn man sich ein Samenkorn, sagen wir, in der Erde denkt, das ist ja eigentlich von der Natur dazu bestimmt, wiederum Pflanze zu werden; viele Samenkörner aber vermahlen wir zu Mehl und essen sie als Brot. Aber das ist doch nicht im Samenkorn vorausbestimmt! [...] So liegt es nicht in unserer Natur, durch unsere Begriffe, die wir uns seit dem 15. Jahrhundert aneignen, die Außenwelt aufzufassen, sondern etwas anderes soll uns aus diesen Begriffen werden, wenn wir uns richtig in ihr Wesen hineinbegeben. Diese Begriffe, welche die Menschen heute seit der Mitte des 15. Jahrhunderts entwickeln, die sind nämlich die Schattenbilder desjenigen, was wir, bevor wir heruntergestiegen sind aus der geistigen Welt durch die Empfängnis, in der geistigen Welt erlebt haben. [...]
Und wir mißbrauchen eigentlich unser Begriffssystem, indem wir es anwenden auf die äußere Sinneswelt.
Sehen Sie, das liegt der Goetheschen Naturauffassung zugrunde. Goethe will nicht Naturgesetze durch Begriffe ausdrücken; er will Urphänomene, das heißt zusammengestellte äußere Anschauungen, weil er ein Gefühl dafür hat, daß unser Begriffsvermögen nicht unmittelbar angewendet werden kann auf die äußere Natur. Unser Begriffsvermögen müssen wir als reines Denken ausbilden. Und bilden wir es als reines Denken aus, dann weist es uns auf unser vorgeburtliches geistiges Dasein. Wir haben eigentlich unser heutiges eigentümliches Denken dazu, um unsere geistige Wesenheit, bevor wir mit einem physischen Leib umkleidet worden sind, in diesem reinen Denken zu erreichen. Und ehe die Menschheit nicht begreift, daß sie ihr Denken hat, um sich als Geist zu begreifen, eher ist noch nicht eigentlich die Aufgabe des fünften nachatlantischen Zeitraumes in die Menschenseelen eingezogen. [...]
Zerrissene Menschenseelen
Sehen Sie, das Auffälligste im Leben der Gegenwart ist ja, daß heute so viele zerrissene Menschenseelen herumgehen, Menschenseelen, die eigentlich problematisch sind, die nicht voll mit dem Leben etwas anzufangen wissen, die immer wieder und wiederum fragen: Was soll gerade ich tun, was meint das Leben gerade mit mir? – die das oder jenes angreifen und doch nicht zu ihrer Befriedigung. Immer mehr und mehr werden der Menschen, die so problematische Naturen sind. Woher kommt das? Das kommt davon, daß dies schon ein Mangel in unserem Erziehungswesen ist.
Wir bilden heute unsere Kinder so aus, daß wir nicht diejenigen Kräfte in ihnen erwecken, welche den Menschen stark für das Leben machen: Das, was den Menschen stark macht dadurch, daß er ein Nachahmer ist bis zum 7. Jahre, was ihn stark macht dadurch, daß er einer würdigen Autorität folgt bis zum 14. Jahre; daß er die Liebe in der richtigen Weise bis zum 21. Jahre entwickelt kriegt, denn später kann man es nicht mehr entwickeln. Das, was dem Menschen fehlt dadurch, daß die Kräfte, die in bestimmten jugendlichen Lebensjahren entwickelt werden müssen, nicht erweckt werden, das macht ihn zur problematischen Natur. Das muß man nur wissen! [...]
Wir müssen die Kräfte, die in der menschlichen Kinderseele entwickelt werden können, stark entwickeln, damit der Mensch sie später holen kann aus der Entwickelung seiner Kindheit heraus. Heute schaut er in die Kindheit zurück, fühlt sich in die Kindheit zurück, kann nicht herausholen aus seiner Kindheit etwas, weil eben nichts entwickelt worden ist. [...]
So haben wir nötig, daß, ohne daß der Bogen überspannt wird, nicht durch Anstrengung, sondern durch Ökonomie der Erziehung, Konzentration bei den Kindern erreicht werden soll. Dies können wir in der Weise, wie es der heutige Mensch braucht, nur erreichen, wenn wir etwas abschaffen, was heute noch sehr beliebt ist: wenn wir den verfluchten Stundenplan in den Schulen abschaffen, dieses Mordmittel für eine wirkliche Entwickelung der menschlichen Kräfte. Man denke nur einmal nach, was es heißt: von 7-8 Rechnen, von 8-9 Sprachlehre, von 9-10 Geographie, von 10-11 Geschichte! Alles dasjenige, was von 7-8 die Seele durchwogt hat, wird ausgelöscht von 8-9, und so weiter. In diesen Dingen ist es heute notwendig, den Sachen auf den Grund zu gehen. Wir dürfen überhaupt nicht mehr daran denken, daß Lehrfächer da sind, damit „Lehrfächer“ gelehrt werden; sondern wir müssen uns klar sein: im Menschen vom 7. bis 14. Jahre müssen entwickelt werden in der richtigen Weise Denken, Fühlen und Wollen. Geographie, Rechnen, alles muß so verwendet werden, daß in der richtigen Weise Denken, Fühlen, Wollen entwickelt werden.
Viel spricht man in der heutigen Pädagogik davon, man soll die Individualitäten entwickeln, man soll der Natur ablauschen, welche Fähigkeiten man entwickeln soll. Alles Phrasen! – weil diese Dinge nur einen Sinn bekommen können, wenn man die Sache aus der Geisteswissenschaft heraus bespricht; sonst bleibt es Phrase. Es wird daher in der Zukunft notwendig sein, daß man sich sagt: Für ein bestimmtes Lebensalter ist zum Beispiel vor allen Dingen notwendig, etwas Rechnen beizubringen. Dazu muß man zwei, drei Monate verwenden, um an den Vormittagen Rechnen beizubringen. Nicht einen Stundenplan, der alles durcheinander enthält, sondern der Rechnen eine Zeitlang treibt – dann weitergehen. Und genau die Dinge so einstellen, daß sie eingestellt sind auf das, was die Menschennatur in einem bestimmten Zeitpunkt verlangt! [...]
3. Vortrag, 11.8.1919
Was ich heute werde zu sagen haben, wird eine Art Episode sein. Ich möchte, wie ich Ihnen schon mitgeteilt habe, über drei Begriffe kurz sprechen. Über drei Begriffe, welche, vollständig verstanden, zugleich bewirken das Verständnis des äußeren sozialen Lebens. Ich sage ausdrücklich: des äußeren sozialen Lebens, denn die drei Begriffe sind durchaus dem äußerlichen Zusammenwirken und Zusammenarbeiten der Menschen entnommen. Es sind die drei Begriffe Ware, Arbeit, Kapital. Nun habe ich Ihnen bereits gesagt, daß sich die neuere Nationalökonomie aller Schattierungen vergeblich bemüht, über diese Begriffe in vollständige Klarheit zu kommen. [...]
Wir leiden gerade in der modernen Zeit darunter, daß wir auf der einen Seite haben das wirtschaftliche Leben, eine Praxis ohne Ideen, und auf der anderen Seite die bloße Theorie der Sozialdemokraten ohne die Möglichkeit, diese Theorie in das wirkliche Wirtschaftsleben einzuführen. Wir sind in dieser Beziehung wirklich an einem Wendepunkt der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit angekommen. [...]
