07.08.2011

Die Waldorfbewegung und ihre angeblichen „Freunde“

„Freunde der Erziehungskunst“ – wer privat unbequeme Wahrheiten ausspricht, wird gekündigt

Eine Rückblick auf meine Kündigung nach fast 13 Jahren Mitarbeit bei den „Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners“. | Zum Prozessverlauf und Weiteres.


Inhalt
Einleitung
Reale Erkenntnis – reale Begegnung
Gekündigt
„Gefährdung des Vereins“?
Das Problem der Macht(fülle)
Was ist die Aufgabe?
Und die Gerichte? 


Einleitung

In der anthroposophischen Bewegung, in der Waldorfbewegung, sollten Menschen zusammenarbeiten, die durch ein gemeinsames Ideal und ein gemeinsames Streben vereint sind: Das Ideal des Menschen, das Streben nach der Verwirklichung des wahrhaft Menschlichen.

Diese Menschen sollten Geistsucher sein, das innere Streben in den Mittelpunkt stellen – und einander in Liebe begegnen.

Wir wissen, dass es in der Begegnung gerade in der heutigen Zeit ungezählte Probleme gibt. Aber: Wenn in der Waldorfbewegung dieses Streben leben würde, dann würden alle Probleme immer wieder überwunden werden – und ganz, ganz viele gar nicht erst auftreten.

Auf meiner privaten Webseite www.wesen-der-paedagogik.de versuche ich seit August 2009, auf diese Tatsache hinzuweisen. In der Waldorfbewegung werden ganz viele Aufgaben ergriffen, aber die eigentliche, die größte und wichtigste Aufgabe bleibt liegen, wird nicht ergriffen, von vielen nicht einmal mehr gesehen, von vielen nicht einmal mehr verstanden.

Reale Erkenntnis – reale Begegnung

Manche Menschen haben aufgrund meiner Seite den Eindruck gehabt, ich würde „von hohem Rosse aus ein unerreichbares, abstraktes Ideal einfordern“. Nichts ist weniger wahr. Das Ideal, auf das ich hinweisen möchte, ist das reale Ideal der Waldorfpädagogik, das Ideal wahrer Menschwerdung. Und das Einzige, was ich (mit tiefem Bedauern) sage, ist, dass das entschlossene Streben nach diesem Ideal immer wieder versäumt wird – in den einzelnen Herzen, in den einzelnen Schulen, in der Schulbewegung insgesamt.

Mit dieser Erkenntnis ist nicht etwa Hochmut und Kälte verbunden, sondern Leid und Bedauern. Wer die Texte meiner Webseite wirklich liest, wird dies immer finden können. Und den einzelnen Menschen begegne ich immer mit Sympathie, Interesse und Verständnis – ganz unabhängig von dem, was versäumt wird. Es sind wirklich zwei ganz unterschiedliche Dinge: Die Erkenntnis von Realitäten – und die menschliche Begegnung als solche.

Man könnte sich in der Erkenntnis der Realitäten sehr einig sein – oder auch nicht einig sein. Die Begegnung müsste darunter überhaupt nicht leiden. Im Gegenteil, es ist ja gerade die Aufgabe, Verschiedenheiten auszuhalten! Ich kann sogar dieses allergrößte Versäumnis aushalten, ohne dass es die menschliche Begegnung beeinträchtigt. Ich kann ganz und gar mit Liebe mit den konkreten Menschen leben.

Und trotzdem muss doch von dem Versäumnis gesprochen werden, vor dem die Waldorfbewegung steht. Wer will mir daraus einen Vorwurf machen? Doch nur der, der dieses Versäumnis leugnet – oder derjenige, der glaubt, es gehe um ein Urteil, ein Verurteilen. Das Versäumnis ist aber real – und es geht einzig und allein um den Aufruf, sich mit ganzem Herzen dieser wichtigsten Aufgabe zu widmen!

Gekündigt

Offenbar aber darf nicht einmal dies sein – denn am 28. Juni 2010 wurde ich nach dreizehn Jahren aufgrund meiner privaten (!) Webseite vom Vorstand der „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ (!) gekündigt. [1]

Man mache sich nur einmal recht klar, was da geschehen ist. Ich wurde gekündigt, weil ich auf eine Wahrheit hinweise – auf eine für die Waldorfbewegung existenzielle Wahrheit. Und selbst wenn man die Wahrheitsfrage außer acht lässt, gibt es noch immer das Recht auf private freie Meinungsäußerung. In der anthroposophischen Bewegung gab es sogar einmal ein Ideal, das „Freies Geistesleben“ genannt wurde. Davon spreche ich noch nicht einmal!

