17.08.2009

Polarisierung und Spaltung?

Über den Vorwurf, diese Seiten würden die Waldorfbewegung spalten - und über reale innere und äußere Spaltungen. | PDF


Dem Initiator dieser Webseiten und anderen, gleichgesinnten Menschen, die die Wahrheit des Buches "Eine Klasse voller Engel. Über die Erziehungskunst" erleben, wird der Vorwurf gemacht werden, sie würden mit ihren Ansichten und Aktivitäten die Waldorfbewegung polarisieren und spalten.

Wer jedoch diesen Vorwurf erhebt, übersieht, dass die Waldorfbewegung längst gespalten ist. Sie ist bereits seit langem gespalten in Menschen, die im Prinzip alles ganz wunderbar finden und am liebsten nur Erfolgsmeldungen und positive "Public Relation" hätten – und Menschen, die seit Jahren an der fehlenden inneren Substanz und der zunehmenden Veräußerlichung der Waldorfbewegung leiden.

Dazwischen gibt es viele weitere Abstufungen des inneren Erlebens. Diese Spaltung nicht zu sehen bzw. sie zu verleugnen, würde bedeuten, all jene Lehrer, Eltern und Freunde der Waldorfpädagogik zu ignorieren und totzuschweigen, die im oben angedeuteten Sinne am zunehmenden Verlust des eigentlichen Wesens und Impulses der Waldorfpädagogik leiden.

Waldorfpädagogik ist in Wirklichkeit eben nicht das, was heute unter ihrem Namen verwirklicht wird. Dies ist bestenfalls ein immer anfängliches Streben nach ihrem Wesen, schlimmerenfalls ein Abirren oder ein klares Verfehlen oder sogar ein eindeutiges Nicht-Wollen dieses Wesens.

Wollte man sich (oder anderen) einreden, alles oder auch nur die Hälfte an einer Waldorfschule tätigen Lehrer würden das Wesen der Waldorfpädagogik verwirklichen wollen, litte man an ausgeprägter Naivität und Illusionsbildung oder fortgeschrittener Realitätsverleugnung.

Um diese Spaltung also geht es zuallererst – und weitere reale Spaltungen ließen sich unmittelbar daran anschließen. Die Waldorfpädagogik ist keine einheitliche Strömung – doch ihre "Politik" und ihr Erscheinungsbild wird von Menschen bestimmt, die sehr im Sinne einer "positiven" Außen- und auch Innenwirkung tätig sind.

So geraten jene Menschen, denen ganz und gar der (immer mehr schwindende) innere Impuls ein Anliegen ist, in den "toten Winkel", werden sogar ganz real totgeschwiegen. Oder aber – sie werden als "Polarisierer" und "Spalter" gebrandmarkt. Das Ergebnis ist immer das Gleiche: Die reale Spaltung wird verleugnet, und vom realen Substanzverlust wird vollkommen abgelenkt!

Die Realitäten eingestehen

Diese Seiten sind nichts anderes als ein Aufruf an alle Menschen, sich des realen Wesens der Waldorfpädagogik bewusst zu werden – und sich zu gestehen, wie sehr den heutigen Waldorfschulen die Substanz dieses Wesens fehlt und weiter verloren geht.

Wäre man sich in dieser Erkenntnis (und dem Willen, diesen Verlust zu überwinden) einig, bräuchte es gar keine Spaltung zu geben! Wenn man sich darin jedoch nicht einig ist, muss es eine Spaltung geben – und gibt es sie wie erwähnt schon seit langem! Es muss sie aber auch geben, weil jene Menschen, die dem Wesen der Waldorfpädagogik wirklich tief ernst nachstreben, in einer Bewegung, deren Mehrheit dieses Streben in Wirklichkeit gar nicht hat, absorbiert und neutralisiert werden.

Jede Waldorfschule wird das, was die in ihr tätigen Menschen aus ihr machen. Eine Schule, für deren Lehrerschaft nicht das tiefe Streben nach dem wahren Wesen der Waldorfpädagogik und damit verbunden eine tiefe Liebe zur Anthroposophie die essentielle Kraft ihres Wirkens ist, wird in ihrer Wirksamkeit ein genauer Spiegel der veräußerlichten Anschauungen, verflachten Empfindungen und oberflächlichen Willensimpulse der Mehrheit bzw. des Durchschnitts sein. Eine Schule mit einer Lehrerschaft, die nicht in ihrer Gesamtheit vor Begeisterung für den Waldorf-Impuls brennt und aus tiefer Erkenntnis seines Wesens wirkt, ist keine Waldorfschule – sie kann es gar nicht sein.

Heute ist es an den einzelnen Schulen sogar nur eine Minderheit, die jene Begeisterung hat und nach jener tiefen Erkenntnis strebt, die hier gemeint ist! Wie kann man angesichts dieser Realitäten überhaupt noch leichtfertig den Namen "Waldorfpädagogik" im Munde führen, ohne sich zu schämen?

Wie gesagt – würde man diese Realität öffentlich eingestehen, wäre das der erste entscheidende Schritt, um weiterzukommen. Wagt man jedoch nicht einmal diesen ersten Schritt in voller Klarheit – weil man glaubt, im wesentlichen sei doch "alles in Ordnung" –, dann muss eine Spaltung eintreten, die nur sichtbar machen wird, was längst Realität ist. Bisher ist die Spaltung der Waldorfbewegung eine unsichtbar gemachte und verdrängte Realität, indem die am tiefsten strebenden Lehrer in ihrem Streben faktisch stillschweigend isoliert werden, was natürlich großes Leid bedeutet – ohne dass sich irgendetwas ändert.

Innere oder äußere Spaltung

Es muss also zu einer Spaltung kommen, jene Lehrer, die den fortschreitenden Verlust innerer Substanz erleben, müssen ihre Sprache finden, müssen den Mut finden, von ihrem Erleben zu sprechen – und auch den Mut, mit wirklich Gleichgesinnten reale Waldorfschulen zu verwirklichen. Dazu braucht es Menschen, die im Erleben und Empfinden, im Streben, in den Willensimpulsen vom gleichen Ideal befeuert werden. Diese Gleichheit ist dann nicht wie jetzt eine abstrakte, theoretische ("wir wollen doch alle das Gleiche!"), sondern eine reale.

Dann erst wird durch die äußere Spaltung die innere aufgehoben. Wenn sich gleich-gesinnte Menschen zusammentun, mag es weiterhin zahlreiche "Waldorfschulen" geben, die alle den gleichen Namen tragen – man wird fortan den weltenweiten Unterschied erleben, denn es wird endlich Waldorfschulen geben, deren Lehrerschaft wirklich von tiefer Liebe zum Ideal beseelt ist und aus dieser Liebe heraus täglich handelt. In der "Waldorfbewegung" wird es dann eine zunehmende Spaltung geben, an den einzelnen Schulen aber einen jeweils einheitlichen Geist – und an einzelnen Schulen wird der wirkliche Geist der Waldorfpädagogik in seiner ganzen wunderbaren Größe auferstehen.