Sprechen, Zuhören, Verstehen

Heinz Zimmermann: Sprechen, Zuhören, Verstehen in Erkenntnis- und Entscheidungsprozessen. VFG, 1998/4 (96 S., 8€). O o  

Das lesenswerte Büchlein von Heinz Zimmermann behandelt in acht Kapiteln die Faktoren des Gesprächs, das Wunder der Rede, die Kunst des Zuhörens, Stufen des Gesprächs, das Gespräch als Kunst, das Gespräch als Urform moderner Gemeinschaftsbildung, die Vereinigung im Gespräch und Übungswege. Im folgenden werden nur einige wenige Aspekte herausgegriffen. 

 

Die ideale Form des Erkenntnisgesprächs

Auch hier waltet das phantasievolle Spiel der Dialektik, aber immer nur im Dienste der Wahrheitssuche. Es gibt ein gemeinsames Ziel: die Erkenntnis. Daher kann es auch keine Verlierer geben.
Fragen, Einwände und Provokationen haben nur den Sinn, den Gesprächsgegenstand zu profilieren und aufzuschließen, und verhelfen zur Fortentwicklung des Gedankens. Die Grundhaltung ist also die eine Frage gegenüber der Wahrheit, die sich durch das Gespräch stufenweise entwickeln und enthüllen soll und am Ende alle gleichermaßen beschenken kann. Dies setzt voraus, dass die Teilnehmer ganz in den Gedankenprozess einsteigen und durch ihre Beiträge dazu verhelfen, dass sich ein Verborgenes dem Erkennen offenbaren kann. Man stelle sich ein Gespräch vor, wo jeder in einer solchen Fragehaltung jeden Beitrag aufnimmt, abspürt, welche weitere Frage, welcher Beitrag fällig ist, ganz an den andern anschließt und so dem Gedanken Gelegenheit bietet, sich zu entwickeln. Da kommen wir in eine Sphäre, wo Gespräch zur Kunstform wird. (S. 43).

Nun denken wir uns den folgenden Idealverlauf: Als erstes wird die Frage allseitig beleuchtet und dadurch von allen Teilnehmern gleich lebendig erlebt. Dann bilden sich verschiedene Standpunkte. Aber durch den Frageernst und die Bereitschaft, den anderen so zuzuhören, wie wenn es der eigene Standpunkt wäre, löst sich eine drohende Identifikation der Teilnehmer mit ihren Standpunkten. Die Einzelstandpunkte verbinden sich zum gemeinsamen Problem, das es weiter zu bewegen gilt. Dann entsteht durch irgendeinen Gesprächsbeitrag die Stimmung: Jetzt ist etwas ganz Neues entstanden. An diesen Beitrag schließen sich in der Folge mehrere Beiträge an, die den ersten vertiefen und erweitern. Die Stimmung verdichtet sich und lässt sich etwa so ausdrücken: Der einzelne wäre nie auf dieses Neue gekommen. Es war wie ein Einschlag, der möglich wurde durch unser Bemühen, der aber keine Summe unserer Einzelbemühungen darstellte, sondern erschien wie eine Wandlung und Umschmelzung durch ein Höheres. Wir fühlen uns wie von einem wesenhaft Geistigen berührt, und in diesem waren wir für Augenblicke vereinigt. Im Rückblick erleben die Teilnehmer nicht nur das Beglückende einer Lösung, sondern auch die Verbundenheit mit den anderen. (S. 74).


Zimmermann schildert, wie ein Gespräch bis in die Sprachvergleiche tiefe Ähnlichkeit mit dem fließenden Wasser hat: es fließt, strömt, stockt, ufert aus, plätschert dahin, versandet, ist seicht oder hat Tiefgang... Wie ein Fluss braucht es einen Stoff, hat ein bestimmtes Tempo, eine Spannung (Hindernisse) und eine Richtung. Diese Elemente gilt es bewusst handhaben zu lernen. 

- Stoff: Zunächst braucht es genügend Stoff für ein fruchtbares Gespräch. Darüber hinaus muss man schauen, ob überhaupt alle zum gleichen Thema sprechen, ob sich alle kundig gemacht haben usw. Der Stoff muss verbreitert und vertieft werden (Phantasie) oder die Stofffülle beschränkt werden (Verzicht).