Es ist nicht gleichgültig, was unter den Menschen an Anschauungen lebt, wenn sie soziale Wesen werden wollen. Und notwendig ist es für die Zukunft, daß nicht bloß Begriffe in der allgemeinen Bildung herrschen, welche aus der Naturwissenschaft oder aus der Industrie entnommen sind, sondern daß Begriffe herrschen, welche Grundlagen sein können für etwas Imaginatives. So unwahrscheinlich das dem heutigen Menschen ist, sozialisieren wird man nicht, wenn man nicht zu gleicher Zeit den Menschen beibringt imaginative Begriffe, das heißt Begriffe, welche das Gemüt des Menschen ganz anders gestalten, als die bloßen abstrakten Begriffe von Ursache und Wirkung, Kraft und Stoff und Materie und so weiter, die aus dem naturwissenschaftlichen Leben herkommen. [...] Wir müssen in die Lage kommen, im sozialen Leben der Zukunft die Welt wiederum in Bildern zu verstehen. [...]
Und dazu soll uns eben wirkliche geisteswissenschaftliche Stimmung wiederum zurückbringen, daß wir in der Natur nicht sehen jene gespenstischen Dinge, von denen uns die Naturwissenschaft spricht, sondern wiederum sehen das Bildliche, das Imaginative. Dasjenige, was aus der Puppe auskriecht und in dem Schmetterling vorliegt, ist wirklich ein von der göttlichen Weltordnung in die Naturordnung hineingestelltes Bild für die Unsterblichkeit der Seele. Und es gäbe den Schmetterling nicht, der aus der Puppe auskriecht, wenn es nicht eine unsterbliche Seele gäbe. Denn es kann nicht ein Bild geben – und das ist ein Bild –, wenn nicht die Wahrheit zugrunde liegt dem Bilde. Und so ist es mit der ganzen Natur. [...]
Bildhaft ist die ganze Natur, und hineinfinden muß man sich in diese Bildhaftigkeit, dann wird ausstrahlen in die Herzen, in die Seelen, in die Gemüter, in die Köpfe sogar, obwohl das am schwersten ist, dasjenige, was durchströmen kann den Menschen, wenn er Bilder auffaßt. Wir werden miteinander reden müssen in dem sozialen Organismus von Dingen, die in Bildern gesprochen sind. Und diese Bilder wird man uns glauben müssen. Dann werden aus der Wissenschaft hervorgehen diejenigen Menschen, die da sprechen können erst über das wirkliche Hineinstellen der Ware in den sozialen Organismus; denn die Ware, die erzeugt wird, entspricht dem menschlichen Bedürfnis. Keine abstrakten Begriffe können dieses menschliche Bedürfnis in seiner sozialen Wertung erfassen, sondern nur dasjenige menschliche Gemüt kann etwas darüber wissen, das durchtränkt worden ist von derjenigen Stimmung, die aus dem imaginativen Vorstellen kommt. Anders wird es keine Sozialisierung geben. [...] Das ist es, worauf es ankommt. Und dasjenige, was Ware ist, man wird es fühlend verstehen in einer Wissenschaft, in der für Bilder Verständnis ist – in keiner anderen.
In der Gesellschaft, welche die Gesellschaft der Zukunft sein soll, da wird außerdem in einer richtigen Weise herrschen müssen die Arbeit. [...]
Die Arbeit kann ganz die gleiche sein, wenn Sie Holz hacken oder wenn Sie Sport treiben. Nicht davon hängt es ab, wieviel Arbeitskraft Sie anwenden, sondern wozu diese Arbeitskraft angewendet wird im sozialen Leben. Arbeitskraft an sich hat mit dem sozialen Leben nichts zu tun, insofern dieses soziale Leben Güter oder Waren erzeugen soll. Daher wird es nötig sein im dreigliedrigen sozialen Organismus, daß ein ganz anderer Antrieb zur Arbeit da sein muß als derjenige, Güter zu erzeugen. Die Güter müssen gewissermaßen durch die Arbeit erzeugt werden, weil die Arbeit eben auf etwas verwendet wird. Aber dasjenige, was zugrunde liegen muß, damit der Mensch arbeitet, das muß die Lust und Liebe zur Arbeit sein. Und wir kommen nicht früher zu einer sozialen Gestaltung des sozialen Organismus, als wenn wir die Methoden finden, daß der Mensch arbeiten will, daß es ihm eine Selbstverständlichkeit ist, daß er arbeitet.
Das kann in keiner anderen Gesellschaft geschehen, als in einer solchen Gesellschaft, in der Sie von inspirierten Begriffen reden. [...] Das heißt, wir brauchen, damit die Arbeit wiederum erstehe unter den Menschen, nicht jene hohlen Begriffe, von denen heute deklamiert wird, sondern wir brauchen geistige Wissenschaften, mit denen wir die Herzen, die Seelen durchdringen. [...]
Diese Begriffe, die Sie finden in meinem Buch „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ über das Kapital, die werden nur in einer Gesellschaft erblühen, die empfänglich ist für intuitive Begriffe. Das heißt: Es wird sich hineinstellen das Kapital in den sozialen Organismus, wenn man wiederum zugeben wird, daß in den Menschen Intuition sein soll. [...]
Es ist eine ernste Sache, denn ich sage Ihnen ja nichts Geringeres damit, als daß es ohne Geisteswissenschaft keine soziale Umgestaltung für die Zukunft gibt; aber das ist wahr. Sie werden niemals die Möglichkeit bekommen, die Menschen zum Verständnis zu bringen in einer solchen Weise, wie es notwendig ist in bezug auf diese Dinge wie Intuition, Imagination, Inspiration, wenn Sie zum Beispiel die Schule dem Staate überlassen. Denn was machen die Staaten aus den Schulen? [...]
Aber das ist heute das Wichtigste, daß wir nicht bloß glauben, daß einzelne äußerliche Einrichtungen umgewandelt werden sollen, sondern daß wir unsere Ideen, unsere Begriffe, unsere Empfindungen umgestalten müssen. [...] Heute müssen wir in bewußter Weise umgestalten das, was in unseren Seelen lebt. Und halten Sie das nicht für eine leichte Aufgabe: Gar mancher glaubt heute, daß er seine Begriffe ja schon umgewandelt hat, er merkt gar nicht, wie sie die alten geblieben sind, besonders auf dem Gebiete des Erziehungswesens. Da macht man kuriose Erfahrungen. Man redet den Leuten von dem, was die Geisteswissenschaft als Begriffe auf dem Gebiete der Pädagogik erzeugt. Sie können heute mit sehr, sehr fortgeschrittenen Lehrern, Schulinspektoren, -direktoren und so weiter reden, die hören Ihnen zu und sagen:
Ja, das habe ich schon lange gedacht, ja, das ist ganz meine Meinung. – Aber er hat in Wirklichkeit die entgegengesetzte Meinung von der, die man ihm sagt. Er hat in Wirklichkeit die entgegengesetzte Meinung wie ich, aber er sagt die entgegengesetzte Meinung mit denselben Worten. Er sagt dieselben Worte – und hat die entgegengesetzte Meinung! Und so gehen die Menschen heute aneinander vorbei. Die Worte haben längst den Zusammenhang mit der Geistigkeit verloren, und dieser Zusammenhang muß unbedingt wieder gefunden werden, sonst kommen wir nicht vorwärts. [...]
