15.01.2010

Über die Hintergründe von Urteilen über Mieke Mosmuller

Ein Beitrag zur Selbsterkenntnis der "anthroposophischen" und der "Waldorfbewegung".


In letzter Zeit haben die Bücher von Mieke Mosmuller sowohl tief berührte Leser wie auch entschiedene Gegner gefunden. „Stigmata und Geist-Erkenntnis“, „Der lebendige Rudolf Steiner“ und „Eine Klasse voller Engel“ – das sind Bücher, die wohl kein Gemüt kalt lassen. In all diesen Büchern ist die klare Frage nach dem Wesen der Anthroposophie (und der Waldorfpädagogik) aufgeworfen – und auch beantwortet. Und alle Bücher verweisen sowohl auf den Weg zu diesem Wesen, als auch auf Verdunkelungen und Hindernisse, Illusionen und Gegenkräfte.

Woran liegt es nun, dass man diese Bücher ablehnen zu müssen meint? Offensichtlich daran, dass man der Autorin eine entsprechende Urteilsfähigkeit abspricht und entweder ihre Hinweise auf das Wesen der Anthroposophie oder ihre Schilderung der heutigen Wirklichkeiten (oder beides) als falsch beurteilt. Damit sind aber die entscheidenden Fragen gestellt, die es ehrlich zu beantworten gälte: Was ist das Wesen der Anthroposophie? Was ist der Weg, auf dem man sich diesem Wesen nähern kann? Und was ist die heutige Wirklichkeit?

Nun ist es nicht erst Mieke Mosmuller, die auf gravierende Fragen hinweist, die sich in Bezug auf die anthroposophische Bewegung stellen. Dies haben bereits viele Menschen getan, und die Fragen, die innerhalb dieser Bewegung aufgeworfen werden, offenbaren auf das deutlichste, was die heutige Wirklichkeit ist: Der fortschreitende Verlust letzter Reste von spiritueller Essenz. Je mehr man über eine Sache redet, das Selbstverständnis diskutiert, beschwört usw., desto weniger ist die Sache selbst vorhanden. Das muss man wahrhaftig zur Kenntnis nehmen wollen, sonst kommt man in der Erkenntnis keinen Schritt weiter.

Und doch wird diese Realität nicht benannt, beschwört man lieber den „Weg in die Zukunft“. Man sieht die Fehler der Vergangenheit, empfindet den desolaten Zustand der Gegenwart, träumt aber dennoch von einer besseren Zukunft, ohne einmal innezuhalten und wahrhaftig zuzugeben, dass die Kräfte, die eine solche bessere Zukunft begründen könnten, noch gar nicht vorhanden sind! Oder erkennt man etwa nicht einmal den Zustand der Gegenwart? Scheint alles in guter (wenn auch nicht bester) Ordnung zu sein? Illusionen in Bezug auf die Zukunft und schon die Gegenwart führen dazu, den Ernst der Lage nicht wirklich zu empfinden.

Immer schon „mittendrin“?

Man glaubt sich letztlich immer schon mit der geistigen Welt verbunden, ohne das reale Erleben zu haben! Daraus entsteht dann ein zunehmendes Netz von Illusionen. Immer mehr redet man über etwas, was man gar nicht mehr „hat“ – und um es doch zu „retten“, wird es manchmal sogar immer „esoterischer“.

Natürlich wird hinter alledem die Sehnsucht nach dem Geist sichtbar. Und doch bleibt es abstrakt – zwar durchaus oft empfindungs-durchtränkt, aber dennoch abstrakt. Durch das starke Gefühl der „Verantwortung“ usw. entsteht (im besten Fall) eine starke Empfindung – und daraus auch das Gefühl, mit all diesen Kräften verbunden zu sein. Aber immer weniger durchschaut man, dass man es in Wirklichkeit und real gar nicht ist! Empfindung: ja; Wunsch: ja – aber eine klare, selbst errungene, schauende, sichere, objektive Kraft? Das wäre noch etwas vollkommen anderes...

Und aus dieser Illusion heraus, dass man „mittendrin“ in der Anthroposophie stehe, wird dann jemand wie Mieke Mosmuller oder ihr Buch „Der lebendige Rudolf Steiner“ vollkommen abgelehnt – weil man darin aufgrund seiner eigenen Illusionen nur unwissende Unterstellungen sehen will und vollkommen blind wird für die Tatsache, dass hier ein Mensch wirklich aus einem Erleben des Geistes heraus schreibt.