Wenn das freie Geistesleben abgeschafft ist, wenn die freie Meinungsäußerung nicht zugelassen wird, gibt es dafür einen Namen: Es handelt sich dann um eine Sekte. In einer Sekte ist es klar, dass gewisse Gedanken nicht geäußert werden dürfen – und wer es dennoch tut, der bekommt die Folgen bis ins Physisch-Materielle zu spüren. Es werden Maßnahmen ergriffen, es wird Macht ausgeübt.

Im freien Geistesleben ginge es darum, dass die Gedanken ihre Wahrheit selbst erweisen dürfen und müssen. Die Wahrheit kann und muss aus sich heraus erkannt werden. Dieses freie Geistesleben wird vernichtet, wenn gewisse Wahrheiten bzw. Gedanken durch Ausübung von Macht sanktioniert werden. Und das geschieht innerhalb einer Bewegung, in der angeblich alles auf die Freiheit ausgerichtet ist!

Mitarbeiter der „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ in Berlin dürfen offenbar also nur Menschen sein, die bestimmte Gedanken und Ansichten nicht haben oder zumindest nicht öffentlich äußern, nicht einmal privat öffentlich...

Die bestimmte Gedanken nicht äußern, selbst wenn es Gedanken sind, die gerade viele wahrhaftige Waldorfpädagogen auch haben! Selbst wenn ich auf meine Webseite Rückmeldungen von Lehrern bekommen habe, die dankbar dafür sind, dass diese Gedanken einmal ausgesprochen werden und dass ein solcher Aufruf erklingt. Die „Freunde der Erziehungskunst“ aber entledigen sich eines solchen Mitarbeiters...

[1] Die Änderungskündigung beinhaltete das Angebot, ins Büro Karlsruhe zu wechseln und dort eine unauffällige Verwaltungstätigkeit zu übernehmen, was ich aber schon im Vorfeld abgelehnt hatte.

„Gefährdung des Vereins“?

Natürlich wurde die „Entscheidung“ auch damit begründet, dass der Verein als Spendenorganisation von dem Wohlwollen der deutschen Schulbewegung und der Spender abhängig ist und dass meine private Webseite in dieser Hinsicht die „Freunde der Erziehungskunst“ angeblich schädige.

Die erschütternde Tatsache bleibt aber, dass man ungeachtet des Rechts auf freie Meinungsäußerung und ungeachtet der Frage, ob ich nicht sogar Wahrheiten ausspreche, einen tadellosen, wichtigen Mitarbeiter kündigt, weil eine potentielle Wirkung seiner privaten Webseite vermutet wird!

Vielleicht haben sich sogar einige Spender beschwert oder hörten einfach auf zu spenden. Und umgekehrt? Vielleicht haben andere potentielle Spender ja schon lange auf eine bestimmte Wahrhaftigkeit gewartet? Doch selbst wenn die Spendensumme zurückgehen würde – seit wann ist die Spendensumme ein Selbstzweck? Seit wann können Mitarbeiter eines Vereins gekündigt werden, weil einige Spender angerufen und sich über deren private Webseite beschwert haben?

Mir wurde übrigens nicht einmal der kleinste konkrete Hinweis gegeben, welche Menschen sich über meine Webseite beschwert hätten – oder welchen Umfang dies gehabt haben soll! Auch mein Angebot, diese Menschen an mich zu verweisen, damit ich direkt mit ihnen ins Gespräch komme, wurde kategorisch zurückgewiesen.

Ein anderes Argument war, dass die Arbeit des Vereins auf einem „sozialen Netzwerk“ basiere, in dem man zusammenarbeiten müsse. Ich dürfe einzelne Menschen dieses Netzwerkes nicht „attackieren“ (gemeint waren meine Aufsätze, in denen ich auf Texte von Stöckli und Schieren entgegnete). Mit anderen Worten: Die verschiedensten Menschen dürfen verschiedenste Dinge in die Welt setzen und man selbst muss dazu schweigen? Verordneter Konsens? Verordnete Harmonie? Es ist kein Geheimnis, dass es in der Waldorfbewegung oft nicht sehr harmonisch zugeht – aber ein Mitarbeiter der „Freunde der Erziehungskunst“ wird gekündigt, wenn er sich scharf gegen gewisse Abstraktionen stellt?