4. Vortrag, 15.8.1919
[...] Und [so] werden Sie es begreiflich finden, daß wiederum innerhalb der Erziehungsfrage die bedeutsamste Unterfrage die nach der Bildung der Lehrer selbst ist. [...]
Läßt man den Charakter dieser materialistischen Zeit auf sich wirken und betrachtet man dann mit dem, was man dadurch einsieht, die Kulturentwickelung in den letzten drei bis vier Jahrhunderten und bis in unsere Zeit herein, dann findet man, daß am meisten ergriffen worden ist von der materialistischen Welle, am intensivsten in Anspruch genommen worden ist von dieser materialistischen Welle gerade die Lehrerbildung. Alles übrige würde einen so nachhaltigen Eindruck nicht üben können, wie die Durchsetzung der pädagogisch-didaktischen Anschauung mit materialistischer Gesinnung. [...]
Man legt einen großen Wert darauf, daß gewissermaßen das Kind schon alles anschauen könne und dann aus der Anschauung sich erst Vorstellungen aus dem eigenen Inneren seiner Seele heraus bilde. Dieser Trieb nach Anschaulichkeit im Erziehungswesen, er ist gewiß auf sehr vielen Gebieten der Pädagogik voll berechtigt. Aber er zwingt doch die Frage aufzuwerfen: Was wird aus dem Menschen, wenn er nur durch einen Anschauungsunterricht durchgeht? Wenn der Mensch nur durch einen Anschauungsunterricht durchgeht, dann wird er seelisch völlig ausgedörrt, dann ersterben nach und nach die inneren Triebkräfte der Seele; dann bildet sich eine Verbindung der ganzen menschlichen Wesenheit mit der anschaulichen Umgebung. Und dasjenige, was aus dem Innern der Seele sprießen sollte, das wird allmählich in der Seele ertötet. [...]
Sehen Sie, daß der Lehrer schließlich dasjenige weiß, was er gewöhnlich abgefragt wird bei den Prüfungen, das ist eigentlich eine untergeordnete Sache, denn da wird er ja zumeist über Dinge gefragt, die er vor den Stunden in irgendeinem Handbuch sich aufschlagen könnte, auf die er sich, wenn er sie braucht, vorbereiten könnte. Dasjenige aber, worauf bei den Prüfungen gar nicht gesehen wird, das ist die allgemeine Seelenverfassung des Lehrers, das ist dasjenige, was geistig immerfort übergehen muß von ihm auf seine Schüler. Es ist ein großer Unterschied, ob der eine Lehrer das Klassenzimmer betritt oder der andere. Wenn der eine Lehrer durch die Tür des Klassenzimmers tritt, so fühlen die Kinder oder die Schüler eine gewisse Verwandtschaft mit der eigenen Seelenstimmung; wenn ein anderer Lehrer die Klasse betritt, fühlen die Kinder oder die Schüler oftmals eine solche Verwandtschaft gar nicht; im Gegenteil, sie fühlen eine Kluft zwischen sich und dem Lehrer, und alle möglichen Schattierungen von Gleichgültigkeit bis zu dem, was sich ausspricht im Komischfinden des Lehrers, in dem Spotten über den Lehrer. Alle die Nuancen, die dazwischen liegen, finden sich oftmals recht sehr zum Ruinieren des wirklichen Unterrichtes und der wirklichen Erziehung.
Die Frage ist daher in erster Linie brennend: Wie kann die Lehrerbildung in die Zukunft hinein umgewandelt werden? Sie kann nicht anders umgewandelt werden als dadurch, daß der Lehrer aufnimmt in sich dasjenige, was aus der Geisteswissenschaft kommen kann an Erkenntnissen über die Natur des Menschen. Der Lehrer muß durchdrungen sein von dem Zusammenhang des Menschen mit den übersinnlichen Welten. Er muß in der Lage sein, in dem heranwachsenden Kinde das Zeugnis dafür zu sehen, daß dieses Kind heruntergestiegen ist aus der übersinnlichen Welt durch Empfängnis oder Geburt, und daß das, was heruntergestiegen ist, sich mit dem Leib umkleidet hat, sich etwas aneignet, wozu er zu helfen hat hier in der physischen Welt, weil das Kind sich es nicht aneignen kann in dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. [...]
Wenn wir fragen nach dem Interesse, das die Menschen nehmen an der Unsterblichkeitsfrage, besser gesagt, an der Frage nach der Ewigkeit des menschlichen Wesenskernes, so bekommen wir keine andere Antwort, als: das hauptsächlichste Interesse an der Ewigkeit des menschlichen Wesenskernes knüpft sich eben daran: Was wird mit dem Menschen, wenn er die Pforte des Todes durchschreitet? Der Mensch ist sich bewußt: er ist ein Ich. In diesem Ich lebt sein Denken, Fühlen und Wollen. Der Gedanke ist ihm unerträglich, dieses Ich etwa vernichtet zu wissen. Daß er es durch den Tod tragen kann, und was mit dem Ich nach dem Tode wird, das interessiert die Menschen vor allen Dingen. [...]
Nun müssen Sie fühlen, daß man der Unsterblichkeitsfrage, wenn man sie so stellt, einen außerordentlich stark egoistischen Beigeschmack gibt. [...] Und man kann das, was so die Seele des Menschen wie eine innere Empfindungs- und Denkgewohnheit ergriffen hat, nicht etwa durch Theorien oder Lehren überwinden, wenn diese Theorien oder Lehren nur abstrakte Form haben. Aber die Frage muß doch aufgeworfen werden: Kann es so bleiben? Darf bei der Frage nach dem ewigen Wesenskern des Menschen nur Egoistisches in der Menschennatur sprechen?
Wenn man alles, was mit diesem Fragenkomplex zusammenhängt, ins Auge faßt, dann muß man sich sagen: Daß das so geworden ist mit der menschlichen Seelenstimmung, wie ich es eben charakterisiert habe, das rührt im wesentlichen davon her, daß von den Religionen vernachlässigt worden ist der andere Gesichtspunkt: anzuschauen den Menschen, indem er geboren wird, indem er hereinwächst in die Welt vom ersten kindlichen Schrei, in dieser wunderbaren Weise, wie sich immer mehr und mehr die Seele hineindrängt in die Körperlichkeit, anzuschauen den Menschen, wie da in ihm sich herauflebt das, was vorgeburtlich in der geistigen Welt gelebt hat. [...] Danach frägt man immer wieder und wieder: Was setzt sich fort, wenn der Mensch stirbt? Danach aber frägt man wenig: Was setzt sich fort, wenn der Mensch geboren wird?
Darauf ist die Hauptaufmerksamkeit zu richten in der Zukunft. Wir müssen gewissermaßen lernen, abzulauschen dem heranwachsenden Menschen die Offenbarung des Geistig-Seelischen, wie es war vor der Geburt oder vor der Empfängnis. Wir müssen lernen, in dem heranwachsenden Kinde die Fortsetzung seines Aufenthaltes in der geistigen Welt zu sehen: dann wird unser Verhältnis zu dem ewigen Wesenskern des Menschen immer unegoistischer und unegoistischer werden. [...]
