Ansprache Rudolf Steiners bei einem Elternabend

Ansprache auf einem Elternabend am 22.6.1923, GA 298, S. 187ff.


Sehr verehrte Anwesende! Die Frage von Schule und Haus, Kindern und Eltern wurde längst als eine solche betrachtet, von der der Wunsch rege war, daß sie hier an einem Elternabend genau besprochen würde.

Es ist nicht alles an einem Abend zu sagen möglich; aber wir werden solche Abende, in denen diese Frage besprochen wird, öfter veranstalten, dann wird sich das Thema erschöpfen können. Heute will ich die ersten hauptsächlichsten Gesichtspunkte, wie sie den Lehrern und mir vorschweben, vor Ihnen aussprechen.

Elternabende sind oftmals angeregt auf dem Erziehungsgebiet, aber viele Vertreter, und hervorragende Vertreter des heutigen offiziellen Schulwesens halten nicht viel von solchen Elternabenden. Und es wurde von ausgezeichneten Pädagogen gesagt, daß nichts herauskomme als ein unfruchtbares Diskutieren. Über alle Dinge des praktischen Lebens, auch über Elternabende, kann man verschiedene Ansichten haben; jede ist zu begründen. So will ich nicht für gewisse Gesichtspunkte das Recht bestreiten, von Elternabenden nicht groß zu denken. – Wir aber als Vertreter des Waldorfschul-Gedankens müssen in diesen Elternabenden etwas außerordentlich Bedeutungsvolles sehen, denn diese Abende, wenn sie in der richtigen Weise geführt werden können, hängen doch zusammen mit den tiefsten Lebensbedingungen dessen, was wir mit der Waldorfschule wollen.

Gewiß, Lehrer, die sich hineingestellt fühlen in den heute geltenden sozialen Zusammenhang und sich getragen fühlen von den Staatsgewalten, die fühlen sich auf ihrem Boden in einer gewissen Sicherheit und sind damit sehr häufig zufrieden. Da wird ihnen ja genügend in das hineingeredet, was sie tun sollen; warum auch noch von den Eltern, denken sie. Wir können ja diesen Standpunkt nicht haben. Wir haben ja ein solches Hereingestelltsein in die gegenwärtigen sozialen Dinge nicht.

Wir müssen aus dem heraus wirken, was uns aus Menschen- und Lebenserkenntnis, aus Menschenwissenschaft und Menschenkunst als pädagogisches Ziel voranleuchtet. Wir müssen, was wir brauchen für den täglichen Unterricht, aus der inneren Kraft unseres pädagogischen Herzens herausholen. Dazu braucht man, ich will nicht sagen Anerkennung, denn eine Idee, die so sehr aus der Forderung der Zeit und Zukunft geholt ist, wie unsere, muß die Kraft ihrer Wirkung in sich tragen und nicht auf Anerkennung rechnen, was wir aber brauchen zu unserer Arbeit des täglichen Schullebens, das ist Verständnis vor allem derer, auf die es zunächst ankommt, die uns ihre Kinder in die Schule anvertrauen.

Wir können ohne dieses Verständnis überhaupt unsere Arbeit nicht leisten. Und dieses Verständnis muß zunächst allgemeiner Natur sein. Wir können nicht sagen: Eine höhere, aus der anerkannten Gesellschaftsordnung folgende Weisheit schwebt über unseren Häuptern, die wird uns führen, wir brauchen nichts anderes als das Bewußtsein davon. – Wir müssen Schlagkraft gewinnen für unsere Schulideale; Schlagkraft insofern als eingesehen werde, wie tief verwurzelt in den wichtigsten Kulturforderungen der Gegenwart und nächsten Zukunft gerade dasjenige ist, was durch den Waldorfschul-Gedanken zutage tritt. Daher müssen wir danach streben, daß das, was wir wollen, in klarer Anschauung vor die Menschen der Gegenwart tritt, die ein Verständnis dafür aufbringen können. In erster Linie ist darauf zu rechnen, daß diejenigen, die uns ihre Kinder anvertrauen, die also eine gewisse Liebe zur Waldorfschule haben, auch eindringen können in die Gedanken, Empfindungen, Willensimpulse, die uns selbst tragen.

