07.08.2011

Die langen Hebel der Macht – oder: 58 Wochen Warten auf ein Zeugnis

Ein verständnisloser Blick auf eine fast unendliche Geschichte um Macht, Schikane und ein einfaches Zeugnis.


An diesem Freitag erhielt ich endlich ein mir zustehendes Abschlusszeugnis der „Freunde der Erziehungskunst“ – nach 403 Tagen oder fast 58 Wochen.

Was das heißt, wird jedem Arbeitnehmer unmittelbar klar sein. Abgesehen davon, dass eine Kündigung bereits die größte Schädigung eines Arbeitnehmers darstellt, kann man diese Schädigung noch drastisch verstärken, indem man ihm ein Zeugnis verweigert. Frau Nana Göbel, geschäftsführender Vorstand der „Freunde der Erziehungskunst“ vollzog dieses unwürdige „Spiel mit der Macht“ in mindestens vier, fünf Kapiteln:

1. Nach der Kündigung: 134 Tage überhaupt kein Zeugnis oder Zwischenzeugnis

Unmittelbar nach meiner Kündigung am 28. Juni 2010 bat ich um ein Zeugnis. Nach der laufenden Rechtssprechung steht einem Arbeitnehmer zumindest ein Zwischenzeugnis zu, wenn sich die Arbeitsumstände grundlegend ändern. Welche Änderung aber könnte grundlegender sein als eine Kündigung? Doch ein Zeugnis wurde mir verweigert.

Man stelle sich vor: Ich war 13 Jahre für den Verein tätig gewesen, war nun zu Ende November gekündigt, hatte aber nicht das Geringste in der Hand, um mich bei neuen Arbeitgebern zu bewerben und meine in diesen 13 Jahren ausgeübten Tätigkeiten und vorhandenen Qualifikationen zu dokumentieren!

Mit anderen Worten: Man wollte mich „loswerden“, verweigerte mir aber alle Möglichkeiten, mich anderswo zu bewerben! Sogar mit anwaltlichen Schreiben wurde noch Ende August behauptet, ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis sei „derzeit nicht ersichtlich“. Wenn ich mich jedoch auf einen Vergleich nach den Bedingungen der Gegenseite einließe, sei man in Bezug auf ein Zeugnis und dessen Text „gesprächsbereit“. Ende September wurde auch gegenüber dem Gericht versucht, die Erweiterung meiner Klage um die Ausstellung eines Zeugnisses als unzulässig zu begründen.

2. Nach Gerichtsbeschluss: Nichtssagendes Zeugnis mit Fußangel

Am 21. Oktober 2010 kam es vor dem Arbeitsgericht zu einem ersten Teilvergleich: Die „Freunde“ wurden darin verpflichtet, mir ein Zeugnis auszustellen.

Es dauerte weitere zweieinhalb Wochen, bis ich am 9. November (nach nunmehr 134 Tagen) ein kurzes, formell wohl ausreichendes Zeugnis erhielt. Nachdem in sechs kurzen Stichpunkten meine Arbeitsbereiche benannt worden waren, folgten noch fünf weitere Sätze, die sozusagen den Extrakt aus 13 Jahren Arbeit darstellen sollten. Ein qualifiziertes Zeugnis? Wie gesagt, formell mag das sein – sachlich ist es ein Skandal.

Neben der unglaublichen Kürze an sich lautete einer der fünf Sätze:

„Herr Niederhausen hat die ihm übertragenen Aufgaben (insbesondere die allgemeinen Sekretariatsarbeiten) stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt.“

In der Zeugnissprache ist damit nichts anderes gesagt als: „durchaus sehr guter Sekretär, für anderes nur bedingt einsetzbar“. Und das nach 13 Jahren tadelloser Arbeit in allen Bereichen, die ich alle mindestens ebenso gut und engagiert ausfüllte wie die sogenannten „allgemeinen Sekretariatsarbeiten“, welche nur einen einzigen meiner sechs aufgezählten Arbeitsbereiche bildeten!

Mit diesem Zeugnis konnte ich mich also allenfalls auf irgendwelche untergeordneten Bürojobs bewerben, und Frau Göbel war sich natürlich sehr bewusst, was sie da geschrieben hatte.