Man wird ganz anders fühlen und empfinden mit dem kindlich heranwachsenden Menschen, wenn man immer darauf hinschaut, wie sich fortsetzt das, was nicht mehr bleiben konnte in der geistigen Welt. Bedenken Sie doch nur einmal, wie sehr sich eine Frage gerade von diesem Gesichtspunkte aus verschiebt. Man könnte sagen: Der Mensch war in der geistigen Welt, bevor er durch Empfängnis oder Geburt heruntergestiegen ist in die physische Welt. Da oben muß es also gewesen sein, daß er sein jeweiliges Ziel nicht mehr gefunden hat. Die geistige Welt muß ihm das nicht mehr gegeben haben, was die Seele anstrebt. Und aus der geistigen Welt heraus muß sich der Drang ergeben haben, herunterzusteigen in die physische Welt, sich mit einem Leib zu umkleiden, um das in der physischen Welt zu suchen, was nicht mehr in der geistigen Welt gesucht werden konnte, als die Zeit nahe der Geburt zuging.
Es ist eine ungeheure Vertiefung des Lebens, wenn man den Gesichtspunkt so – aber jetzt fühlend und empfindend – zu nehmen weiß. Während der eine Gesichtspunkt, der egoistische, immerzu den Menschen dazu drängt, abstrakter und abstrakter zu werden, ins Theoretische einzulaufen, dem Kopfdenken sich zuzuneigen, wird das, was nach dem anderen, dem unegoistischen Gesichtspunkte hingeht, den Menschen immer mehr und mehr dazu drängen, die Welt in Liebe zu erkennen, und durch Liebe zu begreifen. Das ist eines der Elemente, die in der Lehrerbildung werden aufgenommen werden müssen: hinzuschauen auf den vorgeburtlichen Menschen, nicht also nur das Rätsel des Todes zu empfinden, sondern auch zu empfinden dem Leben gegenüber das Rätsel der Geburt.
Geistige Menschenerkenntnis
Dann aber muß gelernt werden, Anthropologie zu erhöhen zu Anthroposophie dadurch, daß man nun wirklich ein Gefühl sich aneignet für die Formen, die sich in dem dreigegliederten Menschen ausdrücken. [...]
Nun, wodurch ist der menschliche Kopf, das menschliche Haupt, dieses in sich Abgeschlossene? Dieses in sich Abgeschlossene ist das menschliche Haupt dadurch, daß von allen Gliedern des Menschen dieses menschliche Haupt am meisten angepaßt ist der physischen Welt. [...]
So daß man sagen kann: Will man den physischen Leib in der Hauptsache charakterisieren, so muß man nach dem Kopfe hinschauen. In bezug auf den Kopf ist der Mensch am meisten physischer Leib. In bezug auf die Brustorgane, auf die Rhythmusorgane ist der Mensch am meisten Ätherleib; in bezug auf die Stoffwechselorgane ist der Mensch am meisten astralischer Leib. Und das Ich, das hat überhaupt noch nichts Deutliches in der physischen Welt ausgeprägt. [...]
So wird jedes der drei Glieder des Menschen, Kopf, Nerven-Sinnes-Mensch, der Brustmensch, der rhythmische Mensch und der Stoffwechselmensch zum Bilde für etwas Dahinterstehendes: der Kopf zum Bilde für den physischen Leib, die Brust zum Bilde für den Ätherleib, der Stoffwechsel zum Bilde für den astralischen Leib. [...]
Sie können hellseherisch unmöglich den Kopf abgliedern von dem übrigen menschlichen Organismus, ohne daß Sie ihn als Leichnam wahrnehmen. Beim Brustmenschen können Sie das, der bleibt lebendig. Und wenn Sie den astralischen Leib abtrennen dadurch, daß Sie abtrennen den Stoffwechselmenschen, dann läuft er Ihnen davon, der astralische Mensch, dann bleibt er nicht an dem Orte, dann folgt er den kosmischen Bewegungen, denn er hat das Astralische in sich.
Und jetzt denken Sie sich einmal, Sie stehen vor einem Menschenkinde, Sie schauen es mit solchen Erkenntnissen unbefangen und vernünftig an, wie ich sie eben auseinandergesetzt habe. Dann blicken Sie hin auf das menschliche Haupt: es trägt den Tod in sich; Sie blicken hin auf dasjenige, was das Haupt beeinflußt von der Brust aus: es belebt alles. Sie blicken hin, wenn das Kind anfängt zu laufen, Sie merken: das ist der astralische Leib eigentlich, der da im Laufen drinnen tätig ist. [...] Ich sagte Ihnen, das Ich hat kaum ein physisches Korrelat. Sie schauen das Ich nur an, wenn Sie den Menschen in seinem aufsteigenden Wachstum betrachten. [...]
Nun bitte ich Sie, das, was ich gesagt habe, nicht theoretisch bloß zu durchdenken, sondern ich bitte, beleben Sie Ihre Vorstellungen und überlegen Sie sich, wenn Sie so den Menschen betrachten: Kopf – Leichnam, Brust – Belebung, Laufen des astralischen Leibes, Größerwerden durch das Ich – wie sich der ganze Mensch belebt, der vorher wie eine Wachspuppe vor Ihnen stand. Was ist denn schließlich das, was man gewöhnlich mit seinen physischen Augen und auch mit seinem Verstande vom Menschen sieht? Eine Wachspuppe! und die belebt sich, wenn Sie das hinzufügen, was ich eben jetzt auseinandergesetzt habe! [...]
Sie sehen, in die Äußerlichkeiten des Lebens kann ein geistiges Element hineinkommen. Es kann allerdings nicht hineinkommen in die Äußerlichkeiten des Lebens, wenn nicht die Menschen etwas anderes, als heute noch in der Seelenverfassung ist, an Gesinnung in sich aufnehmen. [...]
Eigentlich drängt dasjenige, was ich auseinandergesetzt habe, dahin: immer mehr und mehr zu individualisieren, jeden Menschen als ein Wesen für sich zu betrachten. Das muß uns ja eigentlich als großes Ideal vorschweben: Keiner gleicht dem andern, jeder, jeder ist ein Wesen für sich. Würde die Erde an ihr Ziel kommen, ohne daß wir uns aneignen würden als Menschen, anzuerkennen jeden Menschen als ein Wesen für sich, die Menschheit würde auf der Erde nicht ihr Ziel erreichen. Aber wie weit sind wir heute von der Gesinnung entfernt, die nach diesem Ziele hinstrebt! Wir nivellieren ja heute die Menschen. Wir sehen die Menschen so an, daß wir sie gar nicht stark auf ihre individuellen Eigenschaften hin prüfen. [...]
Beginnen, den inneren Seelenblick voll auf die Individualität hinzulenken, das muß im Unterricht des Menschen kommen. In die Lehrerbildung muß die Gesinnung aufgenommen werden: Individualitäten in den Menschen zu finden. Das können wir nur dadurch, daß wir unsere Vorstellung vom Menschen so beleben, wie ich es dargestellt habe; daß wir uns wirklich bewußt werden: Es ist nicht ein Mechanismus, der sich vorwärtsbewegt, es ist der astralische Leib, der sich vorwärtsbewegt, und der den physischen Leib mitzieht. [...]
