16.02.2011

Verantwortungsvolle Ausgrenzung?

Zur Streichung meiner Arbeitsgruppe bei der Bundeselternratstagung in Saarbrücken am kommenden Wochenende. Ein offener Brief.

Die Vorgeschichte: Die Bundeselternratstagung 2011 hat das Thema: „Was ist drin, wenn Waldorf draufsteht?“. Im Oktober meldete ich eine Arbeitsgruppe an: „Zusammenarbeit und Begeisterung als Grundsäulen der Waldorfpädagogik – wo sind ihre Quellen?“ Diese wurde im November in das Programm aufgenommen. Bis gestern hatten sich 23 von 161 Eltern für diese Gruppe angemeldet, es war die gefragteste von 14 Gruppen. Gestern wurde mir dann von dem zuständigen Mitglied des Sprecherkreises telefonisch mitgeteilt, dass man die Arbeitsgruppe gestrichen habe...


Liebe ...,

ich bitte Sie, diese Mail ganz ruhig und unaufgeregt zu lesen – genauso schreibe ich sie auch, selbst wenn es um einen real ja vorliegenden Konflikt geht.

Ich finde es nach wie vor einen Skandal, dass Sie mich gestern, drei Tage vor der BERT, telefonisch darüber informiert haben, dass Sie die von mir zu leitende Arbeitsgruppe „Zusammenarbeit und Begeisterung als Grundsäulen der Waldorfpädagogik – wo sind ihre Quellen?“ gestrichen haben. Ich verstehe nach wie vor nicht, auf welcher Grundlage diese Streichung erfolgt ist. Offenbar fühlen Sie sich, wie Sie sagten, nicht in der Lage, diese Arbeitsgruppe zu verantworten – Sie persönlich? Der gesamte Sprecherkreis? Auf welcher Grundlage?

Sie haben gesagt, Sie hätten „eine Verantwortung der Bundeselternschaft gegenüber“. Worin besteht diese? Und warum führt diese zur Streichung meiner Arbeitsgruppe?

Wie Sie wissen, haben sich 23 Eltern für diese Arbeitsgruppe und dieses Thema eingetragen. Es war die gefragteste Gruppe von allen, jeder siebte Tagungsteilnehmer wollte hier mitarbeiten. Besteht darin also Ihre Verantwortung – die Gruppe zu streichen?

Sie sagen, Sie hätten recherchiert und wären auf meiner Webseite gewesen. Glauben Sie wirklich, man bekommt ein umfassendes Bild, wenn man mal ein, zwei Stunden (waren es so viel?) auf meiner Webseite war? Wieviele Aufsätze haben Sie gelesen? Haben Sie sie ganz gelesen? Haben Sie sich erschreckt – oder haben Sie auch verstanden, was jeweils ausgesagt wird? Haben Sie Einwände? Nachfragen? Widerlegungen? Glauben Sie, dass das, was ich schreibe, nicht wahr ist? Oder haben Sie sich über die Frage der Wahrheit gar keine Gedanken gemacht?

Oder haben Sie vielleicht das Gefühl, ich sei ein Gegner der Waldorfbewegung? Bloß, weil ich mit sehr großer Sorge auf die reale Entwicklung schaue? Bloß, weil ich zu manchem scharfe Worte finde? Ist die Waldorfbewegung tatsächlich konfliktunfähig? Und haben Sie nicht meine anderen Aufsätze gelesen?

Offenbar gehört Mut dazu, den rasanten Verlust der spirituellen Substanz der Waldorfbewegung überhaupt sehen zu wollen – und überhaupt erkennen zu wollen, worin diese spirituelle Substanz bestehen müsste. Es ist einfacher, den Status Quo zu bejahen und „positiv weiterzumachen“. Natürlich kann man immer nur das Positive sehen wollen, die Frage ist nur, ob man sich dann nicht auf einem entscheidenden Auge blind macht und aus Mangel an innerem Mut die notwendige innere Essenz geradezu verleugnet – dadurch, dass man sie und ihre Bedeutung entweder gar nicht wirklich erkennen will, oder aber einfach irgendwo hintanstellt.

Aber davon abgesehen – ist die Waldorfbewegung nicht fähig, verschiedene Sichtweisen zu ertragen? Ist die Waldorfbewegung nicht fähig, meine Sichtweise zu ertragen? (Und ich kann Ihnen versichern, es ist ganz gewiss nicht nur meine!). Ist die Waldorfbewegung nicht eine Bewegung, die „zur Freiheit erziehen“ will? Wie will sie das machen, wenn sie bestimmte Anschauungen gar nicht zu ertragen bereit ist; wenn sie diese unterdrückt, mundtot macht und ausschließt?