So möchten wir vor allem dasjenige Verhältnis der Schule zur Elternschaft herstellen, das nicht beruht auf Autoritätsglauben. Das hat keinen Wert für uns. Nur das hat Wert, was uns mit Verständnis, bis ins einzelne hinein, für unser Wollen entgegenkommt; das sich bewußt ist, daß ein großes Wagnis unternommen ist mit dieser Schule, das Wagnis, mit schwachen, menschlichen Kräften die so schwer enträtselbaren Anforderungen des 20. Jahrhunderts zu erkennen und umzuprägen ins Pädagogisch-Didaktische. Ich denke, in unserer Lehrerschaft ist kein einziges Mitglied, das nicht dasjenige, in das es hineingestellt ist, empfinden will wie eine Art welthistorischen Festes innerhalb der Menschheitsentwickelung.

Das will der Lehrer in aller Bescheidenheit. Aber so nötig Bescheidenheit ist, so nötig ist, daß er es nicht in Kleinmut will, sondern sich bewußt werde, welche Bedeutung, nicht gerade durch sein Wesen, aber durch das, zu dem er sich bekennt, sein Wirken habe, und daß diese Bedeutung nicht aus einer Willkür oder Sympathie, sondern aus einem aus dem Zeitbewußtsein stammenden Wollen in der richtigen Weise betrachtet werde. Das brauchen wir vor allem von den Eltern.

Wir möchten schon, daß die Eltern der Waldorfschulkinder sich sagen: Ich fühle die erzieherische Menschenpflicht in ganz besonderer Weise, und ich möchte, daß gerade durch meine Kinder etwas beigetragen werde zu den großen Aufgaben der Menschheit im 20. Jahrhundert. Ich möchte, daß das Anvertrauen meiner Kinder der Waldorfschule tatsächlich eine soziale Tat großen Stiles sei. – Je intensiver dies in die ganze Gesinnung aufgenommen werden kann, desto besser.

Uns muß es vor allen Dingen auf Gesinnung ankommen. Wir können nicht viel halten von Anweisungen im einzelnen, daß die Lehrer sich so oder so zu den Eltern verhalten sollen und umgekehrt. Wir können uns von solchen Einzelanweisungen nicht sonderlich viel versprechen, aber sehr viel davon, wenn die Lehrerschaft und Elternschaft sich gegenüberstehen in den richtigen Gesinnungen. Denn wir wissen, wenn mit dem innersten Wesen des Menschen die Gesinnung zusammenhängt, dann wird Gesinnung Tat, gerade in den Einzelheiten des Lebens. Wenn Gesinnung im großen den Menschen ergreift, werden seine einzelnen Taten zu Abbildern dessen, was die Gesinnung mit einem großen Zuge will. Daher handelt es sich für uns mehr darum, das Richtige in der richtigen Weise zu empfinden und zu verstehen, als einzelne Anweisungen zu geben und zu bekommen.

Wie oft habe ich betont, wie die verschiedenen Lebensepochen auf das Kind wirken, wie das Kind etwas anderes ist bis zum Zahnwechsel und wieder etwas anderes bis zur Geschlechtsreife. Bis zum Zahnwechsel ist das Kind eigentlich durch das Schicksal in einem ganz innigen Kontakt mit dem Elternhause. Wer nicht ganz aufgeht in der in der Gegenwart blühenden materialistischen Denkweise, sondern den geistigen Zusammenhang im menschlichen Zusammenleben und in der Entwickelung durchschaut, der weiß, daß der schicksalsmäßige Zusammenhang zwischen Kindern und Eltern viel größer ist, als unsere abstrakte Zeit in ihren materialistischen Vorstellungen oft annimmt. Wenn man hinzu weiß zu dem, was uns das physische Leben gibt, das, was uns das geistige Leben außer den Grenzen von Geburt und Tod gibt, dann nimmt man schon den schicksalsmäßigen Zusammenhang zwischen den Kindern und den Eltern und Geschwistern ganz ernst, und dann wird einem von Bedeutung die ganze wirklich für alle Erziehung einschneidende Art, wie wir das Kind in die Volksschule aus dem Elternhaus hereinbekommen. [...]