Also die Erziehungsfrage ist eine Lehrerbildungsfrage, und so lange sie nicht als das betrachtet wird, ist man nicht so weit, daß irgend Ersprießliches in der Erziehung geschehen kann. Sie sehen, alles gehört von den höheren Gesichtspunkten aus betrachtet so zusammen, daß man das eine wirklich an das andere anschließt. Heute möchte man am liebsten auch die menschlichen Tätigkeiten, innerlichen Tätigkeiten als Fächer nebeneinander ausbilden. Da lernt der Mensch Menschenkunde, dann Religion – die Dinge haben nicht viel miteinander zu tun. In Wahrheit grenzt, wie Sie gesehen haben, dasjenige, was man am Menschen betrachtet, an die Unsterblichkeitsfrage, an die Frage nach dem ewigen Wesen der Menschennatur. Und wir mußten die Frage nach dem ewigen Wesen der Menschennatur mit dem unmittelbaren Anschauen des Menschen zusammenbringen. Dieses Bewegliche des seelischen Erlebens, das muß insbesondere in die Pädagogik hinein. Dann werden ganz andere innere Fähigkeiten entwickelt, als sie heute durch die Lehrerbildungsanstalten entwickelt werden. Und das ist von ganz besonderer Wichtigkeit. [...]
5. Vortrag, 16.8.1919
[...] Sie wissen ja, der Mensch der Gegenwart ist auf seine Intelligenz ganz besonders stolz. Er betrachtet die Intelligenz gewissermaßen als dasjenige, das er sich im Laufe der Zeit als ein besonders Auszeichnendes errungen hat.
Wenn der Mensch der Gegenwart zurücksieht auf frühere Zeitepochen, sieht, wie die Menschen in früheren Zeitepochen manches sich bildlich vorgestellt haben, wie sie dasjenige, was der Mensch der Gegenwart glaubt jetzt richtig zu erkennen durch seine Intelligenz, durch seine Wissenschaft, wie die Menschen früherer Entwickelungsepochen das durch Mythen, Legenden und dergleichen zu durchdringen versuchten, dann nennt der Mensch der Gegenwart diese frühere Geistes- und Seelenverfassung wohl kindlich. [...]
Nun, es haben Intelligenz, wenn auch Intelligenz von anderer Form, auch gehabt die Menschen früherer Entwickelungsepochen, und will man die Bedeutung der sogenannten Intelligenz für den Menschen der Gegenwart voll kennenlernen, dann muß man schon die Frage aufwerfen: Wie sah die Intelligenz der Menschen früherer Entwickelungsepochen aus und wie hat sich diese Intelligenz der Menschheit von früheren Zeiten bis in unsere Zeiten herein allmählich verändert? [...]
Die Intelligenz geht Metamorphosen durch, die Intelligenz verwandelt sich. Sie war anders in der ägyptisch-chaldäischen Zeit, als sie bei uns ist. Die andersartige Intelligenz der ägyptisch-chaldäischen Zeit macht man sich am besten anschaulich, wenn man sich sagt, daß instinktiv durch seine Intelligenz der alte Ägypter, auch der alte Chaldäer die Verwandtschaft fühlte, die Verwandtschaft auffaßte, begriff, seiner eigenen menschlichen Wesenheit mit dem ganzen Kosmos. [...]
Der alte Ägypter, der alte Chaldäer wußte, wie er mit dem oder jenem Tierkreisbilde in Beziehung stand, er wußte, welchen Einfluß auf seine seelische, leibliche Beschaffenheit Mond, Sonne, die anderen Planeten haben. Er wußte, wie auf die menschliche Wesenheit wirkt die Aufeinanderfolge der Jahreszeiten. Das alles faßte er auf durch seine Intelligenz. Ein völlig inneres Bild bekam er von seiner Verwandtschaft mit dem Kosmos durch seine Intelligenz.
Diese Intelligenz verwandelte sich, als die ägyptisch-chaldäische Periode der Menschheit abgelaufen war im 8. Jahrhundert vor der Begründung des Christentums. Nach und nach wurde da die Intelligenz etwas völlig anderes, als sie in der ägyptisch-chaldäischen Zeit war. In die Intelligenz kam nicht mehr herein vollständig, so wie es vor dem 8. vorchristlichen Jahrhundert der Fall war, das Begreifen des Zusammenhanges mit dem Kosmos. Man wußte noch von diesem Zusammenhang mit dem Kosmos, aber man wußte mehr wie in einer Art von Nachklang, wie in einer Art von Erinnerung an dasjenige, was man früher in dieser Beziehung gewußt hat; dafür aber kam herein in die griechische Intelligenz mehr ein Nachdenken des Menschen über sich selbst, wie er ist weniger in Beziehung auf den Kosmos, wie er ist mehr abgesehen vom Kosmos, als Erdenbewohner. Der Grieche hatte aber ein deutliches Gefühl davon, ein deutliches Empfinden davon, indem er gerade seine Intelligenz anwandte; er begriff alles dasjenige von der irdischen Welt durch diese Intelligenz, was dem Tode unterliegt. [...]
Aber wiederum mit dem Übergange durch die Mitte des 15. Jahrhunderts verändert sich neuerdings die Intelligenz, und wir stehen im Anfange dieser Veränderung, dieser Umwandlung der Intelligenz. [...] Und in den nächsten Jahrhunderten und Jahrtausenden wird diese Intelligenz etwas anderes, etwas weit weit anderes werden. Sie hat heute schon eine gewisse Anlage, unsere Intelligenz. Wir werden als Menschheit einlaufen in eine Entwickelung der Intelligenz so, daß die Intelligenz wird die Neigung haben, nur das Falsche, den Irrtum, die Täuschung zu begreifen, und auszudenken nur das Böse. [...]
Die Menschheit ist heute in diesem Übergange. Wir können sagen: Gerade noch gelingt es den Menschen, wenn sie ihre Intelligenz anstrengen und nicht in sich ganz besonders wilde Instinkte tragen, nach dem Lichte des Guten etwas hinzuschauen. Aber diese menschliche Intelligenz wird immer mehr und mehr die Neigung bekommen, das Böse auszudenken und das Böse dem Menschen einzufügen im Moralischen, das Böse in der Erkenntnis, den Irrtum. [...]
Die Intelligenz und der Christus-Impuls
Und hier tritt man vor ein tiefes Geheimnis gerade der christlich-esoterischen Entwickelung. Wäre das Mysterium von Golgatha nicht im Laufe der Erdenentwickelung geschehen, dann wäre es unvermeidlich, daß die Menschen nach und nach durch ihre Intelligenz böse und in den Irrtum verfallende Wesen werden müßten. [...]
Dadurch, daß der Christus in dem Jesus von Nazareth gewohnt hat, der Jesus von Nazareth gestorben ist, ist das Christus-Wesen übergegangen in die irdische Entwickelung, da ist das Christus-Wesen darinnen. Wir müssen uns nur bewußt sein, dass das eine objektive Tatsache ist, daß das eine Tatsache ist, die mit dem, was wir subjektiv erkennen, was wir subjektiv empfinden, als solches nichts zu tun hat. Wir müssen es erkennen um unseres Erkennens willen. Wir müssen es aufnehmen in unser Ethos, um dieses unseres Ethos willen. Aber der Christus ist ausgeflossen in die Menschheitsentwickelung, da ist er seitdem darinnen – was man die Auferstehung nennt – und er ist vor allen Dingen in unseren eigenen Seelenkräften. Fassen Sie nur einmal diese Tatsache in ihrer ganzen Tiefe auf! [...]
