08.02.2009

Herausforderungen und Probleme in der Waldorfschule

veröffentlicht in der "Mittenmang", Schulzeitung der Waldorfschule Berlin-Mitte, Ostern 2009. | PDF

 

"Das Kind, das ich erziehe, darf ich nicht von mir aus bestimmen, sondern aus seinem rätselhaften Inneren habe ich herauszuholen, was mir selbst ganz unbekannt ist. ... Man kann seine Lehrgegenstände vollständig innehaben ... und doch ungeeignet sein zu lehren, weil man dasjenige, was vom Menschen ausströmt, was die Individualität aus dem anderen Menschen herauslockt, nicht kennt."
Rudolf Steiner, 30. März 1905 (GA 53, S. 312f).


An diesem einen, kleinen Zitat aus einem Vortrag Rudolf Steiners – gehalten bereits 12 Jahre vor Gründung der Waldorfschule – wird ganz deutlich, dass es in der wahren Pädagogik ganz und gar um das Kind geht und dieses in seinem wahren, noch un-offenbaren Wesen "gesehen" werden muss.

Das Ideal – und die Wirklichkeit?

Schule, auch Waldorfschule, steht immer vor der Gefahr, zu sehr "Schule" zu werden – also zu sehr das, was Schule immer schon war: eine Einrichtung, an der Kinder etwas zu lernen haben, was Erwachsene ihnen beibringen oder nahebringen müssen. Die Gretchenfrage an eine Waldorfschule ist immer wieder: Inwieweit macht sie diesen Gedanken nicht mit, inwieweit kann sie dem ganz anderen Gedanken folgen, der aus obigen Worten Rudolf Steiners hervorgeht – dass das Kind alles wirklich Wesentliche schon mitbringt und dass es nur darum geht, ob sich dieses auch wahrhaft entfalten kann oder nicht... 

Manchmal hört(e) man von Waldorfschulen, dass Kinder traurig sind, wenn es Wochenende wird oder die Ferien anfangen – sie wollen lieber weiter in die Schule gehen...! So etwas wäre ein klares Zeichen dafür, dass das Kind die Waldorfschule unbewusst als jenen Ort erlebt, wo es sein wahres Wesen entwickeln können wird. Aber es ist offensichtlich, dass diese Dinge seltener werden, ja fast völlig der Vergangenheit angehören. Wo gibt es noch diese Kinder, die freitags oder zum Schuljahresende traurig werden? In der Regel gehen die Kinder im ersten, vielleicht auch im zweiten Jahr noch gerne zur Schule – nicht nur gerne, sie lieben die Schule, sie sind voller Begeisterung, lernen zu dürfen. Lernen und Mensch werden ist eins, eine begeisternde Perspektive eröffnet sich...

Doch dann kommt der Zusammenbruch – die tragische Erkenntnis beginnt zu dämmern, dass man nicht lernt, um Mensch zu werden, sondern weil man eben muss; weil Schule eben Schule ist; weil der Lehrer am nächsten Tag die Hausaufgabe kontrolliert; weil die Eltern sich argwöhnisch erkundigen, was man denn heute gemacht habe; weil man es später ja zu etwas bringen soll und und und... Es gelingt also nicht, das Erleben zu erhalten, dass Lernen etwas Wunderbares ist, dass Schule eine Mysterienstätte ist, an der sich das Wesen von Menschen entfalten kann, die die Zukunftsimpulse in sich tragen.

Warum gelingt dies nicht? Hier kommen viele Dinge zusammen, die man zunächst stichwortartig benennen kann: Mangelndes Verständnis für das Wesen der Pädagogik; mangelnde Kraft, dieses Verständnis im Alltag aufrecht zu erhalten und danach zu handeln (eine Fähigkeitsfrage), Überlastung, Konflikte im Kollegium, schwierige Außeneinflüsse aller Art...

Grundsatzfragen am Beispiel von Russisch

Manchmal eskaliert eine Situation so, dass – wie im Fall der Russisch-B-Gruppe in der 11. Klasse – nichts anderes mehr möglich war als ein Lehrerwechsel. Obwohl dies sicher ein extremer Fall war, wurden dadurch Grundsatzfragen aufgeworfen, die über diesen Fall hinaus von Bedeutung sind. [...]

Frau [...] beschrieb die aufeinander aufbauenden Elemente des Russisch-Unterrichts (die andere Schrift, die sehr differenzierte Grammatik mit ihren Wortarten, Endungen, Fällen, Konjugationen, Deklinationen...) und schilderte, wie angesichts dessen die "schwächsten" Schüler irgendwann "aussteigen", während die "Schnellsten" sich langweilen. Verkompliziert werde die Situation noch dadurch, dass nicht wenige Schüler heute allein schon damit Schwierigkeiten hätten, aufmerksam zu sein und jemandem zuzuhören.

