28.04.2015

Smartphones und andere Medien – worum geht es uns?

Unzeitgemäße Betrachtungen zu einem offenkundigen Geheimnis.


Einen Vortrag des Medienexperten Uwe Buermann vom April nehme ich zum Anlass, das Thema aufzugreifen. Ich möchte dabei zunächst die mehr „exoterischen“ Aspekte berühren und dann in das mehr spirituelle Erleben hineinführen.

Der mitten im Leben stehende Referent nahm in seinem Vortrag kein Blatt vor den Mund und kam in seiner Art einen Tag später auch bei den Fünft- und Sechstklässlern gut an. Was er aber vor den Eltern ausführte, mündete in die Empfehlung, die auch seinen ganz eigenen Standpunkt ausdrückte: Smartphones und ähnliches wenn irgend möglich erst ab 16!

Ein solcher Standpunkt könnte als völlig illusionär und naiv abgetan werden, wenn man nicht die absolute Realitätsverbundenheit des Vortragenden erlebt hätte und wenn nicht wirklich auch gewichtigste Argumente genau dafür sprechen. In Kürze zusammengefasst:

Tumore, Schlafstörungen und Profanität

Allein schon die Strahlung, deren Gefährlichkeit immer heruntergespielt wurde, die aber in neuen Studien selbst vom ehemaligen Vorsitzenden der Strahlenschutzkommission bestätigt werden musste, könnte dazu führen, dass die junge Generation die erste sein wird, die schon mit Ende zwanzig Gehirntumore und Todesfälle wegen Handys kennen wird. Spätestens dann könnten auch gesetzliche Verbote folgen, wie es beim Rauchen ebenfalls jahrzehntelang undenkbar schien.

Die Displaystrahlung wiederum signalisiert dem Gehirn, es sei heller Tag – selbst beim abendlichen Chatten oder beim nächtlichen Blick auf die Uhrzeit. Die Folge ist ein völlig veränderter Schlaf, bei dem die (sowohl für die Regeneration als auch für alles Lernen!) essentiell wichtigen Tiefschlafphasen massiv gestört werden bzw. sogar ausfallen. Die ständige unbewusste Erwartung einer SMS oder WhatsApp-Nachricht wirkt im gleichen Sinne. Das Unterbewusstsein ist rund um die Uhr online. Deswegen fordern Forscher längst: Smartphones raus aus den Schlafzimmern! Bereits deutlich vor dem Schlafengehen Schluss mit der virtuellen Vernetzung!

Das Nächste sind die Inhalte des Internet, die von den jungen Menschen früher oder später auch mit all ihren Schattenseiten aufgesogen werden. Man sollte sich ganz von der Illusion verabschieden, dass Kinder das Smartphone auch nur annähernd in der gleichen Weise benutzen wie Erwachsene. Für Kinder ist es kein Arbeitsgerät, sondern aufregendes Tor zur virtuellen Welt. Das Internet ist ein Moloch – und man kann sicher sein, dass die schlimmsten Inhalte ihren Weg zu zahllosen Kindern und Jugendlichen finden werden. Sex, Gewalt, Brutalität, das ist nur die Spitze des Eisberges (und man bedenke: ein einziges IS-Video kann bei Kindern bereits ein lebenslanges Trauma auslösen!). Der weitere Eisberg besteht aus Profanität, Sinnlosigkeit, Oberflächlichkeit. Alles zielt auf eine Vernichtung jeglicher feinerer und tieferer Seelenempfindungen. Wer bereits süchtig ist, kann dies immer wieder in Abrede stellen, er hat gar keinen Vergleich mehr. Vergleichen können nur noch diejenigen, die es halbwegs geschafft haben, sich noch etwas „außerhalb“ zu halten.

Von der Datenspionage per Internet, die uns alle im Grunde zu „gläsernen Menschen“ macht, und der Kinder mit der allergrößten Naivität gegenüberstehen, will ich gar nicht reden. Auch nicht von dem sozialen Druck, der sich in einer Klasse rasend schnell ausbreitet und mit jedem Smartphone in Kinderhand weiter potenziert. Eine fast unglaubliche Tatsache aber ist, dass Apple-Gründer Steve Jobs seinen Kindern kein iPad erlaubte, selbst mit fünfzehn noch nicht, als sie die letzten in der Klasse „ohne“ waren! Auch so etwas kann zu denken geben...

Erschütternd ist auch, dass wir bereits bei einer Mailflut von zwanzig, dreißig Mails protestieren und schimpfen, dies und jenes gehöre nicht in den Verteiler, aber oft gar nicht wissen, dass allein über WhatsApp unsere Kinder teilweise hunderte von Nachrichten verarbeiten wollen oder sollen, und zwar Tag für Tag. Teilweise hängen sie auch deshalb fortwährend über den Displays, weil sie sich verpflichtet fühlen, alles zu beantworten oder zumindest mitzubekommen. Machen wir uns auch dies einmal klar? Die ungeheure Fremdbestimmung, die sich hier in die Seelen schleicht?

