14.02.2014

Zur Autonomie der Waldorfpädagogen

Gedanken über eine essentielle Grundlage der Waldorfpädagogik.


Kann ein Kind auf der Basis von Angst, Kontrolle und Direktiven sein Wesen entwickeln? Nein, sondern es wird in jeder Weise beschränkt werden – und, wenn es bereits genügend innere Kräfte mitbringt, fortwährend revoltieren. – Kann eine Erzieherin unter dem Druck von Angst, Kontrolle und Direktiven eine seelisch freie, von Begeisterung und Liebe getragene Erziehungskunst entfalten? Nein, sondern ihr ganzes Tun und Empfinden wird beschnitten und gehindert werden.

Rudolf Steiner war seiner Zeit weit voraus. In vollkommen klaren Gedanken betonte er immer wieder, was allein die Grundlage für die volle Entfaltung pädagogischer Kunst sein kann: die volle Freiheit der ErzieherInnen. Erst die umfassende Autonomie führt zu demjenigen inneren Freiheitszustand, aus dem heraus wirklich Tag für Tag die Liebe zum pädagogischen Handeln und auch die realen pädagogischen Intuitionen strömen können. Denn Erziehung ist keine Technik, sie ist keine äußere Methode und nicht einfach etwas, was man „umsetzt“ – sie ist ihrem Kern nach das innerste Verhältnis der Erzieherin zum Kind. Da entsteht zu jedem einzelnen Kind und zur ganzen Gemeinschaft der Kinder ein inneres Band, und auf die Qualität, die moralische, von Liebe erfüllte Substanz dieses Bandes kommt alles an.

Was bedeutet es nun für das seelische Erleben der ErzieherInnen, für die freie, starke Hingabe an das pädagogische Handeln und für den gesamten, so essentiellen Prozess zwischen Erzieherin und Kind, wenn von außen Direktiven einschlagen, wenn eine Geschäftsführung und ein Vorstand nicht hinter einem Kollegium stehen, sondern zum Beispiel die Aussage, dass Stellen fehlen, abstreiten; zulässige Zeiten für Vor- und Nachbereitung vorgeben ... und unzähliges Andere mehr?

Es bedeutet eine Vernichtung des für den pädagogischen Prozess so absolut zentralen Freiheitsmomentes. Und es spielt dabei gar keine Rolle, ob der Konflikt letztlich (oft sehr schnell) so groß wird, dass die Atmosphäre vergiftet ist, die Erzieherinnen nur noch als Arbeitnehmer behandelt werden und sich entscheiden, lieber zu gehen, weil die seelische Kälte und der Druck ein Bleiben sinnlos und furchtbar machen. Die entscheidende Frage beginnt viel früher.

Erzieherinnen an einer Waldorfschule sind keine Arbeitnehmerinnen – und wenn sie so behandelt werden, ist die innere Krankheit eines falschen Denkens und eines sozial, pädagogisch und geistig schädlichen Prozesses schon weit fortgeschritten. Die Erzieherinnen sind die Träger des pädagogischen Impulses. Diesem Impuls geht es ganz um die Kinder – und die Erzieherinnen sind die Träger dieses Impulses. Von ihnen, von ihren Herzenskräften, ihren Intuitionen und ihrer inneren Freiheit hängt es ab, ob dieser Impuls seinem Wesen und seiner vollen Möglichkeit nach verwirklicht werden kann oder nicht.

Es ist ein vollkommener Widerspruch zur Waldorfpädagogik, wenn die innere und äußere Autonomie eines pädagogischen Kollegiums in irgendeiner Weise angetastet wird – wenn sich eine Geschäftsführung oder ein Vorstand hinstellen und auf einmal sagen, was „sein darf“ und was nicht. Man muss wirklich tief empfinden, was hier geschieht! Es gibt niemanden, der sich zwischen den pädagogischen Impuls und seine Träger stellen kann – und wenn dies doch geschieht, ist dies eine Überwältigung, eine Vereinnahmung von etwas, was seinem Wesen nach nur völlig frei sich entfalten kann.

Frei steht ein pädagogisches Kollegium da und empfängt in Liebe die Kinder, vertrauensvoll gesandt von den Eltern – und der pädagogische Prozess entfaltet sich, jeder Tag wiederum ein Wunder... Dann gibt es noch all jene Menschen, die dazu beitragen, dass dieses Wunder geschehen kann: Eltern, die helfen, wo sie können. Hausmeister, die sich bewundernswert um alles kümmern. Eine Köchin und ihre Helfer. Ein Vorstand – Pädagogen und Eltern, die diesen Prozess aus vollem Herzen unterstützen wollen –, der sich vor allem nach außen hin um wesentliche rechtliche und andere Fragen kümmert. Und eine Geschäftsführung, die ganz hinter dem Kollegium steht und den PädagogInnen unzählige organisatorische und wirtschaftliche Prozesse abnimmt.

Eine Katastrophe aber ist es, wenn diese Dinge sich umkehren. Dann verkehrt sich auch die Grundlage der Waldorfpädagogik in ihr Gegenteil: Freiheit wird zu Fremdbestimmung...