Und ich wiederhole nochmals: Es gibt auf meiner Webseite kritische Aufsätze, und es gibt ganz ohne alle Kritik auf das Notwendige, Grundlegende hinblickende Aufsätze. Meine Arbeitsgruppe hatte das Thema „Zusammenarbeit und Begeisterung“. Klingt das nach Kritik (vor der man ja offenbar so viel Angst hat)? In dem Subtext zum Titel schrieb ich:

„Alle Schulen stehen vor den gleichen Problemen: Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit. Großes Ungleichgewicht im Engagement. Bei Eltern wie Lehrern. Die konkreten Probleme sind schon eine Folge solcher grundlegenderen Krankheitsprozesse eines Schulorganismus. Organisationsberatung, die Verbesserung von Strukturen, Kommunikationsregeln usw. ist noch immer ein Ansetzen bei den Symptomen. Alle Probleme einer Waldorfschule beruhen auf einem Mangel an Zusammenarbeit und Begeisterung. In der Gruppe werden diese Erkenntnis und wirkliche Heilungsmöglichkeiten erarbeitet.“

Ist dies nicht etwa ein notwendiges Thema, ein in allen Waldorfschulen brennendes Thema – wie es auch die Zahl der Anmeldungen für diese Arbeitsgruppe zeigt? Wovor haben Sie Angst? Wofür können Sie nicht die Verantwortung übernehmen? Wie kommen Sie dazu, für meine Arbeitsgruppe die Verantwortung zu übernehmen? Muss ich dies nicht selbst tun?

Ein weiterer Punkt, der Ihnen offenbar Angst macht, ist meine Kündigung als Mitarbeiter der „Freunde der Erziehungskunst“, an die sich ein Arbeitsgerichtsverfahren anschloss. Warum macht Ihnen das Angst? Und wer ist da im Unrecht? Warum der Vereinsvorstand mich gekündigt hat, ist dessen Sache – bin ich dadurch ein Verurteilter, der keine Arbeitsgruppe mehr anbieten darf? Der Vereinsvorstand wollte mich loswerden, ganz einfach. Und warum? Weil auch er meine private Webseite nicht befürwortet. Nun – ein Spendensammelverein hat natürlich ein großes Interesse daran, nach allen Seiten beliebt zu sein und mit jedem gut auszukommen. Das verträgt sich mit Kritik nicht. Wenn Sie aber diesen Vorgang, dass der Vereinsvorstand sich von mir trennen wollte, nun als Begründung dafür heranziehen, dass ich bei der BERT keine Arbeitsgruppe anbieten darf oder dass eine bereits angebotene Arbeitsgruppe wieder gestrichen wird, dann muss ich wirklich an den Grundlagen dieser Bewegung verzweifeln, dann bleibt für mich wirklich nur der Begriff „sektenhaft“, „Zensur“ und so weiter.

Sehen Sie nicht, dass Sie da innerlich zu einer Kollektiv-Auffassung hindrängen, die immer auf „Geschlossenheit“ hinzielt und alles andere ausgrenzt? Viele Gedanken und Worte auf meiner Webseite mögen unbequem, schmerzlich oder was auch immer sein. Ich bin aber kein Gegner der Waldorfpädagogik, sondern ein leidenschaftlicher Anhänger. Sie mögen unter „Waldorfpädagogik“ etwas anderes verstehen als ich, Sie mögen die reale innere Situation der Waldorfbewegung anders erleben und beurteilen als ich – wenn Sie aber Anschauungen wie die meinige (und es ist nicht nur meine allein) ausschließen, kommen Sie in ein unmögliches Fahrwasser!

Die Waldorfschule kann nur in einem Freien Geistesleben gedeihen. Was geschieht, wenn es schon innerhalb der Waldorfbewegung kein freies Geistesleben mehr geben darf? Sie sagten, Sie haben eine „Verantwortung“ gegenüber der „Bundeselternschaft“. Wollen Sie den delegierten Elternvertretern vorschreiben, mit welchen Personen und welchen Anschauungen sie in Berührung kommen dürfen? Wollen Sie der Bundeselternschaft vorschreiben, wer Arbeitsgruppen zum Thema „Zusammenarbeit und Begeisterung“ anbieten darf und wer nicht? Und wenn es der „Falsche“ ist, wird eine solche Gruppe eben ganz einfach ersatzlos gestrichen?

Sehen Sie wirklich  nicht, wo Sie mit einem solchen Vorgehen hinsteuern?

Herzliche Grüße,
Holger Niederhausen