Man sollte wissen, dass sogar „Das Goetheanum“, das das fragwürdige Interview mit Prof. Schieren gedruckt hatte, hinterher zwei Ausgaben lang kritische Leserbriefe abdrucken musste! Für meinen Leserbrief bekam ich privat sogar Danksagungen von Waldorfpädagogen außerhalb Mitteleuropas. Und dennoch ... Kündigung durch die „Freunde der Erziehungskunst“?!

Das Problem der Macht(fülle)

Letztlich geht die Entscheidung zu meiner Kündigung ganz wesentlich auf das Urteil eines Menschen zurück – des geschäftsführenden Vorstandes im Büro Berlin, Nana Göbel. Sie war von Anfang an gegen das Buch „Eine Klasse voller Engel“ von Mieke Mosmuller, für das ich eingetreten bin, und auch gegen meine Webseite.

Dass ein Vorstand der Ansicht ist, dass etwas – möglicherweise oder tatsächlich – negative Folgen für den Verein haben könnte, weil nicht alle Menschen alle Gedanken verstehen oder mit ihnen mitgehen können (oder gewisse unbequeme Gedanken erwartungsgemäß von vielen Menschen eher abgelehnt werden), ist die eine Sache. Dass aufgrund dessen aber das Recht auf freie – und gar private – Meinungsäußerung abgeschafft wird, ist sicher weit schwerwiegender.

Jede kleinste Äußerung und Handlung hat „Folgen“, weil Menschen sie in unterschiedlichster Weise aufnehmen. Unbequeme Gedanken stoßen verbreitet auch auf Ablehnung. Dürfen sie deshalb nicht sein?

Und dann kommt noch etwas hinzu: Frau Göbel selbst ist ein Musterbeispiel an Unbequemheit. Ihre Art – das ist kein Geheimnis – stieß in der anthroposophischen Bewegung schon oft auf die verschiedensten Widerstände und Ablehnungen! Gegenüber mir hatte sie aber den Vorteil, dass sie Vorstand und Arbeitgeberin ist... Was soll man dazu noch sagen?

Man könnte auch sagen: Frau Göbel schädigt durch ihre Art den Verein. Natürlich gibt es zahllose Menschen, die ihre Arbeit schätzen – sehr oft auch die, die ihre Art ablehnen. Nur: Warum wurde an mich ein ganz anderer Maßstab angelegt? Und dabei ging es nicht einmal um meine (unstreitig überall geschätzte) Art während meiner Arbeit für den Verein, sondern um meine private Webseite!

Darüber hinaus – aber das steht auf einem nochmals anderen Blatt – könnte man die Frage stellen, ob es für einen Verein gut ist, über Jahrzehnte hinweg den gleichen sehr kleinen Vorstand zu haben.

Insbesondere bei den „Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ konzentrieren sich das Wissen, das Know-how und die weltweiten menschlichen Beziehungen seit über 30 Jahren ganz außerordentlich auf die Person von Nana Göbel. Je gigantischer dieses Monopol bzw. dieser Vorsprung an Wissen, Erfahrung und reiner Vorstandszeit ist, desto weniger werden ihre Entscheidungen angezweifelt und hinterfragt – es besteht weder der Mut dazu, noch sind Alternativen erkennbar. Diese strukturelle Isolation bzw. Konzentration kann für einen Verein nicht gut und nicht zeitgemäß sein. Es ist eine unheilvolle Machtfülle und eine heillose Sackgasse.

Was ist die Aufgabe?

Mir wurde tatsächlich die Frage gestellt, ob ich, wenn ich auf das schwerwiegende Versäumnis der Waldorfbewegung hinweise, überhaupt hinter dem Förderauftrag des Vereins stehen würde. Auch diese Frage habe ich damals ganz klar beantwortet. Es ist einfach kein Widerspruch, bestehende Einrichtungen zu unterstützen, ihre Arbeit anzuerkennen und auf Versäumnisse hinzuweisen. Für mein Verständnis ist dies sogar absolut notwendig, wenn man tatsächlich nach der Verwirklichung des Ideals strebt! Wenn ein Freund etwas ganz Wesentliches versäumt, rufe ich ihn doch auch besorgt dazu auf, es zu ergreifen?

Jeder klar sehende Mensch mit genügend tiefem Einblick in die deutsche Waldorfbewegung sieht auch deren ungeheure innere Not. Auch Frau Göbel macht davon keine Ausnahme – nur dürfen gewisse schwerwiegende Wahrheiten offenbar nicht offen ausgesprochen werden. Aus meiner Sicht muss ich dies geradezu als Verrat am Wesen der Waldorfpädagogik bezeichnen. Unwahrhaftigkeit aufgrund spendenpolitischen Kalküls?

