Wichtige Ergebnisse der Rhythmus- und Gehirnforschung

Auf der Weltlehrertagung Ende März 2008 in Dornach wurden in vier Vorlesungen auch neue Erkenntnisse der Schlaf- und vor allem der Gehirnforschung mit Bezug auf pädagogische Fragestellungen vorgestellt.


Dr. Dirk Cysarz: „Rhythmen und Lernen“ (Universität Witten/Herdecke).
Prof. Max Moser: „Rhythmen in der Entwicklung des Menschen“ (Medizinische Universität Graz / Joanneum Research Institut für Nichtinvasive Diagnostik, Weiz).
Prof. Rittelmeyer: „Nutzen und Nachteil der Gehirnforschung für die Pädagogik“ (bis 2003 Universität Göttingen, Erziehungswissenschaft).
Günter Haffelder: „Neue Wege in der Lernforschung“ (Institut für Kommunikation und Gehirnforschung, Stuttgart).

Die Gehirnforschung hat eindeutig nachgewiesen, dass tiefreichende Lernprozesse nur dann stattfinden, wenn Interesse am Lernstoff entwickelt wird und wenn das Gefühl – und am besten der ganze tätige Mensch – beteiligt ist. Damit bestätigt die heutige Forschung Erkenntnisse, die Rudolf Steiner bereits vor fast einem Jahrhundert formulierte:

„Das ist überhaupt das Geheimnis des Menschen: Sein Kopfgeist ist, wenn er geboren wird, sehr, sehr ausgebildet schon, aber er schläft. ... Eigentlich brauchen wir nur den Gliedmaßenmenschen auszubilden und einen Teil des Brustmenschen. Denn der Gliedmaßenmensch und der Brustmensch, die haben dann die Aufgabe, den Kopfmenschen aufzuwecken. ... Dasjenige, was wir als das Beste der Erziehung bewirken können, das ist eben die Willenserziehung und ein Teil der Gemütserziehung.“ (GA 293, 11. Vortrag).

„Und wenn man dann, nachdem man künstlerisch das Kind ergriffen hat, aus dem Künstlerischen das Intellektualistische hervorgehen lässt, dann hat dieses Künstlerische das richtige Maß, um in den Körper so einzugreifen, dass er nicht zu stark, sondern richtig verfestigt wird.“ (GA 307, 7. Vortrag). 

Lernen und Schlaf / Rhythmusforschung

Dr. Cysarz stellte Forschungsergebnisse vor, die in den vergangenen Jahren zum Thema „Lernen und Schlaf“ publiziert wurden. Arbeitsgruppen unter anderem an der Harvard Medical School in Boston und an der Universität Lübeck konnten eindeutig die Bedeutung des Schlafes im Lernprozess belegen. Im Tiefschlaf werden die Tageserfahrungen des Kurzzeitgedächtnisses vom Hippocampus an den Neocortex vermittelt.

In Boston (Walker 2006) untersuchte man den Lernerfolg bei einer bestimmten Tastensequenz am PC (Sequenzen pro Minute und Fehlerquote). Während des Tages verbesserte sich die Anzahl zwischen zwei Übungseinheiten morgens und abends nur von 22,7 auf 23,5, am nächsten Morgen lag sie bei 27! Bei der Versuchsgruppe, die am ersten Tag nur eine Übungseinheit am Morgen hatte, verbesserte sich der Wert über Nacht ebenfalls auf über 26, um dann am Abend ebenfalls den Wert 27 zu erreichen. Auch ein Mittagsschlaf steigerte den Wert bereits erheblich, wobei der folgende Nachtschlaf dann nur noch eine entsprechend geringere Steigerung brachte.

Eine Studie in Lübeck (Wagner 2004) stellte den Teilnehmern die Aufgabe, eine Achter-Folge von drei verschiedenen Ziffern nach einem festen Schema zu transformieren, um schließlich das Ergebnis die letzte Transformation in einen Computer einzugeben. Der ganze Prozess dauerte ca. 9 Sekunden, doch da das Endergebnis bereits an der zweiten Stelle vorausgesehen werden konnte, fanden nach dreimaligem Üben ca. 22% der Teilnehmer dieses Ergebnis bereits nach ca. 2 Sekunden. Für diese war die Studie beendet, von den übrigen 80% durfte dann eine Hälfte nachts schlafen, die andere nicht. In der letzteren Gruppe fanden am nächsten Morgen wiederum ca. 22% die schnelle Lösung, in der Schlaf-Gruppe waren es dagegen fast 60%!