Angesichts jener zwei, drei Schüler in jeder Klasse, die ganz und gar „hinten runter fallen“, brachte sie die Problematik in ein drastisches Bild: Man unterrichte als Lehrer diese Schüler gegen besseres Wissen – es sei, wie wenn eine Fliege immer wieder gegen die Scheibe fliegt, und dies, obwohl sie weiß, dass es keinen Durchgang gibt! Sie erwähnte den Mathematikunterricht ihrer eigenen Schulzeit, wo sie in der Oberstufe das Zeichen ∫ und die ganze Integralrechnung nie verstanden habe – und fügte hinzu, sie könne unmittelbar nachvollziehen, dass man, wenn man im Unterricht nicht mitkomme, entweder depressiv oder aggressiv werde. Pädagogik sollte fördern, was förderbar ist und nicht auf dem rumhauen, was nicht kommt... Mit anderen Worten: Sie sollte jedem Kind gerecht werden, den Langsamsten und den Hochbegabten...

Die Frage, die sich hier stellt – und zwar nicht nur für ein bestimmtes Fach –, ist: Wo dient der Unterricht nicht mehr dem Werden des Kindes bzw. Jugendlichen, sondern wo werden Schüler (und Lehrer) zu "Sklaven" des Unterrichts, des Lehrplanes? Was kann man tun, da dies an einer Waldorfschule doch niemals der Fall sein sollte?

Zur Frage der Ausbildung

Ein weiteres Problem ist die Aus- und Fortbildung von Waldorflehrern. Bereits in der letzten "Mittenmang" wurde berichtet, dass die Situation der Waldorflehrerbildung allein schon quantitativ besorgniserregend ist: Die Zahl der Studierenden geht stark zurück, und schon heute haben über 40% aller Lehrer, die an Waldorfschulen zu arbeiten anfangen, keine Waldorfausbildung (was vor allem die Oberstufe betrifft).

Die Fortbildung ist dann ganz der einzelnen Waldorfschule überlassen – und die Frage ist, wie diese damit umgeht. Wie werden neue Kollegen eingeführt, betreut, welche Fortbildung wird ihnen ermöglicht bzw. was wird in dieser Richtung überhaupt verlangt und wie wird das Ganze mit Bewusstsein begleitet?

Viel Betreuung findet offenbar gar nicht statt – auch diese Tatsache gehört zum Problem "Überlastung". Wie soll man, wenn man bereits selbst weit über 40 Stunden pro Woche für seine Tätigkeit aufwendet, auch noch neue Kollegen begleiten? Als Klassenlehrer muss man allein schon für eine Hospitation eine Vertretung für seinen eigenen Unterricht suchen! (An der Waldorfschule Cuxhaven allerdings haben die LehrerInnen der 5.-7. Klasse die gegenseitige Hospitation zur feststehenden Möglichkeit der Wahrnehmung und des Austausches gemacht, indem sie ihren Hauptunterricht an je einem Wochentag versetzt nach hinten verlegt haben).

Natürlich sind auch an unserer Schule die jeweiligen Fachkollegen für alle Fragen ansprechbar, wobei die Intensität des Austausches natürlich immer von beiden Seiten abhängt. Eine wirkliche Betreuung neuer Waldorflehrer ist dies aber nicht. Aus der Not heraus findet die Schulführungskonferenz dann Wege, den einen oder anderen Kollegen etwas intensiver zu begleiten. Oder sie organisiert auch einmal für ein bestimmtes Fach einen dreiwöchigen Mentoren-Besuch eines erfahrenen Kollegen im Ruhestand – aber was in diesen drei Wochen aufgenommen und dann auch realisiert werden kann, ist natürlich eine ganz andere Frage.

Generell stellt sich im Waldorfzusammenhang das Problem, dass wichtige Erfahrungen geradezu verloren gehen. Wenn jene Kollegen, die die Lehrplan-Anregungen Rudolf Steiners wirklich ganz aufgreifen und umsetzen und real die Erfahrung ihrer Fruchtbarkeit machen – wenn jene Kollegen "aussterben", dann stehen die Anregungen nur noch auf dem Papier, denn zunehmend weniger Kollegen werden es wagen, sich vom staatlichen Lehrplan allzu weit zu entfernen... Jener Mentor, der unsere Schule besuchte, konnte aus seiner Erfahrung sofort sagen: Koordinatenkreuz und Parabel sind der 9. Klasse (staatlicher Lehrplan) nicht gemäß, sondern gehören zum Stoff der 11. Klasse! Was die Schüler in der 9. Klasse mühsam innerhalb von drei Wochen lernen müssen, würden die 11.-Klässler innerhalb von drei Tagen verstehen.