Wir bekommen das Kind in die Schule herein in der Art, daß es ein wirkliches Abbild ist aller Verhältnisse und Charaktere im Elternhaus und in seiner bisherigen Umgebung. Das Kind vom ersten bis siebenten Jahr ist fast ganz Sinnesorgan; mit ungeheurer Empfindungsfähigkeit nimmt es alles aus der Umgebung auf, was dort gesagt, getan, ja gedacht wird. Und da verbirgt sich ein Menschen-Wachstumsgeheimnis, das von der heutigen Wissenschaft wenig berücksichtigt wird: die seelischen Äußerungen der kindlichen Umgebung werden organische Leibesbeschaffenheit beim Kinde. Wer sich feinen pädagogischen Takt angeeignet hat für das Aussehen des Kindes, den der Waldorfschullehrer haben soll, der sieht im Glanz des kindlichen Auges, wenn es die Volkssschule betritt, ob das Kind liebevoll von seiner Umgebung behandelt wurde, oder ob es unter Zornesausbrüchen unlieb behandelt worden ist. Was Eltern, Geschwister und so weiter tun, sagen, denken, lebt in der Körperbeschaffenheit des Kindes, und viel könnte ich sagen, wenn ich sagen wollte, wie diese seelischen Äußerungen in dem Verlauf der Atmung, des Blutumlaufes, der Wirkung des Nervensystems beim Kind zu beobachten sind. Es kann ja sein, Vater und Mutter sind in der Lage, mit häufigen Zornesausbrüchen das Kind zu behandeln. Bei diesen Kindern merkt man, was sie so aufgenommen und mit ihrem inneren Wesen verbunden haben, wie das zur Körperbeschaffenheit wird in der Art der Verdauung, der Muskelbewegung, auch in der Art, wie sie auffassen und nicht auffassen können.

Ich darf mich – nicht bildhaft, sondern eigentlich – so ausdrücken, daß der Lehrer mit der ersten Klasse in dem Kinde überliefert bekommt ein Bild des ganzen Elternhauses; in der Gesundheit, im Temperament, im Fassungsvermögen, in der moralischen Anlage trägt das Kind das Elternhaus in die Schule hinein. Und wir machen in der Schule zunächst durch das Kind sehr intim Bekanntschaft mit dem Elternhause. Das sollte in die Gesinnung derer einziehen, die ein wirkliches Interesse für eine Schule wie die Waldorfschule haben. Solche Dinge brauchen nur Gesinnung zu werden, dann wirken sie auf das Handeln.

Wenn man klar so etwas weiß, wird man manches einzelne tun, was man sonst unterläßt, und vieles unterlassen, was man sonst tut. Das ist kein abstraktes Wissen; es durchtränkt das ganze Leben. Wenn das die Voraussetzung ist, dann wird schon jener Wille entstehen, der in richtiger Weise Eltern und Lehrer zusammenführt. Denn da, wo man weiß, daß in die Tiefe der Menschennatur das wirkt, worauf es ankommt, gibt man weniger auf das, was mit Worten in fünf Minuten ausgesprochen ist, aber viel mehr auf die Art und Weise, wie es ausgesprochen wird. Wenn die Gesinnung, die ich andeutete, die Eltern unserer Kinder immer wieder in die Schule hineintreibt, um dem entsprechenden Lehrer gegenüberzustehen, dann wird das, rein dadurch, daß Eltern und Lehrer sich nicht fremd sind, sondern sich gesehen haben, zu einer fruchtbaren Tatsache werden.