Seele und Geist – die Frage nach dem Wesen des Menschen

Aber all diese Tatsachen sollten eigentlich nicht äußerlich betrachtet werden, sondern innerlich. Wir selbst sollten versuchen, in uns eine Sehnsucht nach den wesentlichen Fragen zu entdecken oder zu erwecken: Was ist eigentlich das Wesen des Menschen? Was ist sein tiefstes Wesen? Warum kommen wir in diese Welt? Warum inkarnieren wir uns, mit welchen tiefsten Zielen wollen wir auf die Erde kommen?

Wenn man sich auch nur eine gewisse Zeit seines Lebens bereits in diese Fragen vertieft hat, vielleicht sogar in echter Besinnung, meditativ, dann erlebt man immer stärker, dass wir als Menschheit dabei sind, uns von unserem eigenen wahren Wesen immer mehr zu entfremden. Das Mysterium des Menschenwesens liegt im Inneren – im Innersten seiner Seele und im Wesen seines Geistes. Aber dieses Wesen kennen wir heute gar nicht mehr, und auch unsere Seelentiefen kennen wir immer weniger, denn gibt es diese überhaupt noch?

Welche Tiefen der Seele können sich in Menschen entwickeln, die ein ganz von der Außenwelt absorbiertes Leben führen? Es gibt einen wunderbaren Essay von Henry David Thoreau, „Leben ohne Prinzipien“ (über Suchmaschine in Auszügen z.B. auf meiner Webseite zu finden). Darin schreibt er, neben vielen weiteren Gedankenperlen – der ganze Aufsatz ist eine solche –: „Ich glaube, der Geist kann endgültig entwürdigt werden durch die Gewohnheit, sich um triviale Sachen zu kümmern, so dass alle unsere Gedanken von Gewöhnlichkeit durchtränkt werden.“ Das genau ist der Kern. Und nicht nur der Geist, sondern auch die Seele wird entwürdigt, nicht nur entwürdigt, sondern ausgehöhlt.

Wenn ein Mensch ungestört im Wandel der Natur und mit geistvollen, im unmittelbarsten Sinne moralischen Gedanken (wie sie etwa in den Märchen liegen) aufwachsen darf, kann er ein tiefes Leben der Seele entwickeln. Was aber kann ein Mensch in der heutigen Zeit entwickeln, der ganz von einer völlig anderen Außenwelt aufgesogen wird? Vom Pflichtprogramm einer nicht mehr menschlichen Schul- und Arbeitswelt? Von Youtube-Videos, Filmen, Serien, Spotify-Songs, Facebook, Chatten, SMS, Computerspielen und, und, und? All dies erzieht nur zu zweierlei: Zu einer völligen Passivität und inneren Eigen-Leere der Seele und zu einem bloßen Konsum- und Genuss-Modus. Der Moloch dieser virtuellen Schwemme bekämpft jede zarte, eigenständige Entwicklung tiefer Seelenempfindungen, jedes Aufkeimen einer heiligen Liebe zum Guten und existentiell erlebter Ideale. Man muss dies einmal wirklich bis in die Imagination hineinbringen (die auch in den Märchenbildern lebt), versuchen, sich vorzustellen, was das eigentlichste, wahrste Wesen der Seele ist – und dann, was der Moloch daraus macht...

Hoffen wir also nicht, dass sich tiefere Empfindungen oder Ideale, dass sich die wirkliche Seele vielleicht auch irgendwo als kleines Pflänzchen zwischen den sie erdrückenden Betonplatten hervordrängt – sondern erleben wir die Realität dessen, was das Aufblühen des eigentlichen menschlichen Wesens verhindert. Es geht um die Frage, was sich entwickeln könnte, wenn die Betonplatten nicht da wären! Nehmen wir Thoreaus Worte ernst und flüchten nicht verantwortungslos in die Sorglosigkeit eines „Was werden will, findet schon seinen Weg“.

Die ganze Waldorfpädagogik kreist um das Inkarnationsproblem – sie hat ein tiefes Wissen darum, dass es für die wirkliche, volle Inkarnation des wahren Wesens der Individualität günstige Bedingungen gibt und solche, die diese Inkarnation geradezu bekämpfen. Die Entwicklung unserer Kinder (und auch unsere eigene) in diesem Licht zu sehen, ist die Herausforderung. Diese Frage herunterzuspielen, gehört schon zu den Tendenzen, die das volle Wahrwerden unseres Wesens ebenfalls verhindern wollen. Die Frage ist: Gehorchen wir ihnen oder hören wir die leise Stimme der Seele, des Geistes? Dafür braucht es eine gewisse innere Sehnsucht und den Mut zur Wahrhaftigkeit...

Lernen wir, uns immer mehr als Hüter der sich offenbaren wollenden wahren Individualität unserer Kinder zu empfinden, nicht dessen, was der Moloch aus der Seele machen und andererseits verhindern will. Erkennen wir, dass Internet und Smartphones die wahren und besten Kindheits- und Jugendkräfte unmittelbar bekämpfen.