Sehen Sie, wenn man zu einem allgemeinen Gottes-Begriffe kommt, so ist dieser allgemeine Gottes-Begriff nicht der Christus-Begriff. Den allgemeinen Gottes-Begriff kann man bekommen, wenn man die Natur in ihren Erscheinungen verfolgt, wenn man das menschliche physische Wesen, so weit es äußerlich zu betrachten ist, verfolgt. Die Christus-Wesenheit ist so, daß man ihr nur nahekommt, wenn man im Lauf des irdischen Lebens etwas in sich selber entdeckt. Den allgemeinen Gottes-Begriff kann man finden, indem man einfach sich sagt, man ist aus den Kräften der Welt zum Dasein gekommen. Den Christus-Begriff muß man finden in sich, indem man weiter kommt, als die Natur einen kommen läßt. Findet man, wenn man in der Welt lebt, nicht den Gottes-Begriff, dann ist dieses Nichtfinden des Gottes-Begriffes eine Art von Krankheit. Ein gesunder Mensch ist niemals wirklich atheistisch. Man muß in irgendeiner Weise leiblich oder seelisch krank sein. Diese Krankheit äußert sich oftmals eben durch nichts anderes, als daß man Atheist ist.
Christus nicht zu erkennen, ist nicht eine Krankheit, sondern ein Unglück, ist ein Versäumnis des Lebens. Dadurch, daß man sich besinnt auf das Geborenwerden aus der Natur und ihren Kräften heraus, kann man, wenn man mit gesunder Seele dieses Geborenwerden verfolgt, zum Gottes-Begriff kommen. Dadurch, daß man im Laufe des Lebens etwas erlebt wie eine Wiedergeburt, kann man zum Christus-Begriff kommen. Die Geburt führt zu Gott, die Wiedergeburt zu Christus. [...]
Und in dieser Wiedergeburt, in diesem Finden des Christus-Funkens in sich, in diesem aufrichtigen und ehrlichen Sich-sagen-Können: „Nicht ich, sondern der Christus in mir“, liegt die Möglichkeit, den Intellekt nicht in Täuschung und in das Böse verfallen zu lassen. Und das ist im esoterisch-christlichen Sinne der höhere Begriff der Erlösung. [...] Wir können der Versuchung, dem Irrtum und dem Bösen zu verfallen, nur entgehen, wenn wir uns aneignen die Empfindung von dem, was das Mysterium von Golgatha in die Menschheitsentwickelung hineingebracht hat. [...]
"...bei jedem Kinde eine Rettung zu vollziehen hat"
Und nun erinnern Sie sich einmal, wie ich vor meiner letzten Abreise an einem Abend hier auseinandersetzte, wie anders die Kinder seit fünf bis sechs bis sieben, acht Jahren geboren werden heute, mit einem, man möchte sagen, melancholischen Anflug über den Gesichtern, der deutlich zu bemerken ist für denjenigen, der so etwas bemerken kann. Und ich habe gesagt: Das rührt davon her, daß die Seelen heute nicht gern heruntergehen in die von Materialismus erfüllte Welt. Man könnte sagen: Die Seelen haben vor ihrer Geburt eine gewisse Furcht und Angst in die Welt einzutreten, in der die Intelligenz den Hang, die Neigung zum Bösen hat und in absteigender Entwickelung begriffen ist.
Das ist auch etwas, wovon ein Bewußtsein entwickelt werden muß bei denjenigen Menschen, die für die Menschenzukunft Erzieher und Unterrichter werden. Die Kinder sind heute anders, als sie waren vor Jahrzehnten. Das ergibt sich schon einer oberflächlichen Betrachtung sehr deutlich. Man muß sie anders erziehen und anders unterrichten, als man sie vor Jahrzehnten unterrichtet hat. Man muß mit dem Bewußtsein unterrichten, daß man eigentlich bei jedem Kinde eine Rettung zu vollziehen hat, daß man jedes Kind dahin bringen muß, im Lauf des Lebens den Christus-Impuls in sich zu finden, eine Wiedergeburt in sich zu finden.
Solche Dinge, sie lebt man da, wo man sie zum Beispiel nötig hat als Lehrer, als Erzieher, nicht aus, wenn man sie einfach nur theoretisch kennt; sie lebt man nur aus, man führt sie nur ein in die Erziehung, in das Unterrichten, wenn man in der Seele stark erfaßt ist von diesen Dingen. Von der Lehrerschaft insbesondere muß es gefordert werden, daß sie in ihrer Seele stark erfaßt wird von diesem Sorgenvollen für die Menschheit, welche Versuchung der Intellekt mit sich bringt! Der Stolz, den die gegenwärtige Menschheit auf den Intellekt entwickelt, dieser Stolz, er könnte sich schwer rächen an der Menschheit, wenn er nicht durch dasjenige abgelähmt würde, was ich eben auseinandergesetzt habe, wenn er nicht abgelähmt würde durch ein starkes, energisches Bewußtsein: das Beste in mir als Mensch dieser und der folgenden Inkarnationen ist, was ich in mir als den Christus-Impuls finde. [...]
Damit muß man sich stark, sehr stark durchdringen, wenn man heute und in der Zukunft etwas tun will, um den Menschen zu erziehen, den Menschen zu unterrichten. Diese großen Gesichtspunkte müssen eingenommen werden. Aber Sie wissen auch, wie weit die Menschen der Gegenwart entfernt sind davon, diese großen Gesichtspunkte einzunehmen; daher ist nichts notwendiger, als immer wieder und wiederum nicht nur zu verweisen auf die Wichtigkeit geisteswissenschaftlicher Lehre, sondern zu verweisen auf den Ernst, der sich unserer Seele bemächtigen soll dadurch, daß wir die entsprechenden Tatsachen in der Entwickelung der Menschheit durch die Geisteswissenschaft kennenlernen. Denn nicht allein unser Wissen, unser ganzes Leben soll einen Impuls bekommen durch dasjenige, was Geisteswissenschaft ist; ohne daß man diesen Ernst fühlt, ist man nicht wirklicher Geisteswissenschafter. [...]
Aus der Erkenntnis der Entwickelung der Menschheit selber soll uns dieser Ernst aufgehen. Man möchte wünschen, daß der Schlaf, der allmählich ergriffen hat die Menschheit der Gegenwart, in eine Erweckung hineingeht. Diese würdigste Erweckung, die kann nur sein das Ergriffenwerden von dem Ernst der Aufgabe, die obliegt den Menschen der Gegenwart, und der Hinweis auf die Gefahren des einseitig sich selbst überlassenen, ins Ahrimanische hineinsteuernden Intellektes. Das soll der Impuls sein, der uns durchtränkt mit diesem Ernste.
6. Vortrag, 17.8.1919
[...] Man wird auf chemisch-physischem Wege nur das mineralisch Tote begreifen, das heißt, man wird so viel begreifen an dem Lebendigen, als an dem Lebendigen heute Leichnam ist.