3. Weitere 100 Tage bis zum Urteil der ersten Instanz

Mit diesem „Un-Zeugnis“ musste ich weitere Wochen und Monate leben. Die Kündigungsfrist verstrich Ende November 2010. Inzwischen war ich also längst arbeitslos.

Erst am 17. Februar 2011 war dann der Gerichtstermin vor dem Arbeitsgericht (mittlerweile waren 234 Tage seit meiner Kündigung vergangen).

An diesem Tag einigte ich mich mit der Gegenseite schon auf fast alle Details eines für mich sehr nachteiligen Vergleiches, doch dann scheiterte dieser Vergleich doch noch einzig und allein an Detailformulierungen eines neuen Zeugnisses. Es kam also nicht zu einem Vergleich, sondern zu einem Urteil – und das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam.

Selbst die Richter äußerten in ihren Schlussworten ihr Unverständnis über das mangelnde Entgegenkommen von Frau Göbel!

4. Weitere 125 Tage bis zur zweiten Instanz

Da die Kündigung für unwirksam erklärt worden war, hatte ich nun offenbar wieder keinen Anspruch auf ein Zeugnis... Natürlich legten die „Freunde“ in Person von Frau Göbel und ihrer Anwältin Widerspruch gegen die Aufhebung der Kündigung ein, und es verstrichen weitere 18 Wochen bis zum Gerichtstermin vor dem Landesarbeitsgericht am 22. Juni 2011 (also fast ein volles Jahr nach meiner Kündigung).

Bei den Gerichtsterminen ging es im Wesentlichen immer wieder nur um die juristische Detailfrage, ob das Berliner Büro als eigenständiger Kleinbetrieb ohne Kündigungsschutz gelten könne oder nicht. Da der Richter des Landesarbeitsgerichts dem Urteil der ersten Instanz nicht unbedingt folgen wollte, ließ ich mich an diesem Tag erneut auf einen Vergleich ein.

Dieser Vergleich beinhaltete ein neues Zeugnis mit einem vor Gericht gemeinsam abgestimmtem Text.

5. Weitere 44 Tage bis zum Zeugnis

Es sollten jedoch nochmals mehr als volle sechs Wochen vergehen, bis ich dann endlich am 5. August 2011 ein Zeugnis in den Händen hielt. Ein Zeugnis nach 403 Tagen oder 58 Wochen! Mittlerweile war sogar die Zeit meines Arbeitslosenbezuges fast zu Ende. Der lange Hebel der Macht war bis zum Äußersten ausgereizt worden.

Das Zeugnis selbst war durch übernormale Schriftgröße auf vier Seiten aufgebläht worden, wovon nur die erste auf Briefpapier ausgedruckt war – die drei anderen auf normal weißem Papier, dessen Herkunft völlig unklar bleibt. Der Text steht in lieblosem Blocksatz mit teilweise extrem auseinandergezogenen Worten. Weiterhin enthält das Zeugnis zahlreiche Abweichungen von dem eigentlich abgestimmten Text – bis hin zu einer Entstellung von Fachbegriffen („Kontentmanagementsystem“) und völlig sinnwidrigen Formulierungen. So wurde aus einer „Pflege der Projektdatenbanken“ die „Ablage der Projektdatenbanken“!

6. Weitere 61 Tage bis zu einem akzeptablen Zeugnis

Auch diese Fehler und Mängel wurden nach weiteren acht Wochen dann korrigiert - mein richtiges Zeugnis hatte ich schließlich am 5. Oktober 2011, ein volles Jahr nach Ende meiner Tätigkeit und auch erst nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezuges! Hätte ich mich nicht selbständig gemacht, hätte ich jetzt erst vernünftig anfangen können, mich zu bewerben...

Fazit

Diese unendliche Geschichte um ein einfaches, aussagefähiges Zeugnis nach 13 Jahren zentraler Tätigkeit ist ein Lehrbeispiel für die maximale Schikane ehemaliger Arbeitgeber mit angeblich anthroposophischem Anstrich. Eine Bewegung, die solche „Freunde“ hat, braucht keine Feinde mehr...