Eine Studie mit Kindern (Backhaus 2008) basierte auf dem Erlernen von Wortpaaren, wobei mindestens die Hälfte korrekt gelernt werden musste. Eine Gruppe lernte am Morgen, die andere unmittelbar vor dem Schlafengehen. Die erste konnte am Abend ein Wortpaar mehr erinnern als am Morgen und am folgenden Morgen gut zwei Paare mehr. Die zweite Gruppe, die direkt nach dem Lernen schlief, konnte am folgenden Morgen gleich gut drei Wortpaare mehr erinnern, was sich dann im Laufe des Tages nicht weiter änderte.

Man beachte bei allen diesen Fällen, dass sich der Lernerfolg erst dann einstellte, nachdem die Aufgabe nach dem Schlaf nochmals ergriffen und geübt wurde.

Quellen:
Backhaus J et al. (2008): Immediate as well as delayed post learning sleep but not wakefulness enhances declarative memory consolidation in children. Neurobiology of Learning and Memory 2008 89(1), S. 76-80.
Walker MP (2006): Sleep to remember. American Scientist 2006 94(4), S. 326-333.
Wagner U et al. (2004): Sleep inspires insight. Nature 2004 427, S. 352-355. 


Prof. Moser berichtete über viele Aspekte der Rhythmusforschung.

Eine Studie an 89 Probanden zeigte, dass sich der Puls-Atem-Quotient während der Nacht auf einen Wert von etwa 4:1 einpendelt, während er tagsüber individuell zwischen 2:1 und 7:1 liegt. Eine andere Studie zeigte, dass auch die Blutdruck- und die periphere Durchblutungsrhythmik harmonisch an diese Verhältnisse angekoppelt sind. Dieser Gleichklang der Nacht ist für die Gesundheit offenbar von entscheidender Bedeutung, während Störungen durch Nacht- und Schichtarbeit zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen führen.

Bei Untersuchungen verschiedener Arten der Sprach- und Kunsttherapie zeigte sich, dass die Herzschlagvariabilität besonders reich rhythmisch gestaltet wird, wenn im Rhythmus der Atmung auch die Arme und Beine bewegt werden, was besonders bei der Eurythmie der Fall ist. Dadurch verbessert sich u.a. die Schlafqualität deutlich, was wiederum hilft, Unfälle zu vermeiden, die sich u.a. durch stressbedingte Schlafstörungen ereignen. Bei einer Studie im Auftrag der größten österreichischen Unfallversicherung AUVA konnte auf einer Großbaustelle in Graz durch Eurythmie (drei Monate lang zweimal wöchentlich) die Zahl schwerer Unfälle von 3-5 pro Quartal auf 0 gesenkt werden!

Wichtige Erkenntnisse und negative Tendenzen

Prof. Rittelmeyer berichtete über wichtige Ergebnisse, aber auch negative Tendenzen der Hirnforschung.

Diese Forschung hat belegt, dass nicht zuletzt körperliche Tätigkeiten und Emotionen maßgeblich dafür sind, dass sich Lernerfahrungen auch hirnorganisch manifestieren können – das heißt „Learning for the Test“, „Gehirnjogging“ und ähnliches sind viel zu flach gegriffene Ansätze, da das so Gelernte nicht langfristig gelernt wird. Vielfältige Sinneserfahrungen, Freude, Enttäuschung, Staunen usw. sind konstitutive Elemente des Lernens und der Gehirnbildung.

Durch die Dominanz der Bildschirmmedien bilden sich bestimmte motorische und visuelle Areale reicher aus (ein vielzitierter Effekt ist die vergrößerte Daumen-Repräsentation im Gehirn von Jugendlichen, die sehr häufig SMS verschicken), während die für sprachliche und literarische Fähigkeiten maßgeblichen Areale verarmen – eine kulturell bedingte Veränderung der Gehirnstrukturen!

Da die Gehirnbildung sehr stark von der individuellen Erfahrung abhängt, ist jede Gehirnstruktur absolut individuell – selbst bei eineiigen Zwillingen. Damit sind auch die Lernwege von Kindern sehr individuell. Bekannt sind außerdem Studien, die die Problematik von Früheinschulungen (vor dem Alter von 6 Jahren) zeigen.