Aber was im Menschen intelligent ist und erkennt, das ist trotzdem dieser physische Leib, das heißt der Leichnam. [...] Würde der Ätherleib ebenso erkennen können, wie der physische Leib das Tote erkennt, so würde der Ätherleib das Lebende der Pflanzenwelt zunächst erkennen. [...]
Und jetzt, nachdem Sie dieses einsehen aus einem tieferen Zusammenhang heraus, bedenken Sie, welches der charakteristische Mensch ist für dieses Suchen der Pflanzenerkenntnis. Das ist Goethe. Denn indem er entgegen aller äußeren Wissenschaft vom Toten herangegangen ist an das Lebendige, an die Metamorphose, an das Werden der Pflanzen, war er der Mann des fünften nachatlantischen Zeitraums in seinen elementarischen Anfängen. Wenn Sie daher die kleine Abhandlung von Goethe aus dem Jahre 1790 lesen: „Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“, so finden Sie gerade in dieser Abhandlung, wie Goethe allmählich versucht, die Pflanze werdend zu erfassen, nicht als Totes, Abgeschlossenes, sondern als Werdendes von Blatt zu Blatt. Da sehen Sie den Aufgang jener Erkenntnis, die gerade in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum gesucht werden sollte.
Es ist also im Goetheanismus der Grundton angegeben für dasjenige, was gesucht werden soll durch diesen fünften nachatlantischen Zeitraum. Es wird gewissermaßen die Wissenschaft im Goetheschen Sinne aufwachen müssen, vom Toten zum Lebendigen herüberzugehen. Das ist ja gemeint, wenn ich immer wieder und wiederum sage, wir sollen uns aneignen, aus den toten abstrakten Begriffen herauszukommen, in die lebendigen konkreten Begriffe hinein. [...]
Begriffe über das Göttliche
Nun wird das Hineinkommen in diese Begriffe, in diese Vorstellungen nicht möglich sein, wenn wir uns nicht dazu bequemen, dasjenige, was wir unsere Weltanschauung und Lebensauffassung nennen, als eine Einheit auszubilden. Wir sind heute durch die besondere Konfiguration unserer Kultur genötigt, gewissermaßen unorganisch nebeneinander herlaufen zu lassen die verschiedenen Strömungen unserer Weltanschauung. Denken Sie nur einmal, wie unorganisch nebeneinander herlaufen oftmals die religiösen Weltanschauungen eines Menschen und die naturwissenschaftliche Weltanschauung. Mancher Mensch hat die eine und die andere; aber er schlägt keine Brücke. Ja, er hat eine gewisse Scheu davor, eine gewisse Angst davor, eine Brücke zu schlagen. Und das müssen wir uns schon klar machen: so kann es nicht bleiben. [...]
Und hier komme ich auf einen Punkt, wo die Menschen der Gegenwart sich über den wirklichen Tatbestand, der zugrunde liegt, immer klarer und klarer werden müssen. In dem Zeitraume bis zu unserer Zeit hat sich einmal im Menschen vorzugsweise das Egoistische entwickelt; das Ego hat durchdrungen die Weltanschauung, das Ego hat auch durchdrungen den Willen. Darüber sollten wir uns keiner Täuschung hingeben. Und vor allem sind egoistisch geworden die Religionsbekenntnisse. [...]
Eine Folge davon ist die Art, wie der Mensch heute überhaupt über das Göttliche in verschiedenen Religionsbekenntnissen denkt. Daß wir einen Gott als den Höchsten vorstellen, das will ja noch nichts Besonderes sagen. In dieser Beziehung kommt es darauf an, daß wir durchaus alle Täuschungen hinwegräumen. Die meisten Menschen, die heute „Gott“ sagen, was meinen sie denn eigentlich? Ich habe das auch schon einmal hier erwähnt. Welche Art Wesenheit ist das, was sie meinen, wenn sie von Gott sprechen? Ein Angelos ist es, ein Engel, ihr eigener Engel, den nennen sie Gott! Es ist nichts anderes! Die Menschen ahnen gerade noch, daß ein schützender Geist ihr eigenes Leben verfolgt, zu dem sehen sie auf, das nennen sie ihren Gott. Wenn sie es auch nicht Engel nennen, wenn sie es auch Gott nennen, sie meinen nur den Engel. Und das ist im Grunde genommen der Egoismus des religiösen Bekenntnisses, daß man mit der Gottes-Idee nicht über den Engel hinauf kommt. Der Grund davon ist die Einengung der Interessen, die durch den Egoismus bewirkt ist. Diese Einengung der Interessen, wir sehen sie ja ganz deutlich hervortreten heute in unserem öffentlichen Leben.
Wonach fragen die Menschen heute viel? Fragen sie viel nach den allgemeinen Schicksalen der Menschheit? Oh, es ist in einem gewissen Sinne recht traurig, heute zu reden zu einer Menschheit über allgemeine Menschenschicksale. Man hat auch gar keinen Begriff davon, wie es sich in dieser Beziehung schon in verhältnismäßig kurzen Zeiten geändert hat. [...]
Diese Änderung der Menschheit, dieses Gleichgültigwerden der Menschheit gegenüber den großen Schicksalen des Daseins, das ist die auffälligste Erscheinung. Es prallt ja alles ab von der Menschheit heute. Die umfassendsten, einschneidendsten, intensivsten Tatsachen nimmt man auf wie eine Sensation. Sie wirken nicht erschütternd genug. Und das rührt nur davon her, weil der immer stärker und stärker werdende intelligente Egoismus die Interessen der Menschen einengt. [...]
Erhebt man den Seelenblick zu einem [...] Erfassen und Begreifen von Menschenschicksalen im Erdenraume, interessiert man sich intensiv für dies über das persönliche Geschick Hinausgehende, dann stimmt man die Seele, etwas Höheres, Wirkliches zu begreifen als den bloßen Engel: nämlich den Erzengel. Gedanken, was das Erzengelwesen bedeutet, kommen einem gar nicht, wenn man nur in den Regionen bleibt, die den egoistischen Menschen angehen. Wenn nur in den Regionen des egoistischen Menschen gepredigt wird, dann können die Prediger noch so viel vom Göttlichen reden, sie reden nur von dem Engel. Denn daß man es anders nennt, das ist ja nur eine Unwahrheit, das macht die Sache nicht zu dem, was sie ist. [...]
Und gehen Sie jetzt über zu noch etwas anderem. Spüren Sie in uns das, was ich in diesen Vorträgen angedeutet habe von den aufeinanderfolgenden Impulsen der Menschheitsentwickelung! [...]
Neben dem Raume müssen wir also für das, was in unserer Kultur lebt, auch die Zeit in Betracht ziehen: dasjenige, was an Zeitgeschichte von alters her und von der Zukunft in unsere Gegenwart hereinragt. Wir müssen uns klar sein, daß wir, indem wir als Menschen der Gegenwart leben, hereinspielend haben in diese unsere Menschenseele Vergangenheit und Zukunft. [...] Und indem wir uns [...] bewußt werden, wie Vergangenes, Werdendes, Entstehendes in unserer Seele lebt, geht in dieser Seele wieder eine andere Stimmung auf über das über den Egoismus hinausgehende Menschenschicksal, eine andere Stimmung als durch die bloße Raumbetrachtung. Und wenn wir diese Seelenstimmung entwickeln, dann erst entwickeln wir die Möglichkeit, Begriffe zu bilden über die Sphäre der Zeitgeister, der Archai. Das heißt, wir kommen zu dem dritten Göttlichen in der Hierarchienreihe. [...]