Wenn diese wirklichen Entwicklungsgrundlagen nicht berücksichtigt werden, entsteht ein unökonomischer, prüfungsorientierter Unterricht, in dem dann auch andere wichtige Inhalte wegfallen. Die projektive Geometrie in der 11. Klasse würde eine ungeheure Schulung des (selbstständigen) Denkens bedeuten, aber wenn niemand mehr Erfahrungen damit macht, weil immer mehr Kollegen glauben, sie müssten in der 11. Klasse anderes machen – dann kann sich die Fruchtbarkeit all dessen gar nicht mehr erweisen! Man macht die Dinge dann zunehmend so wie in der Staatsschule und kämpft dann hoffnungslos mit dem Umstand, dass die Waldorfschüler den großen Rückstand nicht aufholen, sondern sich dieser zementiert...

Der Ausbildungsrat im Bund der Waldorfschulen hat bereits seit einigen Jahren Empfehlungen entwickelt, die Berufseinführung intensiver zu greifen – umgesetzt wurden sie bisher nicht.

In einem entsprechenden Papier des Ausbildungsrates stehen folgende, sehr denkwürdige Sätze:

"Schüler, Eltern und Lehrer suchen den Weg zur Waldorfschule und haben ein Recht darauf, dort tatsächlich die Pädagogik vorzufinden, die mit der Namensgebung versprochen wird. [...] Lehrermangel zwingt Waldorfschulen oft zur Einstellung von Kollegen, die noch keinerlei Ausbildung zum Waldorflehrer erhalten haben. Aber auch grundständig und in Vollzeit aus­gebildeten Studenten von Waldorflehrerseminaren fehlt oft ein hinreichender Praxisanteil [...] Die Schulbewegung sieht eine Qualifizierung durch Waldorflehrer-Ausbildung als zentrale Aufgabe an, nicht zuletzt, um auch einem beobachtbaren Substanzverlust zu begegnen. [...]
Die nachhaltige Versorgung der Schulen mit Lehrern weist vor allem folgende gravieren­de Mängel auf. Zu viele Lehrerinnen und Lehrer verlassen zu kurzfristig nach ihrer Ein­stellung wieder die Schule. Wenn junge Lehrer an die Schulen kommen, finden sie häufig ein Milieu vor, in dem sie nicht ihre Berufung leben können. Unter den heutigen Belastungen scheinen Menschen trotz aller Ideale bei mangelnder Rea­lisierungsmöglichkeit in der Praxis früher bereit zu sein aufzugeben. Unabhängig von allen weiteren notwendigen Untersuchungen und Analysen ist eine we­sentliche Ursache dieses Missstandes die mangelnde Begleitung auf dem Weg in die Praxis der Schule. [...]
Wer sich länger mit der Kritik von Schülern, Eltern und Kollegen in diesen Bereichen beschäftigt, wird feststellen, dass es sich dabei immer um "Minimal-Erwartungen" handelt. [...] In der Vergangenheit haben viele Lehrer die bei ihnen jeweils notwendige Qualifizierung bzw. Entwicklung nicht vollzogen, so dass nicht wenige Lehrer den "Minimal-Erwartungen" in zum Teil sehr wichtigen Bereichen nicht gerecht werden."


Da in regelmäßigen Abständen die Qualitätsvereinbarung der einzelnen Schulen mit dem Bund der Waldorfschulen erneuert wird, könnte es sein, dass die Empfehlungen des Ausbildungsrates demnächst Bestandteil dieser Vereinbarung werden – und eine regelrechte, individuell zugeschnittene Berufseinführungsphase dann (theoretisch) umgesetzt werden müsste.

Die Frage der Überlastung

Die Zeitnot, das Erlebnis des Hetzenmüssens das war mein erster Eindruck, als ich im Herbst 2007 meine Tätigkeit als Elternvertreter in der Pädagogischen Konferenz begann. Dieses Erleben blieb bestehen – das heißt, es handelt sich um eine permanente Überlastung. Dabei spielt es keine Rolle, ob dies von einzelnen Kollegen nur subjektiv so erlebt wird, weil sie sich vielleicht sagen "mehr als 50 Stunden mache ich für die Schule nicht". Egal, aus welchen Gründen das Überlastungs-Erlebnis auftritt – es ist da und prägt somit das gesamte Schulgeschehen in einer Weise, die man gar nicht überschätzen kann.