Was wir vor allem brauchen bei diesem Verhältnis von Eltern und Lehrern, das ist, daß jenes Interesse für das Allgemeine der Waldorfschul-Pädagogik sich überträgt auf das ganze Leben innerhalb der Schule, auf alles, was mit der Waldorfschule zusammenhängt, mit der Lehrerschaft einerseits und der Elternschaft andererseits. Wir können in der Waldorfschule mit großer Beruhigung, mit einer Kraft, die uns täglich neuen Antrieb verleiht, unterrichten, wenn wir wissen: in den Elternhäusern ist für das, was der Lehrer in der Schule tut, ein tägliches Interesse vorhanden.

Ich verkenne nicht, wie schwierig die Betätigung eines solchen Interesses ist. Ich weiß gut, wie innerhalb unserer sozialen Verhältnisse die Menschen wenig Zeit und Kraft haben, wenn das Kind aus der Schule kommt, so das Kind zu fragen: Wie war es heute? Was hast du getan? – daß das Kind mit warmem Eifer gar nicht erwarten kann, daß diese Fragen gestellt werden. Es kommt nicht darauf an, daß die Eltern aus Pflichtgefühl diese Frage stellen, sondern so, daß das Kind gefragt sein will. Genieren wir uns dabei gar nicht, daß etwa das Kind manches Mal uns etwas sagen könnte, was wir selber vergessen haben, das ist selbstverständlich; das wird man gar nicht bemerken, wenn auf beiden Seiten der richtige Enthusiasmus vorhanden ist. Und unterschätzen Sie nicht, wenn der Lehrer wissen kann, das, was er tut, gibt dem Elternhause, wenn auch nur für kurze Minuten, das regste Interesse, dann weiß er seine Arbeit gut begründet, dann arbeitet er aus einer seelischen Atmosphäre heraus, die anfeuernd, erzieherisch und unterrichtend auf das Kind wirkt.

Dadurch kann gerade am wirksamsten das bekämpft werden, was von heute hervorragenden Pädagogen ausgesprochen wird. Wenn diese untereinander sind, dann sprechen sie von dem „Krieg zwischen Eltern und Lehrer“. Dieser Krieg ist etwas, was so ein geheimes Diskussionsthema bei vielen Pädagogen bildet. Dieser Krieg hat ja zu einem merkwürdigen Wort geführt, das schon bekannt ist, besonders jüngere Lehrer haben es ausgesprochen: Wir müssen die Erziehung bei den Eltern, insbesondere bei den Müttern anfangen. – Wir haben dazu weder den Ehrgeiz noch genügend utopistischen Sinn. Nicht weil wir glauben, die Eltern sind nicht erziehbar, oder wollen nicht erzogen werden, sondern wir wünschen, daß zwischen Elternschaft und Lehrerschaft ein wirklich inniges freundschaftliches Verhältnis besteht, das auf der Sache begründet ist. Dazu kann viel getan werden durch das Interesse der Eltern der Schule gegenüber.

Während gerade die Eltern durch ihr Seelisches auf die leibliche Beschaffenheit des Kindes so stark wirken, hat der Lehrer nur die Möglichkeit, seelisch auf Seelisches zu wirken. Da tritt dann an die Stelle jenes nachahmenden Wesens, das das Kind bis zum Zahnwechsel den Eltern entgegenbringt, das Prinzip der notwendigen, ja selbstverständlichen Autorität. Diese müssen wir haben; darin wird der Lehrer ganz besonders unterstützt, wenn ein so charakterisiertes Interesse vorhanden ist. Schon aus der Tatsache, daß die Schule mit einem gewissen feierlichen Ernst genommen wird, fließt viel von dem, was die Eltern zum Tragen dieser autoritativen Kraft beitragen können, daß der Lehrer die Autorität sein kann, die er sein muß. Wer in der Waldorfschule Lehrer wird, ist schon vielfach gesiebt; und man darf schon zu ihm Vertrauen haben. Und wenn man etwas nicht versteht, so rümpfe man nicht gleich die Nase, sondern man vertraue auf das große, umfassende Prinzip, an das man selbst glaubt, dann wird man den Lehrer unterstützen und jede Gelegenheit benützen, die einen innigen Kontakt zwischen Elternschaft und Lehrerschaft herbeiführen kann. [...]