Zur Nachahmungsfähigkeit des Menschen gibt es seit mehreren Jahren tiefgehende Forschungsergebnisse. So aktiviert man etwa beim Ansehen verschiedener Gesichter genau jene Gesichtsmuskeln (äußerlich nicht wahrnehmbar), die für die jeweilige Mimik verantwortlich sind. Teilweise wird dies auf die in den 70er Jahren entdeckten Spiegelneuronen zurückgeführt.

Während die Hirnforschung wichtige Ansätze der Waldorfpädagogik bestätigen kann, fördert sie sehr oft einen weiteren Materialismus – allein schon durch die Analogisierung von Mensch und Maschine. Da wird – initiiert von Hirnforschern – bis in Kinder- und Jugendbücher hinein das Gehirn als Computer dargestellt, von „Verdrahtung der Nervenzellen“, „Arbeitsspeicher“, „Hardware“, „Datenautobahn“ usw. gesprochen.

Methodisch und philosophisch fragwürdig sind Behauptungen von Hirnforschern wie Wolf Singer und Gerhard Roth, der Mensch besitze keinen freien Willen. In Wirklichkeit handelt es sich gerade bei dieser scheinbar wissenschaftlichen „Widerlegung“ des freien Willens um „abenteuerliche Metaphysik“ (so der Philosoph Peter Bieri) – ganz abgesehen davon, dass unser gesamtes Rechtssystem jede Grundlage verlöre, wenn das Handeln des Menschen determiniert wäre. Die Mechanisierung des Menschenbildes betrifft jedoch unsere ganze Kultur, man blicke sich nur im Bereich des „Kinderspielzeugs“ – Masters of the Universe, Turtels, X-Men etc. – und der Computerspiele um (ausführlich dazu: Rittelmeyer: Kindheit in Bedrängnis).

Der Neurozentrismus kommt auch da an seine Grenze, wo sich zeigt, dass Wahrnehmen und Urteilen sich nicht nur im Gehirn abspielt – worauf schon Rudolf Steiner hingewiesen hat. So erfolgt etwa die Wahrnehmung von Räumen gleichzeitig über außen- und innengerichtete Sinne (Seh-, Hörsinn; Eigenbewegungs-, Temperatursinn usw.). Tatsächlich reagieren Menschen in einer Umgebung „warm“ bzw. „kalt“ wirkender Farben zum Teil mit einer leichten Erhöhung bzw. Absenkung der Hauttemperatur.

Spezifische Lernhindernisse und ihre Behandlung

Günter Haffelder schließlich referierte über seine erstaunlichen Forschungsergebnisse in Bezug auf Lernbehinderungen und ihre Behandlung durch „neuroaktive Musik“.

Die Gehirnbildung wird heute durch viele Faktoren deutlich gestört: Schon in der Schwangerschaft kann der wiegende Schritt der Mutter die endogene Rhythmik des Gehirns initiieren, während eine stressbelastete berufstätige Mutter, die den ganzen Tag nur vor dem Computer sitzt, ganz andere Voraussetzungen schafft. Trug man das Baby früher immer mit dem Gesicht zur Mutter, ist es heute oft andersherum üblich, was die Bindung beeinträchtigt und zu Reizüberflutung führt. Das Krabbeln des Kindes vernetzt die beiden Gehirnhemisphären (im Corpus callosum), was ein absolut entscheidender Prozess für die spätere Entwicklung der Sprache, Raum-Zeit-Wahrnehmung usw. ist. Auch dieser Prozess wird durch Hüpfsitze etc. heute oft behindert.

An Haffelders Institut für Kommunikation und Gehirnforschung in Stuttgart wird mit einer speziellen EEG-Messung kabellos das gesamte Frequenzspektrum des Gehirns erfasst, was sehr differenzierte Aussagen ermöglicht. Es zeigt sich, dass den verschiedensten Lernstörungen spezifische Störungen in den Gehirnfrequenzen entsprechen, die sich wiederum ganz individuell äußern (blockierte Frequenzen, Phasenverschiebungen, Disharmonien, Lateralitätsprobleme [z.B. zu starke Dominanz der linken Hirnhemisphäre], Ordnungsschwellenproblematik etc.).

