28.07.2009

"Gute Schulen" als halbe Wahrheit

oder: Die Frage nach dem Wesen des Menschen

Warum "gute Schulen" zwar bessere Pädagogik machen als schlechte - aber auch sie das Wesen wahrer Pädagogik nicht kennen. | PDF


Nicht wenige Menschen, Menschengruppen und Schulgemeinschaften ringen um die "gute Schule", benennen auch klar die Katastrophe des Bildungswesens und viele ihrer Ursachen.

Mit viel Engagement wird nach zukunftsweisenden Formen von Pädagogik gesucht. Die Ansätze, die auf diese Weise verwirklicht werden, sind viel, viel menschlicher als das staatliche Schulwesen.

Wenn es jedoch um die Frage nach dem Wesen von Pädagogik geht, kommt man um eine Frage nicht herum: Was ist der Mensch? Diese Frage ist im heutigen Bildungswesen unbeantwortet - auch in den fortschrittlichen Schulen.

Das Staatsschulwesen betrachtet Kinder und Jugendliche de facto nach wie vor als "Fässer, die zu füllen sind". Die "fortschrittlichen" Schulen gehen von der Tatsache aus, dass dies nicht so ist.

Doch mit der Betonung "individueller Lernwege", mit fächerübergreifenden "Projekten" usw. ist noch keinerlei Antwort auf die eigentliche Frage gegeben. Klar ist, dass Pädagogik mehr ist, etwas ganz anderes ist als standardisierte Wissensvermittlung in fest umrissenen Fächern und Stundenplänen.

Die "neuen" Ansätze sind tastende Versuche für eine andere Antwort. Doch ohne die eigentliche Frage im Auge zu haben, wird jede Antwort in die Irre gehen - wird man glauben, einer umfassenden Antwort zumindest auf der Spur zu sein, nur weil man die schlimmsten Auswüchse von "Schule" beseitigt hat.

Die Frage nach dem Wesen von Pädagogik kann nicht wahrhaft beantwortet werden, solange die Frage nach dem Wesen des Menschen unbeantwortet bzw. falsch beantwortet ist. Das Wesen des Menschen ist aber viel differenzierter und komplizierter, als die heutigen pädagogischen Ansätze widerspiegeln. Und deshalb kann man es mit "individuellen Lernwegen", Portfolio etc. ebenso verfehlen, wie man es mit der standardisierten Staatsschulpädagogik verfehlt. 

Solange man nicht bereit ist, sich mit einer spirituellen Menschenkunde auseinanderzusetzen, wird man die Grundsätze wahrer Pädagogik nicht finden - und seine eigenen Fehler nicht erkennen. In der Anthroposophie ist eine solche Menschenkunde zu finden. Wer sich in sie vertieft, wird selbst verstehen, warum die heute so "moderne" Anschauung, die ausgebildete Individualität schon in die Kindheit zu versetzen, falsch ist und zu falschen pädagogischen Ansätzen führt.

Es erfordert jedoch Mut, die Frage der Pädagogik derart ernst zu nehmen: Erstens ist eine solche wahre Menschenkunde "kompliziert", sie ist nicht bequem, es erfordert Mühe, sich mit ihr auseinanderzusetzen, und sie liefert keineswegs sofortige Patentrezepte.

Zweitens - und dies ist noch schwerwiegender - ist sie heute nicht opportun. Man stellt sich also ganz gegen den Strom. Die heutige Pädagogik bzw. Wissenschaft mag anerkennen, dass ein Mensch mehr ist als ein "zu füllendes Fass", doch mit einer spirituellen Menschenkunde will man nichts zu tun haben.

Alle neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse weisen auf die Notwendigkeit einer erweiterten, spirituellen Menschenerkenntnis hin - und dennoch wagt man diesen Schritt nicht. Man glaubt, damit den Boden alles sicher Wissbaren zu verlassen. Das ist aber nicht so. Weiß man denn heute etwas vom Wesen des Menschen? Nein, heute weiß man eben nichts. Wer sich wirklich mit der Erkenntnis der Anthroposophie bzw. Rudolf Steiners auseinandersetzt, wird merken, dass er alles ganz und gar nachvollziehen können wird - dass ihm diese Erkenntnis tatsächlich und ganz real ein tieferes Verständnis des Menschen eröffnet.

Man braucht vor der Anthroposophie ebensowenig Angst zu haben wie z.B. vor der höheren Mathematik - auch deren Erkenntnisse erscheinen einem zunächst "weit weg", "okkult" und für den "normalen Menschenverstand" kaum erreichbar. Wahr sind sie dennoch, und es ist einzig die Frage, ob man den Mut fasst, zu beginnen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und zu versuchen, sie nachzuvollziehen.

Wahre Pädagogik braucht den Mut, die Frage nach dem Wesen des Menschen wirklich zu stellen und sich ebenso real auf die umfassende Antwort einzulassen.