Worauf es uns aber besonders ankommt, das ist eine in solche Gesinnung eingetauchte Atmosphäre, daß Sie die Erkenntnis haben: Der Waldorfschullehrer kümmert sich um das ganze Kind, vor allem auch um die Gesundheit. Und was wir uns besonders angelegen sein lassen, das ist, daß wir im Inneren unserer Seele unterrichtet sind auch über die feineren Gesundheitszustände der Kinder, die uns anvertraut sind. Eine pädagogische Kunst ist nicht vollständig, wenn sie nicht bis zu diesem Interesse am Kinde geht. Aber gerade über dieses Gebiet wird die nötige Arbeit nur möglich sein, wenn Eltern und Schule entsprechend zusammenwirken. Da möchte man schon, daß ein aus innerem Bedürfnis stammendes Verständnis der Schule entgegenkomme, daß auch mancher Wink über das leibliche Wohl, über Diät und so weiter, von den Eltern bei unserer Waldorfschule gesucht werde. Namentlich wünschen wir, daß in solchen Dingen im Verkehr zwischen Eltern und Lehrern das voll ausgelebt werde, was der Grundimpuls unseres Wirkens ist in der Schule: Menschliche tiefinnerste Ehrlichkeit und Offenheit. Daraus könnte viel werden im Leben, und vieles kann gebessert werden, wenn Vater oder Mutter zum Lehrer kommt und sagt: Mein Kind kommt ermüdet zurück, es kommt zu spät; was kann ich mit Ihnen zusammen tun, um dem entgegenzuwirken? – In diesem ehrlichen Zusammenwirken kann viel Gutes begründet werden.

Besonders aber kann der Schule viel geholfen werden, wenn in den Dingen, in denen Genauigkeit, nicht Pedanterie ist, von den Eltern die Schule sehr unterstützt würde. Es trägt sehr viel bei zu der Art und Weise, wie man in der Schule die Zucht gestalten kann, wie man den Ernst der Kinder herbeiführt, wenn durch die ganze Art und Weise, wie am Morgen der Verkehr zwischen Eltern und Kindern ist, ohne besonderen Befehl herbeigeführt wird, daß wie mit Selbstverständlichkeit das Kind zur rechten Zeit das Haus verläßt und damit zur rechten Zeit in der Schule ist. Ich meine auch hier nicht so sehr die einzelne Tatsache, sondern mehr das Bewußtsein, das dahinter steht; ich meine die Auffassung, daß die Schule etwas Ernstes und Feierliches ist und daß man die Eltern befriedigt, wenn man die Lehrer befriedigt in dieser Pünktlichkeit. Das ist ein moralischer Brief, den das Kind jeden Morgen aus dem Elternhaus in die Schule bringt. Dem feineren Blick des Lehrers ist es nicht nur befriedigend oder unbefriedigend, wie das Kind das Haus verlassen hat, sondern es drängen sich hinein in seine eigene Stimmung störende oder fördernde Impulse, je nachdem das Kind in der einen oder anderen Weise das Elternhaus verläßt. Solche Dinge müssen ins Bewußtsein kommen. Ich glaube, man hat nicht wenig für das ganze Leben, wenn man so etwas als kleines Kind vom Väter gehört hat: Sieh mal, zwei Dinge müssen ganz genau gehen: die Uhr und das Kind in die Schule. – Das ein paarmal gesagt, kostet nicht viel Zeit und wirkt für das ganze Leben.