Wenn man sich überlastet fühlt, entsteht ein innerer Vorwurf gegenüber der Situation – und natürlich sehr schnell auch gegen konkrete Menschen: gegen Kollegen, gegen Eltern, gegen Schüler... Es ist klar, dass die Frage der Überlastung im Grunde die drängendste ist, wenn Schule überhaupt auch nur im Ansatz ein solcher Ort sein soll, wie es eingangs angedeutet wurde...

Man ist damit also bei einem sehr großen Problembereich angelangt, gewissermaßen bei einem Gordischen Knoten. Die Frage nach dem Umfang der Arbeitsbelastung des Lehrers ist nicht zu trennen von der nach dem Stundenumfang für die Schüler und nach der finanziellen Situation. Was die zeitliche Belastung der Schüler angeht, ist man wieder bei der Frage nach ökonomischem Unterricht (siehe oben) – eine Frage, die Rudolf Steiner immer wieder außerordentlich am Herzen lag, der einmal z.B. mit scharfen die "žMördergrube Stundenplan" geißelte.

"Zeit ist Geld" – dieses Wort stimmt leider insofern, als man die Überlastung des einzelnen Lehrers natürlich sofort lindern könnte, wenn der Unterricht und auch alle sonstige Arbeit auf mehr Schultern verteilt werden könnte. Man ist hier bei der Frage nach der Höhe der staatlichen Zuschüsse und nach den Möglichkeiten der Eltern, die Schule zu tragen (beginnend bei der allein schon großen Frage der "Zahlungsmoral"). Es ist ein sehr großes Problem, dass Waldorflehrer von ihrem Gehalt mehr schlecht als recht leben können – und dass sie von einer Zwei-Drittel-Stelle etwa überhaupt nicht leben könnten!

Diese Zusammenhänge verknüpfen sich dann zu weiteren ungesunden Entwicklungen: So entsteht z.B. aus arbeitsrechtlichen Gründen bei einer Erhöhung des Deputats in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ein Anspruch auf dieses erhöhte Deputat – und als Waldorflehrer kann man aus finanziellen Gründen kaum anders, als auf diesem Anspruch zu bestehen, obwohl man weiß, dass dies wiederum für die eigene Belastungssituation, als auch für die ganzheitliche Planung der Stundenpläne große Probleme aufwirft.

Eine erste Lösung wäre es, wenn man sich dazu durchringen könnte, bestehende Deputate und Gehälter zu bezahlen, aber nicht alle Stunden zu geben! Das würde Lehrer und Schüler gleichermaßen entlasten. Man müsste sich dann nur noch darauf einigen, wie der Stundenplan in einzelnen Klassen entschlackt werden kann.

Es ist jedenfalls klar, dass eine heilsame Lösung dieses Problems das entschlossene Vorgehen des Kollegiums erfordern würde, aber – was die finanzielle Grundlage der Schule betrifft – darüber hinaus auch kraftvolle Initiative der Elternschaft. Wenn hier keine Lösungen gefunden werden, wird sich das Problem weiter verschärfen. Und das Problem besteht in dem Teufelskreislauf: Überlastung – Unzufriedenheit – Qualitätsverlust – Verlust der Initiative – weitere Überlastung...

Die Harmonie im Kollegium ... und darüber hinaus

Der alles entscheidende Faktor in einer Schule ist natürlich der Umgang miteinander. Dieser Umgang hat Auswirkungen auf alles andere, was an der Schule geschieht – er wirkt vor allem unmittelbar auf die Kinder und Jugendlichen, die der Schule anvertraut sind.

Wie wichtig Rudolf Steiner diese Frage war, mag aus seinen folgenden Worten hervorgehen, die zugleich zeigen, dass das damit zusammenhängende Problem sehr wohl auch an der ersten Waldorfschule schon existent war:

"Gedeihen kann die Waldorfschule nur dann, wenn das Kollegium harmoniert in sich. Es ist nicht möglich, daß jeder jedem ganz gleich sympathisch ist. Aber das ist seine Privatsache. Das ist etwas, was nicht ins Kollegium hineingehört. Aber insofern das Kollegium repräsentiert den Gesamtstatus der Waldorfschule, hängt das Gedeihen der Waldorfschule von der inneren Harmonie im Kollegium ab. Es ist ein großer Unterschied, ob irgendjemand jemandem draußen sagt, "das geht mir auf die Nerven", oder wenn das Wort hier in der Konferenz fällt."
(23.1.1923, GA 300b, S. 238).