Innerlich tätig werden
Insbesondere sollte – das muß ich nun wiederum besonders sagen – in der Lehrerbildung dieses vorkommen, was ich jetzt auseinandergesetzt habe. Der Lehrer sollte nicht losgelassen werden zu unterrichten und zu erziehen, ohne daß er einen Begriff bekommt von dem Egoismus, welcher aufstrebt zu dem nächsten Gotte, das heißt zum Engel, ohne daß er aber auch einen Begriff bekommt von den unegoistischen, schicksalbestimmenden Mächten, die im Raume über der Erde nebeneinander sind, von den Erzengelwesen, und ohne daß er einen Begriff bekommt von dem, wie in unsere Kultur hereinragen Vergangenes und Zukünftiges, römisches Rechtswesen, griechische Geistessubstanz, und der unbestimmte Rebell der Zukunft, der uns rettet.
Aber die Menschheit ist gegenwärtig wenig geneigt, auf diese Dinge einzugehen. [...] Es ist eben so, daß immer zurückprallt dasjenige, was man heute aus den wirklich sachlichen Untergründen der Menschheitsentwickelung darzulegen hat. Die Menschen lassen es zurückprallen – es berührt die Tiefen der Seele nicht. [...]
Aber man muß sich ein Organ erwerben für dasjenige, was in unserer Zeit notwendig ist. Auf geistigem Gebiete wird es schwer sein, dieses Organ zu erwerben; denn – ich habe es Ihnen schon einmal, glaube ich, auch hier angedeutet: die vom Staate allmählich aufgesogene geistige Bildung im Unterrichtswesen, die hat wirklich herausdestilliert aus den Menschen das Aktive, das tätige Streben, die hat den Menschen zum hingebungsvollen Gliede in der Staatsstruktur gemacht. [...] [Ab dem 6. Lebensjahr] wird der Mensch in Anspruch genommen, wird so dressiert, daß er für die Staatswirtschaft geeignet wird, daß er hineinpaßt in die Schablone, daß er aufhört, Mensch zu sein und das nun wird, was die Abstempelung des Staates gibt. Dann wird er etwas dem Staate.
Er strebt danach, denn es wird ihm eingebläut; er bekommt ja nun nicht bloß seine Verpflegung vom Staate während er arbeitet, sondern noch über die Arbeit hinaus bis zum Tode in Form der Pension. Denn was für ein Ideal ist heute für viele Menschen eine pensionsberechtigte Stellung! Dazu verfügen dann die Religionsbekenntnisse die Pensionierung über den Tod hinaus. Die Seele wird pensionsberechtigt; ohne daß sie etwas dazu tun soll, bekommt sie die ewige Seligkeit durch das Wirken der Kirche selber. Die sorgt dafür! Das ist allerdings unbequem, nun zu hören, daß das Heil im freien geistigen Streben liegt, das unabhängig vom Staate sein muß; daß der Staat nur ein Rechtsstaat sein soll. Ja, Pensionsberechtigung wird es ja im Rechtsstaate nicht geben! Das ist schon ein Grund für viele, ihn abzulehnen. Man merkt das immer wieder und wiederum.
Und mit Bezug auf das intimste Geistesleben, das religiöse Leben, wird allerdings die Weltanschauung der Zukunft von dem Menschen verlangen, daß er seine Unsterblichkeit sich erarbeitet, daß er seine Seele tätig sein läßt, damit sie in Tätigkeit das Göttliche, den Christus-Impuls in sich aufnimmt.
Viele, viele Briefe habe ich in meinem Leben bekommen, immer wieder von kirchlichen Leuten, die sagen, die Anthroposophie, oder wie sie es dann schon nennen, ist ja im Grunde eine schöne Sache, aber sie widerspricht dem einfachen, schlichten christlichen Bekenntnisse, daß Christus die Seele erlöst hat, daß man in Christus selig werden kann, ohne daß die Seele etwas dazu tut. Der „schlichte Glaube des Seligwerdens durch den Christus“, davon können sie nicht lassen. Die Menschen glauben, wenn sie so etwas sagen oder schreiben, besonders fromm zu sein. Egoistisch sind sie, grundegoistisch sind sie, nichts tun möchten sie in der Seele, und das Göttliche dafür sorgen lassen, daß es die Seele hübsch pensionierend hinausträgt durch die Pforte des Todes.
Das ist nicht so bequem in jener Weltanschauung, in der das Religiöse geschaffen werden muß gegen die Zukunft hin. Da muß man begreifen, daß man sich das Innehaben des Göttlichen in der Seele erarbeiten muß. [...] Aber dieser Übergang zum innerlich Tätigsein, dieses Leben im Hinblicke auf die Welt, zu der man sich hinzurechnen muß, das ist dasjenige, was die Menschheit notwendig hat, und was sie noch nicht sehr liebt. [...]
Sehen Sie, das ist eben das außerordentlich Schwierige in der Gegenwart, und das müssen Sie sich klarmachen, dieses Schwierige, daß die Menschen mit ein paar abstrakten Sätzen über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens aufgeklärt sein möchten. [...] Denn nicht wahr, abstrakte Sätze, die ganz durchsichtig sind, die beziehen sich ja auf das Tote; das Soziale soll aber das Lebendige sein. Da müssen biegsame Anschauungen, biegsame Sätze, biegsame Formen in Anwendung sein. Deshalb ist es schon notwendig, daß wir nicht nur nachdenken, wie ich schon öfter gesagt habe, über die Umwandlung einzelner Einrichtungen, sondern daß wir uns dazu bequemen, wirklich umzudenken und umzulernen mit Bezug auf das innerste Gefüge unseres Denkens und unseres Sinnens. [...]
Und da möchte ich Ihnen eines ans Herz legen, was ich in verschiedenen Formen ja schon immer wiederholt habe: Es handelt sich wirklich darum, dasjenige, was wir in anthroposophischer Erkenntnis uns aneignen können, als wahre Richtschnur für das Wirken und Streben der Gegenwart anzuerkennen, den Mut zu haben, mit dem Anthroposophischen durchdringen zu wollen. Es ist ja dies das Schlimmste, daß die Menschen der Gegenwart so wenig den Mut haben, mit etwas, was not tut, wirklich durchdringen zu wollen. Sie lassen ihre besten Willenskräfte gewissermaßen zerbrechen; sie wollen nicht sie durchbringen, so notwendig dieses wäre. [...]
Um den Mut handelt es sich, diese Dinge durchzubringen. Wir wollen uns so betrachten, daß wir da sind als das kleine Häuflein, das durch sein Schicksal bestimmt ist, dasjenige zu wissen, und dasjenige der Welt mitzuteilen, was ihr heute am allernötigsten ist. Mögen uns die Leute auslachen und mögen sie sagen, daß es eine Anmaßung ist das zu glauben; wahr ist es ja doch. Und dieses „wahr ist es ja doch“ sich zu sagen, aber ernsthaftig, so daß es die ganze Seele erfüllt, dazu gehört eben ein innerer Mut, den wir haben müssen. Der durchdringe uns als die anthroposophische Substanz. Dann werden wir das machen, was wir machen sollen, jeder an seinem Platze. [...]