In der Satzung der „Freunde der Erziehungskunst“ heißt es:

„Der Verein sieht in der Ausbreitung der Erziehungskunst Rudolf Steiners in der Welt eine wesentliche Gegenwartsaufgabe. In ihm schließen sich die Menschen zusammen, die sich für die Verwirklichung dieses Zieles einsetzen wollen.“

Warum sollte ich im Widerspruch zu diesem Ziel stehen? Weil ich behaupte, dass die Schulbewegung die wesentliche Aufgabe der inneren Vertiefung in erschütternder Weise vernachlässigt und man in diesem Sinne dann gar nicht wahrhaft von „Waldorfschulen“ sprechen kann? Weil ich darauf hinweise, dass im eigentlichen Sinne gar nicht auf der Grundlage der Erziehungskunst Rudolf Steiners gearbeitet wird, wenn man diese Grundlage – die nie von selbst da ist – nicht entschlossen pflegt?

Das wäre wahrhaftig so, wie wenn man einen Mitarbeiter des „Vereins zur Förderung des Königtums“ kündigen würde, weil er darauf hinweist, dass der König doch gar keine Kleider hat und dass es für die Würde des Königs am allernötigsten wäre, wenn er möglichst schnell wieder königliche Kleider bekommen könnte!

Heute geht es um das allgemeine Königtum – um das wahre Menschentum. In der Waldorfbewegung sollte es zum Blühen kommen. Es geht in der Waldorfschule erst sekundär um das äußere Kleid, um die Inhalte, die Methodik und so weiter. Es geht vor allem um das innere Kleid, das Anziehen eines zweiten Menschen, der sich aber erst entwickelt, wenn man nach dessen Entwicklung strebt.

Es geht darum, sich mit diesem Streben, mit dem dazugehörigen Mut und ebensolcher Entschlossenheit zu gürten. Dann ist der König nicht mehr nackt. Dann kann das wahre Ideal beginnen aufzuleuchten – wie anfänglich auch immer. Es geht um das fortwährende Streben nach der eigentlichen Aufgabe, der Selbsterziehung, der seelisch-geistigen Vertiefung – und jeder wahrhaftige Mensch, der in der Waldorfbewegung tätig ist, weiß, wie sehr diese Aufgabe heute vernachlässigt wird.

Der Vorstand der „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ (!) jedoch hat mir gekündigt, weil ich auf meiner privaten Webseite auf meine Weise von dieser Aufgabe spreche...

Und die Gerichte?

Die Gerichte wissen nichts von einem Freien Geistesleben, das für den anthroposophischen Impuls ein notwendiges Ideal ist und ohne das dieser Impuls nie eine auch irdische Wirklichkeit werden kann. Aber es waren die weltlichen Gerichte, die Frau Göbel darauf hinweisen mussten, dass es dennoch so etwas wie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gibt; dass ein Spendensammelverein kein Tendenzträger wie eine kirchliche Organisation ist und so weiter. Mit allen Finessen wurde argumentiert, um meine Kündigung zu begründen – sie alle waren vor Gericht eindeutig haltlos.

Über die menschlichen Abgründe wie ein über Nacht erteiltes Hausverbot lange vor Ende meiner Kündigungsfrist, so dass ich mich nicht einmal mehr in menschlicher Atmosphäre von ehemaligen Kollegen verabschieden konnte, oder Details aus den Anwaltschreiben, in denen ich oder auch Mieke Mosmuller als Erzfeinde der Waldorfbewegung hingestellt wurden, muss ich nicht viel mehr sagen, als dass auch dies alles sein eigenes Urteil spricht.

Nur in Bezug auf die entscheidende juristische Finesse konnte mir die zweite Instanz, das Landesarbeitsgericht, nicht helfen. Das Büro Berlin wurde einfach als Kleinbetrieb ohne Kündigungsschutz dargestellt. So hat der einheitliche Verein „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ zwei Büros: Ein großes in Karlsruhe für die Freiwilligendienste, mit selbstverständlichem Kündigungsschutz – und ein kleines Hauptbüro in Berlin, selbstverständlich ohne Kündigungsschutz...

Jeder soll den Weg gehen, den er für richtig hält. Wenn eine Organisation meint, die Förderung der Waldorfbewegung wäre möglich, wenn man das Freie Geistesleben bekämpft, Fehlentwicklungen totschweigt und mahnende Stimmen ausschließt (und sogar danach noch endlos schikaniert), so soll sie das tun. Es gab in der Geschichte zahllose Fälle, in denen die Dinge so gelaufen sind. Die Entwicklung selbst und die geistige Welt werden die Folgen offenbaren.