"Das ist, um was ich Sie bitte, einmal ernsthaft anzufangen, wenigstens hier, an der Stätte der Waldorfschule wenigstens aufrechtzuhalten, daß wir nicht über Disharmonien einfach in eine Atmosphäre von Augen-Zudrücken übergehen, daß wir uns ehrlich aussprechen. Ist es denn unmöglich, daß sich die Leute sagen, ich habe dies und jenes auf dem Herzen gegen dich, und man leidet sich deshalb nicht weniger gern, und arbeitet deshalb nicht weniger gern zusammen? Warum soll man sich nicht die Wahrheit unter die Augen sagen und trotzdem sich schätzen und achten?"
(31.1.1923, GA 300b, S. 246).

"Wir können unmöglich wirken in einem solchen Sinn, wie ich eben im Vortrag auseinander setzte, wenn nicht alle Untergründe im Kollegium gesund sind, wenn nicht jeder mit dem anderen, und in und aus dem anderen wirkt. Das muß auch in unserer Schule immer mehr gepflegt werden. Man muß, wenn man zu einem Lehrer in die Stunde kommt, immer auch wissen und fühlen, was die anderen tun. [...] Dies Zusammenwirken ist so wichtig, und das muß seinen Impuls bekommen in den Konferenzen. Wenn bei uns jeder seinen Weg ginge und für sich wirkte, würden wir die Aufgabe nicht erfüllen können."
(16.10.1923, GA 300c, S. 100).

"Ist es nicht so, wie es bei allen solchen Dingen ist, daß eigentlich derjenige, der unzufrieden ist mit den Zusammenkünften oder was immer, viel dazu beitragen kann, sie besser zu machen, indem er persönlich in der Konferenz selbst sich bemüht, es besser zu machen? [...] Ich kann nicht verstehen, wie nicht eigentlich die Stimmung herrschen kann: Ich bin todfroh, wenn ich mit allen Waldorflehrern um einen Tisch herumsitze. Das wäre die richtige Stimmung: Nun war schon acht Tage keine Konferenz; ich bin heilfroh, daß ich mit allen zusammensitzen kann. Wenn man das sieht, daß es nicht so ist, bekommt man eine Art von Starrkrampf. Es gibt doch keinen Waldorflehrer, der nicht einen anderen Waldorflehrer mit Wohlwollen ansieht."
(6.2.1923, GA 300b, S. 269f).


Das kann man dann auch auf das Verhältnis zwischen Lehrern und Eltern übertragen
und natürlich auch auf das Verhältnis zwischen Erziehern und Kindern... Und man wird immer wieder Rudolf Steiners zentralen Satz bestätigt finden: Alle Erziehung ist Selbsterziehung. Was hat alle "Schule" für einen Sinn, wenn wir uns als Menschen nicht liebevoll und verständnisvoll begegnen? Dieser Gedanke muss einen gerade zu Ostern tief bewegen.

Zusammenfassung

Die Waldorfpädagogik ist an sich eine ungeheure Herausforderung und zwar aus dem einzigen Grund, weil Erziehung selbst, jedes einzelne Kind eine ungeheure Herausforderung, eine große Frage mit sich bringt... Ein Erzieher (sei es ein Lehrer oder seien es Eltern), der mit sich selbst zufrieden ist, ist bereits kein guter Erzieher mehr... Man darf nie den Blick dafür verlieren, was man alles nicht vermocht hat – und muss in diese Richtung unablässig weiter streben.

Die Frage der Ausbildung ist für die Waldorfpädagogik eine essentielle – an dieser Frage entscheidet sich, in welchem Maße die Waldorfschule weiter an Substanz verliert... Eng damit verbunden ist das allgegenwärtige Problem der Überlastung, denn ein überlastetes Kollegium kann sich umeinander oder auch nur um neue Kollegen nicht wirklich kümmern. Und ein weiterer Faktor des gesamten "Gordischen Knotens" ist das Geld, die finanzielle Basis, die derzeit ebenso "tönerne Füße" bildet.

Unter all diesen Herausforderungen leidet dann auch die Harmonie untereinander – und fehlende Harmonie führt natürlich wiederum zu einer Verschärfung jedes einzelnen Problems.

Die zentrale Frage ist also immer: Wie findet sich eine Schulgemeinschaft zusammen? Wie gelingt es, diese Gemeinschaft immer wieder entstehen zu lassen? Und die Antwort ist, in ihrer allgemeinen Form: Nur durch den guten Willen des Einzelnen – und durch Ideen und Taten, denen es genau um eine solche Gemeinschaft geht. Möge also dieses Osterheft der "Mittenmang" auch in dieser Hinsicht ein Aufruf für den Einzelnen sein, die Quelle des guten Willens in sich zu suchen!