In einem Versuch mit einem hochbegabten Schüler sagte man einem Lehrer, er sei hochbegabt, einem zweiten Lehrer, er sei lernbehindert. Als der zweite Lehrer den Raum betrat, gab es im Gehirn des Schülers eine außerordentliche Blockade (Dopamin-Ausschüttung in einer Konzentration, die fast Krämpfe ausgelöst hätte). Dies zeigt die immense Verantwortung des Pädagogen schon für die Gedanken, die er in Bezug auf einen Schüler hat!

Ein häufiges Phänomen ist die sogenannte Ordnungsschwellen-Problematik. Normalerweise können Reize im Abstand von 0,1 Sekunde (100ms) unterschieden werden. Bei vielen Kindern liegt diese Schwelle aber deutlich höher (Mittelwert Realschule 120, Hauptschule 150, Förderschule 250). Die Folge ist, dass Kinder immer nur einen Teil des jeweils Gesagten verstehen – ohne dass ein Gehörschaden vorliegt! Teilweise ist der Effekt so schlimm, dass der Lehrer gleichsam wie in einer Fremdsprache redet. Das Problem kann ebenfalls über eine Beeinflussung des Frequenzspektrums geheilt werden – nur muss man die spezifische Ursache erkannt haben!

Die im Institut entwickelte Behandlung erfolgt durch ganz individuell eingespielte „neuroaktive Musik“, die die entsprechend gestörten bzw. unterentwickelten Frequenzbereiche stimuliert. Dabei wird der ursprüngliche Kammerton A mit 432 Hz und das Originaltempo zugrundegelegt (die 432 Hz hängen ganz mit den Körperrhythmen zusammen, im Gegensatz zum festgelegten Wert 440 Hz. Zu Mozarts Zeiten gab es auch noch kein Metronom, die Musik wurde nur halb so schnell gespielt wie heute, wo – nicht nur – Mozart in einer völlig absurden und widernatürlichen Hetze gespielt und gesungen wird, so dass u.a. Orchestermusiker zu den streßgeplagtesten Menschen gehören!). 

Neuroaktive Musik führt zu eklatanten Erfolgen. Schon eine Minute Hörens kann die Leseleistung eines „Legasthenikers“ um ein Vielfaches steigern (z.B. von zwei auf sechs Zeilen pro Minute). In einem anderen Fall konnte ein traumatisiertes Mädchen, dessen Entwicklungsstand bei Projektbeginn dem eines dreijährigen Kindes entsprach, im Laufe eines Jahres von einer Sonderschule für „geistig Behinderte“ auf eine normale Hauptschule umgeschult werden. Haffelders Institut hat bereits Projekte an mehreren Schulen durchgeführt.

Störungen der Gehirnfrequenzen können verschiedenste Ursachen haben. Einige äußere Ursachen sind elektromagnetischer Natur. So hatte in einem Fall bei einer Studentin schon eine Dimmer-Schreibtischlampe eine entscheidende Blockade verursacht, die sie fast zum Abbruch des Studiums gebracht hätte. Handystrahlen sind ähnlich problematisch. Darüber hinaus können sie bei längerem Gebrauch oder auch bei etwas problematischerer Frequenz zu einer Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen, wodurch Gifte in das Gehirn gelangen. Die entstehenden Symptome sind dem entsprechenden Arzt dann weder erklärlich noch behandelbar! Interessant ist, dass das Institut von Haffelder zum Beispiel in der Schule für die Abgeordnetenkinder in Berlin eine starke Elektrosmog-Störung entdeckte. Im Grunde müssten alle Schulen in dieser Weise gemessen und dann entstört werden!

Ein anderes Problem ist Ritalin, das etwa in den USA bereits 10% aller Kinder verschrieben bekommen haben (teilweise nur deshalb, weil sie ihren Eltern „zu unruhig“ sind). Schon die erste Gabe von Ritalin beginnt, das Stirnhirn vom übrigen Gehirn abzukoppeln. Die Sinneseindrücke gelangen nicht mehr hindurch, vor allem aber ist das Stirnhirn notwendig, damit der Mensch menschlich ist. Die Behandlung mit Ritalin führt dazu, dass die Kinder ihre Individualität deutlich verlieren! Auf der anderen Seite wird die Amygdala mit bestimmten Botenstoffen unterversorgt, wodurch die Kinder depressiv oder aber gerade sehr aggressiv werden.