Man nimmt ein solches Buch oder auch „Der Heilige Gral“ gar nicht unbefangen und ernst genug! Man berücksichtigt gar nicht wirklich die allerersten Voraussetzungen der Geistesforschung – eben Ernst, Unbefangenheit, ein Durchschauen der eigenen Illusions- und Wunschnatur –, sondern bleibt völlig unbemerkt in diesen eigenen Vorstellungen stecken und lehnt alles ab, was diesen widerspricht. Man sucht gar nicht wirklich nach dem Geist! Das ist das Schlimme: Jeder glaubt immer schon, ihn zu „haben“, keiner gesteht sich ein, ihn nicht zu haben – und so wird ein jeder blind dafür, wenn dann einmal jemand wirklich aus dem Geist-Erleben heraus schreibt.

Oder man „erkennt“ durchaus, dass hier tiefe geistige Erfahrungen vorliegen, aber man beurteilt sie dennoch sogleich von höherer Warte aus. Vielleicht sogar in gewisser Weise staunend, aber all die wahren inneren Gefühle dann doch verdrängend, sagt man sich: Ja, genau, darauf kommt es an – das habe ich ja auch immer schon gesagt und gedacht! Mit anderen Worten: Man will nicht nur nicht erkennen, dass hier ein Mensch viel weiter und tiefer als man selber gedacht und gesprochen hat – man will vor allem nicht erkennen, dass ein Abgrund zwischen dem liegt, was man selbst „immer schon gesagt hat“, und dem, was reale geistige Erfahrungen sind, ein tiefes Erleben und Eindringen in die Welt des Geistes, das man selbst eben überhaupt nicht hat!

Der volle Wille zur Wahrheit

Solange man nicht ehrlich sich selbst gegenüber ist – und ehrlich gegenüber allem, was höher oder weiter ist als man selbst, kommt man nicht weiter. Man stellt sich die Wahrheit oder das Reich des Geistes immer schon so klein und ähnlich vor, wie das eigene Denken, Fühlen, Wollen – selbst mit (mystisch genossenen) Gefühlen des „Verantwortungsernstes“ usw. vereinnahmt man dieses Reich schon und macht es klein.

Man ist nicht bereit, anzuerkennen, dass diese Sphären so groß und weit und erhaben sind, dass man zunächst (und auch später) gar nicht ermessen kann, wie groß und weit... Man ist nicht bereit, wahrhaft demütig zu werden vor diesem Ausblick – denn wahre Demut würde darin bestehen, zu erkennen, wie ungeheuer wenig man bisher erreicht hat – und umgekehrt: eine solche wahrhaftige Erkenntnis würde erst zu der echten Demut führen.

Vor jeder wahren geistigen Erkenntnis, und sei sie noch so klein, muss zuerst der eigene Hochmut überwunden werden, der aus der Abstraktheit, dem Intellekt, dem Geltenwollen, dem Etwas-sein-wollen, dem Schon-etwas-zu-sein-glauben, diesen ganzen Illusionen über die geistige Welt und seinem eigenes Verhältnis dazu entspringt. Man redet immer von Ahriman und Luzifer, aber man erkennt sie doch gar nicht! Der Teufel hat einen (gleich zweifach) immer schon am Kragen! Und man kann es noch hochgradig verfeinern, denn man kann sich ja sogar „Demut“ und „Ehrfurcht“ einreden! Und man kann dann den Hochmut anderen zuschreiben – z.B. Mieke Mosmuller. Und die Illusion ist perfekt...

Wenn man sich innerlich über all dies besinnt, gewinnt das Wort von der notwendigen und schwierigen Selbsterkenntnis wirklich reale Bedeutung. Denn man erkennt, dass es wirklich perfekte Illusionen gibt; dass all diese Illusionen so fein aufeinander abgestimmt sind und sich – geradeso wie die Wahrheit! – gegenseitig selbst stützen! Es führt kein anderer Weg hinaus als absolute Wahrhaftigkeit. Ein „bisschen“ Ehrlichkeit gegenüber sich selbst hilft nichts. Es muss der volle Wille zur Wahrheit da sein, die vollkommene Bescheidenheit und Ehrlichkeit, die Wahrheit anzuerkennen, was auch immer sie sein wird. Wenn man selbst gelten will und etwas erreicht haben will, kann man andere nicht gelten lassen, kann man nicht wirklich sehen, was andere erreicht haben.

Die Frage nach dem Wesen der Anthroposophie und dem Weg, sich diesem zu nähern, muss wichtiger werden als ein angenehmes Urteil über den heutigen Zustand der anthroposophischen Bewegung oder der eigenen Bemühungen. Erst wenn es wirklich unangenehm wird und man bereit ist, allen Stolz und alle Selbstzufriedenheit loszulassen, wird man bereit für die Wahrheit – die dann wiederum frei macht...