- Tempo und Fluss: Das Gespräch muss in Gang kommen, man muss sich in das Problem einleben, dann kommen Einfälle und Fragen, es belebt sich – bis der Stoff (und die Zeit) allmählich ausgeht. Rundumfragen, Grundsatzerörterungen etc. wirken verlangsamend, Pragmatismus, der Blick auf die Uhr etc. beschleunigend. Hier ist immer das richtige Maß zu suchen. Die Pause wirkt äußerlich verzögernd, innerlich aber beschleunigend...

- Spannung: Außer Widerspruch und Einwand ist auch die Frage ein spannungstragendes Element, das jedem Gespräch Profil verleiht und es zugleich befördert. Entspannend sind Berichte, sachliche Schilderungen, vermittelnde Beiträge, aber auch Humor...

- Richtung: Wichtig wäre, sich gleich zu Beginn über das Ziel zu einigen: Soll eine Entscheidung zustande kommen oder nur eine Meinungsbildung? Viele Spannungen entstehen aus ungeklärten, divergierenden Zielvorstellungen. Ist das Ziel klar, kann aber auch eine zu straffe Gesprächsführung die freie Meinungsäußerung verhindern. In einem atmenden Prozess ginge das Gespräch dagegen zunächst in die Breite, dann käme eine erste (zusammenziehende) Standortbestimmung, die nächste Ausweitung usw.

Zimmermann zeigt das Gespräch als Abbild des Dramas in fünf Akten: Exposition – Steigerung – Krise – Retardierung – Lösung oder Katastrophe. Gerade der vierte Akt der Retardierung ist wichtig. Auf dem Höhepunkt des Gesprächs kann es leicht zu einer Blockade kommen. Die auf Entscheidung drängenden Willensimpulse müssen durch das bedächtige Gedankenelement gebremst werden. Eine Pause oder eine gründliche Standortbestimmung liefert dann neue Gesichtspunkte – und es kommt tatsächlich zu einer Lösung.

Mit solchen Betrachtungen reift ein Gefühl für die Zeitgestaltung: Man darf nicht schon auf eine Entscheidung zielen, bevor die Urteilsgrundlagen geschaffen sind; sich nicht schon im ersten Akt über andere Voten ärgern; auch nicht im dritten Akt eine Entscheidung erzwingen wollen (was in Wirklichkeit ein Gesprächsabbruch wäre); man muss am Ende eines harten Ringens aber auch den Zeitpunkt der „Reife“ spüren und gemeinsam die „Gunst der Stunde“ nutzen.

Darüber hinaus hat das ideale Erkenntnisgespräch (s.o.) aber auch Übereinstimmungen mit der heiligen Messe: Lesung, Opferung, Wandlung, Kommunion.

Schließlich betont Zimmermann die Wichtigkeit des Rückblicks:

So wie das Individuum nur durch eine emotionslose Betrachtung des eigenen Tagewerks zu Selbsterkenntnis und Selbsterziehung kommen kann, so entstehen auch in der Gemeinschaft Impulse zur Verbesserung nur, wenn die gemeinsame Arbeit im Rückblick nüchtern betrachtet wird. Und ebenso wie sich gegen ehrliche Selbsterkenntnis innere Widerstände regen, so erheben sich gegen die gemeinsame Rückschau Einwände, die sie zu verhindern suchen. Eine Gemeinschaft, die keine bewussten Schritte zu einer Gesprächsschulung tun will, muss sich mit organisatorischen Hilfen begnügen, die dann allerdings unerlässlich sind. Damit befindet sie sich aber im Bereich des organisierenden Verstandes, nicht in dem der Kunst. Freilich ist es immer noch besser, klare Formen und transparente Entscheidungsstrukturen zu haben, als dass man – vielleicht sogar in der Meinung, besonders frei zu sein – egozentrisch improvisiert und dann dem Zufall, der Müdigkeit, dem Sachzwang, dem Mächtigsten oder einfach einem unverbindlichen Nicken den Entscheid anheim stellt. (S. 89).