Es kommt uns nicht auf Einzelheiten an, sondern auf das Herzensverhältnis zwischen Schule und Haus. Wir haben schon das Vertrauen, daß bei einem solchen rechten Herzensverhältnis auch das Rechte herauskommt. Das möchten wir so sehr herbeisehnen, daß diese Gesinnung nicht nur in Einzelheiten, sondern mit der ganzen Kraft erweckt werde. Die Waldorfschule wird nicht nur durch ihr Kulturbewußtsein etwas erreichen, sondern durch solche Dinge, wie wir sie heute besprochen haben.

Wir müssen uns ja klar sein, daß manches sogar in unserer Zeit erfunden werden mußte, damit die Mängel, die in solchen Dingen liegen, nicht zu stark zutage treten. Was müssen manchmal die Kindergärten gutmachen, was vom Elternhause schlecht gemacht wurde! Unsere Zeit ist nun einmal so geworden, daß sie Surrogate braucht für das, was in der Familie erlebt werden sollte.

Nicht nur mit dem Intellekt muß verfolgt werden, was wir mit der Waldorfschule wollen, sondern auch geliebt werden muß es. Und ist die Gesinnung der Eltern in solche Liebe getaucht, so werden wir nicht nötig haben, unsere Kinder zu erziehen in der Furcht und in der Hoffnung, den zwei heute zwar gebräuchlichsten, aber schlechtesten Erziehungsmitteln. Das beste Erziehungsmittel aber ist und bleibt die Liebe, und in einer von Liebe getragenen Erziehungskunst kann das Haus die Schule stark unterstützen.

Es gibt Leute, die sagen, in der Waldorfschule sei die Disziplin nicht so gut wie in anderen Schulen. Ausführlich darüber zu sprechen, ist die Zeit zu kurz. Aber bedenken Sie, daß nicht nur in sozialen Dingen, sondern auch in den Kinderseelen die letzten Jahre viel geändert haben. Wir können nicht die Maßstäbe unserer Jugend anlegen. Es ist eine tiefe Kluft zwischen der jetzigen jungen Generation und den Älteren, und wenn es sich darum handelt, erzieherisch das Wesen des Kindes zu erfassen, so wird man mit der Furcht vor Strafen und der Hoffnung auf Zeugnisse schlecht erziehen, mit der Liebe aber gut. Mag noch so sehr das wilde Getümmel toben in den Klassen, wenn das richtige Verhältnis da ist zum Lehrer, wenn er so dasteht, daß das Kind dennoch in ihm das sieht, was es sehen soll, dann wird das Toben eine ganz andere Bedeutung haben als sonst. Vielleicht ist das paradox, aber es ist psychologisch richtig. Man bekommt auch über das Toben eine andere Anschauung; denn es tobt sich da manches heraus, was sich dann im späteren Leben nicht mehr heraustobt, und das ist entschieden besser als umgekehrt. Die späteren Lebensalter bauen sich ja auf dem auf, was wir in der Schule heranerziehen. Gerade wenn man davon tief durchdrungen ist, daß man für das ganze Leben, nicht für den Augenblick zu erziehen hat, dann weiß man auch, wie stark man die Eltern braucht, um mit dem Waldorfschul-Gedanken weiter zu kommen.

Diese Gesichtspunkte wollte ich zunächst geben, aber doch betonen, daß darin das Allernötigste liegt, und daß uns die ehrliche und gründliche Erfassung dieser Gesichtspunkte recht, recht weit bringe und die Überzeugung stärke, die für die Waldorfschullehrer heilig ist, und für die wir Verständigung wünschen. Wir wissen: Wir erreichen unser Ziel, wenn dasjenige, was in der Schule gewollt wird, in den Elternhäusern verstanden wird, und wenn uns ermöglicht wird, intim zusammenzuwirken mit den Elternhäusern!